Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 11.07.2017, Az.: 11 LC 222/16

Löschung; Löschungsanspruch; Mischdatei; NIVADIS; Nivadis; personenbezogene Daten; Suchzweck; Vorgangsbearbeitung; Vorgangsbearbeitungssystem; Vorgangsverwaltung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
11.07.2017
Aktenzeichen
11 LC 222/16
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2017, 53956
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 22.09.2016 - AZ: 10 A 3392/12

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Ein Anspruch auf Löschung personenbezogener Daten aus dem VBS NIVADIS, die sich bereits anonymisiert im Archiv des VBS NIVADIS befinden und daher nur noch zu Zwecken der Vorgangsverwaltung und Dokumentation behördlichen Handelns und nicht mehr zum Zweck der Verhütung von Straftaten genutzt werden können, ergibt sich weder aus § 39 a Nds. SOG noch aus § 17 Abs. 2 NDSG.

Tenor:

Das Verfahren wird eingestellt, soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben. Insoweit wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 22. September 2016 für unwirksam erklärt.

Das Berufungsverfahren wird eingestellt, soweit der Kläger Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 22. September 2016 eingelegt hat.

Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - Einzelrichter der 10. Kammer - vom 22. September 2016 zum Teil geändert. Die Klage wird auch insoweit abgewiesen, als der Kläger die Löschung seiner personenbezogenen Daten aus allen Einträgen zu den Vorgängen Nr. 200701186999, 200701187065, 200701802996, 200701803702, 201200460089, 201300230475, 201300600847 und 201600256344 aus dem Vorgangsbearbeitungssystem (VBS) NIVADIS beantragt hat.

Der Kläger trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Beklagte zuvor Sicherheit in derselben Höhe leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand:

Der Kläger begehrte die Löschung der zu seiner Person gespeicherten Daten aus Datenbeständen der Polizei, insbesondere aus dem polizeilichen Vorgangs- und Bearbeitungssystem (VBS) NIVADIS und der zu seiner Person geführten Kriminalakte. Im Berufungsverfahren geht es noch um die Frage, ob der Kläger einen Anspruch auf Löschung von personenbezogenen Daten betreffend die Einträge zu (nunmehr noch) insgesamt acht (ursprünglich: neun) Vorgängen aus dem VBS NIVADIS hat.

Die Beklagte betreibt das elektronische Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS (Niedersächsisches Vorgangsbearbeitungs-, Analyse-, Dokumentations- und Informationssystem). Hierbei handelt es sich um ein informationstechnisches System für die Vorgangsbearbeitung. Als Informationsobjekte sieht die Verfahrensbeschreibung sowohl objektive Eigenschaften von Personen (Name, Wohnort, Straße) oder Sachen (Pkw, Lkw, Waffe etc.) als auch ereignisbezogene Einschätzungen der Polizei (Täter, Beschuldigter, Verursacher, Zeuge, Opfer etc.) vor. Die Informationsobjekte werden einzeln in einer großen Datenbank gespeichert und durch relationale Verknüpfungen zu Datensätzen zusammengeführt. Die Bedienung dieser Datenbank erfolgt über eine Benutzerschnittstelle mit einem Übersichtsbildschirm, der die eigenen Vorgänge des Benutzers und seiner Gruppe, den Verlauf bearbeiteter Vorgänge und ein Navigationsmenü zeigt. Der Grund der Recherche ist anzugeben. Der Zugriff wird protokolliert. Zu NIVADIS gehört auch ein Verfahren, das für die Auswertung, Analyse und Recherche zur Verfügung steht (NIVADIS-Auswertung).

Der Kläger ist 1986 geboren und seit dem Jahr 1999 mehrfach und in verschiedener Weise polizeilich in Erscheinung getreten. Beim Zentralen Kriminaldienst der Beklagten wird über den Kläger eine Kriminalakte geführt, die polizeiliche Erkenntnisse umfasst. Am 5. November 2005 war im Polizeikommissariat D. die erkennungsdienstliche Behandlung des Klägers angeordnet und unmittelbar durchgeführt worden. Auf Beschluss des Landgerichts E. vom 27. November 2008 wurden dem Kläger Körperzellen zur Analyse und Speicherung seines DNA-Identifizierungsmusters entnommen. Eine weitere Entnahme von Körperzellen zur Bestimmung des DNA-Identifizierungsmusters erfolgte auf Anordnung der Beklagten am 27. April 2016.

