Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 01.09.2022, Az.: 1 LC 50/20

Bordell; Bordellartiger Betrieb; Gebietsverträglichkeit; Gewerbebetrieb; milieutypische Unruhe; Mischgebiet; nicht wesentlich störend; Prostitution; Prostitutionsstätte; störender Gewerbebetrieb; Störintensität; Terminswohnung; Wohnungsprostitution

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
01.09.2022
Aktenzeichen
1 LC 50/20
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2022, 59777
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.10.2019 - AZ: 4 A 3433/19

Fundstellen

  • BauR 2022, 1749-1753
  • DÖV 2022, 1049
  • GewArch 2023, 86-88
  • NordÖR 2023, 24-28
  • ZfBR 2023, 74

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die Ausübung der Prostitution in sog. Terminswohnungen kann in einem Mischgebiet als nicht wesentlich störender Gewerbebetrieb nach dem Umständen des Einzelfalls zulässig sein (im Anschluss an BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 5.20 -, NVwZ 2022, 416 = BauR 2022, 615 = juris).

2. Der Umstand, das in Terminswohnungen im Unterschied zur klassischen Wohnungsprostitution ständig wechselnde Prostituierte tätig werden, birgt grundsätzlich ein erhebliches Störpotenzial, das allerdings durch kompensatorische Maßnahmen - hier Prostitutionsausübung in separatem Gebäude mit eigenen Zugängen zur Straße - gemindert werden kann.

Tenor:

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 22. Oktober 2019 (4 A 3433/19) wird geändert.

Die Beklagte wird unter Aufhebung des Bescheids vom 10. Dezember 2018 und des Widerspruchsbescheids vom 7. Juni 2019 verpflichtet, dem Kläger die mit Bauantrag vom 5. Juli 2018 beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht der Kläger vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrt die Erteilung einer Baugenehmigung zur Nutzung von Räumen eines ehemaligen Gastronomiebetriebs zur Ausübung der Prostitution.

Der Kläger ist Miteigentümer des im unbeplanten Innenbereich belegenen Grundstücks F. in B-Stadt. Das Baugrundstück ist in seinem rückwärtigen Bereich mit einem Wohnhaus und straßenseitig mit zwei selbstständig nutzbaren, eingeschossigen Gewerbeeinheiten (105a, 105b), bestehend aus einem Haupt- und einem Nebenraum, bebaut, die zuletzt als Restaurant/Weinstube genutzt und entsprechend genehmigt waren. Zwischen den zur Straße hin mit einer Mauer verbundenen Gewerbeeinheiten, deren Nutzungsrecht allein beim Kläger liegt, befindet sich ein mit einer Tür versehener Durchgang zum rückwärtigen Wohnhaus. Die Umgebung des Baugrundstücks wird durch Wohnbebauung sowie verschiedene gewerbliche und freiberufliche Nutzungen geprägt.

Nach Nutzungsaufgabe ließ der Kläger die Gewerbeeinheiten in Apartments umbauen, die er zur Ausübung der Prostitution an wechselnde Personen (sog. Terminwohnungen) vermietete. Nach einer Bürgerbeschwerde untersagte die Beklagte dem Kläger mit Bescheid vom 13. März 2018 die Nutzung der Gebäude zu Prostitutionszwecken; Rechtsmittel dagegen blieben erfolglos (VG Hannover, Urt. v. 22.10.2019 - 4 A 5130/18 -, V.n.b.; Senatsbeschl. v. 25.3.2021 - 1 LA 49/20 -, juris).

