Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.09.2022, Az.: 4 LA 91/21

Gruppenverfolgung; transidentitär; Transperson; transsexuell; Transsexuelle

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.09.2022
Aktenzeichen
4 LA 91/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2022, 59780
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 15.03.2021 - AZ: 1 A 1506/18

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg - Einzelrichterin der 1. Kammer - vom 15. März 2021 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Zulassungsverfahrens. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

Der Antrag der Klägerin, die Berufung gegen das erstinstanzliche Urteil zuzulassen, hat keinen Erfolg. Der von ihr geltend gemachten Berufungszulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG) ist nicht ausreichend dargelegt im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG bzw. liegt nicht vor. Auch der außerdem geltend gemachte Berufungszulassungsgrund der Versagung rechtlichen Gehörs (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor.

Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne des § 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylG grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine höchstrichterlich oder obergerichtlich bislang noch nicht beantwortete Frage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die im Rechtsmittelverfahren entscheidungserheblich ist und im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf (Senatsbeschl. v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u.v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15 -; GK-AsylG, § 78 Rn. 88 ff. m.w.N.; Hailbronner, Ausländerrecht, Kommentar, § 78 AsylG Rn. 15 ff. m.w.N.). Die Darlegung der grundsätzlichen Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 78 Abs. 4 Satz 4 AsylG erfordert daher, dass eine derartige Frage konkret bezeichnet und darüber hinaus erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren entscheidungserheblich und klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren. Des Weiteren muss substantiiert dargetan werden, warum die aufgeworfene Frage im Berufungsverfahren anders als im angefochtenen Urteil zu entscheiden sein könnte und - im Falle einer Tatsachenfrage - welche neueren Erkenntnismittel eine anderslautende Entscheidung nahelegen (Senatsbeschl. v. 20.8.2015 - 4 LA 107/15 - u. v. 21.7.2015 - 4 LA 224/15-; GK-AsylG, § 78 Rn. 591 ff. m.w.N.). Im Rahmen dieser Darlegung ist eine konkrete und im Einzelnen begründete Auseinandersetzung mit der verwaltungsgerichtlichen Entscheidung geboten (Senatsbeschl. v. 9.8.2018 - 4 LA 140/18 - m.w.N.).

Die Klägerin möchte als erste grundsätzlich bedeutsame Frage die Tatsachenfrage geklärt wissen,

„ob LGBT*-Personen, insb. trans*idente Frauen, mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne des Art. 3 EMRK aufgrund ihrer Zugehörigkeit zur Gruppe der LGBT*-Personen oder der der trans*identen Weiblichkeiten oder aufgrund ihrer sexuellen Orientierung/Geschlechtsidentität durch nichtstaatliche Akteur*innen wie die namibische Bevölkerung ausgesetzt sind und gegen die sie zu schützen der namibische Staat nicht hinreichend willens oder in der Lage ist bzw. gegen die kein interner Schutz zur Verfügung steht.“

Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil eine Gruppenverfolgung von Transfrauen, Transgender oder Transsexuellen in Namibia abgelehnt. Dabei ist es unter Verweis auf die höchstrichterliche Rechtsprechung (BVerwG, Urt. v. 5. Juli 1994 - 9 C 158.94 -, juris Rn. 18 u. Urt. v. 18. Juli 2006 - 1 C 15.05 -, juris Rn. 20) zutreffend davon ausgegangen, dass die Annahme einer Gruppenverfolgung eine bestimmte Verfolgungsdichte voraussetzt. Es ist die Gefahr einer so großen Vielzahl von Eingriffshandlungen in geschützte Rechtsgüter erforderlich, dass es sich dabei nicht mehr nur um vereinzelt bleibende individuelle Übergriffe oder um eine Vielzahl einzelner Übergriffe handelt. Die Verfolgungshandlungen müssen vielmehr im Verfolgungszeitraum und Verfolgungsgebiet auf alle sich dort aufhaltenden Gruppenmitglieder zielen und sich in quantitativer und qualitativer Hinsicht so ausweiten, wiederholen und um sich greifen, dass daraus für jeden Gruppenangehörigen nicht nur die Möglichkeit, sondern ohne weiteres die aktuelle Gefahr eigener Betroffenheit entsteht. Nach Auswertung zahlreicher Erkenntnismittel – u.a. USDOS, Namibia Human Rights Report 2019 vom 11. März 2020; Freedom House, Freedom in the World 2020 - Namibia vom 4. März 2020; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation - Namibia, 12. März 2019; HRC, Report of the Working Group on the Universal Periodic Review vom 14. Juni 2016; UN Committee against torture, Concluding observations on the second periodic report of Namibia* vom 1. Februar 2017; UK Home Office, Country Policy and Information Note - Namibia: Sexual orientation and gender identity and expression, November 2018; The Other Foundation, canaries in the coal mines: An analysis of spaces for LGBTI activism in Namibia, Country Report 2017; Southern Africa Litigation Centre, Laws and Policies Affecting Transgender Persons in Southern Africa, Abschnitt Transgender Rights in Namibia, Juli 2016 – ist das Verwaltungsgericht zu dem Schluss gelangt, dass eine Gruppenverfolgung von Transfrauen, Transgendern oder LGBTI-Personen im Allgemeinen mangels Eingriffsdichte anhand der in das Verfahren einbezogenen Erkenntnismittel in Namibia nicht festzustellen ist (S. 29 des Urteils).