Mit Schreiben vom 13. November 2011 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Löschung aller personenbezogenen Daten. Anlass war eine polizeiliche Personenkontrolle am 12. November 2011, bei der dem Kläger nach seinen Angaben vorgehalten worden sei, dass er als Drogenhändler bekannt sei. Der Kläger begehrte außerdem Auskunft über Grund und Zweck der Kontrolle. Die Beklagte übersandte daraufhin einen Auszug über den zur Kontrolle am 12. November 2011 im polizeilichen Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS gespeicherten Datensatz. Mit Bescheid vom 20. März 2012 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Löschung ab.

Der Kläger hat am 23. April 2012 Klage erhoben. Zur Begründung hat er die Rechtmäßigkeit der Speicherung seiner personenbezogenen Daten bezweifelt. Eine weitere Speicherung der Daten benachteilige ihn unverhältnismäßig. Bei jeder polizeilichen Kontrolle entstehe der unberechtigte Eindruck, er hätte mit Betäubungsmitteln gehandelt oder handele auch zurzeit noch mit diesen. Die Beklagte berufe sich zu Unrecht auf ein durch Einstellung des Verfahrens gemäß § 153 a StPO abgeschlossenes Ermittlungsverfahren wegen unerlaubten Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge. Überdies lägen die ihm in der Vergangenheit zur Last gelegten strafrechtlich relevanten Vorfälle zeitlich lange zurück, zumal er seinerzeit noch Jugendlicher und Heranwachsender gewesen sei.

Nach dem im erstinstanzlichen Verfahren zuletzt mitgeteilten Stand waren zu insgesamt 41 Ereignissen personenbezogene Daten des Klägers in der Kriminalakte und/oder im VBS NIVADIS gespeichert. In diesen Einträgen wurde der Kläger entweder als Beschuldigter, Gefährder, überprüfte Person, Zeuge oder Opfer geführt. In der Kriminalakte befand sich weiterhin die Durchschrift einer Mitteilung der Stadt D. über die Anzeige des Klägers über den Verlust seines Personalausweises vom 20. Dezember 2012 und die Dokumentationen der Entnahme von Körperzellen zur Analyse und Speicherung seines DNA-Identifizierungsmusters.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung ihres Bescheides vom 20. März 2012 zu verpflichten, sämtliche personenbezogenen Daten zu seiner Person zu löschen, deren Speicherung unzulässig ist, insbesondere die Daten aus

a) dem Verfahren des AG D. F. und alle Daten, die sich auf ein angebliches unerlaubtes Handeltreiben mit Betäubungsmitteln beziehen,

b) dem Verfahren G.

c) dem Verfahren der Staatsanwaltschaft Hannover H..

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen,

und im Wesentlichen angeführt, ein Anspruch auf Vernichtung der erkennungsdienstlichen Unterlagen über den Kläger und Löschung aller Daten, die sie über den Kläger gespeichert habe, bestehe nicht. Der Kläger sei in der Vergangenheit wiederholt, insbesondere durch Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, strafrechtlich in Erscheinung getreten. Die letzten Erkenntnisse über den Kläger lägen noch nicht so weit zurück, dass insbesondere weitere Betäubungsmitteldelikte mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden könnten. Ungeachtet dessen bestehe gegen den Kläger trotz der Einstellung der strafrechtlichen Ermittlungsverfahren jeweils weiterhin ein Restverdacht. In der Gesamtheit rechtfertigten alle bekannt gewordenen strafrechtlich relevanten Vorgänge eine weitere Datenspeicherung.

