Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 17.04.2023, Az.: 14 ME 20/23
Bestimmtheit; Empfängerhorizont
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 17.04.2023
- Aktenzeichen
- 14 ME 20/23
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2023, 15370
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2023:0417.14ME20.23.00
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Braunschweig - 26.01.2023 - AZ: 4 B 238/22
Rechtsgrundlagen
- VwVfG § 37
Fundstellen
- DVBl 2023, 956-959
- DÖV 2023, 608
- NordÖR 2023, 354-357
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ist ein Verwaltungsakt wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht vollstreckungsfähig, schließt dieser Mangel Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung aus. Auch ein - bestandskräftiger oder sofort vollziehbarer - wirksamer, aber inhaltlich unbestimmter Verwaltungsakt ist nicht vollstreckungsfähig. Insoweit erfährt der tragende Grundsatz des Verwaltungsvollstreckungsrechts, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme auf die Rechtmäßigkeit einer Grundverfügung nicht ankommt eine Ausnahme.
- 2.
Das Bestimmtheitsgebot nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG erfordert zum einen, dass der Adressat einer Regelung in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist. Zum anderen muss der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können.
- 3.
Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln.
Tenor:
Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 4. Kammer - vom 26. Januar 2023 geändert.
Die aufschiebende Wirkung der von der Antragstellerin am 5. Juli 2022 erhobenen Klage 4 A 237/22 gegen die Zwangsgeldfestsetzung und die Zwangsgeldandrohung im Bescheid vom 22. Juni 2022 wird angeordnet.
Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Instanzen.
Der Streitwert wird auch für das Beschwerdeverfahren auf 10.000,00 Euro festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig vom 26. Januar 2023 ist zulässig (1.) und hat in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang Erfolg (2.).
1. Die fristgerecht (§ 147 VwGO) eingelegte Beschwerde ist auch sonst zulässig, insbesondere sind die formellen Anforderungen nach § 146 Abs. 4 Sätze 1 bis 3 VwGO gewahrt. Die Beschwerde ist innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung des Verwaltungsgerichts mit Schriftsatz an das beschließende Oberverwaltungsgericht begründet worden (§ 146 Abs. 4 Sätze 1 und 2 VwGO). Diese Begründung legt auch dar, warum der angefochtene Beschluss abzuändern ist und setzt sich mit dem angefochtenen Beschluss auseinander (§ 146 Abs. 4 Satz 3 VwGO).
2. Die Beschwerde ist im Wesentlichen, nämlich hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Zwangsgeldfestsetzung und die Zwangsgeldandrohung, begründet (a)), im Übrigen, also hinsichtlich der Anordnung der aufschiebenden Wirkung gegen die Kostenfestsetzung, ist sie unbegründet (b)).
a) Das Verwaltungsgericht hätte den Antrag der Antragstellerin auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung ihrer Klage gegen die Zwangsgeldfestsetzung sowie gegen die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes mit Bescheid vom 22. Juni 2022 nicht ablehnen dürfen. Die in der Beschwerdebegründungsfrist den Anforderungen entsprechend dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO grundsätzlich beschränkt ist, gebieten insoweit eine Änderung des angegriffenen Beschlusses in Form der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
aa) Durchgreifenden Zweifeln begegnet die von der Antragstellerin angegriffene Annahme des Verwaltungsgerichts, die der Zwangsgeldfestsetzung sowie der Androhung des weiteren Zwangsgeldes zugrundeliegende Grundverfügung vom 2. März 2022 sei im Hinblick auf die Vollstreckung inhaltlich noch hinreichend bestimmt.
