Landesarbeitsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.06.2016, Az.: 11 Sa 95/16

Treuwidrige Vereitelung der Teilnahme an einem Abfindungsprogramm; Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses bei formwidriger Abänderung des Anmeldeverfahrens zur Beteiligung am Abfindungsprogramm eines Rahmensozialplans

Bibliographie

Gericht
LAG Niedersachsen
Datum
27.06.2016
Aktenzeichen
11 Sa 95/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2016, 38723
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
ArbG Hannover - 14.10.2015 - AZ: 13 Ca 330/15

Redaktioneller Leitsatz

1. § 162 BGB drückt den allgemeinen Rechtsgrundsatz aus, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf.

2. Eine Betriebsvereinbarung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) und ist von beiden Seiten zu unterzeichnen; diese Anforderungen gelten auch für eine inhaltliche Abänderung einer gültigen Betriebsvereinbarung.

3. Solange eine Betriebsvereinbarung als Gesamtregelwerk gültig bleibt und soweit Rechte und Pflichten der Beschäftigten geregelt werden, bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Publizität bei Änderung des Vereinbarungsinhaltes der Schriftform.

4. Auch wenn ein Interessenausgleich nicht die Wirkung einer Betriebsvereinbarung hat, sieht das Gesetz die Schriftform vor; es entsteht eine kollektivrechtliche Bindung an die Inhalte.

5. Hat die Arbeitgeberin das Auswahlverfahren für die Ermittlung der Beschäftigten, denen sie auf Grundlage eines Rahmensozialplans einen Auflösungsvertrag mit Abfindungszahlung anzubieten bereit war, ohne ausreichende kollektivrechtliche Rechtsgrundlage durchgeführt und unter formwidriger Abänderung des Anmeldeverfahrens den Zugang der Erklärung der Arbeitnehmerin nach dem kollektiv-rechtlich vereinbarten Meldeverfahren objektiv vereitelt, hat die Arbeitnehmerin unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung einen Erfüllungsanspruch aus dem Rahmensozialplan.

In dem Rechtsstreit

A., K.-Straße, S.-Stadt

Klägerin und Berufungsbeklagte,

Proz.-Bev.: Rechtsanwalt L., O.-Straße, K.-Stadt

gegen

Firma E. GmbH, E-Straße, D-Stadt

Beklagte und Berufungsklägerin,

Proz.-Bev.: Rechtsanwälte D., D-Straße, D-Stadt

hat die 11. Kammer des Landesarbeitsgerichts Niedersachsen auf die mündliche Verhandlung vom 10. Mai 2016 durch

den Vorsitzenden Richter am Landesarbeitsgericht Dr. Voigt,

den ehrenamtlichen Richter Herrn Steinhoff

die ehrenamtliche Richterin Frau Stryk

für Recht erkannt:

Tenor:

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.10.2015, 13 Ca 330/15, teilweise abgeändert.

Ziff. 1 des Urteilstenors wird wie folgt neu gefasst: Die Beklagte wird verurteilt, mit der Klägerin einen Aufhebungsvertrag gemäß Rahmensozialplan "Montreal" abzuschließen."

Die weitergehende Klage wird abgewiesen.

Im Übrigen wird die Berufung zurückgewiesen.

Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 1/3, die Beklagte 2/3.

Die Revision wird zugelassen.

Tatbestand

Die Parteien streiten um die Teilnahme an einem betrieblichen Abfindungsprogramm.

Die Klägerin ist ursprünglich seit dem 01.06.2007 als Sales Managerin bei der E. GmbH & Co. KG beschäftigt. Diese ist inzwischen nicht mehr existent. Jetziger Arbeitgeber der Klägerin ist die Beklagte. Der Vierteljahreseinkommen der Klägerin beträgt etwa 25.500,00 € brutto. Die Klägerin hat sich bis zum 07.03.2016 in Elternzeit befunden. Die E.-Gruppe ist seit Oktober 2014 Teil des T.-Konzerns. Aus Anlass der Zusammenführung von E. und T. sollen bis zum Jahr 2018 rund 1.600 der bisher 9.100 Vollzeitstellen abgebaut werden. Dies ist Gegenstand eines Rahmensozialplans "Montreal", der am 06.02.2015 mit dem Konzernbetriebsrat geschlossen wurde (Bl.12 - 45 d.A.). Zeitgleich wurde eine Rahmenvereinbarung für die Interessenausgleiche (Bl.117 - 124 d.A.) und ein erster Teilinteressenausgleich abgeschlossen (Bl.125 - 131 d.A.). Nach diesen Regelungen soll der Personalabbau grundsätzlich durch Aufhebungsvereinbarungen erfolgen. Es ist insoweit ein gesteuertes Abfindungsprogramm vorgesehen, das nach dem ersten Teilinteressenausgleich eine Mitarbeiterzahl von 700 Vollzeitstellen umfasst. Daneben ist ein offenes Abfindungsprogramm vorgesehen, das nach dem ersten Teilinteressenausgleich auf 100 Vollzeitstellen begrenzt war. Nach der Anlage 5 des Teil-Interessenausgleichs (Bl.133 d.A.) fielen davon 21 Stellen in den Bereich B2B, in dem auch der Kläger tätig ist.

