Verwaltungsgericht Lüneburg
Urt. v. 07.09.2023, Az.: 2 A 387/21

Baugrenze; Bodenrechtliche Spannungen; Einfügen; faktische Baugrenze; Ruhebereich; unbeplanter Innenbereich; Faktische Baugrenze im unbeplanten Innenbereich

Bibliographie

Gericht
VG Lüneburg
Datum
07.09.2023
Aktenzeichen
2 A 387/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 48169
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:VGLUENE:2023:0907.2A387.21.00

Amtlicher Leitsatz

Ein Bauvorhaben fügt sich im unbeplanten Innenbereich nicht ein, wenn es hinter einer faktischen Baugrenze errichtet werden soll. Ein solches Vorhaben ist auch geeignet, bodenrechtliche Spannungen zu erhöhen, selbst wenn in dem Ruhebereich bereits Carports vorhanden sind.

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kläger tragen die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.

Die Kläger können die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Tatbestand

Die Kläger begehren die Erteilung einer Baugenehmigung für den Bau eines Einfamilienhauses.

Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks mit der postalischen Anschrift Am F. 8a, A-Stadt/Aller (Flur 9, Flurstück 97/94). Das Grundstück befindet sich nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplans. Das Straßengeviert, in dem das Baugrundstück belegen ist, wird umschlossen von den Straßen G. weg (im Norden), Am G. berg (im Westen), H. Straße (im Süden) und der I. (im Osten). Die Straße Am G. berg hat zwei Abzweigungen, welche Richtung Osten von der Straße abgehen. An der nördlichen Stichstraße, die als Gemeindestraße dem öffentlichen Verkehr gewidmet ist, befinden sich die Grundstücke Am G. berg 14 bis 20b, an der südlichen, privaten, im Miteigentum der Kläger stehenden Stichstraße befinden sich die Grundstücke Am G. berg 8a bis 12 und somit auch das Vorhabengrundstück. Bei der Bebauung handelt es sich überwiegend um Wohnbebauung in offener Bauweise.

Das Flurstück entstand durch Teilung der beiden westlich davon belegenen Grundstücke, für die der Beklagte am 6. Dezember 1996 nach Weisung der Bezirksregierung Lüneburg vom 28. November 1996 eine Genehmigung erteilte. In der Teilungsgenehmigung wurde darauf hingewiesen, dass auf Antrag, der innerhalb von drei Jahren nach der Zustellung der Genehmigung gestellt wird, eine Baugenehmigung nicht aus den Gründen versagt werden dürfe, die nach § 20 Abs. 1 BauGB rechtserheblich waren.

Mit Schreiben vom 20. Dezember 2020 beantragten die Kläger beim Beklagten die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung eines Einfamilienhauses auf dem Baugrundstück. Mit Schreiben vom 16. Februar 2021 hörte der Beklagte die Kläger zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags an. Die Erteilung der Baugenehmigung wurde mit Bescheid vom 17. März 2021 abgelehnt. Zur Begründung führte der Beklagte aus, dass das Grundstück im unbeplanten Innenbereich liege und sich das Bauvorhaben nicht einfüge. Denn es halte sich nicht an die faktische hintere Baugrenze im zu betrachtenden Bereich. Als nähere Umgebung sei für das Vorliegen von Baugrenzen ausschließlich die östlich der Straße Am G. berg gelegene Bebauung zu betrachten. Hier sei festzustellen, dass die Wohngebäude mit den Hausnummern 2b und 18 von der Straße aus betrachtet am weitesten in die Grundstücke hereinragten. Die faktische Baugrenze werde somit optisch durch eine Verbindung beider Gebäude mittels einer Geraden entlang der am weitesten in das Grundstück hereinragenden Stelle der beiden Gebäude gebildet. Das streitgegenständliche Bauvorhaben liege weit hinter dieser Grenze und überschreite somit die faktische rückwärtige Baugrenze. Hieraus folge, dass sich das Vorhaben nicht einfüge. Das Vorhaben sei zudem geeignet, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen.