(1) Nach § 70 des Niedersächsischen Verwaltungsvollstreckungsgesetzes (NVwVG) i.V.m. § 64 Abs. 1 des Niedersächsischen Polizeigesetzes (NPOG) können Verwaltungsakte vollstreckt werden, wenn sie unanfechtbar geworden sind oder wenn die aufschiebende Wirkung eines Rechtsbehelfs entfällt. Die Vorschrift regelt eine allgemeine Voraussetzung für Maßnahmen, die in der Verwaltungsvollstreckung getroffen werden, und gilt demzufolge auch für eine Zwangsgeldfestsetzung nach § 67 NPOG. Sie ermöglicht allerdings nur die Vollstreckung eines im Sinne inhaltlich hinreichender Bestimmtheit (§ 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG) vollstreckungsfähigen Verwaltungsakts als Grundlage (Titel) der Verwaltungsvollstreckung. Denn die für Einleitung und Durchführung der Verwaltungsvollstreckung erforderliche konkrete Feststellung, dass der Pflichtige seine Verpflichtung aus dem Verwaltungsakt noch nicht erfüllt hat, ist nur bei einem inhaltlich hinreichend bestimmten Verwaltungsakt möglich. Ist ein Verwaltungsakt wegen inhaltlicher Unbestimmtheit nicht vollstreckungsfähig, schließt dieser Mangel Maßnahmen in der Verwaltungsvollstreckung aus (vgl. Senatsbeschl. v. 27.1.2022 - 14 ME 55/22 -, juris Rn. 12; vgl. auch SächsOVG, Beschl. v. 23.8.2021 - 4 A 298/21 -, juris Rn. 14 m.w.N.; VGH BW, Urt. v. 10.1.2013 - 8 S 2919/11 -, juris Rn. 22 m.w.N.; BayVGH, Beschl. v. 4.7.2012 - 22 ZB 12.204 -, juris Rn. 13 m.w.N.; OVG NRW, Beschl. v. 16. 1. 1998 - 10 B 3029/97 -, juris Rn. 4; Sachs, in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Aufl. 2023, § 44 Rn. 116 m.w.N.). Das gilt auch dann, wenn der Bestimmtheitsmangel "nur" zur Rechtswidrigkeit, nicht aber zur Unwirksamkeit des Verwaltungsakts infolge Nichtigkeit (§ 43 Abs. 3 i.V.m. 44 VwVfG) führt. Denn auch ein - bestandskräftiger oder sofort vollziehbarer - wirksamer, aber inhaltlich unbestimmter Verwaltungsakt ist nicht vollstreckungsfähig. Insoweit erfährt der tragende Grundsatz des Verwaltungsvollstreckungsrechts, dass es für die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Vollstreckungsmaßnahme auf die Rechtmäßigkeit einer Grundverfügung nicht ankommt (BVerwG, Urt. v. 13.3.1984 - 4 C 31.81 -, juris Rn. 12; vgl. auch: BVerfG, Kammerbeschl. v. 7.12.1998 - 1 BvR 831/89 -, juris Rn. 30 ff.) eine Ausnahme. Die Unbestimmtheit der Grundverfügung "infiziert" eine zu ihrer Durchsetzung ergehende Vollstreckungsmaßnahme (VGH BW, Urt. v. 10.1.2013 - 8 S 2919/11 -, juris Rn. 22 m.w.N.).