Während des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens stellte der Kläger unter dem 5. Juli 2018 einen Bauantrag für eine Nutzungsänderung der Gewerbeeinheiten in „Zimmer zur Vermietung zum Zwecke der Prostitution“. Von den insgesamt drei Apartments sollen zwei der Prostitutionsausübung dienen; ein weiteres Apartment dient den Prostituierten als Schlaf- und Ruhebereich. Die vormals vorhandenen straßenseitigen Schaufenster wurden bereits geschlossen. Erhalten bleibt ein Fenster in der Grenzwand zum östlichen Nachbargrundstück G., das gegenwärtig von einer Werbetafel verdeckt ist. Das dem Bauantrag beigefügte Betriebskonzept sieht vor, dass die Außenfassade ohne Werbung bleibt und die Türen nur mit Hausnummern ohne Hinweis auf die Nutzung als Prostitutionsstätte gekennzeichnet werden; in diesem Zustand befindet sich das Objekt auch derzeit. Werbung und Kontaktanbahnung zwischen Prostituierten und Kunden finden ausschließlich im Internet und per Telefon statt. Die Betriebszeiten sind auf Montag bis Samstag zwischen 8 und 22 Uhr begrenzt.

Diesen Bauantrag lehnte die Beklagte mit Bescheid vom 10. Dezember 2018 und Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2019 ab. Zur Begründung verwies sie darauf, dass die nähere Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet entspreche. Die geplante Nutzung weise einen bordellartigen Charakter auf, sodass es sich um einen störenden gewerblichen Betrieb handele. Als solcher sei er im Wohngebiet generell unzulässig. Hinzu komme, dass das Vorhaben gegen Grenzabstandsvorschriften verstoße.

Die dagegen erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil vom 22. Oktober 2019 abgewiesen. Die nähere Umgebung des Baugrundstücks, die sich aus der Bebauung innerhalb des Dreiecks H. zusammensetze, entspreche zwar einem Mischgebiet, weil sie neben überwiegender Wohnnutzung eine deutliche gewerbliche Prägung aufweise. Auch in einem Mischgebiet sei das als bordellartiger Betrieb zu bezeichnende Vorhaben indes unzulässig, weil es sich mit einer Wohnnutzung grundsätzlich nicht vertrage. Ein bordellartiger Betrieb verursache typischerweise wesentliche Störungen der Nachbarschaft, weil er eine milieubedingte Unruhe mit sich bringe. Demgegenüber handele es sich nicht um Wohnungsprostitution, weil nicht vorgesehen sei, dass die Prostituierten in den Apartments dauerhaft wohnten, sondern sie im Gegenteil ständig wechselten. Das Betriebskonzept des Klägers unterscheide sich auch nicht so weitgehend von einem typischen bordellartigen Betrieb, dass seine Vereinbarkeit mit einer Wohnnutzung im Einzelfall zu prüfen sei. Selbst wenn äußerlich kein Hinweis auf die Nutzung zu Prostitutionszwecken angebracht werden, sei eine gewerbliche Nutzung offensichtlich. Öffnungszeiten und Besucherstruktur ließen den bordellartigen Charakter erkennen. Zudem müsse es bei der typisierenden Betrachtung bleiben, weil eine Abgrenzung zu einem bordellartigen Betrieb nicht gelingen könne.