Den hiergegen gerichteten Widerspruch der Kläger vom 31. März 2021 wies der Beklagte mit Bescheid vom 20. Juli 2021 zurück.

Die Kläger haben am 23. August 2021 Klage erhoben.

Sie tragen vor, sie hätten einen Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung. Entgegen der Ansicht des Beklagten füge sich das Vorhaben hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden solle, in die nähere Umgebung ein. Die Feststellung einer faktischen Baugrenze bedürfe hinreichender Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation. Maßstabsbildend für das Bestehen einer faktischen Baugrenze sei dabei das jeweilige Straßenkarree. Eine faktische Baugrenze bestehe allenfalls entlang der Bebauung an der Stichstraße, nicht aber entlang der Gebäude Nr. 2b und 18. Da die nördliche Stichstraße nicht so weit in das Baugebiet hineinreiche wie die südliche Stichstraße, sei es nur natürlich, dass die Gebäude der südlichen Stichstraße weiter in die Tiefe gingen. Eine faktische Baugrenze zur Vermeidung einer Hinterlandbebauung parallel zur J. höhe bzw. entlang der Nr. 2b und Nr. 18 sei nicht erkennbar. Dabei stehe der Einordnung des südlichen Stichwegs als für die Bildung einer faktischen Baugrenze maßgeblichen Erschließungsstraße nicht entgegen, da es sich um einen Privatweg handele, der einer inneren Erschließung der Grundstücke diene. Die Bebauung entlang des Stichwegs bestehe bereits seit ca. 1950 und diene auch der Erschließung von Grundstücken, die nicht in ihrem Eigentum stünden. Ergänzend sei darauf hinzuweisen, dass eine faktische rückwärtige Baugrenze nicht automatisch zur Unzulässigkeit des geplanten Vorhabens führe. Maßgeblich sei, ob die Bebauung die vorgegebene städtebauliche Situation in Bewegung bringe oder gar ein Planungsbedürfnis nach sich ziehe. Es sei in den Blick zu nehmen, ob das Vorhaben infolge seiner Vorbildwirkung geeignet sei, vergleichbare Bauwünsche zu wecken und dadurch bodenrechtliche Spannungen zu begründen. Dies sei hier nicht der Fall, vielmehr trete das Vorhaben in eine harmonische Beziehung zu der vorhandenen Bebauung und entfalte keine Vorbildwirkung. Nachahmervorhaben seien konkret nicht zu erwarten. Eine Baugrenze, wie sie vom Beklagten angenommen werde, würde durch das Vorhaben nicht verschoben, sondern lediglich unterbrochen. Darüber hinaus liege die äußere Grenze des Bauvorhabens maximal 57 m von der Straße Am G. berg entfernt. Nachdem das Gebäude mit der Nr. 2b in ca. 52 m Entfernung und die Nr. 18 in ca. 73 m Entfernung lägen, stelle dies keine wesentliche Abweichung dar.

