Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2022, Az.: 1 LB 4/21
Baugrenze, faktische; Baugrenze, rückwärtige; bautiefe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 01.09.2022
- Aktenzeichen
- 1 LB 4/21
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2022, 59640
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 08.08.2019 - AZ: 2 A 204/17
Rechtsgrundlagen
- § 34 Abs 1 BauGB
- § 34 Abs 1 BauGB
- § 23 Abs 4 Nr 2 BauNVO
Fundstellen
- BauR 2023, 53-56
- NordÖR 2022, 555
- ZfBR 2023, 74
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Wenn es um die Bestimmung einer faktischen rückwärtigen Baugrenze geht, kommt im Regelfall derjenigen Bebauung allein oder doch ganz überwiegend maßstabsbildende Wirkung zu, die an derselben Erschließungsanlage liegt (vgl. Senatsbeschl. v. 26.8.2019 - 1 LA 41/19 -, juris Rn. 8). Anderes kann aber dann gelten, wenn entlang dieser Straße eine klare rückwärtige Bauflucht nicht zu erkennen ist und eine weitere Erschließungsanlage so nahe verläuft, dass der Blockinnenbereich bei einer von Grundstücksgrenzen gelösten Betrachtung nicht ohne weiteres der einen oder anderen Bebauungsseite zugerechnet werden kann.
Die Bautiefe wird nicht durch die Stellung der Gebäudekörper parallel oder diagonal zur Straße, sondern durch die Entfernung des hintersten Punkts der rückwärtigen Fassade von der Straßenbegrenzungslinie bestimmt.
Die Bautiefe ist auch dann von der Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße aus zu beurteilen, wenn diese äußerlich einer privaten Grundstückszufahrt ähnelt.
Tenor:
Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 8. August 2019 - 2 A 204/17 - geändert.
Die Klage wird abgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens trägt die Klägerin.
Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
Die Revision wird nicht zugelassen.
Tatbestand:
Die Klägerin begehrt eine Baugenehmigung zur Errichtung eines Einfamilienhauses; die Beteiligten streiten im Wesentlichen darum, ob dieses am vorgesehenen Standort bauplanungsrechtlich zulässig wäre.
Die Klägerin ist bzw. war Eigentümerin der aus dem Flurstück G. hervorgegangenen Flurstücke H. bis I. der Flur J., Gemarkung A-Stadt. Die Flurstücke liegen im Norden eines durch die Straßen Am Südufer im Norden, Erlenstraße im Südosten und Oorder Weg im Südwesten gebildeten Dreiecks. Dieses weist straßenseitig fast durchgehend eine Bebauung mit Wohnhäusern auf, den Blockinnenbereich bildet das 0,56 ha große Flurstück K., das zum Zeitpunkt der erstinstanzlichen Entscheidung mit - inzwischen gerodeten - jungen Nadelbäumen bestanden war und zusammen mit Teilen des südwestlich angrenzenden Flurstücks L. nach übereinstimmender Auffassung der Beteiligten eine Außenbereichsinsel im Innenbereich bildet. Von der Erlenstraße zweigt ein dem öffentlichen Verkehr gewidmeter Stichweg gleichen Namens 46 m tief in den Blockinnenbereich ab. Beidseits von diesem liegen, vom Hauptarm der Erlenstraße aus gesehen in zweiter Reihe und bis zu ca. 40 bzw. 44 m von dessen Straßenbegrenzungslinie zurückgesetzt, die Wohngebäude Erlenstraße M. und N.. Das Flurstück G. bildete zunächst das Grundstück einer aufgegebenen Hofstelle (Am Südufer O.), deren Hauptgebäude bis zu ca. 35 m vom Straßengrundstück zurückgesetzt und diagonal zu diesem ausgerichtet war. Hinzu kam ein südöstlich des Hauptgebäudes, mit seiner Südwestwand in dessen Flucht gelegenes, vom Straßengrundstück mithin etwas weiter zurückgesetztes einstöckiges Wirtschaftsgebäude mit ca. 6 m x 7,5 m Grundfläche sowie straßennahe weitere Anlagen. Einen Bebauungsplan gibt es für das beschriebene Gebiet nicht.