Mit Urteil vom 22. September 2016 hat das Verwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, die Durchschrift der Verlustanzeige über den Personalausweis des Klägers vom 20. Dezember 2012 aus dessen Kriminalakte zu entfernen und im VBS NIVADIS die personenbezogenen Daten des Klägers aus neun Einträgen zu näher bezeichneten Vorgängen (Nrn. 200701186999, 200701187065, 200701802996, 200701803702, 201100973782, 201200460089, 201300230475, 201300600847 und 201600256344) zu löschen. Im Übrigen hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Klage sei als Verpflichtungsklage zulässig, habe aber nur zum geringen Teil Erfolg. Der Kläger habe einen Anspruch auf die Entfernung von einzelnen Inhalten der zu seiner Person geführten elektronischen Kriminalakte und der näher bezeichneten personenbezogenen Daten aus den Vorgängen der Beklagten im VBS NIVADIS, weil diese Speicherung rechtswidrig sei. Die Speicherung der übrigen personenbezogenen Daten des Klägers dagegen sei rechtmäßig. Zur Begründung hat das Verwaltungsgericht ausgeführt:

Der Kläger habe keinen Anspruch auf die Vernichtung der zu seiner Person angefertigten und aufbewahrten erkennungsdienstlichen Unterlagen. Er sei seit seiner Jugend regelmäßig polizeilich in Erscheinung getreten. Insbesondere seien bei dem Kläger mehrfach Betäubungsmittel aufgefunden worden. Dieser Sachverhalt begründe unter Berücksichtigung der bei Betäubungsmitteldelikten generell bestehenden hohen Rückfallwahrscheinlichkeit die Annahme, dass er in Zukunft unerlaubt Betäubungsmittel erwerben werde. Der präventiven Arbeit der Polizei komme gerade bei der Bekämpfung der Drogenkriminalität eine besondere Bedeutung zu. Erkennungsdienstliche Unterlagen seien insoweit geeignet, sowohl die Identifizierung von Dealern als auch von Rauschmittelabnehmern zu fördern und damit zur Eindämmung und Aufklärung entsprechender Straftaten beizutragen.

Die Eintragungen in der Kriminalakte seien ebenfalls rechtmäßig. In diesen Fällen habe gegen den Kläger ein Tatverdacht bestanden und es sei zu befürchten, dass er weitere vergleichbare Straftaten begehen werde. Die Voraussetzungen für die Speicherung der Anzeige des Klägers gegenüber der Stadt D. über den Verlust seines Personalausweises in der Kriminalakte seien hingegen nicht gegeben. In diesem Zusammenhang sei weder gegen den Kläger ein Strafverfahren eingeleitet worden, noch sei die Speicherung der Verlustanzeige zur Gefahrenabwehr erforderlich.