Gegen dieses Urteil hat der Kläger die vom Verwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassene Berufung eingelegt. Zutreffend sei das Verwaltungsgericht zwar von einem Mischgebiet ausgegangen; die weiteren Schlussfolgerungen des Gerichts seien indes rechtsfehlerhaft. Die typisierende Betrachtung, die das Verwaltungsgericht angestellt habe, werde seinem Vorhaben und dessen Besonderheiten nicht gerecht. Die Erscheinungsformen des Prostitutionsgewerbes seien vielschichtig und bildeten eine heterogene Gruppe. Daher bedürfe es einer konkreten Betrachtung der Betriebsstruktur, die auch mit Blick auf die Wertungen des Prostituiertenschutzgesetzes nicht an individuelle moralische Vorstellungen, sondern an die konkrete Störungsintensität anknüpfen müsse. Sein Vorhaben sei durch die Diskretion der Geschäftsausübung und die Ausrichtung auf wenige Kunden - maximal zwei pro Stunde - geprägt. Zu belastendem An- und Abfahrtverkehr werde es deshalb nicht kommen. Tätig würden höchstens zwei Prostituierte; dass diese häufig wechselten, sei unerheblich. Laufkundschaft gebe es nicht, sodass keine milieubedingte Unruhe entstehe. Der Zugang erfolge unmittelbar von der Straße, sodass es nicht zu Kontakt mit Nachbarn komme. Der Betrieb als solcher sei für Passanten nicht als Prostitutionsstätte wahrnehmbar, sodass ein „trading-down-Effekt“ nicht zu befürchten sei. Die Nachtruhezeiten würden gewahrt. Insgesamt ähnele sein Vorhaben der Wohnungsprostitution und sei selbst dann, wenn man von einem bordellartigen Betrieb ausgehen wolle, hinsichtlich seiner Störwirkungen mit einer solchen zu vergleichen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 4. Kammer - vom 22. Oktober 2019 (4 A 3433/19) zu ändern, den Bescheid der Beklagten vom 10. Dezember 2018 und den Widerspruchsbescheid vom 7. Juni 2019 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die mit Bauantrag vom 5. Juli 2018 beantragte Baugenehmigung zu erteilen.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie ist weiterhin der Auffassung, dass die nähere Umgebung des Baugrundstücks einem allgemeinen Wohngebiet entspreche. In einem solchen Gebiet sei die Ausübung der Prostitution unzulässig. In der mündlichen Verhandlung hat sie ergänzend ausgeführt: Für den Fall, dass der Senat von einem Mischgebiet ausgehen sollte, sei anzuerkennen, dass nach der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts eine typisierende Betrachtung der Gebietsverträglichkeit nicht mehr in Betracht komme. Die dann gebotene, aus ihrer Sicht nur hypothetische Einzelfallbetrachtung falle zugunsten des Vorhabens aus, weil eine konkrete, über das im Mischgebiet hinzunehmende Maß hinausgehende Störwirkung nicht zu befürchten sei.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Berufung ist begründet.

Der Kläger hat einen Anspruch auf Erteilung der begehrten Baugenehmigung, weil die beantragte Nutzungsänderung der Räume des ehemaligen Gastronomiebetriebs in Zimmer zur Vermietung zum Zwecke der Prostitution dem öffentlichen Baurecht - soweit dies im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren zu prüfen ist - entspricht (§ 63 Abs. 1, § 70 Abs. 1 Satz 1 NBauO). Das verwaltungsgerichtliche Urteil ist daher zu ändern und die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zur Erteilung der beantragten Baugenehmigung zu verpflichten (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).

1.

Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens richtet sich nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 6 BauNVO. Das Baugrundstück liegt - wie das Verwaltungsgericht im Ergebnis richtig erkannt hat - in einem faktischen Mischgebiet, weil die maßgebliche nähere Umgebung durch Wohn- und Gewerbenutzungen gleichermaßen geprägt wird. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßstabsbildend die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die für die Abgrenzung der „näheren Umgebung“ maßgebliche wechselseitige Prägung ergibt sich dabei allein aus den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmalen. Diese Merkmale prägen - vom Vorhaben aus gesehen - im Sinne einer Vorbildwirkung nur einen begrenzten Bereich. Umgekehrt wird das Grundstück, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, in diesen Merkmalen nur von anderen Nutzungen in einem begrenzten räumlichen Umfeld geprägt. Dabei lassen sich die Grenzen der näheren Umgebung nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 = juris Rn. 8 m.w.N.).