In Ziff.2 der Anlage 2 des Rahmensozialplanes (Bl.53 - 58 d.A.) ist das Verfahren des offenen Abfindungsprogramms wie folgt geregelt: Es wird eine externe Koordinationsstelle eingerichtet, die das offene Abfindungsprogramm steuern soll. Dies ist die Firma M. Interessierte Mitarbeiter können sich per E-Mail bei der externen Koordinationsstelle melden. Pflicht der externen Koordinationsstelle ist es einerseits, den exakten zeitlichen Eingang der Meldung zu dokumentieren und einen Abgleich mit den verschiedenen Listen durchzuführen sowie letztlich der Personalabteilung die Namen derjenigen Mitarbeiter mitzuteilen, die die Voraussetzungen für einen Auflösungsvertrag erfüllen. Da die Formel zur Berechnung der Abfindungshöhe in dem Rahmensozialplan großzügig bemessen ist - die Kammer hat in sechs Verfahren mit Abfindungsbeträgen zwischen 95.000,00 Euro und 244.000,00 Euro verhandelt - war eine hohe Nachfrage nach dem Abfindungsprogramm zu erwarten. In der Anlage 2 des Rahmensozialplanes heißt es dazu in Ziff. 2 d:

"Für den Fall, dass es mehr Interessenten als Plätze im Kontingent gibt, werden die zeitlich früheren Eingänge berücksichtigt. ... Bei zeitgleichem Eingang mehrerer Angebote werden diese alle berücksichtigt."

Für die technische Umsetzung bis zum Start des Abfindungsprogramms verblieben ab Unterzeichnung des Rahmensozialplans und Teil-Interessenausgleichs nur etwa sechs Wochen. Von den im Projektteam beteiligten IT-Fachleuten wurde kritisiert, dass eine Übermittlung der Anfragen per E-Mail technisch unzureichend sei, weil es einerseits zu Verzögerungen der Übermittlung kommen könne, andererseits sowohl Abgangszeitpunkt als auch Zugangszeitpunkt nur sekundengenau festzustellen seien und eventuell manipuliert werden könnten. Die Beklagte entschloss sich deshalb dazu, eine Anmeldung über eine eigens dafür herzustellende Webseite zu ermöglichen. Mit E-Mail vom 20.03.2015 (Bl.147 d.A.) teilte die Vorsitzende des Konzernbetriebsrats mit, dass der Konzernbetriebsrat in der Sitzung vom 19.03.2015 dieser Änderung zugestimmt habe. Die Erstellung der Webseite wurde von einem weiteren externen Dienstleister, der Firma A. übernommen, die dafür auf von der Firma Microsoft angebotene Programme und Server zurückgriff. Das Meldeverfahren wurde sodann entsprechend der Webseiten-Lösung durchgeführt. Die Mitarbeiter wurden entsprechend informiert. Eine Meldung war am 22.03.2015 ab 13.00 Uhr möglich.

Tatsächlich kam es am 22.03.2015, 13.00 Uhr zu einer großen Zahl an Zugriffsversuchen auf die Webseite. Im System kam es zu gewissen Verzögerungen in der Abarbeitung der Zugriffe. Ursachen und technische Details sind insoweit streitig. In der Ergebnisliste, die die Firma M. als externe Koordinationsstelle vorgelegt hat (Bl. 285 f. d.A.), ergibt sich, dass der Zugriff der Klägerin für 13:15:35:970 Uhr dokumentiert sei. Die Beklagte macht geltend, das Kontingent sei jedoch bereits um 13:02:31:370 Uhr vergeben gewesen.