Ein Anspruch des Klägers auf Löschung seiner personenbezogenen Daten aus dem VBS NIVADIS sei nur zum geringen Teil gegeben. Anspruchsgrundlage sei zwar nicht § 39 a Satz 1 Nds. SOG, weil die Speicherung zum Zwecke der Vorgangsverwaltung und Dokumentation polizeilichen Handelns weiterhin erforderlich sei und die Speicherung nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats einem der in den §§ 38 und 39 Nds. SOG genannten Zwecke diene. Vielmehr sei der Löschungsanspruch an den Voraussetzungen der §§ 17 Abs. 2 Nr. 1, 2 Abs. 6 NDSG i. V. m. §§ 48, 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG zu messen. Hiernach seien personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig sei. Bei dem für diese Frage anzuwendenden Maßstab sei nach § 39 Abs. 3 Satz 1 und Satz 2 Nds. SOG zu differenzieren. Soweit die Polizei personenbezogene Daten im Rahmen der Verfolgung von Straftaten rechtmäßig erhoben oder erlangt habe, dürfe sie nach Satz 1 dieser Bestimmung solche Daten zu Zwecken der allgemeinen Gefahrenabwehr speichern, verändern und nutzen. Erhöhte Anforderungen bestünden nach Satz 2 dieser Norm, wenn diese Daten für den besonderen Zweck der Verhütung von Straftaten gespeichert, verändert oder genutzt würden. Dieser Zweck setze voraus, dass eine Speicherung, Veränderung oder Nutzung wegen der Art, Ausführung oder Schwere der Tat sowie der Persönlichkeit der tatverdächtigen Person zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten dieser Person erforderlich sei. In Zweifelsfällen seien an die weitere Speicherung die jeweils höchsten in Frage kommenden rechtlichen Anforderungen zu stellen. Unerheblich sei in diesem Zusammenhang, dass nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats die Speicherung personenbezogener Daten zum Zweck der Vorgangsverwaltung und Dokumentation einem zulässigen Zweck der allgemeinen Gefahrenabwehr im Sinne des § 38 Abs. 1 Nds. SOG diene. Da das VBS NIVADIS auch zur Verhütung von Straftaten betrieben werde, bestimme sich der rechtliche Maßstab für die weitere Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers nach den strengeren Maßgaben des § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG. Ausgehend von diesem Maßstab erweise sich die Speicherung jener Vorgänge als rechtmäßig, bei denen zugleich die inhaltlich identischen Anforderungen der Speicherung in der Kriminalakte erfüllt seien. Rechtmäßig sei zudem die Speicherung der personenbezogenen Daten zu Vorgängen, bei denen ein Restverdacht die Prognose i. S. d. § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG trage. Gleiches gelte für den Fall, in dem der Kläger zwar lediglich als Zeuge geführt werde, aber an dem Kommunikationsvorgang hinsichtlich des Handels mit Betäubungsmitteln (als möglicher Abnehmer) beteiligt gewesen sei. Insofern sei es nach § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG tragfähig, zur Verhütung künftiger Straftaten der dort beschuldigten Personen auch personenbezogene Daten des Klägers als eines Dritten zu speichern. Es bestehe ein berechtigtes polizeiliches Interesse, im Bereich der Betäubungsmittelkriminalität auch Abnehmer zu ermitteln und dadurch Erkenntnisse über das Beziehungsgeflecht der handelnden Personen zu erlangen. Zudem sei der Kläger regelmäßig selbst als Konsument und als Handeltreibender in Erscheinung getreten.

Eine die Speicherung personenbezogener Daten rechtfertigende Prognose könne hingegen nicht in den - vom Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils im Einzelnen aufgeführten - (zehn) Fällen (neben den bereits genannten Vorgängen auch dem Vorgang Nr. 201201475476) angestellt werden, in denen der Kläger ausschließlich als Zeuge oder Geschädigter erfasst worden sei. In diesen Fällen sei der Kläger Dritter im Sinne des § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG. Es bedürfe daher der besonderen Darlegung, dass zur Verhütung von vergleichbaren künftigen Straftaten der tatverdächtigen Personen auch die Speicherung der personenbezogenen Daten des Klägers erforderlich sei. Hierfür sei bei den betreffenden Vorgängen trotz der erkennbaren Neigung des Klägers zur Delinquenz nichts erkennbar.

Gegen dieses Urteil haben sowohl die Beklagte hinsichtlich der im VBS NIVADIS zu löschenden Vorgänge als auch zunächst der Kläger die von dem Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Der Kläger hat seine Berufung mit Schriftsatz vom 3. April 2017 zurückgenommen.