Als nähere, das Baugrundstück städtebaulich prägende Umgebung ist nach dem Eindruck, den der Senat aufgrund der verwaltungsgerichtlichen Feststellungen, des Vortrags der Beteiligten sowie durch Auswertung der bei google maps verfügbaren Luftaufnahmen und die in der mündlichen Verhandlung betrachteten, vom Vorsitzenden am Wochenende vor dem Termin gefertigten Lichtbilder gewonnen hat, zumindest die Bebauung beidseits des I. vom Einmündungsbereich in die J. („K.“, Entfernung rund 110 m) bis zum Gebäude L. (Entfernung rund 150 m) in die Betrachtung einzubeziehen. Von den Gebäuden und Nutzungen in diesem Rahmen erfährt das Baugrundstück seine maßgebliche Prägung.

In östliche Richtung zu den K. ist die dortige Einmündungs- und Platzsituation vom Baugrundstück optisch deutlich wahrnehmbar und hinsichtlich der Verkehrs- und Wegebeziehungen eng verknüpft. Die Entfernung von nur etwas mehr als 100 m führt zudem dazu, dass die Geräuschkulisse der Kreuzung mit dem großzügig ausgebauten Verknüpfungspunkt zwischen Stadtbahn und Bus und ihrem werktags hohen Verkehrsaufkommen gut wahrzunehmen ist. Die Nutzung in östliche Richtung wird durch Gewerbe und Wohnen gleichermaßen bestimmt. Schon mit dem östlich unmittelbar benachbarten spanischen Restaurant und der dort vorzufindenden großflächigen Fremdwerbetafel, einer gewerblichen Hauptanlage, beginnt auf der nördlichen Straßenseite ein Bereich, der maßgeblich durch gewerbliche Nutzungen mindestens im Erdgeschoss geprägt ist. Ansässig sind neben dem spanischen Restaurant der Verkaufsraum eines Parkettlegerbetriebs, ein Corona-Testzentrum, ein größeres Kosmetikstudio sowie direkt an der Einmündung ein Lebensmittelnahversorger. Auf der Südseite des I. dominiert demgegenüber die Wohnnutzung; gewerbliche Nutzungen sind im Straßenbild zunächst nicht präsent. Im Einmündungsbereich zur J. sind jedoch ein Pflegedienst, eine Fahrschule, ein großes Brillenfachgeschäft sowie ein größeres asiatisches Restaurant angesiedelt. Von diesen Nutzungen sind jedenfalls die Werbetafel, das Brillenfachgeschäft und das asiatische Restaurant im Wohngebiet nicht als Regelnutzung zulässig. In der Gesamtschau haben die Wohnnutzungen zwar - wie die Beklagte zu Recht betont hat - das quantitative Übergewicht. In qualitativer Hinsicht - diese ist maßgeblich - ist aufgrund des hohen gewerblichen Flächenanteils und der Prägung des Straßenraums durch die Ladenlokale hingegen von einem mischgebietstypischen annähernden Gleichgewicht auszugehen. Dass einzelne Nutzungen auch in einem Wohngebiet zulässig wären, ändert an diesem Befund nichts, weil das Gebiet eben nicht mehr - wie in § 4 Abs. 1 BauNVO vorgesehen - vorwiegend dem Wohnen dient.

Vom Baugrundstück ausgehend in westlicher Richtung ist der M. auf beiden Seiten zunächst nahezu ausschließlich von Wohnbebauung geprägt. Rund 110 m westlich des Baugrundstücks auf der Nordseite folgt dann allerdings das „Haus des Verkehrsgewerbes“, ein äußerst großzügiger und mit einem über den M. erreichbaren üppigen Parkplatz im Innenhof ausgestatteter Bürokomplex, der die Grenzen dessen, was in einem Wohngebiet auch nur ausnahmsweise zulässig sein kann, bei weitem überschreitet. Gemeinsam mit dem westlich benachbarten Gewerbebau, der einen Fachbetrieb für Sanierungen und Beschichtungen mit einem größeren Fahrzeugpark beherbergt, verleiht der Bürokomplex dem M. auch in westlicher Richtung eine durch Wohnen und Gewerbe/Büros gleichermaßen geprägte Struktur. Offenbleiben kann, ob auch noch die ein Grundstück weiter angrenzende BMW-Niederlassung in die Betrachtung einzubeziehen. Diese ist zwar mehr als 150 m vom Baugrundstück entfernt und optisch vom M. in Höhe des Baugrundstücks nur noch umrisshaft wahrzunehmen. Das erhebliche Verkehrsaufkommen der Niederlassung mit ihren umfangreichen Parkflächen sowie der breit angelegten Zufahrt für Lastkraftwagen lässt es indes durchaus naheliegend erscheinen, dass auch diese noch eine prägende Wirkung bis zum Baugrundstück hin entfaltet und dadurch die städtebauliche Situation beeinflusst. In diesem Fall könnte von einem allgemeinen Wohngebiet erst recht keine Rede sein.