Der Klägerin ist es nicht gelungen, diese Bewertung des Verwaltungsgerichts anhand neuerer Erkenntnismittel in Frage zu stellen. Zwar hat die Klägerin auf zahlreiche Erkenntnismittel verwiesen, die teilweise nicht vom Verwaltungsgericht angeführt worden sind (u.a. Tobias Sauer, Hoffnung für die queere Community in Namibia, Das Rechtssystem atmet immer noch den Geist der Kolonialzeit – Sex zwischen Männern, „Sodomie“ genannt, ist in Namibia strafbar. Aber es geht voran, in: MannschaftMagazin v. 17.4.2019; ILGA, State-sponsored Homophobia, Dez. 2020; Werner Menges, Govt stickst o stance on same-sex marriage, in: Namibian, 3.10.2019; Southern Africa, Trans Diverse Situational Analysis, Accountability to reduce barriers to accessing health-care, 2016; NewEraLive, Namibian queer queen breaks the silence against queerphobia, 17.1.2020), teilweise aktueller als die vom Verwaltungsgericht verwendeten sind (USDOS, Namibia Human Rights Report 2020 vom 30.3.2021; Bericht des Beauftragten für Menschenrechte vor dem Menschenrechtsrat, 18.2.2021, A/HRC/WG.6/38/NAM/3). Allerdings hat die Klägerin nicht aufgezeigt, inwiefern diese Erkenntnismittel die Annahme stützen, dass eine für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreichende Verfolgungsdichte von „LGBT*-Personen“, insb. „trans*identen Frauen“, gegeben ist. Den von der Klägerin vorgelegten Berichten lässt sich entnehmen, dass homosexuelle, transsexuelle und transidente Personen in Namibia heterosexuellen Personen nicht gleichgestellt und im gesellschaftlichen Leben zahlreichen Diskriminierungen ausgesetzt sind. Auch wird von Polizeigewalt berichtet. Allerdings kann den von der Klägerin angeführten Berichten nicht die für eine Gruppenverfolgung erforderliche Verfolgungsdichte entnommen werden. Denn entweder handelt es sich um Schilderungen einzelner Diskriminierungserfahrungen, wie etwa die Aufforderung, ein Taxi wieder zu verlassen, nachdem die Identität als Transfrau wahrgenommen wurde, oder um Berichte systemisch vorkommender Übergriffe, die aber dennoch weder derart häufig noch intensiv sind, dass daraus für jede „LGBT*-Person“ bzw. „trans*idente“ Frau nicht nur auf die Möglichkeit, sondern auf die für eine Gruppenverfolgung erforderliche aktuelle Gefahr eigener asylrechtsrelevanter Verfolgung wegen ihrer Gruppenzugehörigkeit geschlossen werden kann. Eine solche aktuelle Gefahr ist insbesondere nicht angesichts der von der Klägerin behaupteten „50% Gewalterfahrungen durch Polizeibeamte“ anzunehmen. Selbst wenn man davon ausgehen wollte, dass eine 50%-Quote der Erfahrung staatlicher Gewaltanwendung wegen einer bestimmten Gruppenzugehörigkeit für die Annahme einer Gruppenverfolgung ausreichen würde, lässt sich dem von der Klägerin zum Beleg ihrer Behauptung angeführten Erkenntnismittel (Southern Africa, Trans Diverse Situational Analysis, Accountability to reduce barriers to accessing health-care, 2016, https://accountability.international/wp-content/uploads/2019/02/Trans-SIT-Analysis.pdf) eine derartige Quote für Namibia nicht entnehmen. Die Untersuchung betrifft mehrere afrikanische Länder (Simbabwe, Sambia, Swasiland, Namibia und Botswana). Die von der Klägerin vorgelegte Seite 57 der Studie (Anlage 10 des Schriftsatzes vom 19. April 2021) enthält u.a. folgende Aussagen:

„49% (n=156) stated that police officers have harassed them, and sadly 31% reported that they had been physically assaulted by police officers (n=90). Worse still is that 17% or 56 people reported being sexually assaulted by police officers. 23% or 76 people report being held in a police cell because of their being trans diverse or GNC. 31% (n=95) have been denied law enforcement services on the basis on being trans diverse or GNC. Appallingly not only are the police responsible for not protecting trans diverse people, but assaulting and sexually assaulting trans diverse people, and also denying them medical attention when necessary (20%; n=60) and the necessary documentation to access medical attention (17%; n=49). Clearly, the third most important place to begin with any improvement in rights for trans diverse people is to begin to work with the police.“

Eine Differenzierung zwischen den Ländern, auf die sich die Studie erstreckt, fehlt. Auf S. 50 der Studie findet sich die Angabe, dass 114 Personen aus Namibia teilgenommen haben. Ob es sich hierbei überhaupt um eine repräsentative Anzahl handelt, darf angesichts von über 2,3 Millionen Einwohnern in Namibia (Stand 2016, https://de.wikipedia.org/wiki/Namibia#Entwicklung) bezweifelt werden. Werte von 50% und mehr werden im Übrigen bei keinem der abgefragten Kriterien erreicht. Den höchsten Wert erreicht das Kriterium der Belästigung (harassment) durch die Polizei mit 49%. Bloße Belästigung stellt aber offensichtlich keine asylrechtsrelevante Verfolgungshandlung dar. Die anderen Prozentwerte lassen nicht auf die für eine Gruppenverfolgung notwendige Verfolgungsdichte schließen, zumal angesichts der angegebenen Werte davon ausgegangen werden kann, dass bei der Befragung der Studienteilnehmer Mehrfachnennungen möglich waren. Zwar weisen die Studienergebnisse auf eine gewisse Häufigkeit polizeilicher Übergriffe auch oberhalb der bloßen Belästigung hin. Dies genügt indessen nicht, um die aktuelle Gefahr asylrechtsrelevanter Verfolgung allein wegen der Zugehörigkeit zur Gruppe der „LGBT*-Personen“ bzw. „trans*identer“ Frauen für alle Angehörigen dieser Gruppe in Namibia anzunehmen.

Für ebenfalls grundsätzlich bedeutsam hält die Klägerin die weiteren Fragen,

„1. ob eine Menschenrechtsverletzung im Sinne des §3a AsylG oder Art. 3 EMRK oder Art. 8 EMRK vorliegt, wenn eine Personenstandsänderung im Herkunftsland für eine Person trotz Transgeschlechtlichkeit nicht erreichbar ist,

2. ob die für eine begehrte geschlechtliche Personenstandsänderung vorausgesetzte geschlechtsangleichende Operation eine Menschenrechtsverletzung im Sinne des § 3a AsylG oder Art. 3 EMRK darstellt.“

Der ersten der beiden Fragen kommt deshalb keine grundsätzliche Bedeutung zu, weil sie nicht allgemein fallübergreifend geklärt werden kann. Dies gilt auch, wenn man die Frage – wie von der Klägerin gemäß ihren weiteren Ausführungen auch beabsichtigt – nicht auf jedes erdenkliche Herkunftsland, sondern allein auf die Situation in Namibia bezieht. Aus dem sowohl vom Verwaltungsgericht als auch von der Klägerin angeführten Erkenntnismittel Southern Africa Litigation Centre, Laws and Policies Affecting Transgender Persons in Southern Africa, Abschnitt Transgender Rights in Namibia, Juli 2016, Seite 33 f. (https://www.southernafricalitigationcentre.org/wp-content/uploads/2017/08/Transgender-Rights-Booklet.pdf) geht hervor, dass eine geschlechtliche Personenstandsänderung nach Section 7B of the Births, Marriages and Deaths Registration Act 81 of 1963 unter folgenden Voraussetzungen vorgenommen werden kann:

„The Secretary may on the recommendation of the Secretary of Health, alter in the birth register of any person who has undergone a change of sex, the description of the sex of such person and may for this purpose call for such medical reports and institute such investigations as he may deem necessary.“

Über Anträge auf geschlechtliche Personenstandsänderung wird also auf Antrag einzelfallbasiert entschieden. Der Bericht des Southern Africa Litigation Centre legt außerdem nahe, dass Anträge insbesondere dann erfolgreich sind, wenn der medizinische Nachweis über eine geschlechtsangleichende Operation erbracht werden konnte. Auf Seite 34 heißt es:

„The Births, Marriages and Deaths Registration Act does not define,change of sexʹ. The Legal Assistance Centre in Namibia (LAC) reported in 2015 that applications in terms of section 7B are done on a case-by-case basis and are not problematic – as long as a person can provide medical reports of their sex change.“

Danach kann eine Personenstandsänderung in Namibia immer dann unproblematisch durchgesetzt werden, wenn eine geschlechtsangleichende Operation durchgeführt worden ist. Ob auch andere Methoden – etwa eine rein hormonelle Geschlechtsangleichung – ebenfalls als „change of sex“ anerkannt werden, lässt sich dem angeführten Erkenntnismittel nicht entnehmen, ist aber auch nicht auszuschließen. Ob eine transgeschlechtliche Person willens ist und über ausreichende finanzielle Mittel und Kontakte verfügt, um einen in den Augen der namibischen Behörden ausreichenden „change of sex“ durchzuführen und damit eine Personenstandsänderung durchzusetzen, ist eine Frage des jeweiligen Einzelfalls, die keiner allgemeinen Klärung zugänglich ist.

Die zweite der beiden Fragen, ob die für eine begehrte geschlechtliche Personenstandsänderung vorausgesetzte geschlechtsangleichende Operation eine Menschenrechtsverletzung im Sinne des § 3a AsylG oder Art. 3 EMRK darstellt, ist für das vorliegende Verfahren nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsbedürftig.

Die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft nach § 3 ff. AsylG – wie auch des subsidiären Schutzes nach § 4 AsylG und eines nationalen Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG – setzt voraus, dass dem Asylsuchenden eine Rechtsgutverletzung von erheblichem Gewicht bei der Rückkehr in das Herkunftsland konkret droht. Der faktische Zwang zur Durchführung einer geschlechtsangleichenden Operation als Voraussetzung einer begehrten geschlechtlichen Personenstandsänderung würde die Klägerin allerdings bei ihrer Rückkehr nach Namibia nicht konkret mit einer erheblichen Rechtsgutverletzung bedrohen, weil sie selbst diese Operation gerade wünscht.

In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (Beschl. v. 11.1.2011 - 1 BvR 3295/07 -, BVerfGE 128, 109 Rn. 71 ff.) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR, Urt. v. 6.4.2017 – 79885/12, 52471/13, 52596/13- A.P., Garçon u. Nicot./.Frankreich, NJOZ 2018, 1672, Rn. 131 f.) ist anerkannt, dass eine Verpflichtung zur operativen Geschlechtsangleichung nicht zuletzt wegen der damit verbundenen Sterilität als Voraussetzung für die staatliche Anerkennung der Geschlechtsidentität von Trans-Personen eine Verletzung der Grundrechte auf sexuelle Selbstbestimmung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG) und körperliche Unversehrtheit (Art. 2 Abs. 2 GG) bzw. eine Verletzung von Art. 3 und Art. 8 EMRK darstellt. Die Grund- bzw. Menschenrechtsverletzung liegt dabei darin, dass die geschlechtsangleichende Operation die unbedingte Voraussetzung für die personenstandsrechtliche Anerkennung darstellt (BVerfG, a.a.O., Rn. 71) bzw. dass die Anerkennung der Geschlechtsidentität von Transgendern von einer nicht gewünschten Operation oder Behandlung abhängig gemacht wird (EGMR, a.a.O, Rn. 131). In Fällen, in denen die geschlechtsangleichende Operation von der betroffenen Person indessen gerade erwünscht ist und angestrebt wird, vermag der Senat nicht zu erkennen, inwiefern eine solche Anforderung eine transgeschlechtliche Person erheblich in ihren Grund- und Menschenrechten verletzt.