(2) Das Bestimmtheitsgebot nach § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 37 Abs. 1 VwVfG erfordert zum einen, dass der Adressat einer Regelung in der Lage sein muss zu erkennen, was von ihm gefordert wird, und zwar in dem Sinne, dass der behördliche Wille keiner unterschiedlichen subjektiven Bewertung zugänglich ist. Zum anderen muss der Verwaltungsakt Grundlage für Maßnahmen zu seiner zwangsweisen Durchsetzung sein können. Im Einzelnen richten sich die Anforderungen an die notwendige Bestimmtheit eines Verwaltungsakts nach den Besonderheiten des jeweils anzuwendenden und mit dem Verwaltungsakt umzusetzenden materiellen Rechts, insbesondere nach dem Regelungsgehalt des Verwaltungsaktes und dem mit ihm verfolgten Zweck (BVerwG, Beschl. v. 13. 10. 2010 - 7 B 50.10 -, juris Rn. 8 m.w.N.; NdsOVG, Beschl. v. 4.6.2019 - 8 ME 39/19 -, juris Rn. 34 m.w.N.). Zudem ist maßgeblich, welches Maß an Bestimmtheit der Behörde zur Regelung des fraglichen Sachverhalts möglich ist (VGH BW, Urt. v. 9.11.2020 - 3 S 2590/18 -, juris Rn. 35). Dabei muss sich die "Regelung" (§ 35 Satz 1 VwVfG) nicht unmittelbar und allein aus dem Entscheidungssatz ergeben. Der Regelungsgehalt eines Verwaltungsakts ist vielmehr durch Auslegung nach Treu und Glauben unter Berücksichtigung des Empfängerhorizontes und der speziellen Sachkunde des adressierten Fachkreises in entsprechender Anwendung der §§ 133, 157 BGB zu ermitteln (BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 - 8 C 18.16 -, juris Rn. 14 m.w.N.). Hinreichende Bestimmtheit liegt vor, wenn sich die Regelung aus dem gesamten Inhalt des Bescheides, insbesondere seiner Begründung, sowie den weiteren, den Beteiligten bekannten oder ohne Weiteres erkennbaren Umständen unzweifelhaft erkennen lässt (BVerwG, Urt. v. 26.10.2017 - 8 C 18.16 -, juris Rn. 14 m.w.N.; Urt. v. 25.4.2001 - 6 C 6.00 -, juris Rn. 13 m.w.N.). Verbleiben nicht durch Auslegung aufzulösende Unklarheiten oder Widersprüche innerhalb des verfügenden Teils ist der Verwaltungsakt unbestimmt. Dem Bestimmtheitsgebot wird nicht genügt, wenn und soweit nur die Wiederholung des Inhalts einer Gesetzesvorschrift mit gleichen oder anderen Worten erfolgt, ohne dass eine Konkretisierung auf den Einzelfall vorgenommen wird und so die Wertung dem Adressaten überlassen bleibt (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.1993 - 3 C 42.91 -, juris Rn. 48 f.),
Gemessen hieran wird Ziff. 1 des Bescheids vom 2. März 2022 den an sie zu stellenden Bestimmtheitsanforderungen auch unter Berücksichtigung der Umstände des konkreten Einzelfalles nicht mehr gerecht. Zunächst ist der Verfügungssatz selbst nicht hinreichend konkret gefasst. Untersagt wird danach zum einen das Inverkehrbringen von Lebensmitteln, die über "keine vollständige rechtskonforme Kennzeichnung" verfügen, "insbesondere" seien "Angaben in deutscher Sprache" zu machen, eine "vollständige und ordnungsgemäße Etikettierung auf den Produkten" sei einzuhalten und es dürften "keine irreführenden Angaben auf der Verpackung" vorhanden sein. Zum anderen wird das ungenehmigte in Verkehr bringen von Lebensmitteln verboten, die der Verordnung (EU) 2015/2282 ("Novel Food"-Verordnung) unterliegen. Diesen Formulierungen lässt sich nicht ansatzweise entnehmen, welches konkrete Verhalten von der Antragstellerin erwartet wird bzw. was sie konkret zu unterlassen hat (vgl. BVerwG, Urt. v. 2.12.1993 - 3 C 42.91 -, juris Rn. 49). Der Verfügungssatz subsumiert keinen bestimmten Sachverhalt unter eine gesetzliche Norm, sondern erschöpft sich darin, die Antragstellerin zur Einhaltung sämtlicher Gesetze und Vorschriften betreffend die Kennzeichnung von Lebensmitteln sowie zur Berücksichtigung der "Novel Food"-Verordnung anzuhalten. Ein wirklicher Regelungsgehalt lässt sich Ziff. 1 nicht entnehmen. Es bleibt vielmehr der Antragstellerin überlassen, sich den Inhalt der Verhaltenspflichten zu erschließen. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass bestimmte gesetzliche Pflichten beispielhaft ("insbesondere") aufgezählt werden. Dadurch wird vielmehr verdeutlicht, dass eine unbegrenzte Vielzahl nicht ausdrücklich erwähnter Pflichten Gegenstand der Regelung sein soll. Überdies bleiben auch die ausdrücklich erwähnten Verpflichtungen abstrakt und allgemein und geben keine konkreten Verhaltenspflichten vor ("ordnungsgemäße Etikettierung", "keine irreführenden Angaben"). Es fehlt auch insoweit jeder Bezug zu einem bestimmten Lebenssachverhalt.
Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts genügt Ziff. 1 des Bescheids vom 2. März 2022 in dieser Allgemeinheit auch nicht mit Blick darauf den Bestimmtheitsanforderungen, dass das Sortiment der Antragstellerin ständig wechselt und es mannigfache Möglichkeiten für Kennzeichnungsverstöße gibt. Zwar dürfen die Anforderungen an die inhaltliche Bestimmtheit nur so hoch gesteckt werden, dass sie bei normalem, dem Sachverhalt angemessenem Verwaltungsaufwand noch erfüllbar bleiben. Sie dürfen den Erlass eines Verwaltungsaktes auf Grundlage bestimmter Ermächtigungen nicht praktisch ausschließen (vgl. VGH BW, Urt. v. 8.9.2015 - 6 S 1426/14 -, juris Rn. 19 m.w.N.). Die Konkretisierung dessen, was ge- oder verboten ist, muss jedoch in der Verfügung selbst erfolgen und darf nicht der Vollstreckung überlassen bleiben (BVerwG, Urt. v. 2.12.1993 - 3 C 42.91 -, juris Rn. 48 f.). Die insoweit vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung ist nach Auffassung des Senats angesichts der hier in Rede stehenden, in keiner Weise begrenzten Regelung nicht auf den vorliegenden Fall übertragbar. Der Senat verkennt nicht die - auch aus den Verwaltungsvorgängen ersichtlichen - Schwierigkeiten, vor denen die Antragsgegnerin angesichts der hier gegebenen Sachlage steht. Sie ist aber gleichwohl gehalten, hinreichend konkrete, insbesondere vollstreckbare Verhaltenspflichten festzulegen. Auch bei einem wechselnden Sortiment dürfte das in Bezug auf die in Frage kommenden Pflichtverstöße durchaus möglich sein. Sollte der Vielzahl an Pflichtverstößen tatsächlich nicht mehr im Wege der Verwaltungsvollstreckung zu begegnen sein, müsste die Antragsgegnerin zur Herstellung rechtmäßiger Zustände gegebenenfalls andere (Ordnungs-)Maßnahmen ergreifen.
Der Verfügungssatz in Ziff. 1 lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der Begründung der Grundverfügung und der näheren Umstände des vorausgegangenen Verwaltungsverfahrens in hinreichend bestimmter Weise einschränkend auslegen. Zwar wird in der Begründung der Grundverfügung u.a. auf die konkreten lebensmittelrechtlichen Verstöße Bezug genommen, die bei den am 25. November 2021 genommenen sechs Proben ausweislich der entsprechenden Prüfberichte festgestellt worden sind (vgl. Bl. 22 ff. der VV). Es fehlt aber an Anhaltspunkten, dass die Verfügung tatsächlich nur auf die in den sechs Prüfberichten im Einzelnen aufgezählten konkreten Verstöße gegen die darin genannten lebensmittelrechtlichen Normen (z.B. fehlende Übersetzung des Mindesthaltbarkeitsdatums sowie bestimmter, konkret bezeichneter Zutaten (z.B. "Turmer") in die deutsche Sprache, fehlende Angabe der Verwendung genetisch veränderter Nutzpflanzen in deutscher Sprache, fehlerhafte Nährwertangaben bei bestimmten, konkret