Beim Arbeitsgericht Hannover haben neben der Klägerin fünf weitere Beschäftigte Klage erhoben mit dem Begehren, einen Auflösungsvertrag mit Abfindungszahlung nach dem Rahmensozialplan "Montreal" zu erhalten. Weitere ähnliche Klagen hat es insbesondere beim Arbeitsgericht Düsseldorf gegeben.

Das Arbeitsgericht Hannover hat mit Urteil vom 14.10.2015 die Beklagte verurteilt, mit der Klägerin einen Aufhebungsvertrag gemäß Rahmensozialplan zum 30.06.2015 sowie einer Abfindungszahlung von 162.791,0 € abzuschließen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Abschluss eines Aufhebungsvertrages gegen Zahlung einer Abfindung entsprechend dem Rahmensozialplan Montreal. Die Beklagte habe in diesem Fall nicht dargelegt, dass das Kontingent von 21 Aufhebungsverträgen zum Zeitpunkt der erfolgreichen Anmeldung der Klägerin bereits erschöpft gewesen sei. Die Klägerin habe dies vehement bestritten. Bei der von der Beklagten überreichten Anlage B7 handele es sich um ein nicht aussagefähiges Blatt Papier. Es werde weder deutlich, wer es erstellt habe, noch lasse sich daraus überhaupt eine Tatsache entnehmen.

Gegen dieses ihr am 10.11.2015 zugestellte Urteil hat die Beklagte am 20.11.2015 Berufung eingelegt und diese fristgemäß am 31.12.2015 begründet.

Das Arbeitsgericht habe die Anforderungen an substantiierten Sachvortrag überspannt und fehlerhaft keinen nach § 139 ZPO erforderlichen Hinweis erteilt.

Die Beklagte berichtigt ihren erstinstanzlichen Vortrag dahingehend, dass am 20.03.2015 die Kontingentverteilung geringfügig geändert worden sei und für den Bereich B2B statt 21 noch 19 Vollzeitstellen zur Verfügung standen (Anlage B9 Bl. 250 d.A.). Die zeitliche Reihenfolge der erfassten Anmeldungen ergebe sich aus der von der Firma M. vorgelegten Liste (Schriftsatz 11.3.2016 Bl. 262 ff. d.A. und Anlage Bl. 285 f. d.A.). Danach habe sich die Klägerin erst als 54. angemeldet. Das Kontingent sei zu diesem Zeitpunkt definitiv erschöpft gewesen. Aus Datenschutzgründen sei jeweils von den Nachnamen nur der erste Buchstabe angegeben, auf Verlangen des Gerichts könnten aber die vollständigen Namen vorgetragen werden.

Wie das Arbeitsgericht in den Parallelverfahren zutreffend angenommen habe, fehle es im Übrigen bereits an einer kausalen Verknüpfung der begehrten Rechtsfolge selbst bei einer unterstellten Pflichtverletzung. Es bestehe auch kein Anspruch aus dem arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz, weil der Arbeitgeber einzelne Arbeitnehmer nicht willentlich schlechter gestellt habe. Die Beklagte habe auch keine Haupt- oder Nebenpflichten gem. § 280 Abs. 1 BGB aus dem Vertrag verletzt. Die Beklagte habe allen Mitarbeitern einen chancengleichen Zugang zur Anmeldung ermöglicht. Jedenfalls liege kein Verschulden gem. § 276 BGB vor. Gehe es wie im vorliegenden Fall nur um potentiell auftretende Sachschäden und nicht um Personenschäden, sei auch eine Abwägung der Kosten und Nutzen ein zulässiges Hilfsmittel, um den Umfang der Sorgfaltspflicht zu bestimmen. Die Beklagte habe alles Zumutbare getan, um einen störungsfreien Betrieb zu ermöglichen.

Auch aus dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung könne die Klägerin keinen Anspruch herleiten. Es fehle abermals an der Kausalität zwischen Zugangsvereitelung und Schaden. Im Übrigen fehle es, wie im Schriftsatz vom 31.08.2015 dargelegt, an einer Zugangsvereitelung.