Im Jahr 2016 beantragte die Klägerin im vereinfachten Verfahren Baugenehmigungen für die Errichtung mehrerer Wohnhäuser im straßennahen Bereich des Flurstücks G. (Am Südufer P. -Q., heutige Flurstücke H. bis R.). Mit separatem Bauantrag vom 24. Mai 2017 beantragte sie die hier streitgegenständliche Baugenehmigung für ein bungalowartiges Einfamilienhaus (Grundfläche 8,24 x 13 m) sowie einen an dieses angebauten grenzständigen Carport mit dahinterliegendem Abstellraum (Tiefe 5,25 m bzw. 3,75 m) im rückwärtigen Bereich dieses Grundstücks (heute Flurstück I.). Die Beklagte erteilte die Genehmigungen für die straßennahen Gebäude, die Genehmigung für das streitgegenständliche Vorhaben versagte sie mit Ablehnungsbescheid vom 21. Juni 2017. Die Klägerin beseitigte darauf im Sommer 2017 die Altbebauung auf dem Grundstück und errichtete die genehmigten Gebäude. Gegen die Ablehnung des Bauantrags für das streitgegenständliche Vorhaben erhob sie am 6. Juli 2017 Widerspruch und nach dessen Zurückweisung durch Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2017 am 22. November 2017 Klage mit dem Antrag,
die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheids vom 21. Juni 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 27. Oktober 2017 zu verpflichten, ihr die beantragte Baugenehmigung zu erteilen.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil stattgegeben und zur Begründung ausgeführt, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich zulässig. Sein Standort sei nach § 34 BauGB zu beurteilen, da er innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liege. Dieser sei gegenüber der Außenbereichsinsel auf dem Flurstück K. zum einen durch den Rand des dort vorhandenen Waldes klar abgegrenzt. Zum anderen sei ursprünglich eine rückwärtige Baugrenze in der gedanklichen Verlängerung der Südwestwand des ehemaligen Wohnhauses sowie der auf gleicher Flucht gelegenen Südwestwand des südlichen Nebengebäudes erkennbar gewesen; diese Bebauung wirke gebietsprägend nach. Das Vorhaben erfülle die Voraussetzungen des § 34 BauGB. Insbesondere füge es sich nach der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der zumindest aus den Grundstücken Am Südufer S. bis T. sowie Erlenstraße M., N., O. bis T. gebildeten näheren Umgebung ein. Eine faktische hintere Baugrenze sei hier nicht feststellbar. Auch die Gebäude Am Südufer S., Erlenstraße M. und N. sowie das nachwirkend prägende Gebäude Am Südufer O. seien in zweiter Reihe errichtet oder zumindest erheblich von der Straße zurückgesetzt bzw. zurückgesetzt gewesen. Die im Übrigen möglicherweise bestehende Gebäudeflucht entlang der Straße Am Südufer sei aufgrund des Baumbestandes auf dem Grundstück Am Südufer U. nicht wahrnehmbar. Als faktische hintere Baugrenze käme allenfalls die gedankliche Verlängerung der Südwestwand des Altgebäudes Am Südufer O. hin zum Gebäude Erlenstraße N. in Betracht. Auch unter Einbeziehung des gesamten Straßendreiecks ergebe sich nichts Anderes. Mehrere Grundstücke wiesen große rückwärtige Nebengebäude auf. Selbst wenn aber das Vorhaben außerhalb einer faktischen rückwärtigen Baugrenze läge, fügte es sich ein. Es sei nicht geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen. Namentlich könne es keine Vorbildwirkung entfalten. Eine Bebauung in zweiter Reihe sei ansonsten nur auf dem Grundstück Am Südufer V. denkbar; dort sei diese aber schon aufgrund der prägenden Wirkung der Gebäude Erlenstraße M. und N. sowie der nachprägenden Wirkung des Altgebäudes Am Südufer O. zulässig. Im rückwärtigen Bereich der übrigen Grundstücke gebe es keine hinreichenden Freiflächen, um unter Berücksichtigung der Grenzabstände weitere Gebäude zu errichten. Auch weitere Spannungen begründende Wirkungen des Vorhabens (Störung der Durchlüftung oder der Wohnruhe) seien nicht zu befürchten. Bauordnungsrechtliche Bedenken gegen das Vorhaben seien nicht vorgetragen und auch nicht ersichtlich.