benannten Produkten, Verwendung von bestimmten, konkret benannten Zusatzstoffen, die in der EU nicht zugelassen sind (z.B. Natriumaluminiumphosphat, Natamycin, Butyhydroxytoluol), Verwendung von Huito-Saftkonzentration, die nach der Novel-Food-Verordnung einer Genehmigung bedarf) abzielt. Es spricht vielmehr vieles dafür, dass die Verfügung gerade auch lebensmittelrechtliche Verstöße erfassen sollte, die nicht hinreichend konkret in den Prüfberichten aufgeführt werden, und dass eine Abstraktion von den konkret festgestellten Verstößen (z.B. Inverkehrbringen eines Lebensmittels mit dem nicht zugelassenen Zusatzstoff Natamycin) auf eine allgemeine Handlungspflicht (z.B. Verbot des Inverkehrbringens von Lebensmitteln mit irgendeinem Zusatzstoff, der in der EU nicht zugelassen ist) erfolgen sollte. So wird in der Begründung allgemein auf verschiedene Gesetzesvorschriften und die gesamte gegenwärtige und zukünftige Produktpalette in Bezug genommen (vgl. etwa Seite 2, vierter Absatz: "... ist derzeit davon auszugehen, dass weitere Produkte in Ihrer Filiale über keine vollständige rechtskonforme Kennzeichnung verfügen."). Auch spricht insbesondere die Formulierung in Ziff. 3 des Bescheides vom 22. Juni 2022 "Für den Fall, dass sie erneut Lebensmittel in den Verkehr bringen, die über keine vollständige rechtskonforme Kennzeichnung auf der Verpackung verfügen oder der Verordnung (EU) 2015/2283 unterliegen und Sie über keine entsprechende Genehmigung verfügen, ..." für ein weites Verständnis der Grundverfügung. Schließlich hat die Antragsgegnerin selbst noch im gerichtlichen Verfahren zum Ausdruck gebracht, dass sie keine Begrenzung ihres Verfügungssatzes vornehmen wollte. Darauf lassen etwa ihre Ausführungen im Schriftsatz vom 20. Juli 2022 schließen:
- "Mit der Formulierung der "rechtskonformen Kennzeichnung" hat die Klägerin [richtig muss es Beklagte heißen] zum Ausdruck gebracht, dass von der Klägerin keine Produkte mehr in den Verkehr gebracht werden dürfen, die nicht den jeweils einschlägigen Vorschriften über die Kennzeichnung von Lebensmitteln entsprechen. (...) Eine nähere Bezeichnung der einschlägigen Vorschriften und deren Inhalte war nicht erforderlich.", vgl. Seite 3 unter 1. a., sowie
- "Es war für die Klägerin eindeutig erkennbar, dass sich die Anordnung auf sämtliche von ihr gegenwärtig und zukünftig angebotenen Lebensmittel bezieht.", vgl. Seite 3 unter 1. c.).
Zudem hat die Antragsgegnerin mit der Festsetzung des Zwangsgeldes und der Androhung eines weiteren u.a. auf Verstöße gegen Kennzeichnungspflichten reagiert, die nicht Gegenstand der ersten sechs Prüfberichte waren.
bb) Einer Prüfung, ob die weiteren Rügen der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts durchgreifen würden, bedarf es damit nicht.
