Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 18.04.2023, Az.: 10 PA 53/23

Dauermahnwache; Dauerversammlung; infrastrukturelle Einrichtungen; Protestcamp; Schlafzelte; Zur Zulässigkeit von infrastrukturellen Einrichtungen bei Dauerversammlungen

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
18.04.2023
Aktenzeichen
10 PA 53/23
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2023, 15479
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:0418.10PA53.23.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Braunschweig - 13.04.2023 - AZ: 5 B 128/23

Tenor:

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 13. April 2023 wird zurückgewiesen.

Der Antragsteller trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.

Gründe

Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Braunschweig - 5. Kammer - vom 13. April 2023 hat keinen Erfolg.

Für den Sachverhalt und für das Beschwerdevorbringen des Antragstellers wird auf die Ausführungen des Senats im Beschluss vom 18. April 2023 - 10 ME 52/23 -, mit dem die gegen die Ablehnung des Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz gerichtete Beschwerde zurückgewiesen wurde, Bezug genommen.

Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Verfahren zu Recht mangels hinreichender Erfolgsaussichten (vgl. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO) abgelehnt. Denn der Bescheid der Antragsgegnerin vom 5. April 2023, mit dem diese die von dem Antragsteller beabsichtigten Versammlungen beschränkt hat, erweist sich, soweit er durch den Antragsteller angegriffen worden ist (Anordnungen unter Ziffern 2, 5.c) und 11 und möglicherweise auch die Anordnung unter der Ziffer 1) im Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags als rechtmäßig. Hinsichtlich der Anordnungen unter Ziffern 1, 2 und 5.c) nimmt der Senat zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Gründe des Beschlusses vom 18. April 2023 - 10 ME 52/23 - Bezug, die er sich auch in diesem Verfahren zu eigen macht und die gleichermaßen für die zunächst auch noch am 16. April 2023 beabsichtigte Versammlung gelten.

Das Verwaltungsgericht ist auch im Ergebnis zu Recht von der Rechtmäßigkeit der Beschränkung unter Ziffer 11. des Bescheides vom 5. April 2023 ausgegangen, die die Zelte, die bei der vom 16. bis 30 April 2023 geplanten Dauermahnwache als Schlafstätten dienen sollten, von der Versammlungsbestätigung ausnimmt und damit im Ergebnis eine Untersagung des Aufstellens von Schlafzelten beinhaltet. Denn entgegen der Auffassung des Antragstellers unterfallen die beiden Zelte, die von einem Teil der Versammlungsteilnehmer zum Schlafen genutzt werden sollen, nicht der durch Art. 8 GG geschützten Versammlungsfreiheit.

Auch eine auf längere Dauer angelegte Veranstaltung unterfällt jedenfalls dann grundsätzlich dem Schutz durch Art. 8 Abs. 1 GG, wenn sie auf die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 22; vgl. dazu auch BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 28.6.2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 22 f., 29; BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 21.9.2020 - 1 BvR 2152/20 -, juris; BVerfG, Ablehnung einstweilige Anordnung vom 30.8.2020 - 1 BvQ 94/20 -, juris Rn. 13 ff.). Enthält eine Veranstaltung sowohl Elemente, die auf eine Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichtet sind, als auch solche, die diesem Zweck nicht zuzurechnen sind, ist entscheidend, ob eine derart gemischte Veranstaltung ihrem Gesamtgepräge nach eine Versammlung ist, wobei im Zweifel die Veranstaltung wie eine Versammlung zu behandeln ist (BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 21 m.w.N.). Ob eine Veranstaltung dem Versammlungsbegriff erfüllt, liegt nicht im Rahmen des Selbstbestimmungsrechts des Veranstalters, sondern unterfällt der rechtlichen Beurteilung durch die Behörden und Gerichte (BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 23). Die für eine Dauerversammlung logistisch erforderlichen und ihr räumlich zuzurechnenden infrastrukturellen Einrichtungen (ohne die die Veranstaltung also nicht durchgeführt werden könnte) sowie hierfür genutzte Grundstücke nehmen an dem grundrechtlichen Schutz ebenso teil, wie solche Einrichtungen, die inhaltlich mit der konkreten Meinungskundgabe verknüpft sind (BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 27 - 29; Niedersächsisches OVG, Beschluss vom 27.9.2022 - 11 ME 284/22 -, juris Rn. 17). Dagegen ist Infrastruktur, die allein der Beherbergung von Personen dienen soll, welche an anderweitig - außerhalb des konkreten Camps - stattfindenden Versammlungen teilnehmen wollen, in den versammlungsrechtlichen Schutz dieses Camps nicht einbezogen, sondern kann allenfalls mit Blick auf die anderweitig stattfindenden Versammlungen von den Vorwirkungen des Art. 8 GG erfasst sein (BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 30; vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 45.16 -, juris Rn. 25 - 30, 35, und auch BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 28.6.2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 29).

Dass es sich bei der vom 16. bis 30. April 2023 geplanten Dauermahnwache auf dem Schlossplatz in Braunschweig um eine Versammlung im Sinne des Art. 8 GG handelt, wird von der Antragsgegnerin nicht in Frage gestellt. Die beiden Zelte, die von Versammlungsteilnehmern als Schlafstätten genutzt werden sollen, unterfallen jedoch nicht als infrastrukturelle Einrichtungen der Versammlung dem Schutz des Art. 8 GG. Denn sie weisen weder einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu der Versammlung auf, noch sind sie zur Durchführung der Dauermahnwache logistisch erforderlich.