Soweit das Verwaltungsgericht seine Betrachtung demgegenüber auf die Bebauung innerhalb des von H. gelegenen Dreiecks beschränkt hat, greift das - wie ausgeführt - aufgrund der Prägung des Vorhabengrundstücks auch durch die westlich gelegene umfangreiche Büro-/Gewerbenutzung zu kurz. Auch ist dem mit 15 bis 20 m recht schmalen M. eine trennende Wirkung nicht zuzubilligen, sodass die Bebauung beidseits zu betrachten ist. Offenbleiben kann demgegenüber, ob und wieweit die Bebauung der Seitenstraßen N. und O. in die Bewertung einzubeziehen ist. Dort findet sich ganz überwiegend Wohnbebauung; diese hat jedoch kein Gewicht, das die aufgeführten gewerblichen Nutzungen als unterordnet oder gar als Fremdkörper erscheinen lassen könnte.

2.

In einem Mischgebiet sind sonstige Gewerbebetriebe, zu denen der Betrieb des Klägers zählt, zulässig, wenn sie das Wohnen nicht wesentlich stören (§ 6 Abs. 1 BauNVO). Bei der bauplanungsrechtlichen Beurteilung, ob ein Betrieb als im Sinne des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO das Wohnen nicht wesentlich störender und damit im Mischgebiet zulässiger Gewerbebetrieb zu bewerten ist, ist im Ausgangspunkt eine - eingeschränkte - typisierende Betrachtung anzustellen. Der Betrieb ist als unzulässig einzustufen, wenn von Betrieben seines Typs bei funktionsgerechter Nutzung üblicherweise für die Umgebung in diesem Sinne unzumutbare Störungen ausgehen können; auf das Maß der konkret hervorgerufenen oder in Aussicht genommenen Störungen kommt es grundsätzlich nicht an. Eine typisierende Betrachtungsweise verbietet sich jedoch, wenn der zur Beurteilung stehende Betrieb zu einer Branche gehört, deren übliche Betriebsformen hinsichtlich des Störgrades eine große Bandbreite aufweisen, die von nicht wesentlich störend bis störend oder sogar erheblich belästigend reichen kann. Ist mithin ein Betrieb einer Gruppe von Gewerbebetrieben zuzurechnen, die hinsichtlich ihrer Mischgebietsverträglichkeit zu wesentlichen Störungen führen können, aber nicht zwangsläufig führen müssen, wäre eine abstrahierende Bewertung des konkreten Betriebs nicht sachgerecht. Ob solche Betriebe in einem Mischgebiet zugelassen werden können, hängt dann von ihrer jeweiligen Betriebsstruktur ab. Maßgeblich ist, ob sich die Störwirkungen, die die konkrete Anlage bei funktionsgerechter Nutzung erwarten lässt, innerhalb des Rahmens halten, der durch die Gebietseigenart vorgegeben ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 5.20 -, NVwZ 2022, 416 = BauR 2022, 615 = juris Rn. 10 m.w.N.).