Die Kläger beantragen,

den Bescheid des Beklagten vom 17. März 2021 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2021 aufzuheben und den Beklagten zu verpflichten, die mit Antrag vom 21. Dezember 2020 beantragte Baugenehmigung für die Neuerrichtung eines Einfamilienhauses zu erteilen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Er trägt vor, das Vorhaben sei bauplanungsrechtlich unzulässig, da es sich nicht einfüge. Das Grundstück liege im unbeplanten Innenbereich. Das Bauvorhaben füge sich hinsichtlich der überbaubaren Grundstücksfläche nicht ein, da es die Grenzen einer faktischen hinteren Baugrenze überschreite. Die Bautiefe sei von der tatsächlichen Straßengrenze aus zu ermitteln, und zwar von der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße. Ein Privatweg oder eine private Grundstückszufahrt zu einer solchen Erschließungsanlage sei nicht als tatsächliche Straßengrenze heranzuziehen. Dabei sei nicht auf das Straßenkarree, sondern nur auf die als Erschließungsanlage gewählte Gemeindestraße Am G. berg abzustellen. Deshalb stellten die an der nördlichen Stichstraße gelegenen Häuser auch keine rückwärtige Bebauung dar, weil diese unmittelbar an einer öffentlichen Straße lägen. Maßstabsbildend könne allein die Bebauung östlich der Straße Am G. berg sein. Danach solle das beantragte Vorhaben gänzlich hinter der faktischen Baugrenze realisiert werde und überschreite diese damit nicht nur unwesentlich. Entgegen das Auffassung der Kläger trete das beantragte Vorhaben auch gerade nicht in eine harmonische Beziehung zu seiner näheren Umgebung. Denn bei Zulassung des Vorhabens könne dieses für weitere Grundstücke an der Straße Am G. berg Vorbildwirkung entfalten. Im Übrigen sei auf dem Grundstück mit der Hausnummer 18 im Jahr 2020 ebenfalls die Möglichkeit einer noch weiter nach hinten gesetzten Hinterlandbebauung im Rahmen einer Bauvoranfrage verneint worden. Zudem führe eine Entfernung der äußeren Grenze des beabsichtigten Bauvorhabens über maximal 57 m von der Straße Am G. berg sehr wohl zu einer wesentlichen Abweichung, da dies zur Folge hätte, dass das Vorhaben am geplanten Standort gänzlich hinter der faktischen Baugrenze platziert sei und diese damit nicht nur unwesentlich überschritten würde.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge des Beklagten sowie auf die Ergebnisse der Beweisaufnahme vor Ort verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage hat keinen Erfolg.

Die zulässige Klage ist unbegründet. Die Kläger haben keinen Anspruch auf die begehrte Baugenehmigung unter Aufhebung des Bescheids des Beklagten vom 17. März 2021 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 20. Juli 2021; die Ablehnung der Baugenehmigung war rechtmäßig (vgl. § 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

Den Klägern steht ein Anspruch auf Errichtung des geplanten und beantragten Einfamilienhauses auf dem Grundstück Am G. berg 8a in A-Stadt/Aller nicht zu. Nach § 70 NBauO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn das Vorhaben dem öffentlichen Baurecht entspricht. Öffentliches Baurecht sind nach § 2 Abs. 17 NBauO die Vorschriften dieses Gesetzes, die Vorschriften aufgrund dieses Gesetzes, das städtebauliche Planungsrecht und die sonstigen Vorschriften des öffentlichen Rechts, die Anforderungen an bauliche Anlagen, Bauprodukte oder Baumaßnahmen oder an andere Anlagen oder Einrichtungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 NBauO stellen oder die Bebaubarkeit von Grundstücken regeln. Das geplante Vorhaben widerspricht dem öffentlichen Baurecht.

Grundlage der Beurteilung für die Genehmigung des von den Klägern beabsichtigten Bauvorhabens ist § 34 BauGB, da es sich unstreitig um ein Vorhaben innerhalb eines im Zusammenhang bebauten Ortsteil handelt. Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB ist ein Vorhaben im unbeplanten Innenbereich zulässig, wenn es sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügt. Hierfür ist zunächst der Rahmen zu ermitteln, in den sich das Vorhaben einfügen soll und anschließend die dort vorhandene Bebauung mit dem beabsichtigten Vorhaben zu vergleichen. Der Rahmen ergibt sich durch die Beantwortung der Frage, inwiefern sich die Ausführung des Vorhabens auf die Umgebung auswirken kann, aber auch dadurch, inwiefern die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Zur Ermittlung der Umgebungsbebauung ist auf die tatsächlich vorhandene Bebauung abzustellen. Selbst wenn sich ein Vorhaben nicht in den ermittelten Rahmen einfügt, kann es zulässig sein, wenn es nicht geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.5.1978 - 4 C 9.77 -, juris Rn. 47).