Zur Begründung ihrer vom Senat mit Beschluss vom 5. Januar 2021 zugelassenen Berufung macht die Beklagte geltend, es sei bereit zweifelhaft, ob das Vorhaben nicht, wie unstreitig die weiter südlich gelegene Fläche, im Außenbereich liege. Der ehemalige Baumbestand markiere eine Grenze des Bebauungszusammenhangs nicht. Wenn die früheren landwirtschaftlichen Gebäude dies täten, ende der Bebauungszusammenhang jedenfalls mit diesen, das Vorhaben reiche jedoch teilweise über sie hinaus. Jedenfalls füge es sich der überbaubaren Grundstücksfläche nach nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein, da eine Bebauung in zweiter Reihe und in der vorgesehenen Bautiefe dort beispiellos sei. Die beiden Gebäude Erlenstraße M. und N. lägen in erster Reihe an einem Stichweg. Von diesem aus habe der für die Bewertung nach § 34 BauGB maßgebliche Blick zu erfolgen; gegenteilige Rechtsprechung des OVG D-Stadt (Urt. v. 1.3.2017 - 2 A 46/16 -, juris Rn. 62 ff.) und des VG Hannover (Urt. v. 4.5.2017 - 4 A 2186/16 -, juris Rn. 40 ff.) überzeuge nicht und sei durch jüngere Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Beschl. v. 12.8.2019 - 4 B 1.19 -, juris Rn. 6) überholt. Die Bebauung westlich des Vorhabens liege ebenfalls in erster Reihe; zudem weise sie maximal eine Bautiefe - von der Straßengrundstücksgrenze „Am Südufer“ aus gemessen - von 25 m auf; selbst das Haupthaus der Vorgängerbebauung habe nur eine Bautiefe von 35 m, das - im Übrigen nicht prägende - südliche Nebengebäude eine Tiefe von 40 m erreicht. Das Vorhaben reiche noch einmal 2 m weiter in den Blockinnenbereich. Die mithin vorliegende Überschreitung des vorgefundenen Rahmens könne zu städtebaulichen Spannungen führen, da sie Vorbild für eine rückwärtige Bebauung auf den Grundstücken Am Südufer V., W., Erlenstraße O., Q. und ggf. noch weiteren Grundstücken sein könne. Für das Grundstück Am Südufer V. habe es bereits einmal eine Bauvoranfrage für eine rückwärtige Bebauung gegeben, die damals habe abgelehnt werden können.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 8. August 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Zur Begründung führt sie aus, das gesamte ehemalige Flurstück G. gehöre infolge der nachwirkenden Prägung durch die dort ursprünglich vorhandene Hofstelle dem Bebauungszusammenhang an. Die nachwirkende Prägung durch diese Bebauung führe auch dazu, dass sich das Vorhaben hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Dabei sei entgegen der Auffassung der Beklagten auch das südliche Nebengebäude zu berücksichtigen, da es nicht untergeordnet, hilfsweise Teil der Hauptanlage „Wohngebäude mit Stallung“ sei. Jedenfalls sei ein Vorbild für die vorgesehene Bebauung in Gestalt der Gebäude Erlenstraße M. und N. vorhanden. Diese stünden in zweiter Reihe, da maßgeblich für die Beurteilung der Bautiefe i.R.d. „Einfügens“ der Blick vom Hauptarm der Erlenstraße sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.
Entscheidungsgründe
Die zulässige Berufung ist begründet. Der Ablehnungsbescheid des Beklagten vom 21. Juni 2017 und sein Widerspruchsbescheid vom 27. Oktober 2017 sind rechtmäßig und verletzen die Klägerin daher nicht, wie es § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO voraussetzt, in ihren Rechten. Das zur Genehmigung gestellte Bauvorhaben steht im Widerspruch zum öffentlichen Bauplanungsrecht.
I.