Bei Bordellen sowie bordellartigen Betrieben, zu denen die Rechtsprechung bislang auch die hier vorliegenden „Terminwohnungen“ gezählt hat (vgl. zuletzt OVG S-H, Beschl. v. 10.8.2021 - 5 LA 311/20 -, juris Rn. 6), handelt es sich um das Wohnen wesentlich störende Betriebe, wenn diese Nachteile und Belästigungen, insbesondere Lärm des Zu- und Abgangsverkehrs und sonstige „milieubedingte“ Unruhe, mit sich bringen. Eine milieubedingte Unruhe kann dann entstehen, wenn diese Betriebe nach außen in Erscheinung treten wie z.B. durch Werbung im Umfeld des Betriebs oder auch eine entsprechende (Fassaden-)Gestaltung (Aufschriften, auffällige Werbung). Hierdurch hebt sich die Einrichtung von der umgebenden Nutzung ab und ist so dem Prostitutionsgewerbe ohne weiteres zuzuordnen. Eine deutlich in Erscheinung tretende prostitutive Einrichtung löst zusätzlichen, gebietsfremden (Publikums-)Verkehr aus, weil hierdurch vor allem Laufkundschaft angesprochen und zum Besuch des Betriebs angeregt wird. Das bringt Unruhe (Immissionen, insbesondere Lärm) in das Mischgebiet, beeinträchtigt damit die Wohnruhe und wirkt sich negativ auf das soziale Umfeld (§ 1 Abs. 6 Nr. 3 BauGB) und die Wohnbedürfnisse, insbesondere von Familien mit Kindern aus (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Dieser Effekt wird dadurch verstärkt, dass nicht nur die Kunden, sondern auch die Prostituierten die Betriebsstätte aufsuchen und wieder verlassen müssen, weil in Bordellen oder bordellähnlichen Betrieben im Unterschied zu solchen der Wohnungsprostitution nicht gewohnt wird und dort zudem immer mehrere Prostituierte tätig sind. Hinzu kommt, dass solche Betriebe regelmäßig auch in den Nachtstunden geöffnet sind. Schließlich kann mit nach außen in Erscheinung tretenden Bordellen oder bordellartigen Betrieben ein sog. Trading-down-Effekt einhergehen. Die sichtbare Existenz eines Bordells oder bordellähnlichen Betriebs kann auch Auswirkungen auf den Bodenmarkt im betroffenen Gebiet haben (§ 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Ferner sind negative Folgen für die Bewohnerstrukturen denkbar, weil Bewohner sich durch einen solchen ohne weiteres wahrnehmbaren Betrieb veranlasst sehen können, das Gebiet zu verlassen (vgl. § 1 Abs. 6 Nr. 2 BauGB). Das gilt umso mehr, wenn die Prostituierten oder andere Bedienstete vor dem Betrieb für den Besuch der Einrichtung „werben“. Die Besorgnis einer milieubedingten Unruhe kann hingegen nicht damit begründet werden, dass Prostitution milieutypische Begleiterscheinungen wie Belästigungen durch alkoholisierte oder unzufriedene Kunden, organisierte Kriminalität, Menschen- und Drogenhandel, ausbeutender Zuhälterei, Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, Verstößen gegen das Waffenrecht und Gewaltkriminalität bis hin zu Tötungsdelikten nach sich ziehen kann. Hierbei handelt es sich nicht um städtebauliche Belange. Solchen Gefahren, die in keinem Baugebiet hingenommen werden können, ist vielmehr mit ordnungsrechtlichen Mitteln zu begegnen. Ausgehend von einem so verstandenen Begriff der „milieubedingten“ Unruhe kann der im Rahmen des § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO anzustellenden typisierenden Betrachtungsweise nur ein Betrieb zugrunde gelegt werden, der nach außen als solcher in Erscheinung tritt und/oder in den Nachtstunden (ab 22.00 Uhr) betrieben wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 5.20 -, NVwZ 2022, 416 = BauR 2022, 615 = juris Rn. 13 ff. m.w.N.).