Die Versammlung richtet sich nach ihrer Anmeldung insbesondere gegen die weitere und erweiternde Nutzung der BAB 39 für den Kraftfahrzeugverkehr, soll daneben aber auch dem öffentlichen Aufruf zur Umsetzung einer umfassenden, ökologischen und sozial gerechten Verkehrswende dienen. Die zweiwöchige Dauermahnwache auf dem Schlossplatz in Braunschweig soll zu Beginn der ersten Fahrraddemonstration am 16. April 2023 aufgebaut werden und neben Zelten einen Pavillon sowie Infostände umfassen. Eine weitergehende Konkretisierung der beabsichtigen Ausgestaltung der Mahnwache ist mit der Anmeldung nicht erfolgt. Mit E-Mail vom 21. März 2023 teilte der Antragsteller auf Nachfrage der Antragsgegnerin mit, dass die Mahnwache in Form einer dauerhaften Kundgebung stattfinden solle, dazu ein Pavillon, ein Informationszelt sowie wenige kleine Zelte aufgebaut werden sollen. Über die Dauer der Mahnwache werde es Workshops, Infoveranstaltungen, Kundgaben, Infostände und mehr geben. Im Kooperationsgespräch ergänzte der Antragsteller insoweit lediglich, dass ca. 50 Personen zur Mahnwache erwartet, in dem Pavillon verschiedene Aktionen, Informationen und Veranstaltungen stattfinden und die beiden Zelte nur zum Übernachten dienen würden. Hygiene und die Verrichtung von Notdurft würden in umliegenden Privaträumlichkeiten erfolgen. Die Schlafzelte seien von seinem Selbstbestimmungsrecht zur Ausgestaltung der Versammlung umfasst und eine für die Mahnwache notwendige Infrastruktur.

Den Angaben des Antragstellers zur konkreten Art und Weise der Durchführung der Mahnwache lässt sich unter Berücksichtigung der Zwecke der Versammlung ein inhaltlicher Bezug der Zelte zu der mit der Versammlung beabsichtigten Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, insbesondere ein hierauf gerichteter Zweck der Zelte nicht entnehmen. Eine konzeptionelle und inhaltliche Verknüpfung der Schlafzelte mit den Versammlungsthemen (vgl. dazu Bayerischer VGH, Urteil vom 8.3.2022 - 10 B 21.1694 -, Rn. 78; OVG Bremen, Beschluss vom 4.5.2021 - 1 B 215/21 -, juris Rn. 9), etwa durch eine ununterbrochene Präsenz und damit verbundene dauerhafte Konfrontation oder eine Meinungskundgabe durch die Zelte selbst und ihre Nutzung, etwa in Form einer zusätzlichen Sichtbarmachung der Versammlungsthemen (vgl. dazu Hessischer VGH, Beschluss vom 11.9.2020 - 2 B 2254/20 -, juris Rn. 22), ist nicht ersichtlich. Vielmehr lässt sich den Ausführungen des Antragstellers gegenüber der Antragsgegnerin entnehmen, dass die Zelte (ausschließlich) der Schaffung von Schlafmöglichkeiten für die Teilnehmer dienen sollen (vgl. dazu BVerfG, Einstweilige Anordnung vom 28.6.2017 - 1 BvR 1387/17 -, juris Rn. 29; BVerwG, Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 45.16 -, juris Rn. 26; Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 8.3.2022 - 10 B 21.1694 -, juris Rn. 73; OVG Bremen, Beschluss vom 4.5.2021 - 1 B 215/21 -, juris Rn. 8; Hamburgisches OVG, Beschluss vom 22.6.2017 - 4 Bs 125/17 -, juris Rn. 36).

Aber auch insoweit ist den Angaben des Antragstellers nicht zu entnehmen, dass die Zelte für die Veranstaltung der Mahnwache in logistischer Hinsicht in dem Sinne erforderlich wären, dass ohne diese Schlafmöglichkeiten vor Ort, die Versammlung nicht durchgeführt werden könnte. Der Antragsteller hat lediglich im Rahmen des Kooperationsgespräches pauschal behauptet, dass es sich bei den Zelten um "notwendige Infrastruktur einer Dauermahnwache" handeln würde, ohne hierzu weitere konkrete Angaben zu machen. Dies liegt auch nicht ohne weiteres auf der Hand, da sich die Versammlungsfläche in einem zentralen Bereich der Stadt Braunschweig befindet und daher in deren unmittelbarer Umgebung ausreichend kommerzielle Unterkunftsmöglichkeiten vorhanden sind. Hinzu kommt, dass der Antragsteller selbst angeführt hat, dass im umliegenden Bereich auch Privaträumlichkeiten für Notdurft und Hygiene zur Verfügung stünden, ohne darauf einzugehen, weshalb diese nicht auch als Schlafstätten genutzt werden könnten. Weiter ist zu berücksichtigen, dass in den Zelten auch nur eine geringe Anzahl von Versammlungsteilnehmern einen Schlafplatz finden können dürfte, was zudem dafür spricht, dass auf anderweitig vorhandene ausreichende Schlafmöglichkeiten in unmittelbarer Umgebung der Versammlungsfläche zurückgegriffen werden kann (vgl. dazu auch BVerwG, Urteil vom 24.5.2022 - 6 C 9.20 -, juris Rn. 33, und Urteil vom 25.10.2017 - 6 C 45.16 -, juris Rn. 30).

Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 2, 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).