Der Senat teilt im Ergebnis die Einschätzung des Verwaltungsgerichts, dass die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens anhand von § 34 BauGB zu beurteilen ist, da dessen Standort innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteils liegt. Der Bebauungszusammenhang beginnt nach Würdigung insbesondere der im Widerspruchsvorgang (dort Bl. 17) und der Gerichtsakte (dort Bl. 32-34) vorhandenen Luftbilder spätestens nordöstlich der gedachten, diagonal zur Straße Am Südufer verlaufenden Verlängerung der Südwestwand des ehemaligen Wohnhauses Am Südufer O. nach Südosten, bis hin zur rückwärtigen Gartengrenze des Grundstücks Erlenstraße 9a. Der zwischen den Hauptgebäuden Am Südufer 11 und Erlenstraße 9a liegende, rd. 40 m breite Bereich wird nach Einschätzung des Senats stärker von der umliegenden Bebauung als von der südlich gelegenen Freifläche geprägt und stellt sich damit als „Baulücke“ dar, die zwar nicht zwingend zur Bebauung mit Hauptgebäuden (dazu unten), wohl aber zur siedlungsakzessorischen im Unterschied zur außenbereichstypischen Nutzung ansteht. Ob gleiches für die schmale noch zum ehemaligen Flurstück G. gehörende Fläche als Bestandteil einer (nachwirkenden) einheitlich zu betrachtenden, von Haupt- und Nebenanlagen geprägten Hoffläche, die unabhängig von der Frage der dort zulässigen Bautiefe ursprünglich insgesamt dem Bebauungszusammenhang angehörte und damit auch weiterhin angehört, gilt - so die im Zulassungsbeschluss geäußerte Tendenz -, kann dahinstehen, da das Vorhaben die gedachte Verlängerung der Südwestwand des ehemaligen Gebäudes Am Südufer O. nicht überschreitet.
Der Auffassung der Beklagten, die Grenze zwischen Außen- und Innenbereich sei entlang einer von der Südecke des ehemaligen Gebäudes Am Südufer O. ausgehenden gedachten Parallele zur Straße Am Südufer zu ziehen, folgt der Senat nicht. Eine derartige Linie bestimmt die für die Frage des Einfügens bedeutsame Bautiefe. Für das Ende des Bebauungszusammenhangs ist jedoch nicht der Blick von der Straße Am Südufer aus, sondern das optische Erscheinungsbild der Bebauung im Grenzbereich selbst maßgeblich; hier wirkt sich vor allem die Ausrichtung des Altbestandes Am Südufer O. und deren Nähe zum Gebäude Erlenstraße N. prägend aus.
II.
Gemessen an § 34 Abs. 1 BauGB ist das Vorhaben unzulässig, da es sich nach der überbaubaren Grundstücksfläche, namentlich nach der diesem Einfügenskriterium zuzurechnenden Bautiefe, nicht in die Eigenart seiner näheren Umgebung einfügt.
1.
Hinsichtlich der rechtlichen Maßstäbe zur Bestimmung der näheren Umgebung nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts (UA S. 7 f.) Bezug. Zuzustimmen ist diesem auch darin, dass zur näheren Umgebung in räumlicher Hinsicht danach zumindest die Bebauung auf den Grundstücken Am Südufer S. bis T. sowie Erlenstraße M., N. sowie O. bis T. gehört, während die Zugehörigkeit weiterer Teile der Bebauung entlang der Straße Am Südufer und der Erlenstraße dahinstehen kann.
Zwar mag, wenn es um die Bestimmung einer faktischen rückwärtigen Baugrenze geht, im Regelfall derjenigen Bebauung allein oder doch ganz überwiegend maßstabsbildende Wirkung zukommen, die an derselben Erschließungsanlage liegt (vgl. Senatsbeschl. v. 26.8.2019 - 1 LA 41/19 -, juris Rn. 8). Anderes kann aber dann gelten, wenn entlang dieser Straße eine klare rückwärtige Bauflucht nicht zu erkennen ist und eine weitere Erschließungsanlage so nahe verläuft, dass der Blockinnenbereich bei einer von Grundstücksgrenzen gelösten Betrachtung nicht ohne weiteres der einen oder anderen Bebauungsseite zugerechnet werden kann. So verhält es sich hier. Jedenfalls im spitzen Winkel zwischen der Straße Am Südufer und der Erlenstraße bis hin zur Bebauung beidseits von deren Stichweg können die Freiflächen ebenso als rückwärtiger Bereich der Straße Am Südufer wie der Erlenstraße verstanden werden; für die Beurteilung der Bebaubarkeit muss der Blick mithin auf beide Straßen gerichtet werden.