Das Vorhaben der Kläger fügt sich hinsichtlich der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, nicht in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Dabei kommt es auf die konkrete Größe der Grundfläche des in Frage stehenden Vorhabens und auch auf seine räumliche Lage innerhalb der vorhandenen Bebauung, also auf den Standort des Vorhabens an. Ob eine rückwärtige Bebauung eines Grundstücks zulässig ist, hängt im Wesentlichen davon ab, in welchem Umfang die den Maßstab bildenden umliegenden Grundstücke eine rückwärtige Bebauung aufweisen. Zur näheren Konkretisierung kann insofern auf die Begriffsbestimmungen in § 23 BauNVO zur "überbaubaren Grundstücksfläche", die wiederum gemäß § 23 Abs. 4 BauNVO auch durch Festsetzung der Bautiefe bestimmt werden kann, zurückgegriffen werden. Nach § 23 Abs. 4 Satz 2 BauNVO ist die Bebauungstiefe von der tatsächlichen Straßengrenze aus zu ermitteln. "Tatsächliche Straßengrenze" ist die Grenze der als Erschließungsanlage gewählten öffentlichen Straße. Ein Privatweg oder eine private Grundstückszufahrt zu einer solchen "Erschließungsstraße", auch wenn diese Zuwegung ggf. ausreichend ist, um die von § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB geforderte Erschließung zu sichern, reicht nicht aus. Anderenfalls hätte es ein Bauherr in der Hand, allein durch die Trassierung einer inneren Erschließung eines Grundstücks das städtebauliche Merkmal der überbaubaren Grundstücksfläche zu bestimmen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 12.8.2019 - 4 B 1.19 -, juris Rn. 6 m.w.N.). Maßgeblich für die Eignung einer Straße als Ausgangspunkt für die Beurteilung der Bautiefe ist nicht ihre Größe oder Selbständigkeit, sondern ihre durch die Widmung für den öffentlichen Verkehr nach außen manifestierte und dauerhaft gewährleistete Zugänglichkeit für jedermann und ihre Einbindung in das von der öffentlichen Hand zweckmäßig zu dimensionierende Verkehrsnetz (vgl. Nds. OVG, Urt. v. 1.9.2022 - 1 LB 4/21 -, juris Rn. 27). Eine einheitliche Flucht der rückwärtigen Gebäudekanten ist keine Voraussetzung für das Bestehen einer rückwärtigen Baugrenze. Fehlt sie, so markiert das Gebäude mit der größten Bautiefe den Umgebungsrahmen (vgl. Nds. OVG, Beschl. v. 30.5.2023 - 1 LA 80/22 -, juris Rn. 7).

Wird die nähere Umgebung bestimmt, muss zur Ermittlung der für die Zulässigkeitsbeurteilung des fraglichen Vorhabens relevanten Auswirkungen zwischen den einzelnen Beurteilungskriterien, nämlich der Art, dem Maß, der Bauweise oder der überbaubaren Grundstücksfläche unterschieden werden, d.h. dass die "nähere Umgebung" grundsätzlich für jedes der einzelnen Beurteilungskriterien getrennt zu ermitteln ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 13.5.2014 - 4 B 38.13 -, juris Rn. 7). Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich dabei nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der tatsächlichen städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. VG Ansbach, Beschl. v. 2.3.2023 - AN 3 K 21.00090 -, juris Rn. 74). Bei der Bestimmung einer faktischen rückwärtigen Baugrenze kommt in der Regel derjenigen Bebauung alleine oder ganz überwiegend maßstabsbildende Wirkung zu, die an derselben Erschließungsanlage liegen (vgl. Nds. OVG, Urt .v. 1.9.2022 - 1 LB 4/21 -, juris Rn. 18).

