Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 19.07.2017, Az.: 5 ME 39/17

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
19.07.2017
Aktenzeichen
5 ME 39/17
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2017, 53948
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 02.02.2017 - AZ: 7 B 249/16

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsgegnerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 7. Kammer - vom 2. Februar 2017 wird zurückgewiesen.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 22.798,98 EUR festgesetzt.

Gründe

I.

Streitgegenstand des Beschwerdeverfahrens ist die Auswahlentscheidung der K., in der sogenannten Beförderungsrunde 2016 sechs Planstellen der Besoldungsgruppe A 9 vz (= Verzahnungsamt) nebst Amtszulage in der Einheit „L.“ mit den Beigeladenen zu 1. bis 6. zu besetzen.

Der Antragsteller steht im Statusamt eines technischen Fernmeldehauptsekretärs und ist in die Besoldungsgruppe A 9 vz eingruppiert. Vom 1. Oktober 2010 bis zum 30. September 2015 war er für die M. GmbH, einer Tochtergesellschaft der K., tätig. Er hatte dort eine Funktion, die einem Amt der Besoldungsgruppe A 11 entspricht.

Die dienstliche Beurteilung des Antragstellers zum Stichtag 31. Mai 2015 (Beurteilungszeitraum: 1.11.2013 bis 31.5.2015) gelangte zu dem Gesamturteil „Gut“ (= drittbeste von insgesamt sechs Notenstufen des Gesamturteils) mit dem Ausprägungsgrad „++“ (= bester von drei Ausprägungsgraden). In den sechs in dieser Beurteilung bewerteten Einzelkriterien erhielt der Antragsteller zwei Mal die Note „Sehr gut“ und vier Mal die Note „Gut“ (= beste bzw. zweitbeste von insgesamt fünf Notenstufen der Einzelkriterien).

Der Antragsteller legte gegen seine dienstliche Beurteilung Widerspruch ein. Der Widerspruch wurde mit Widerspruchsbescheid vom 7. Juli 2016 zurückgewiesen. Über die dagegen am 28. Juli 2016 vor dem Verwaltungsgericht erhobene Klage (7 A 229/16) ist noch nicht entschieden.

Die Beigeladenen zu 1. bis 6., die ebenfalls in die Besoldungsgruppe A 9 vz eingruppiert sind, wurden in ihren dienstlichen Beurteilungen zum Stichtag 31. Mai 2015 mit dem Gesamturteil „Hervorragend“ (= beste Notenstufe) mit dem Ausprägungsgrad „++“ bewertet.

Mit Schreiben vom 1. August 2016 teilte die J. dem Antragsteller mit, dass in der Einheit „L.“ für die Beförderung nach A 9 vz nebst Amtszulage sechs Planstellen zur Verfügung stünden und dass die Beförderungsliste 179 Beförderungsbewerber umfasse. Die Anzahl der zur Verfügung stehenden Beförderungsplanstellen reiche mithin nicht aus, um alle Beamten dieser Beförderungsliste zu befördern. Es könnten nur Beamte befördert werden, die mit der Note „Hervorragend“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ bewertet worden seien.

Aus der Beförderungsliste ergibt sich, dass der Antragsteller auf Rangplatz 102 geführt wurde. Vor ihm standen einschließlich der 6 ausgewählten Beigeladenen 8 Beamte, die zum Stichtag 31. Mai 2015 mit dem Gesamturteil „Hervorragend“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ bewertet worden waren, 5 Beamte mit dem Gesamturteil „Hervorragend“ mit dem Ausprägungsgrad „+“, 5 Beamte mit dem Gesamturteil „Sehr gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“, 9 Beamte mit dem Gesamturteil „Sehr gut“ mit dem Ausprägungsgrad „+“, 26 Beamte mit dem Gesamturteil „Sehr gut“ mit dem Ausprägungsgrad „Basis“ und 38 Beamte, die wie der Antragsteller das Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ erhalten hatten.

Der Antragsteller hat am 12. August 2016 um vorläufigen gerichtlichen Rechtsschutz nachgesucht.

Mit Beschluss vom 2. Februar 2017 hat das Verwaltungsgericht der Antragsgegnerin im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Beigeladenen in ein Amt A 9 vz nebst Amtszulage zu befördern, solange nicht über die Bewerbung des Antragstellers bestandskräftig entschieden ist.

Gegen diese Entscheidung wendet sich die Antragsgegnerin mit ihrer Beschwerde.

II.

Die Beschwerde der Antragsgegnerin hat keinen Erfolg

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen es nicht, die verwaltungsgerichtliche Entscheidung zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat dem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zu Recht entsprochen.

1. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend zu der Einschätzung gelangt, dass das Auswahlverfahren an einem Mangel leidet, weil die dem Antragsteller zum 31. Mai 2015 erteilte dienstliche Beurteilung rechtswidrig ist.

Die vorgenannte dienstliche Beurteilung ist deshalb rechtsfehlerhaft, weil das Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ nicht hinreichend plausibel und nachvollziehbar begründet worden ist. Der Senat schließt sich insoweit den Gründen des angefochtenen Beschlusses (S. 8, vorletzter Absatz, bis S. 13, erster Absatz einschließlich des Beschlussabdrucks) an und verweist auf diese Gründe (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).