Im Hinblick auf die Anlage B7 lasse die Begründung durch das Arbeitsgericht erkennen, dass es überhaupt nicht gewillt gewesen sei, die Anlage zu würdigen. Jedenfalls habe es eine Würdigung der Beweisaufnahme gem. § 279 Abs. 3 ZPO fehlerhaft unterlassen.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Arbeitsgerichts Hannover vom 14.10.2015 - 13 Ca 330/15 - abzuändern und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Das Arbeitsgericht habe in den Parallelverfahren insgesamt den Sachverhalt ausführlichst erörtert. Das Arbeitsgericht habe zutreffend die Vorlage der Anlage B7 als bloßen Ausforschungsbeweis bewertet. Neuen Sachvortrag dazu in der Berufung rügt die Klägerin als verspätet. Die Klägerin bestreitet diesbezüglich die Änderung des Kontingents auf 19 Stellen sowie die vorgetragene systematische Reihenfolge der Anmeldungen. Sie bestreitet weiter, dass der Firma M. alle relevanten Daten bekannt waren, wie etwa Informationen zur Whitelist, zur Berücksichtigung im gesteuerten Programm etc. Sie bestreitet, dass die Beklagte mit den mitgeteilten Arbeitnehmern Aufhebungsverträge geschlossen hat.

Bezüglich des Kausalzusammenhangs wiederholt die Klägerin, dass sie am 23.03.2015 sofort ab Freigabe um 13.00 Uhr ihre Daten in das System eingegeben hat und beruft sich zum Beweis auf ein Sachverständigengutachten. Die Beklagte habe gerade nicht allen Beschäftigten die gleichen Chancen zum Einwählen gewährt. Hätte der Server störungsfrei gearbeitet, wäre die Klägerin mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit unter den ersten 19 Bewerbern gewesen.

Die Klägerin habe damit einen Anspruch auf Schadenersatz nach § 280 Abs.1 BGB. Die Pflichtverletzung, die in dem fehlerhaften Arbeiten des Servers bestand, habe die Beklagte zu vertreten. Sie habe auch nicht alles getan, um die Funktionsfähigkeit des Systems unter Einsatz aller zur Verfügung stehenden Mittel zu testen.

Das Arbeitsgericht habe auch nicht Beweise fehlerhaft gewürdigt. Die Anlage B7 habe zumindest der Erläuterung bedurft. Auch in der jetzt mitgeteilten Liste sei ein eindeutige Identifizierung der Mitarbeiter nicht möglich.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie die Protokollerklärungen der Parteien Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

Die Berufung ist zulässig gemäß §§ 519, 520 ZPO und §§ 64, 66 ArbGG.

Die Berufung hat aber nur teilweisen Erfolg. Die Klägerin kann den Abschluss eines Aufhebungsvertrages nach dem Rahmensozialplan "Montreal" verlangen, allerdings nicht rückwirkend mit Ablauf des 30.06.2015. Ebenfalls ist (noch) kein Abfindungsbetrag zu tenorieren.

I.

Der Klagantrag zu 1. ist dahingehend auszulegen, dass die Beklagte zur Abgabe eines Vertragsangebotes verurteilt werden soll. Dies entspricht dem Aufbau des Sozialplans, wonach in einem ersten Schritt zunächst die "Berechtigten" ermittelt werden und sodann der Arbeitgeber ein konkretes Angebot für einen Auflösungsvertrag vorlegt, das dann noch der Annahme durch den Arbeitnehmer mittels Unterschrift bedarf. Zwar kann in Ausnahmefällen, wenn es um den Abschluss eines Vertrages geht, der Klagantrag auch auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet sein, die sodann mit Eintritt der Rechtskraft gemäß § 894 ZPO als fingiert gilt. In der Klagerhebung kann insoweit die antizipierte Zustimmungserklärung des Klägers liegen. Voraussetzung in derartigen Fällen ist jedoch, dass der Vertragsinhalt insgesamt soweit vollständig in dem Klagantrag formuliert ist, dass durch die gerichtliche Entscheidung bereits ein in sich ausreichend vollständiger Vertrag zustande kommt (vgl. nur BAG 28.06.2000, 7 AZR 904/98, AP Nr. 6 zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung). Das ist vorliegend nicht der Fall. Insbesondere kann der konkrete Beendigungstermin unter Berechnung der Kündigungsfrist erst nach rechtskräftiger Entscheidung berechnet werden. Auch die Abfindung wird infolge längerer Betriebszugehörigkeit neu zu berechnen sein.