In Anwendung dieser Grundsätze ist nach der gerichtlichen Inaugenscheinnahme der Örtlichkeit als prägender Rahmen der näheren Umgebung die vorhandene Bebauung an der östlichen Seite der Straße Am G. berg zwischen der H. Straße und dem G. weg anzunehmen. Maßgeblich sind dabei die vorhandenen Hauptgebäude, da eine rückwärtige Bebauung mit einem Wohngebäude auch dann unzulässig ist, wenn im hinteren Bereich der umliegenden Grundstücke nur Nebenanlagen vorhanden sind (vgl. BVerwG, Beschl. v. 6.11.1997 - 4 B 172.97 -, juris Rn. 5 f.). Entsprechend bleiben die auf den rückwärtigen Grundstücksflächen vorhandenen Nebengebäude, Garagen und Carports entlang der östlichen Seite der Straße Am G. berg außer Betracht. Zwar stehen die Wohngebäude entlang der östlichen Seite der Straße Am G. berg nicht in einem einheitlichen Abstand zur öffentlichen Erschließungsstraße. Der größte Abstand der am weitesten von der Erschließungsstraße entfernten Gebäudeecke beträgt rund 53 m bei dem Gebäude Am G. berg 10 auf dem Flurstück 97/82 (Messung durch den Einzelrichter bei www.asl.niedersachsen.de). Die hintere Gebäudeecke des Gebäudes Am G. berg 2B auf dem Flurstück 97/79 ist hingegen lediglich ca. 50 m von der Erschließungsstraße entfernt. Da es sich bei der nördlichen Stichstraße - anders als bei der südlichen Stichstraße, an der das Baugrundstück liegt - um eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße handelt, steht das Gebäude mit der Hausnummer 18 auf dem Flurstück 459/97 deutlich näher an der Erschließungsstraße (ca. 22 m). Da das von den Klägern geplante Bauvorhaben sich auf dem östlich des Flurstücks 97/82 belegenen Flurstück 97/94 befindet und somit das gesamte Flurstück weiter von der Erschließungsstraße entfernt ist als die hintere Hausecke des Hauses auf dem Flurstück 97/82, überschreitet das Vorhaben die hintere Baugrenze.

Das Bauvorhaben der Kläger wäre somit nur dann zulässig, wenn es trotz dieser Überschreitung der faktischen hinteren Baugrenze keine bodenrechtlichen Spannungen verursachen würde. Dies ist aber nicht der Fall. Dabei kommt es darauf an, ob das Vorhaben geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche und erst noch ausgleichsbedürftige Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen, ob es also die ihm vorgegebene Situation gleichsam in Bewegung bringt und damit eine "Unruhe" stiftet, die potentiell ein Planungsbedürfnis nach sich zieht (vgl. BVerwG, Beschl. v. 23.7.1993 - 4 B 59.93 -, juris Rn. 4; BayVGH, Beschl. v. 23.6.2021 - 9 ZB 20.855 -, juris Rn. 10). Solche Spannungen können auch darin bestehen, dass das Vorhaben, auch wenn es selbst zu keiner Verschlechterung der gegenwärtigen Situation führt, aufgrund seiner Vorbildwirkung in naheliegender Zukunft eine solche Verschlechterung nach sich ziehen kann (vgl. BVerwG, Urt. v. 8.12.2016 - 4 C 7.15 - juris Rn. 17).