Während des Berufungsverfahrens hat die Beklagte mitgeteilt, dass im VBS NIVADIS der Vorgang Nr. 201100973782 (lfd. Nr. 17 der Zusammenstellung des erstinstanzlichen Urteils) gelöscht worden sei. Aufgrund der Löschung des Vorgangs haben die Beteiligten den Rechtsstreit insoweit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt. Zur Begründung ihrer Berufung vertieft und ergänzt die Beklagte ihr erstinstanzliches Vorbringen. Die personenbezogenen Daten des Klägers in den im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vorgängen seien im Rahmen der Verfolgung von Straftaten im Sinne des § 39 Abs. 3 Nds. SOG rechtmäßig erhoben worden. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts sei für die weitere Speicherung dieser Daten nicht der strengere Maßstab des § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG anzuwenden. Das Verwaltungsgericht verkenne, dass sie diese Daten ausschließlich zur Dokumentation polizeilichen Handelns und zur Vorgangsverwaltung gespeichert habe und nicht für die Zwecke der Straftatenverhütung. In sieben Vorgängen seien die personenbezogenen Daten des Klägers bereits anonymisiert und daher weder über die Suche im VBS NIVADIS zum Zweck der Strafverfolgung, Gefahrenabwehr und Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten (OWi) noch im IT-Verfahren NIVADIS-Auswertung auffindbar. Da diese Vorgänge weder Eingang in die Kriminalakte gefunden hätten noch die personenbezogenen Daten des Klägers für Auswertezwecke in NIVADIS-Auswertung zur Verfügung stünden, habe sie die Daten des Klägers entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts nicht für Zwecke der Verhütung von Straftaten gespeichert. Deshalb bedürfe es auch keiner Prüfung der Erforderlichkeit der Speicherung der Daten des Klägers für diesen Zweck. Lediglich in dem Vorgang Nr. 201300600847 (lfd. Nr. 28) seien dessen personenbezogenen Daten noch nicht anonymisiert. Dieser Vorgang sei nicht in der Kriminalakte des Klägers gespeichert. Er stehe noch für einen gewissen Zeitraum für Auswertezwecke zur Verfügung. Die Berechtigung für eine derartige Speicherung ergebe sich aus § 39 Abs. 3 Satz 4 Nds. SOG i. V. m. § 31 Abs. 2 Nr. 5 Nds. SOG, weil der Kläger als Person geführt werde, die zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen könne.

Die Beklagte beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts zu ändern und die Klage auch hinsichtlich des Antrages abzuweisen, die personenbezogenen Daten des Klägers aus allen Einträgen zu den Vorgängen 200701186999 (lfd. Nr. 13), 200701187065 (lfd. Nr. 11), 200701802996 (lfd. Nr. 12), 200701803702 (lfd. Nr. 14), 201200460089 (lfd. Nr. 22), 201300230475 (lfd. Nr. 26), 201300600847 (lfd. Nr. 28) und 201600256344 (lfd. Nr. 33) im VBS NIVADIS zu löschen.

Der Kläger beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Er bezieht sich auf seine Ausführungen in erster Instanz und verteidigt das angefochtene Urteil.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Soweit die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das Verfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und das Urteil des Verwaltungsgerichts gemäß §§ 173 Satz 1 VwGO, 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO insoweit für unwirksam zu erklären. Soweit der Kläger seine Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zurückgenommen hat, ist das Berufungsverfahren in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen. Die zulässige Berufung der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Verwaltungsgerichts ist daher abzuändern und die Klage des Klägers ist auch hinsichtlich des im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Umfangs abzuweisen.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf Löschung der über ihn in dem VBS NIVADIS gespeicherten personenbezogenen Daten in den im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vorgängen (Vorgangs Nr. 200701186999, 200701187065, 200701802996, 200701803702, 201200460089, 201300230475, 201300600847 und 201600256344). Die Ablehnung der Löschung dieser Vorgänge, teilweise durch die Beklagte unter dem 20. März 2012 beschieden, ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 und 5 VwGO).

Da es im Berufungsverfahren maßgeblich auf den Entscheidungsausspruch des Verwaltungsgerichts in dem angefochtenen Urteil und den hierauf bezogenen Berufungsantrag der Beklagten ankommt (vgl. hierzu Seibert, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, 124 a, Rdnr. 84 m. w. N.), ist unerheblich, dass das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen des Urteils über die im Tenor ausgeurteilten Vorgänge unter der Nummer 201201475476 (lfd. Nr. 24) einen weiteren Vorgang bezeichnet hat, der zu löschen ist. Tritt - wie hier - ein Widerspruch zwischen Tenor und Entscheidungsgründen auf, geht der Tenor der gerichtlichen Entscheidung vor (Lambiris, in: Posser/Wolff, VwGO, 2. Aufl. 2014, § 117, Rdnr. 9 m. w. N.).

1. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass sich ein Anspruch des Klägers auf Löschung seiner personenbezogenen Daten aus dem VBS NIVADIS nicht aus § 39 a Satz 1 Nds. SOG ergibt.