Hervorzuheben ist nochmals, dass das Gesamturteil und die Bewertungen der Einzelkriterien einer dienstlichen Beurteilung in dem Sinne miteinander übereinstimmen müssen, dass sich das Gesamturteil nachvollziehbar und plausibel aus den Einzelbewertungen herleiten lässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.9.2015 - BVerwG 2 C 13.14 -, juris Rn 27). Einer - gegebenenfalls kurzen - Begründung des Gesamturteils bedarf es grundsätzlich insbesondere dann, wenn - wie hier - die Beurteilungsrichtlinien für die Bewertungen der Einzelkriterien einerseits und für das Gesamturteil andererseits unterschiedliche Bewertungsskalen vorsehen. Denn in einem solchen Fall muss erläutert werden, wie sich die unterschiedlichen Bewertungsskalen zueinander verhalten und wie das Gesamturteil aus den Einzelbewertungen gebildet worden ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 17.9.2015, a. a. O., Rn 30; vgl. auch Nds. OVG, Beschluss vom 25.2.2016 - 5 ME 217/15 -; Beschluss vom 4.3.2016 - 5 ME 8/16 -). Das Verwaltungsgericht hat im Einzelnen und zutreffend ausgeführt, dass nicht ersichtlich ist, aus welchen konkreten Gründen der Antragsteller, bei dem zwei Einzelkriterien auf einer fünfstufigen Notenskala mit der Bestnote „Sehr gut“ und vier Einzelkriterien mit der zweitbesten Note „Gut“ bewertet worden sind, im Gesamturteil auf einer insoweit sechsstufigen Notenskala die Note „Gut“ (= drittbeste von insgesamt sechs Notenstufen des Gesamturteils) mit dem Ausprägungsgrad „++“ (= bester von drei Ausprägungsgraden) erhalten hat. Die dazu in der dienstlichen Beurteilung gegebene Begründung

„Während die Bewertung in den Einzelkriterien der Dienstlichen Beurteilung im Rahmen einer 5er-Notenskala erfolgt, wird das Gesamturteil der Dienstlichen Beurteilung in Anwendung einer 6er-Notenskala mit den Ausprägungen (in der Reihenfolge: Basis, +, ++) gebildet. Dabei ist „+“ der Mittelwert. Die unterschiedlichen Bewertungsskalen dienen der weiteren Differenzierung. Die Vornahme der Differenzierung erfolgt gleichmäßig über alle Notenstufen hinweg.“

ist formelhaft. Es handelt sich um Sätze, die in dienstlichen Beurteilungen der Antragsgegnerin stereotyp verwendet werden (vgl. zum Beispiel auch den Beschluss des Senats vom heutigen Tag in dem Verfahren 5 ME 56/17) und die keine am konkreten Fall orientierte inhaltliche Substanz aufweisen (vgl. auch OVG NRW, Beschluss vom 23.5.2017 - 1 B 99/17 -, Rn 21; Beschluss vom 22.3.2016 - 1 B 1459/15 -, juris Rn 14 ff.).

Auch die ergänzenden Erläuterungen der Antragsgegnerin im erst- und zweitinstanzlichen Verfahren (vgl. zur Zulässigkeit dieser behördlichen Verfahrensweise BVerwG, Urteil vom 17.9.2015, a. a. O., Rn 21) sind nicht geeignet, das Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ als hinreichend plausibel und nachvollziehbar begründet erscheinen zu lassen. Es handelt sich zunächst um abstrakte Ausführungen und allgemeine Erläuterungen zum Beurteilungssystem und zur Beurteilungspraxis der Antragsgegnerin. Diese Erläuterungen verdeutlichen nicht hinreichend substantiiert und nachvollziehbar, warum gerade in dem hier zu entscheidenden Fall des Antragstellers trotz der für die Einzelkriterien vergebenen Noten (zwei Mal Bestnote „Sehr gut“, vier Mal zweitbeste Note „Gut“) im Gesamturteil auf der insoweit sechsstufigen Notenskala mit der Note „Gut“ und dem Ausprägungsgrad „++“ lediglich die drittbeste von insgesamt sechs Notenstufen und bei Einbeziehung der Ausprägungsgrade sogar nur die siebtbeste Bewertung vorgenommen worden ist.

Die Antragsgegnerin hat sodann zwar in der Beschwerdebegründung vom 14. März 2017 (ab S. 5 Mitte) unter Eingehung auf den Fall des Antragstellers ausgeführt, dessen Leistungsbild habe sich angesichts der für die Einzelkriterien vergebenen Noten im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.9.2015, a. a. O.) als sehr einheitlich dahingehend dargestellt, dass sich das Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ geradezu aufgedrängt habe, so dass das Gesamturteil keiner weiteren Erläuterungen bedurft habe. Mit diesem Vorbringen vermag die Antragsgegnerin jedoch nicht durchzudringen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 17.9.2015, a. a. O., Rn 31) sind die Anforderungen an die Begründung für das Gesamturteil umso geringer, je einheitlicher das Leistungsbild bei den Einzelbewertungen ist. Gänzlich entbehrlich ist eine Begründung für das Gesamturteil dann, wenn im konkreten Fall eine andere Note nicht in Betracht kommt, weil sich die vergebene Note - vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null - geradezu aufdrängt (BVerwG, Urteil vom 17.9.2015, a. a. O., Rn 31).