Es kann offenbleiben, ob es in der näheren Umgebung Grundstücke gibt, für die das streitgegenständliche Bauvorhaben aufgrund des Verschiebens der faktischen hinteren Baugrenze eine Vorbildwirkung entfalten könnte. Entgegen der Ansicht des Beklagten ist dies jedenfalls in Bezug auf die hintere Baugrenze nicht der Fall für eine mögliche Bebauung der Grundstücke Am G. berg 16 und 18, da sich der Abstand dortiger Gebäude zur nächsten Erschließungsstraße, mithin der nördlichen Stichstraße, bemisst. Dieser Abstand ist deutlich geringer als der Abstand des streitgegenständlichen Vorhabens, weshalb das streitgegenständliche Vorhaben insoweit keine Vorbildwirkung entfalten kann. Das Vorhaben ist aber trotzdem geeignet, "Unruhe" zu stiften, indem es Bebauung mit einem Wohnhaus in einen derzeit noch vergleichsweise beruhigten Hinterbereich bringt. Auch wenn sich auf dem nördlichen Nachbargrundstück, wie beim Ortstermin festgestellt werden konnte, drei Carports befinden, davon zwei an der hinteren Grundstücksgrenze, handelt es sich dennoch insgesamt um einen Ruhebereich. Dies gilt insbesondere auch für die Gartenbereiche der an der Straße I. belegenen Grundstücke, die sich unmittelbar östlich an das Grundstück der Kläger anschließen. Das derzeitige Vorhandensein störender Einflüsse in diesem Bereich in Form von Zu- und Abfahrtsverkehr zu den Carports auf den Grundstücken führt aber nicht zu der Einschätzung, dass sich die bereits vorhandenen bodenrechtlichen Spannungen nicht durch das streitgegenständliche Bauvorhaben zumindest erhöhen würden. Vielmehr löst der Bau eines Einfamilienhauses in diesem rückwärtigen, hinter der hinteren Baugrenze liegenden Bereich das Bedürfnis aus, die verschiedenen Interessen abzuwägen und mittels eines Bebauungsplans in einen Ausgleich zu bringen, sofern eine Bebauung durch die für die Planung zuständige Gemeinde zugelassen werden sollte. Entgegen der Auffassung der Kläger ergäbe sich keine andere Bewertung, falls die zuständige Gemeinde im Rahmen eines vorhabenbezogenen Bebauungsplans eine weitergehende Bebauung zuließe, als sie derzeit von den Klägern geplant ist. Denn nach der förmlichen Aufstellung eines Bebauungsplans, bei der die nachbarlichen Interessen und bodenrechtlichen Spannungen in einen Ausgleich zu bringen sind, unterliegt das Grundstück einem anderen Regelungsregime. Wenn die Gemeinde von ihrer Planungshoheit Gebrauch macht, kann dies durchaus zu einem Mehr an Bebauung führen, selbst wenn sich ein kleineres Vorhaben im unbeplanten Innenbereich vor Aufstellung des Bebauungsplans nicht eingefügt hätte. So wäre es auch hier, da aus der Planungshoheit der Gemeinde auch folgt, dass sie die faktische hintere Baugrenze aufheben oder verschieben kann und auch größere Vorhaben erlauben kann, obwohl sich das Vorhaben unter den Voraussetzungen des § 34 BauGB zuvor nicht eingefügt hat.

Eine andere Bewertung folgt entgegen der Auffassung der Kläger auch nicht aus der Teilungsgenehmigung vom 6. Dezember 1996. Unabhängig davon, dass diese aufgrund einer Weisung der Bezirksregierung Lüneburg genehmigt wurde, enthielt diese die Regelung, dass auf Antrag, der innerhalb von drei Jahren nach der Zustellung der Genehmigung gestellt wird, eine Baugenehmigung nicht aus den Gründen versagt werden darf, die nach § 20 Abs. 1 BauGB für die Teilungsgenehmigung rechtserheblich waren. Ein Antrag auf Erteilung einer Baugenehmigung wurde jedoch nicht innerhalb von drei Jahre nach Zustellung der Teilungsgenehmigung gestellt, so dass eine Bindungswirkung nicht besteht.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711, 709 Satz 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Berufung gemäß § 124 a Abs. 1 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 3 oder 4 VwGO durch das Verwaltungsgericht liegen nicht vor.