II.

1.

Die Klägerin hat unter dem Gesichtspunkt der Zugangsvereitelung einen Erfüllungsanspruch aus dem Rahmensozialplan "Montreal".

a)

Die Beklagte hat das durchgeführte Auswahlverfahren für die Ermittlung der Arbeitnehmer, denen sie auf Grundlage des Rahmensozialplans einen Auflösungsvertrag mit Abfindungszahlung anzubieten bereit war, ohne ausreichende kollektivrechtliche Rechtsgrundlage durchgeführt.

Zwischen der T. Deutschland Holding AG, der T. Germany GmbH & Co. OHG als konzernleitenden Gesellschaften und dem Konzernbetriebsrat ist unter dem 06.02.2015 ein Rahmensozialplan abgeschlossen worden, der einen Abbau von insgesamt bis zu 1.600 Vollzeitarbeitskräften bis Ende 2018 vorsieht. In der Anlage 2, dort Ziffer 2., ist ergänzend zu dem in Ziffer 1. geregelten gesteuerten Abfindungsprogramm ein sog. offenes Abfindungsprogramm vereinbart worden. Die Durchführung des Auswahlverfahrens sollte auf einen externen Dienstleister übertragen werden, dies war die Firma M. Ferner ist im Text der Vereinbarung vorgesehen, dass interessierte Mitarbeiter sich per E-Mail bei der externen Koordinierungsstelle melden können. Ein solches Verfahren der Anmeldung per E-Mail ist unstreitig nicht durchgeführt worden. Vielmehr haben die für die Umsetzung zuständigen IT-Fachleute Bedenken gegen ein E-Mail-Verfahren geäußert, weil einerseits eine zeitnahe Übermittlung nicht ohne Weiteres gewährleistet werde, andererseits auch bezüglich Absendungs- und Empfangsdaten Manipulationsmöglichkeiten bestünden. Die Beklagte hat insoweit vorgetragen, es sei beim Konzernbetriebsrat die Zustimmung eingeholt worden, stattdessen ein Web-basiertes Anmeldeverfahren durchzuführen. Welche genauen konkreten Inhalte dem Konzernbetriebsrat wann von wem zur Zustimmung vorgelegt worden sind, ist insoweit nicht vorgetragen. Die E-Mail von Frau B. vom 13.03.2015 an das Mitglied des Konzernbetriebsrats B. lässt nicht erkennen, dass Absender und Empfängerseite im mitbestimmungsrechtlichen Verfahren vertretungsbefugt waren. Die Anlagen der E-Mail liegen nicht vor.

Vorgelegt wurde allerdings eine E-Mail der Konzernbetriebsratsvorsitzenden, wonach der Konzernbetriebsrat in seiner Sitzung vom 29.03.2015 den Änderungen zugestimmt habe.

Dies wirft schon die Frage auf, in welchem Umfang oder an welchen Punkten der Text der Anlage 2 der Konzernbetriebsvereinbarung tatsächlich geändert worden sein soll. Der Prozessvortrag der Beklagten muss wohl so verstanden werden, dass ausschließlich das elektronische Meldeverfahren selbst abgeändert worden sein soll, während alle anderen Inhalte der Konzernbetriebsvereinbarung und der Anlage 2 unverändert blieben.

Legt man den Sachvortrag der Beklagten zugrunde, ist aber eine wirksame Änderung des Wortlauts und damit des Inhalts der Konzernbetriebsvereinbarung vom 06.02.2015 nicht erfolgt. Eine Betriebsvereinbarung bedarf zu ihrer Wirksamkeit der Schriftform (§ 77 Abs. 2 Satz 1 BetrVG) und ist von beiden Seiten zu unterzeichnen. Diese Anforderungen gelten auch für eine inhaltliche Abänderung einer gültigen Betriebsvereinbarung. Zwar kann nach allgemeiner Auffassung eine Betriebsvereinbarung durch formlose, d. h. mündliche, Erklärung gekündigt werden. Insoweit enthält das Gesetz bezüglich Begründung und Beendigung einer Betriebsvereinbarung tatsächlich unterschiedliche Wertungen (vgl. nur Richardi BetrVG 15. Aufl. § 77 Rn. 194, 205). Solange aber eine Betriebsvereinbarung als Gesamtregelwerk gültig bleibt und soweit Rechte und Pflichten von Arbeitnehmern regelt, bedarf es unter dem Gesichtspunkt der Rechtssicherheit und der Publizität bei Änderung des Vereinbarungsinhaltes der Schriftform (vgl. etwa BAG 20. November 1990 - 1 AZR 643/89 - AP § 77 BetrVG 1972 Regelungsabrede Nr. 2). Der Vergleich mit einer vollständigen Aufhebung einer Betriebsvereinbarung kommt im vorliegenden Fall eindeutig nicht in Betracht, da das gesamte Regelwerk unstreitig weitergelten soll und lediglich ein einzelner Verfahrenspunkt geändert werden sollte.