Der Senat weist allerdings auf Folgendes hin: In den Bescheiden vom 2. März 2022 und vom 22. Juni 2022 ist jeweils ein einheitliches Zwangsgeld für den Fall angedroht worden, dass die Antragstellerin den Verpflichtungen von Ziff. 1 Buchst. a oder Buchst. b nicht, nicht vollständig oder nicht fristgemäß nachkommt. Verschiedentlich wird die Androhung eines einheitlichen Zwangsgeldes für den Verstoß gegen mehrere Handlungs-, Duldungs- oder Unterlassungspflichten als Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz angesehen, weil unklar bleibe, für welche Handlungen oder welches Unterlassen ein Zwangsgeld in welcher Höhe angedroht werde (vgl. VGH BW, Urt. v. 17.8.1995 - 5 S 71/95 -, juris Rn. 32; VG Frankfurt (Oder), Urt. v. 16.1.2023 - 3 K 1003/21 -, juris Rn. 35; VG München, Urt. v. 22.9.2022 - M 22 K 20.2230 -, juris Rn. 18). Etwas anderes gilt jedoch dann, wenn die Zwangsgeldandrohungen ihrem Wortlaut nach so zu verstehen sind, dass bei jedwedem Verstoß gegen die Grundverfügung bereits mit der Festsetzung des Zwangsgeldes zu rechnen ist. Mit dem Bestimmtheitsgebot ist eine solche Androhung, die hinreichend klar erkennen lässt, ob das einheitliche Zwangsgeld bereits dann verhängt wird, wenn der Betroffene lediglich gegen eine einzige Verpflichtung verstößt, oder ob es nur dann fällig wird, wenn er keine der Verpflichtungen erfüllt, grundsätzlich vereinbar (vgl. SächsOVG, Beschl. v. 20.1.2022 - 6 B 407/21 -, juris Rn. 35 ff; OVG NRW, Beschl. v. 10.9.2003 - 13 B 1313/03 -, juris Rn. 8; BVerwG, Beschl. v. 26.6.1997 - 1 A 10.95 -, juris Rn. 35).
Allerdings muss in einem solchen Fall die Festsetzung des Zwangsgeldes in voller Höhe auch für den geringsten denkbaren Verstoß dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz genügen. Das könnte hier zumindest zweifelhaft sein.
cc) Sind mit der voraussichtlichen Verletzung des Bestimmtheitsgrundsatzes durch die Grundverfügung vom 2. März 2022 tragende Erwägungen des Verwaltungsgerichts erschüttert und trägt die Begründung des Verwaltungsgerichts die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz nicht, hat der Senat grundsätzlich in eine eigene Prüfung einzutreten. Der nach § 80 Abs. 5 Abs. 1 Satz 1 VwGO statthafte und auch im Übrigen zulässige Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes der Antragstellerin ist danach hinsichtlich der Zwangsgeldfestsetzung und der Androhung eines weiteren Zwangsgeldes mit Bescheid vom 22. Juni 2022 ohne weiteres erfolgreich.
Denn mit Blick auf die fehlende Bestimmtheit der Grundverfügung vom 2. März 2022 ist ihre Vollstreckung mit dem angegriffenen Bescheid vom 22. Juni 2022 voraussichtlich rechtswidrig und verletzt die Antragstellerin in ihren Rechten. Mit den somit bestehenden Erfolgsaussichten der Anfechtungsklage überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin (§ 80 Abs. 1 VwGO) das Interesse der Antragsgegnerin an einer sofortigen Vollziehung. Raum für eine weitergehende Folgenabwägung bleibt damit nicht, da an dem Vollzug eines rechtswidrigen Verwaltungsakts schon aus Gründen der Rechtsstaatlichkeit kein öffentliches Interesse bestehen kann (vgl. Buchheister, in: Wysk, VwGO, 3. Aufl. 2020, § 80 Rn. 50).
Damit ist unter Abänderung der Entscheidung des Verwaltungsgerichts die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Zwangsgeldfestsetzung und die Androhung eines weiteren Zwangsgeldes mit Bescheid vom 22. Juni 2022 anzuordnen.
b) Soweit das Verwaltungsgericht den Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage auch hinsichtlich der Kostenfestsetzung im Bescheid vom 22. Juni 2022 abgelehnt hat, ist dies im Ergebnis nicht zu beanstanden.
Der Bescheid vom 22. Juni 2022 enthält lediglich eine (unselbständige) Kostengrundentscheidung. Unabhängig davon, ob diese Kostengrundentscheidung überhaupt nach § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 VwGO sofort vollziehbar ist, fehlt es hier jedenfalls insoweit an dem nach § 80 Abs. 6 VwGO erforderlichen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren folgt der Streitwertfestsetzung der ersten Instanz. Auf die Begründung, insbesondere die Orientierung an Nummer 1.7.1. des Streitwertkatalogs der Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ Beilage 2013, 57) wird Bezug genommen.