Wie das Verwaltungsgericht (UA S. 9) rechtlich zutreffend erkannt hat, ist bei der in der näheren Umgebung vorgefundenen Bebauung zwischen Gebäuden, in denen eine Hauptnutzung stattfindet, und Nebengebäuden zu differenzieren. Für die bei ersteren maßstabsbildende Bautiefe ist unerheblich, ob Nebengebäude sich in größerer Bautiefe finden. Angesichts dessen ist das einst südöstlich des Vorgängerbaus gelegene Wirtschaftsgebäude für die Frage des Einfügens des Vorhabens nicht maßstabsbildend. Für eine selbständige Hauptnutzung - sei es Wohnen, sei es eine vom Wohnhaus unabhängige gewerbliche Nutzung - war das Gebäude weder genehmigt - die einzige vorgelegte, offenkundig einem Bauantrag entnommene Bauzeichnung (GA Bl. 41) weist eine Waschküche sowie einen Stallraum aus, der mit Abmessungen von 2,00 x 3,30 m nur einer Tierhaltung im kleinsten Umfang gedient haben kann - noch seinem Erscheinungsbild nach bestimmt oder geeignet (vgl. die Lichtbilder Bl. 150, 275 f. d. GA). Soweit die Klägerin meint, das Haus hätte rechtmäßig in eine Hauptnutzung umgewandelt werden können, verkennt sie, dass es für die Betrachtung i.R.d. § 34 BauGB auf die tatsächlichen, nicht auf fiktive künftige Verhältnisse ankommt; zudem liegt ein Zirkelschluss vor, da die Umwandlung vorausgesetzt hätte, dass das Gebäude sich seinerseits auch als Hauptgebäude in den durch die übrigen Hauptnutzungen gesetzten Umgebungsrahmen eingefügt hätte. Soweit die Klägerin meint, gerade die Ausübung von der Wohn- bzw. landwirtschaftlichen Nutzung zugeordneten Nebennutzungen, wie sie etwa der Betrieb einer Waschküche darstelle, in dem Gebäude zwinge dazu, das Gebäude als Hauptgebäude zu bewerten, verkennt sie, dass die Ausübung einzelner einer Hauptnutzung dienender Tätigkeiten selbst keine eigenständige Hauptnutzung begründet.
2.
In den so bestimmten Umgebungsrahmen fügt sich das Vorhaben hinsichtlich seiner Bautiefe nicht ein. Ein Einfügen ist i.d.R. dann zu bejahen, wenn sich ein Vorhaben in jeder Hinsicht innerhalb des von der Umgebungsbebauung definierten Rahmens hält. Auch ein Vorhaben, das sich nicht in jeder Hinsicht innerhalb des aus seiner Umgebung hervorgehenden Rahmens hält, kann sich indes der Umgebung einfügen. Das ist der Fall, wenn es weder selbst noch infolge einer nicht auszuschließenden Vorbildwirkung geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (vgl. grundlegend BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 -, BVerwGE 44, 369 = juris Rn. 46 f.).
Das zur Genehmigung gestellte Vorhaben überschreitet den durch die Bautiefe der maßstabbildenden Gebäude gezogenen Rahmen. Insoweit ist entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts unerheblich, dass die Nachbargebäude angesichts der großen Unterschiede in der Bautiefe eine einheitliche rückwärtige Baugrenze nicht erkennen ließen. Vielmehr ergibt sich auch bei einer eher inhomogenen Bebauung ein Umgebungsrahmen hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche; dieser ist zwar weiter, wird aber durch das Gebäude mit der größten Bautiefe, gerechnet ab der Straße, begrenzt (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - IV C 9.77 -, BVerwGE 55, 369 = juris Rn. 44). Einheitlichkeit ermöglicht es lediglich, einzelne Abweichungen von der hauptsächlich vorhandenen Bautiefe eher als „Fremdkörper“ auszuscheiden, und erschwert es, einem den Rahmen überschreitenden Vorhaben gleichwohl das ausnahmsweise Einfügen zu bescheinigen.