Aus dem Urteil des Verwaltungsgerichts und dem Vortrag der Klägerin im Gerichtsverfahren ergibt sich eindeutig, dass es dem Wunsch der Klägerin entspricht, eine operative Geschlechtsangleichung durchzuführen. Das Verwaltungsgericht hat in seinem Urteil festgestellt, dass die Klägerin sich für eine Einreise nach Deutschland mit einem Visum entschieden habe, um in ein Land zu gelangen, in dem Geschlechtsangleichungen und zugehörige Behandlungen von der Krankenkasse abgedeckt werden können. Diese Feststellung hat der Senat seiner Entscheidung über den Berufungszulassungsantrag zugrunde zu legen, da sie nicht mit Verfahrensrügen erfolgreich angegriffen worden ist. Sie steht auch im Einklang mit den eigenen Angaben der Klägerin während des gesamten gerichtlichen Verfahrens. So hat die Klägerin in ihrer Anhörung während der mündlichen Verhandlung des Verwaltungsgerichts am 15. März 2021 ausgesagt, dass ihr die Transition sehr wichtig sei; dabei gehe es um die Einnahme von Hormonen und auch eine geschlechtsangleichende Operation. Im Bericht über die psychotherapeutische Behandlung der Klägerin vom 30. Dezember 2019, den die Klägerin im erstinstanzlichen Verfahren dem Gericht vorgelegt hat, steht, sie befürchte, dass man ihr die „Transition“ ausreden könne, weil sie psychisch krank und damit womöglich nicht zurechnungsfähig sei, was natürlich nicht der Fall sei. Da es den ausdrücklichen Wunsch der Klägerin darstellt, sich einer operativen und hormonellen Geschlechtsumwandlung zu unterziehen, ist eine erhebliche Verletzung ihrer Grund- und Menschenrechte selbst dann nicht zu befürchten, wenn eine geschlechtliche Personenstandsänderung in Namibia eine operative Geschlechtsumwandlung unbedingt erfordern sollte.

Überdies hat die Klägerin nicht ausreichend dargelegt, dass eine operative Geschlechtsumwandlung unbedingte Voraussetzung für eine geschlechtliche Personenstandsänderung nach namibischem Recht ist. Wie bereits aufgezeigt, wird über Anträge auf Personenstandsänderung nach Section 7B of the Births, Marriages and Deaths Registration Act 81 of 1963 einzelfallbezogen entschieden. Dabei werden Anträge regelmäßig dann bewilligt, wenn der Betroffene den Nachweis über die Durchführung einer geschlechtsangleichenden Operation erbringen kann. Dem von der Klägerin zu diesem Punkt vorgelegten Erkenntnismittel Southern Africa Litigation Centre, Laws and Policies Affecting Transgender Persons in Southern Africa, Abschnitt Transgender Rights in Namibia, Juli 2016, Seite 33 f. kann indessen nicht entnommen werden, dass es völlig ausgeschlossen ist, eine Personenstandsänderung auch ohne geschlechtsangleichende Operation durchzusetzen. Die erforderliche Voraussetzung „change of sex“ ist nicht abschließend definiert. Möglicherweise können auch andere Formen der Geschlechtsumwandlung, etwa die ausschließliche Durchführung einer Hormontherapie, im Einzelfall als ausreichender Beleg für einen „change of sex“ angesehen werden. Dafür sprechen insbesondere die vom Verwaltungsgericht herausgearbeiteten gesellschaftlichen Fortschritte der Anerkennung von Trans-Personen in Namibia, deren punktuelle Existenz auch die Klägerin nicht in Abrede stellt.

Der von der Klägerin geltend gemachte Gehörsverstoß (§§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylG i.V.m. 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Das Recht auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG) verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Als Prozessgrundrecht soll es sicherstellen, dass die gerichtliche Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, die ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und mangelnder Berücksichtigung des Sachvortrags eines Beteiligten haben (vgl. nur BVerwG, Beschl. v. 18.2.2021 - 1 B 9.21 -, juris Rn. 4 m.w.N.). Der Verpflichtung zur Gewährung rechtlichen Gehörs ist das Verwaltungsgericht nachgekommen, indem es sich mit dem Vorbringen der Klägerin im Klageverfahren auseinandergesetzt und dieses umfassend gewürdigt hat. Dass es Teile des Vorbringens der Klägerin für unglaubhaft gehalten und die Gefährdungslage bei einer Rückkehr in das Herkunftsland anders als die Klägerin beurteilt hat, stellt keinen Gehörsverstoß dar.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 83b AsylG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).