b)

Gleiches gilt für den Vorgang, mit dem das Kontingent für den Bereich B2B von 21 auf 19 Stellen reduziert worden ist. Zwar hat ein Interessenausgleich nicht die Wirkung einer Betriebsvereinbarung (vgl. nur Fitting BetrVG 28. Aufl. § 112 Rn. 44). Gleichwohl sieht das Gesetz die Schriftform vor, es entsteht auch eine kollektivrechtliche Bindung an die Inhalte.

c)

Als Rechtsfolge daraus ergibt sich, dass die Beklagte sich so behandeln lassen muss, als sei eine rechtzeitige Anmeldung des Klägers eingegangen. Dabei mag offenbleiben, ob dies aus § 130 iVm. § 242 BGB oder aus einer entsprechenden Anwendung des § 162 BGB folgt. Es handelte sich bei dieser Interessenbekundung jedenfalls noch nicht um eine Erklärung zum Abschluss des Vertrages selbst. § 162 BGB drückt den allgemeinen Rechtsgrundsatz aus, dass niemand aus einem von ihm treuwidrig herbeigeführten Ereignis Vorteile herleiten darf (etwa BAG 10 AZR 97/07, NJW 08, 872 [BAG 12.12.2007 - 10 AZR 97/07]; zu einem gesellschaftsrechtlichen Abfindungsanspruch OLG Brandenburg NJW-RR 2000, 766 [OLG Brandenburg 11.11.1998 - 7 U 103/98]).

Bei der Thematik der Zugangsvereitelung wird in Rechtsprechung und Literatur differenziert argumentiert, wieweit eine bloße Zugangsverzögerung vorliegt, die dem Empfänger zuzurechnen ist oder bei gänzlich fehlendem Zugang eine Zugangsfiktion eintritt (vgl. etwa Müko-Einsele BGB 6. Aufl. § 130 Rn. 37). Eine Fiktion des fehlenden Zugangs nimmt der BGH in neuerer Rechtsprechung lediglich bei Arglist des Adressaten an (etwa BGH 26.11.97, NJW 98, 976 [BGH 26.11.1997 - VIII ZR 22/97]). Allerdings wird in der Literatur auch darauf hingewiesen, dass in vertraglichen Beziehungen gem. § 280 Abs. 1 BGB auch Schadenersatz im Wege der Naturalrestitution in Betracht kommt (Müko-Einsele BGB § 130 Rn. 34). Ob ein treuwidriges Verhalten vorliegt ist unter umfassender Würdigung der maßgeblichen Umstände des Einzelfalls, insbesondere von Anlass, Zweck und Beweggrund des Verhaltens, festzustellen (etwa Palandt-Ellenberger BGB 73. Aufl. § 130 Rn. 18; BGH 28.10.09, NJW 10, 289 [BGH 28.10.2009 - IV ZR 140/08]).

Zwar hat unstreitig auch der Kläger seine Meldung an die externe Stelle nicht per E-Mail abgegeben, sondern auf der bereitgestellten Webseite. Dies hat jedoch ausschließlich die Beklagte zu vertreten. Sie hat den Durchführungsweg des Auswahlverfahrens abgeändert und das kollektiv-rechtlich wirksam vereinbarte Verfahren über E-Mail-Anmeldung überhaupt nicht angeboten. Da die Beklagte die Klägerin - wie alle Arbeitnehmer - lediglich über die Möglichkeit des web-gestützten Meldeverfahrens informiert hat, enthält die reine Tatsache, dass die Klägerin sich an diesem Verfahren beteiligt hat, keine Erklärung dergestalt, dass er damit etwa die Ordnungsgemäßheit des Verfahrens anerkannt hätte.