Hiernach sind - unter dem Vorbehalt, dass die Ausnahmetatbestände des Satzes 2 dieser Vorschrift nicht eingreifen - personenbezogene Daten, deren Speicherung, Veränderung oder Nutzung zu einem der in den §§ 38 und 39 Nds. SOG genannten Zwecke nicht mehr erforderlich ist, zu löschen. Mit dem Verwaltungsgericht geht der Senat davon aus, dass die Speicherung der noch streitgegenständlichen Vorgänge zum Zweck der Vorgangsverwaltung und Dokumentation weiterhin erforderlich ist.

In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass es sich bei dem VBS NIVADIS um eine sogenannte Mischdatei im Sinne von § 483 Abs. 3 StPO handelt, dessen Datenbestand der Verfolgung repressiver und präventiver Aufgabenstellungen dient (Senatsurt. v. 30.1.2013 - 11 LC 470/10 -, NdsVBl. 2013, 248, juris, Rdnr. 39 m. w. N.; Senatsbeschl. v. 8.8.2008 - 11 LA 194/08 -, NdsVBl. 2008, 323, juris, Rdnr. 8 f.). Dies hat zur Folge, dass als Rechtsgrundlage für einen Löschungsanspruch nicht § 489 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StPO, sondern über § 483 Abs. 3 StPO die Vorschrift des § 39 a Nds. SOG maßgeblich ist. Weiterhin ist geklärt, dass die Speicherung personenbezogener Daten im VBS NIVADIS auch zum Zweck der Vorgangsverwaltung und Dokumentation vorgenommen wird und zur Erfüllung polizeilicher Aufgaben erforderlich ist. Zur Aufgabenerfüllung im Sinn des § 38 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG gehört auch die Vorgangsverwaltung. Hierunter sind Tätigkeiten zu verstehen, die dem Nachweis des Eingangs, der Bearbeitung, des Ausgangs und des Verbleibs von Vorgängen dienen. Sie erfasst alle Datenverarbeitungsvorgänge, die typischerweise mit einer „Veraktung“ verbunden sind. Bei der Vorgangsverwaltung handelt es sich um einen eigenständigen Zweck nach § 38 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG (Senatsurt. v. 30.1.2013 - 11 LC 470/10 -, a. a. O., juris, Rdnr. 40 m. w. N.; Senatsbeschl. v. 8.8.2008 - 11 LA 194/08 -, a. a. O., juris, Rdnr. 10 f.). Die Verwendung der Daten im VBS NIVADIS zu diesem Zweck wird mit dem Begriff der Aufgabenerfüllung hinreichend bereichsspezifisch, präzise und normenklar umrissen, sodass insoweit auch den verfassungsrechtlichen Anforderungen genügt ist (Senatsurt. v. 30.1.2013 - 11 LC 470/10 -, a. a. O., juris, Rdnr. 41 ff. m. w. N

Von diesen Grundsätzen geht auch das Verwaltungsgericht aus, soweit es ausführt, dass sich ein Anspruch auf Löschung der persönlichen Daten des Klägers nicht bereits aus § 39 a Satz 1 Nds. SOG ergebe. Am Ende seiner Ausführungen stellt das Verwaltungsgericht klar, dass die Beklagte nicht verpflichtet ist, die betroffenen Vorgänge „insgesamt“ zu löschen, sondern insoweit die personenbezogenen Daten des Klägers über die bloße Zugriffssteuerung hinaus „grundlegend anonymisieren“ müsse, da der allgemein-polizeiliche Zweck der Vorgangsverwaltung und der Dokumentation die weitere Speicherung trage.

2. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts ergibt sich ein Anspruch des Klägers auf Löschung seiner im Berufungsverfahren noch zu überprüfenden personenbezogenen Daten aus dem VBS NIVADIS nicht aus §§ 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 Abs. 6 NDSG in Verbindung mit § 48, 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG. Nach § 17 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 NDSG sind personenbezogene Daten zu löschen, wenn ihre Speicherung unzulässig ist.