Gemessen daran scheidet in diesem Fall die von der Beklagten im Verwaltungsverfahren und dem Verwaltungsgericht - vor Ergehen des vorzitierten Urteils des Bundesverwaltungsgerichts im Einklang mit der mindestens überwiegenden Rechtsprechung der Oberverwaltungsgerichte/Verwaltungsgerichtshöfe - angestellte typisierende Betrachtung aus. Ausweislich des mit dem Bauantrag vorgelegten Betriebskonzepts ist der Betrieb als solcher von der Straße nicht erkennbar. Auf Werbung oder Hinweisschilder jeder Art an der Stätte der Leistung wird ausdrücklich vollständig verzichtet. Von der Straße einsehbar ist der Betrieb ebenfalls nicht; im Gegenteil ist die Straßenfront mit Ausnahme der beiden Eingangstüren zu den Apartments vollständig geschlossen. Das alles entspricht ausweislich der im Termin betrachteten Lichtbilder der Realität. Laufkundschaft wird sich vor diesem Hintergrund nicht einstellen. Die Betriebszeiten sind auf werktags von 8 bis 22 Uhr begrenzt; in den Ruhezeiten und an Sonn- und Feiertagen findet kein Betrieb statt.

Vor diesem Hintergrund bedarf es einer umfassenden Betrachtung aller Umstände des Einzelfalls, ob es sich um einen wesentlich störenden Gewerbebetrieb oder aber um einen Betrieb handelt, der allein wohnähnlich in Erscheinung tritt und daher mit der in der näheren Umgebung vorhandenen Wohnnutzung verträglich ist (vgl. BVerwG, Urt. v. 9.11.2021 - 4 C 5.20 -, NVwZ 2022, 416 = BauR 2022, 615 = juris Rn. 20). Diese Betrachtung fällt - worüber in der mündlichen Verhandlung zwischen den Beteiligten Einigkeit bestand - zugunsten des Klägers aus.

Gegen eine wesentliche, in einem Mischgebiet nicht mehr verträgliche Störwirkung sprechen die bereits dargestellte fehlende Erkennbarkeit der Prostitutionsausübung von der Straße aus, die Laufkundschaft und damit verbundene Begleiterscheinungen ausschließt, sowie die Achtung der Ruhezeiten. Hinzu tritt die geringe Größe des Vorhabens mit maximal zwei gleichzeitig arbeitenden Prostituierten. Die Angabe des Klägers, zu erwarten sei ein Besuch von maximal zwei Kunden pro Stunde, erscheint realistisch und liegt deutlich unter dem, was Arztpraxen oder andere freiberufliche Dienstleister an Kundenverkehr erzeugen. Damit steht angesichts der Struktur des I. als wochentags stark befahrener Verbindungsstrecke zwischen den zwei Hauptverkehrsachsen J. und P. zugleich fest, dass mit störendem Kraftfahrzeugmehrverkehr nicht zu rechnen ist. Das allenfalls geringe zusätzliche Verkehrsaufkommen geht im allgemeinen Verkehrsaufkommen unter. Von zentraler Bedeutung ist für den Senat schließlich, dass das Prostitutionsgewerbe in zwei von anderen Nutzungseinheiten separaten Gebäuden mit eigenen Zugängen zur Straße und nicht innerhalb eines Wohnhauses ausgeübt werden soll. Das schließt einen Kundenverkehr im Treppenhaus eines Wohnhauses und damit ständige Begegnungen zwischen Prostituierten, ihren Kunden und Hausbewohnern, die einem Wohngebäude ein nachteiliges Gepräge verleihen und den Wohnwert mindern können, zuverlässig aus. Für die Gebietsverträglichkeit spricht in diesem Einzelfall indiziell schließlich auch, dass der Kläger die Apartments (zumindest) rund vier Jahre formell illegal betrieben hat, ohne dass mit konkreten Störwirkungen begründete Nachbarbeschwerden bekannt geworden sind.