a)
Das Vorhaben findet hinsichtlich der Bautiefe in der Umgebung kein Vorbild. Das tiefste Hauptgebäude an der Straße „Am Südufer“ war der Vorgängerbau Am Südufer O. mit einer Bautiefe von 35 m hinter dem Straßengrundstück bzw. 42 m ab der - für die Bautiefe nach dem auch im Rahmen des § 34 BauGB zu berücksichtigenden § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO maßgeblichen - tatsächlichen Straßenbegrenzungslinie. Demgegenüber würde das Vorhaben 49 m hinter die Straßenbegrenzungslinie in den Blockinnenbereich reichen. Dass das Vorhaben hinter der in der Verlängerung der Südwestwand des Vorgängerbaus gebildeten Flucht bleibt, ist - anders als bei der Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich - unerheblich. Die Bautiefe wird nicht durch die Stellung der Gebäudekörper parallel oder diagonal zur Straße, sondern durch die Entfernung des hintersten Punkts der rückwärtigen Fassade von der Straßenbegrenzungslinie bestimmt.
Auch soweit der Rahmen durch die Gebäude Erlenstraße M. und N. mitbestimmt wird, wird er überschritten, und zwar unabhängig davon, ob deren Bautiefe - wie die Beklagte meint - vom Stichweg oder - wie die Klägerin meint - vom Hauptarm der Erlenstraße aus zu bemessen ist. Selbst im letzteren Fall würden die beiden Gebäude nur etwa 42 bzw. 44 m tief in den Blockinnenbereich hineinreichen.
b)
Das Vorhaben fügt sich auch nicht deshalb in die Eigenart der näheren Umgebung ein, weil die Überschreitung der vorhandenen Bautiefe ausnahmsweise keine städtebaulichen Spannungen befürchten ließe. Dies ist deshalb zu erwarten, weil das Vorhaben eine Vorbildwirkung für weitere Hinterlandbebauung, jedenfalls in dem Bereich im spitzen Winkel zwischen Erlenstraße und Am Südufer, namentlich auf dem Grundstück Am Südufer V., entfalten könnte. Auch das Grundstück Erlenstraße Q. käme für eine Hinterlandbebauung grundsätzlich in Betracht, bei Zusammenlegung mit Teilen des Flurstücks X. auch das Flurstück Y. als Hinterliegergrundstück zu Am Südufer W. oder Erlenstraße V.. Zusammengenommen wäre das eine deutliche Verdichtung der Bebauung. Der bislang dort bestehende, allein von Gärten und Nebengebäuden geprägte Blockinnenbereich könnte damit insgesamt entfallen. Dass dies wiederum weiteren Nachahmern, etwa im südwestlichen Verlauf der Erlenstraße, die Möglichkeit einer Hinterlandbebauung eröffnen würde, ist denkbar, aber letztlich nicht entscheidend.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts kann dem nicht entgegengehalten werden, der Vorgängerbau Am Südufer O. sowie die Gebäude Erlenstraße M. und N. erlaubten als rahmenbildende Bebauung schon bislang eine Hinterlandbebauung im vorbezeichneten Straßenwinkel. Die Bautiefe des alten Hauptgebäudes Am Südufer 11 von lediglich 42 m ab Straßenbegrenzungslinie würde eine Bebauung des Winkels Erlenstraße / Am Südufer in zweiter Baureihe kaum, jedoch deutlich weniger leicht ermöglichen als die Bautiefe des Vorhabens von 49 m; namentlich weite Teile des zur Hinterlandbebauung besonders geeigneten Grundstücks Am Südufer 15 lägen weiterhin hinter der rückwärtigen Baugrenze.
Ob die Bautiefe des Gebäudes Erlenstraße N. daran etwas ändern würde, wenn sie vom Hauptarm der Erlenstraße zu messen wäre - also ca. 44 m betrüge -, kann dahinstehen. Denn maßgeblich für die Bemessung der Bautiefe ist der Stichweg, über den das Grundstück erschlossen wird.