Bei dem Vorgangsbearbeitungssystem NIVADIS handelt es sich - wie ausgeführt - zwar um eine sogenannte Mischdatei, in der personenbezogene Daten gespeichert, verändert oder genutzt werden, soweit dies nicht nur für Zwecke des Strafverfahrens nach § 483 Abs. 1 StPO (repressiver Zweck) erforderlich ist, sondern auch dann, wenn die Daten für die den Polizeibehörden des Landes obliegende Gefahrenabwehr (präventiver Zweck) erforderlich sind. Entgegen der Ansicht des Verwaltungsgerichts folgt hieraus aber nicht, dass für die weitere Speicherung der hier streitgegenständlichen Datenbestände im VBS NIVADIS der strengere Maßstab des § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG statt der des Satzes 1 dieser Vorschrift anzuwenden ist. Dies ergibt sich aus Folgendem:

NIVADIS umfasst die IT-Verfahren VBS NIVADIS und NIVADIS-Auswertung. Im Fall der Beendigung der strafrechtlichen Ermittlungen durch die Polizei wird der Vorgang abgeschlossen und „endabgegeben“. Ein derartiger endabgegebener Vorgang erreicht grundsätzlich den Status „archiviert“. Eine Ausnahme besteht dann, wenn der endabgegebene Vorgang der Art „Straftat“ („ST“) mindestens einen Tatverdächtigen besitzt. Dann wird dieser Vorgang erst archiviert, wenn bei allen Beschuldigten der Verfahrens-ausgang eingetragen worden ist. Der abgeschlossene Vorgang wird als Nachweis zum Zweck der Dokumentation und Vorgangsverwaltung in das Archiv des VBS NIVADIS übernommen. Sucht ein Anwender im VBS NIVADIS nach dem Vorgang, muss er aus datenschutzrechtlichen Gründen ein berechtigtes Interesse an der Datenabfrage für den anzugebenden Zweck haben und den Grund seiner Suche nennen.

Bei der Suche stehen drei Zwecke (Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/OWi-Verfolgung als Regelfall, Vorgangsnachweis/-verwaltung/Dokumentation behördlichen Handelns und zweckdurchbrechende Maßnahme) zur Auswahl. Im Fall der Archivierung des Vorgangs erhält der Anwender in allen drei Varianten einen Hinweis zur Beachtung datenschutzrechtlicher Bestimmungen. Wenn der Anwender zum Zweck der „Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/-OWi-Verfolgung“ sucht, werden bei Eintrag einer Personalie als Suchbegriff alle nicht gesperrten Vorgänge aufgelistet, in denen die Person erfasst ist. Handelt es sich hingegen um bereits archivierte Vorgänge, zeigt das System weder die personenbezogenen Daten noch die Rolle der Person in dem Ereignis an. Des Weiteren ist eine Navigation zum kompletten Vorgang nicht möglich. Im VBS NIVADIS erscheint in diesem Fall lediglich eine Übersicht mit den Vorgangsgrunddaten. Hieraus kann der Anwender lediglich den Schluss ziehen, dass der Betroffene mit dem dargestellten Sachverhalt in irgendeiner Weise in Verbindung steht. Ein Zugriff auf die personenbezogenen Daten einschließlich seiner „Rolle“ (Beschuldigter, Täter, Zeuge, Anzeigeerstatter, Geschädigter, Ansprechpartner usw.) ist für diesen Suchzweck mithin nicht möglich. Eine Einsichtnahme des Vorgangs ist nur über die Suchfunktion „Vorgangsnachweis/-verwaltung/Dokumentation behördlichen Handelns“ möglich oder als „zweckdurchbrechende Maßnahme“ im Sinne des § 39 Abs. 2 Nds. SOG.