Gegenläufige Gesichtspunkte, die eine gewisse Störintensität begründen, erreichen in diesem Einzelfall kein Gewicht, welches bezogen auf das hier vorliegende Mischgebiet und die generelle Akzeptanz gewerblicher Nutzungen in einem solchen eine andere Betrachtung rechtfertigen könnte. Ein erhebliches Störpotenzial birgt allerdings der Umstand, dass - insofern im Unterschied zu einer „klassischen“ Wohnungsprostitution - in den Apartments ständig wechselnde Prostituierte tätig sind, sodass eine soziale Anbindung an die Nachbarschaft mit der daraus resultierenden Sozialkontrolle fehlt. Das Interesse der Prostituierten an einer verträglichen Beziehung zu den Nachbarn ist in solchen Fällen typischerweise als gering anzusehen. Wenn es zu Störungen kommt, fehlt zudem ein verlässlicher Ansprechpartner vor Ort. Das daraus folgende Störpotenzial, das einer Vereinbarkeit mit einer Wohnnutzung jedenfalls auf demselben Grundstück grundsätzlich entgegenstehen kann, wird in diesem Fall allerdings entscheidend durch die separaten Gebäude mit eigenen Straßenzugängen gemindert. Ein unmittelbarer Kontakt zwischen Prostituierten, Hausbewohnern und Kunden findet im Regelfall nicht statt; dies verringert das Konfliktpotenzial. Soweit Fensteröffnungen zum Durchgang zum Hinterhaus sowie zum Hinterhof dazu führen, dass Geräusche im rückwärtigen Wohnhaus wahrnehmbar sind, kann dies zwar durchaus zu Störungen der dortigen Bewohner führen. Eine Intensität, die die Nutzung als mischgebietsunverträglich erscheinen lässt, ist bei nur zwei Prostituierten und in Anbetracht der konkreten baulichen Verhältnisse indes nicht zu erwarten. Soweit es schließlich im Jahr 2014 eine Nachbarbeschwerde gab, ist nicht dokumentiert, dass konkrete Störungen und nicht nur allgemein eine damals illegale Nutzung zur Prostitutionsausübung beklagt wurde.

3.

Ist das Vorhaben demzufolge mit städtebaulichem Planungsrecht vereinbar, stehen keine weiteren im Verfahren nach § 63 Abs. 1 NBauO zu prüfenden Hindernisse entgegen. Soweit das Vorhaben den Grenzabstand nicht einhält, erklärt § 5 Abs. 10 Nr. 1 und 2 NBauO dies bei rechtmäßig bestehenden Gebäuden, die die Abstände nach § 5 Abs. 1 bis 8 NBauO nicht einhalten, bei Änderungen innerhalb dieses Gebäudes sowie der Änderung der Nutzung von Räumen und Gebäuden für unbeachtlich. Diese seit dem 1. Januar 2022 in Kraft befindliche Vorschrift greift hier zum Vorteil des Klägers ein.

Dass schließlich ein Aufenthaltsraum im östlichen Apartment gegenwärtig nicht über die nach § 43 Abs. 3 NBauO erforderlichen Fenster verfügt, weil das einzige Fenster mit einer Werbetafel verhängt ist, steht der Erteilung der Baugenehmigung nicht entgegen. Denn § 43 NBauO zählt im vereinfachten Baugenehmigungsverfahren nicht zum Prüfungsumfang (vgl. § 43 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 NBauO). Zudem sehen die Bauvorlagen das notwendige Fenster, das vor einer Betriebsaufnahme zu öffnen ist, ausdrücklich vor.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 oder 2 VwGO.

Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V. mit § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 Satz 1 und 2 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Beschluss

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 36.000,- EUR festgesetzt (§ 52 Abs. 1 GKG in Orientierung an Nr. 1 f), 3 a) der Streitwertannahmen des Senats bis zum 31. Mai 2021 (NdsVBl. 2002, 192)); der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichts wird dementsprechend geändert (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Der Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).