Die Frage, an welcher Rangstelle eine E-Mail-Anmeldung der Klägerin eingegangen wäre, ist rein hypothetischer Natur. Sie braucht nicht beantwortet zu werden.

Eine von der Rechtsprechung gelegentlich geforderte Wiederholung des Zustellungsversuches war vorliegend entbehrlich, da sie erkennbar - erst recht nicht mehr - rechtzeitig hätte sein können.

Die Beklagte bzw. deren Muttergesellschaft hat insoweit den Zugang der Erklärung der Klägerin nach dem kollektiv-rechtlich vereinbarten Meldeverfahren objektiv vereitelt. Das stattdessen durchgeführte Verfahren war ebenfalls technisch nicht fehlerfrei und vermag im Ergebnis nicht die Kollektivrechts-Widrigkeit zu überwinden.

Zwar war nach dem Sachvortrag der Beklagten die Abänderung in ein web-gestütztes Anmeldeverfahren dadurch motiviert, dass gerade mögliche Fehlerquellen bei der Übermittlung der Anmeldung minimiert werden sollten. Die Anwendung des § 162 BGB setzt jedoch keine "böse Absicht" voraus, Verletzungen von Treu und Glauben können auch fahrlässig geschehen (etwa BGH 13.2.89, NJW-RR 89, 802 [BGH 13.02.1989 - II ZR 110/88]). Die Beklagte muss es sich zurechnen lassen, dass der Abschluss des Rahmensozialplans offenbar auf einem technisch nicht ausgereiften Konzept aufgebaut war und dann erst unter Zeitdruck eine Korrektur des Konzepts erfolgte (Schriftsatz vom 21.08.2015 Seite 8: nur noch 10 Tage Zeit zur Verfügung). Wenn aber der Konzernbetriebsrat zu konstruktiver Zusammenarbeit bereit war, wäre auch in Erwägung zu ziehen gewesen, den Starttermin des Auswahlverfahrens zu verschieben und die aufgetauchten Fragen sorgfältig zu klären. Diese grundsätzlichen Erwägungen entzogen sich aber völlig der Einflusssphäre der Klägerin.

Im Rahmen einer umfassenden Abwägung rechtserheblich ist weiter, dass das von der Beklagten bzw. der Muttergesellschaft alternativ angewendete web-gestützte Auswahlverfahren seinerseits unstreitig nicht fehlerfrei funktioniert hat. Die weiteren technischen Einzelheiten können insoweit dahinstehen. Die Beklagte selbst hat schriftsätzlich geschildert, wie sich eine "Bugwelle" aufgebaut habe, weil die große Zahl der Zugriffe nicht unmittelbar vom System verarbeitet werden konnte. Es braucht auch nicht weiter aufgeklärt zu werden, ob es eine technische Auswertung des Systems erlauben würde festzustellen, wann die Klägerin erstmalig einen Zugriff auf die Website versucht hat. Nach dem eigenen Vortrag der Beklagten muss mit hoher Wahrscheinlichkeit davon ausgegangen werden, dass der in der Auswertungsliste der Firma M. genannte Zeitpunkt des Einloggens auf der Website erst mit signifikanter zeitlicher Verspätung erfolgt ist.

Da es vorliegend nicht um einen Schadenersatz, sondern um einen Erfüllungsanspruch geht, kommt es auf weitere Fragen der Kausalität - etwa im Hinblick auf eine potentielle Reihenfolge der Anmeldungen - nicht an. Im Rahmen der Gesamtbewertung muss sich die Beklagte aber an der Grundsatzentscheidung in Ziff. 2 der Anlage 2 zum Rahmensozialplan festhalten lassen, wonach bei zeitgleichem Eingang mehrerer Anmeldungen diese alle berücksichtigt werden. Die Problematik, dass ein eventuelles Kontingent geringfügig "übererfüllt" werden könnte, haben die Betriebsparteien insoweit gesehen. Diese Grundsatzentscheidung ist in noch stärkerer Formulierung auch in § 4 (11) des Rahmensozialplans enthalten, wonach "jedem betroffenen Mitarbeiter ... zunächst zwingend ein Aufhebungsvertrag anzubieten" ist.