Ein solcher Ausnahmefall ist nach der Überzeugung des Senats hier nicht gegeben. Insoweit unterscheidet sich die vorliegende Fallkonstellation auch von derjenigen, die dem Beschluss des Senats vom 4. März 2016 (- 5 ME 8/16 -) zugrunde gelegen hat (Der dortige Antragsteller hatte bei sieben bewerteten Einzelkriterien zwei Mal die Note „Rundum Zufriedenstellend“, vier Mal die Note „Gut“ und ein Mal die Note „Sehr gut“ erhalten; das Gesamturteil lautete auf „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“.). Denn angesichts des Umstandes, dass der Antragsteller - wie schon dargestellt wurde - bei sechs bewerteten Einzelkriterien nicht ein einziges Mal lediglich die drittbeste Note „Rundum Zufriedenstellend“, sondern stattdessen vier Mal die zweitbeste Note „Gut“ und zwei Mal sogar die Spitzennote „Sehr gut“ erhalten hat, mithin immerhin ein Drittel der Einzelkriterien mit der Bestnote und die weiteren zwei Drittel der Einzelkriterien mit der zweitbesten Note bewertet worden sind, drängt sich das mit der streitigen dienstlichen Beurteilung vergebene Gesamturteil keinesfalls vergleichbar einer Ermessensreduzierung auf Null auf, da das vergebene Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ auf der insoweit sechsstufigen Notenskala lediglich die drittbeste von insgesamt sechs Notenstufen und bei Einbeziehung der Ausprägungsgrade sogar nur die siebtbeste Bewertung ist. Bei einer solchen Sachlage ist es geboten, in einer die gerichtliche Nachprüfung ermöglichenden zweifelsfreien und unmissverständlichen Weise nachvollziehbar zu erläutern, wie sich die beiden unterschiedlichen Bewertungsskalen zueinander verhalten und warum im Fall des Antragstellers lediglich das Gesamturteil „Gut“ mit dem Ausprägungsgrad „++“ vergeben worden ist. Das ist vorliegend nicht hinreichend geschehen.

Soweit die Antragsgegnerin demgegenüber einwendet, sie dürfe „nicht mit überbordenden Anforderungen an die Begründung der bei ihr eingesetzten Beamten überfordert werden“, einem Dienstherrn müsse „ein praktikabler und effizienter Weg zu einer zeitnahen Beurteilung verbleiben …, wenn wie auch vorliegend, das Leistungsbild des Beamten zutreffend und nachvollziehbar dargelegt wird“, dringt sie hiermit nicht durch. Denn der Senat vermag nicht nachzuvollziehen, warum die Antragsgegnerin trotz der zahlreichen beamtenrechtlichen Konkurrentenverfahren, in denen unterlegene Bewerber um Beförderungsämter häufig erfolgreich rügen, dass das in den jeweils angegriffenen dienstlichen Beurteilungen vergebene Gesamturteil nicht nachvollziehbar erläutert worden sei, davon absieht, zweifelsfrei, unmissverständlich, nachvollziehbar und für alle zu erstellenden Beurteilungen verbindlich darzustellen, wie sich die in ihren Beurteilungsrichtlinien verwendeten unterschiedlichen Bewertungsskalen bezogen auf das zu bildende Gesamturteil zueinander verhalten. Die Fertigung einer solchen grundlegenden Erläuterung stellt sich auch angesichts des ausgesprochen großen Personalkörpers der Antragsgegnerin nicht als Überspannung der Anforderungen an den Dienstherrn dar; eine grundlegende Erläuterung ist vielmehr im Gegenteil geeignet, den jeweils zuständigen Beurteilern eine einheitliche, effiziente und zeitnahe Verfahrensweise zu ermöglichen und Rechtsstreitigkeiten zu vermeiden.

2. Die Feststellung des Verwaltungsgerichts, es sei nicht auszuschließen, dass der Antragsteller zum Zuge kommen würde, wenn die Antragsgegnerin einer erneuten Auswahlentscheidung eine rechtmäßige Beurteilung des Antragstellers zugrunde legen würde (S. 13, zweiter Absatz des Beschlussabdrucks), hat die Antragsgegnerin im Beschwerdeverfahren nicht angegriffen (vgl. demgegenüber das Vorbringen der Antragsgegnerin in dem Verfahren 5 ME 56/17). Die Richtigkeit dieser verwaltungsgerichtlichen Feststellung ist deshalb in diesem Beschwerdeverfahren nicht zu prüfen (vgl. § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO).

3. Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 2, 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren ergibt sich aus §§ 40, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 6 Satz 4 in Verbindung mit Satz 1 Nr. 1 GKG (3.498,92 EUR + 300,91 EUR = 3.799,83 EUR x 6 = 22.798,98 EUR).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).