Hieraus folgt: Die im IT-Verfahren VBS NIVADIS erfassten personenbezogenen Daten werden im Verfahren NIVADIS-Auswertung für die Auswertung, Analyse und Recherche zwar grundsätzlich zur Verfügung gestellt. Für Personen, die - wie hier im Fall des Klägers hinsichtlich der im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen Vorgänge - nicht als Beschuldigter oder Tatverdächtiger geführt werden, speichert das VBS NIVADIS regelmäßig das Tagesdatum der Datensatzerstellung automatisiert als Anonymisierungsdatum. Eine Veränderung dieses Datums ist durch den Sachbearbeiter nur mit Begründung möglich. Mit dem Erreichen der Anonymisierungsfrist im VBS NIVADIS stehen personenbezogene Daten im System NIVADIS-Auswertung nicht mehr zur Verfügung. Es werden nicht wieder herstellbar die Attribute zum Familiennamen, Vornamen und Geburtsnamen durch das Zeichen * ersetzt. Das Geburtsdatum und die Hausnummer der Wohnanschrift werden ersatzlos gelöscht. Aufgrund dieser Anonymisierung können die Daten nicht mehr zum Zwecke der Verhütung von Straftaten einer konkreten Person verwendet werden.

Die im Berufungsverfahren noch streitgegenständlichen personenbezogenen Daten des Klägers sind - bis auf eine Ausnahme - bereits in der beschriebenen Weise anonymisiert worden und daher weder über die Suche in VBS NIVADIS zum Zweck der „Strafverfolgung/Gefahrenabwehr/OWi-Verfolgung“ noch im Verfahren NIVADIS-Auswertung auffindbar. Auch in der von der Beklagten über den Kläger geführten Kriminalakte sind sie nicht aufgeführt. Daher trifft die Annahme des Verwaltungsgerichts, diese Daten würden für die Zwecke der Verhütung von Straftaten gespeichert, sodass der strengere Prüfungsmaßstab des § 39 Abs. 3 Satz 2 Nds. SOG einschlägig sei, nicht zu. Ein Löschungsanspruch der personenbezogenen Daten des Klägers hinsichtlich dieser Vorgänge besteht mithin nicht.

Gleiches gilt für den Vorgang Nr. 201300600847 (lfd. Nr. 28). Die personenbezogenen Daten des Klägers in diesem Vorgang sind noch nicht anonymisiert. Sie stehen nach Angaben der Beklagten noch bis zum 5. August 2018 zum Zweck der Auswertung im System NIVADIS-Auswertung zur Verfügung. Die Speicherung der personenbezogenen Daten dieses Vorgangs ist nicht rechtswidrig. Der Kläger wird in diesem Vorgang als Zeuge geführt, der „zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen“ könne. Nach dem diesem Vorgang, der in VBS NIVADIS als Straftat („ST“) gespeichert ist, zugrundeliegenden Sachverhalt hatte ein Dritter („Beschuldigter“) den Wohnungsinhaber am 20. Mai 2013 mit Worten bedroht und sich mit drei weiteren Gästen im Anschluss aus der Wohnung entfernt. Kurz darauf hatte der Wohnungsinhaber den Verlust seiner Wohnungsschlüssel bemerkt. Aus dieser Kurzbeschreibung lässt sich noch hinreichend sicher erschließen, dass der seinerzeit zuständige Sachbearbeiter der Polizei den Kläger als einen der weiteren Gäste und damit als möglichen Zeugen der ausgesprochenen Drohung und des Diebstahls der Schlüssel angesehen hat. Bei der gebotenen Einzelfallbetrachtung ist auch die Begründung für die in das System individuell eingegebene Anonymisierungsfrist noch nachvollziehbar. Die Speicherung dieses Vorgangs ist daher nach § 39 Abs. 3 Satz 4 Nds. SOG in Verbindung mit § 31 Abs. 2 Nr. 5 Nds. SOG gerechtfertigt. Hiernach ist die Speicherung der nach § 39 Abs. 3 Satz 1 Nds. SOG über Dritte (d.h. Personen, die nicht tatverdächtige Personen sind) erhobenen Daten in Dateien zulässig, soweit es sich um Zeugen, Hinweisgeber oder sonstige Auskunftspersonen, die zur Aufklärung des Sachverhalts beitragen können, handelt.

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, 155 Abs. 2, 161 Abs. 2 VwGO. Es entspricht billigem Ermessen, die Kosten hinsichtlich des erledigten Teils des Rechtsstreits dem Kläger aufzuerlegen, weil er im Fall einer streitigen Entscheidung insoweit ebenfalls unterlegen wäre. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 167 VwGO, 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.