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, der der Senat folgt, kann zur näheren Konkretisierung der Frage, in welchem Umfang die maßstabbildende Umgebung eine rückwärtige Bebauung aufweist,auf die Begriffsbestimmungen in § 23 BauNVO zur "überbaubaren Grundstücksfläche", die wiederum gemäß § 23 Abs. 4 BauNVO auch durch Festsetzung der Bautiefe bestimmt werden kann, zurückgegriffen werden. Nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO ist die Bebauungstiefe von der tatsächlichen Straßengrenze aus zu ermitteln. "Tatsächliche Straßengrenze" ist die Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.8.2019 - 4 B 1.19 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Auch wenn die vorstehenden Ausführungen vom Bundesverwaltungsgericht konkret zur Begründung des Rechtssatzes herangezogen wurden, dass jedenfalls von Privatwegen oder privaten Grundstückszufahrten aus die Bautiefe nicht bestimmt werden kann, sind sie allgemeiner Natur. Der als Auslegungshilfe des Begriffs der „überbaubaren Grundstücksfläche“ herangezogene § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO differenziert nicht zwischen längeren, durchgehenden Erschließungsstraßen und Stichwegen, die nur wenige Grundstücke erschließen und ihrem äußeren Erscheinungsbild nach auch private Grundstückszufahrten sein könnten; auch eine Differenzierung nach selbständigen Anbaustraßen und unselbständigen Stichwegen im Sinne des Erschließungs- oder Straßenausbaubeitragsrechts ist § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO fremd. Maßgeblich für die Eignung einer Straße als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Bautiefe ist nicht ihre Größe oder Selbständigkeit, sondern ihre durch die Widmung für den öffentlichen Verkehr nach außen manifestierte und dauerhaft gewährleistete Zugänglichkeit für jedermann und ihre Einbindung in das von der öffentlichen Hand zweckmäßig zu dimensionierende Verkehrsnetz. Die gegenteilige Auffassung des OVG NRW (Urt. v. 1.3.2017 - 2 A 46/16 -, juris Rn. 62 ff.) und ihm folgend des VG Hannover (Urt. v. 4.5.2017 - 4 A 2186/16 -, juris Rn. 40 ff.) führt zu erheblichen Abgrenzungsschwierigkeiten. Sie überzeugt auch nicht insoweit, als sie darauf abstellt, dass sich die Betrachtung nach § 34 BauGB stets allein an tatsächlichen, nicht rechtlichen Verhältnissen zu orientieren habe, mithin kein Unterschied zwischen unstrittig unbeachtlichen privaten Grundstückszufahrten und öffentlichen Stichwegen gleichen Aussehens gemacht werden könne. Die für die Betrachtung nach § 34 BauGB maßgebliche Verkehrsauffassung klammert den Rechtsstatus der Örtlichkeit jedenfalls dann nicht aus, wenn dieser städtebaulich relevante Auswirkungen in der Realität hat. So prägen illegale Gebäude, gegen die ein Einschreiten beabsichtigt ist, die Umgebung nicht, obwohl man ihnen ihren Status nicht ansieht. Mit der Widmung einer Stichstraße für den öffentlichen Verkehr ermöglicht die Gemeinde nach außen erkennbar dauerhaft die direkte Erreichbarkeit bestimmter Flächen; gleichzeitig wird der Zugang der Öffentlichkeit - und nicht nur der Anlieger - zum bisherigen Blockinnenbereich zugelassen. Insoweit unterscheidet sich eine öffentliche Stichstraße von einer privaten Zufahrt selbst bei gleichem Ausbaustandard.
Aber selbst wenn man zusätzlich zur Widmung einer Stichstraße für den öffentlichen Verkehr die äußerliche Erkennbarkeit der Zugehörigkeit zum öffentlichen Straßennetz fordern würde, ergäbe sich hier die Beachtlichkeit des Stichwegs der Erlenstraße. Diese Stichstraße ist zwar mit einer Fahrbahnbreite von 3,50 m schmaler als der Hauptarm - nach Angaben der Klägerin 5,70 m Fahrbahnbreite zzgl. 1,50 bzw. 0,40 m Gehweg - und weist keinen Bürgersteig auf. Fehlende Gehwege sind indes selbst an Durchgangsstraßen keine Seltenheit. Der Stichweg ist demgegenüber, wie die von der Klägerin zur Gerichtsakte gereichten Lichtbilder (GA Bl. 270 f.) zeigen, in gleicher Weise wie der Hauptarm gepflastert, verfügt über eine Straßenbeleuchtung, ein Straßenschild und liegt auch nicht, wie typischerweise eine Grundstückszufahrt, „hinter“ einem abgesenkten Bürgersteig; dieser endet vielmehr, wie für die Einmündung öffentlicher Straßen charakteristisch, in Viertelkreisen beidseits der Fahrbahn des Stichweges.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10 (analog), 711 ZPO.
Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 15.000 EUR festgesetzt.
Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).