Auch in wirtschaftlicher Hinsicht ist der Beklagten unter dem Gesichtspunkt von Treu und Glauben diese Rechtsfolge zumutbar. Bundesweit haben auf das Kontingent von insgesamt 100 Stellen zwischen 10 und 20 Arbeitnehmer einen klagweisen Anspruch auf Abschluss einer Aufhebungsvereinbarung geltend gemacht. Ein Vergleich mit der vorgesehenen Gesamtzahl von bis zu 1.600 abzubauenden Stellen lässt die Bewertung zu, dass insbesondere eine finanzielle Überforderung der Beklagten nicht zu befürchten ist. Wenn auch speziell im Bereich B2B möglicherweise unter fachlichen Gesichtspunkten das vorgesehene Abbauziel überschritten wird, sind keinerlei grundlegende Hinderungsgründe ersichtlich, dass die Beklagte dies, bezogen auf einige wenige Stellen, nicht durch interne Umsetzungsmaßnahmen ausgleichen kann. Im Hinblick auf die Ausschlussfrist zur Geltendmachung von Ansprüchen in dem Rahmensozialplan von sechs Monaten ist auch nicht zu befürchten, dass nachträglich weiter eine größere Zahl von Arbeitnehmern den Abschluss eines Aufhebungsvertrages verlangen kann.

Der Schriftsatz der Beklagten vom 02.06.2016 führt zu keiner anderen rechtlichen Beurteilung. Soweit darin neuer Tatsachenvortrag enthalten ist, war dieser nicht nachgelassen (§ § 296 a ZPO).

2.

Allerdings kann die Klägerin von der Beklagten nicht die Zustimmung zu einer nachträglichen Vertragsaufhebung zum 30.06.2015 verlangen. Die Parteien haben das Arbeitsverhältnis zwischenzeitlich - jedenfalls nach Ende der Elternzeit - weiter vollzogen. Dies würde ggf. nach § 625 BGB zur sofortigen Neubegründung eines Arbeitsverhältnisses geführt haben. Die Zeit ab dem 01.07.2015 nach den Grundsätzen eines faktischen oder fehlerhaften Arbeitsverhältnisse zu behandeln, kommt ebenfalls nicht in Betracht, da bei Erbringung der Arbeitsleistung ein wirksamer Arbeitsvertrag zugrunde gelegen hat.

Es hat daher eine Teilabweisung der Klage zu erfolgen, soweit sie sich auf Beendigungszeitpunkt und Abfindungshöhe erstreckt. Der endgültige Beendigungstermin kann unter Berücksichtigung der einzuhaltenden Kündigungsfrist erst nach Rechtskraft der Entscheidung bestimmt werden. Auch die Abfindung ist danach neu zu berechnen.

Es handelt sich beim Klagantrag zu 1 auch um einen teilbaren Streitgegenstand. Dies ergibt sich aus dem Hilfsantrag zu 2., mit dem die Klägerin begehrt, das offene Abfindungsprogramm neu durchzuführen. Auch dies könnte erst ein Ergebnis für die Zukunft herbeiführen.

Auch der teilweise zugesprochene Anspruch ist auf Abgabe einer Willenserklärung gerichtet, allerdings nicht auf Abgabe einer Zustimmung, sondern auf Abgabe eines Angebots. Der genaue Inhalt dieses Angebots ist zum jetzigen Zeitpunkt noch nicht bestimmbar. Dass dieser Tenor vollstreckungsrechtlich anders zu behandeln ist, als der gestellte Antrag, steht der Teil-Stattgabe nicht entgegen.

3.

Bei Ermittlung des materiellen Klagebegehrens ist auch nach einer teilweisen Abweisung der Klage nicht mehr über die in erster Instanz gestellten Hilfsanträge zu entscheiden. Denn die Verpflichtung der Beklagten zum Abschluss eines Aufhebungsvertrages deckt das Begehren der Klägerin insgesamt ab, auch wenn die Abfindungszahlung zum jetzigen Zeitpunkt nicht beziffert ist.

III.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 92 Abs.1 ZPO.

IV.

Die Revision ist für die Beklagte zugelassen worden gemäß § 72 Abs. 2 Nr. 1 und 2 ArbGG. Das Landesarbeitsgericht Düsseldorf hat laut Presseerklärung vom 12.04.2016 in parallel gelagerten Fällen die Klage abgewiesen und die Revision zugelassen.

Dr. Voigt
Steinhoff
Stryk