Landgericht Lüneburg
Urt. v. 12.02.2008, Az.: 9 S 77/07

Bibliographie

Gericht
LG Lüneburg
Datum
12.02.2008
Aktenzeichen
9 S 77/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2008, 43961
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:LGLUENE:2008:0212.9S77.07.0A

Verfahrensgang

vorgehend
AG Hannover - 25.09.2007 - AZ: 481 C 9432/07

Fundstelle

  • ZMR 2008, 486-488 (Volltext mit red. LS)

In dem Rechtsstreit

...

wegen Feststellung

hat die 9. Zivilkammer des Landgerichts Lüneburg auf die mündliche Verhandlung vom 22.01.2008 durch

die Vorsitzende Richterin am Landgericht ...,

den Richter am Landgericht ... und

den Richter ... für Recht erkannt:

Tenor:

  1. I)

    Auf die Berufung der Beklagten vom 29.10.2007 wird das Urteil des Amtsgerichts Hannover vom 25.09.2007 teilweise abgeändert und zur Klarstellung insgesamt wie folgt neu gefasst:

    1. 1.)

      Der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 12.06.2007 zu TOP 13 wird insoweit für ungültig erklärt, als dem Antragsteller nach Durchführung der Sanierung verwehrt wird, die Balkonverglasung wieder anzubringen.

    2. 2.)

      Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

  2. II)

    Die Kosten des Rechtsstreits erster Instanz haben der Kläger zu 2/3 und die Beklagten zu 1/3 zu tragen. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Kläger zu tragen.

  3. III)

    Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

und beschlossen:

Der Gegenstandswert des Berufungsverfahrens wird auf bis zu 1 500,- € festgesetzt.

Tatbestand

1

I. Der Kläger, Eigentümer der Wohnung Nr. 19, ... in ..., hat erstinstanzlich gegen die Beklagte, die Wohnungseigentümergemeinschaft ..., dahingehend obsiegt, dass nach Ziffer 1. des Tenors des amtsgerichtlichen Urteils vom 25.09.2007 der Beschluss der Eigentümerversammlung vom 12.06.2007 zu TOP 13 insoweit für ungültig erklärt wird, dass dem Kläger nach Durchführung von Sanierungsarbeiten eine Wiederanbringung der Balkonverglasung verwehrt wird. Weiterhin hat das Amtsgericht durch Ziffer 2. des Tenors festgestellt, dass der Kläger gegenüber den Beklagten berechtigt ist, den Balkon der Wohnung Nr. 19 nach Abschluss von Sanierungsarbeiten im Hause ... in ... wieder fachgerecht mit einer Balkonverglasung versehen zu lassen. Im Übrigen hat das Amtsgericht die Klage abgewiesen.

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Die Berufung der Beklagten richtet sich allein gegen die Feststellung des Amtsgerichts zu Ziffer 2. des Tenors. Diese Beschränkung ist zulässig. Zwar ist die Entscheidung des Amtsgerichts rechtskräftig geworden, wonach der Beschluss der Eigentümerversammlung ungültig ist, soweit dem Kläger die Anbringung einer Balkonverglasung nach der Renovierung verwehrt wird. Danach fehlt es grundsätzlich an einer Beschlussfassung durch die Eigentümerversammlung. Aber die Beklagte hat durch ihr Rechtsmittel unmissverständlich zum Ausdruck gebracht, dass sie bei ihrer ablehnenden Haltung bleibt.

3

Wegen des Tatbestandes wird auf das angefochtene Urteil vom 25.09.2007 Bezug genommen.

Gründe

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II. Die Berufung der Beklagten ist begründet, so dass das Urteil des Amtsgerichts in dem angefochtenen Umfang abzuändern und hinsichtlich des Klagantrags zu 2) insgesamt abzuweisen war.

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Der Kläger ist nicht berechtigt, den Balkon der Wohnung Nr. 19 nach Abschluss der Sanierungsarbeiten wieder mit einer Balkonverglasung versehen zu lassen. Bei der seit Anfang der 1980er Jahre angebrachten Verglasung des Balkons handelt es sich um eine bauliche Veränderung im Sinne von § 22 WEG, da durch die Verglasung der optische Zustand der Anlage erheblich verändert wird. Die Wohnungseigentümergemeinschaft hat einen Anspruch auf Entfernung gemäß § 1004 BGB i.V.m. § 14 WEG. Dieser Anspruch ist weder aufgrund der bisherigen Duldung ausgeschlossen noch ist dieser aufgrund des Zeitablaufs verwirkt. Der Kläger ist daher nicht berechtigt, die zur Durchführung der Sanierungsarbeiten abzunehmende Verglasung nach Beendigung der Sanierung wieder anzubringen.

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1. Zutreffend hat das Amtsgericht zunächst festgestellt, dass in den Eigentümerversammlungen vom 03.05.1982 und 10.05.1994 die angebrachten Balkonverglasungen nicht ausdrücklich genehmigt wurden, sondern dass diese lediglich geduldet wurden. Entgegen der Andeutung des Amtsgerichts, dass man möglicherweise in dem Beschluss aus dem Jahr 1994 auch eine Genehmigung der vorhandenen Balkonverglasungen sehen könnte, scheidet eine Genehmigung seitens der Wohnungseigentümergemeinschaft hier aus. Eine Genehmigung setzt eine ausdrückliche Billigung der rechtswidrigen baulichen Veränderung voraus. Ein derartiger Bindungswille der Wohnungseigentümergemeinschaft kann in den Formulierungen aber nicht erkannt werden.

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Der Beschluss vom 03.05.1982 enthält keine endgültige Regelung bezüglich der an einigen Wohnungen angebrachten Balkonverkleidungen. Vielmehr einigte sich die Wohnungseigentümergemeinschaft nach längerer Diskussion darauf, zum damaligen Zeitpunkt keine Zustimmung zu den Baumaßnahmen zu erteilen, aber auch keinen Antrag zu stellen, dass diese Installierungen wieder zu entfernen waren. Mit Beschluss vom 10.05.1994 regelte die Eigentümerversammlung die Duldung der Balkonverkleidungen einschließlich einer Haftungs- und Kostenfreistellung der WEG und Verwaltung bei späteren Sanierungsmaßnahmen. Aus der damaligen Duldung kann jedoch entgegen der Entscheidung des Amtsgerichts und der klägerischen Rechtsauffassung, dass eine zeitliche Widerrufsmöglichkeit oder zeitliche Befristung nicht bestehe, nicht gefolgert werden, dass der Kläger nach einem Abbau der Verglasung aufgrund einer bereits zum damaligen Zeitpunkt vorhersehbaren Balkonsanierung zu deren erneuten Aufbau berechtigt sein sollte. Der Kläger verkennt, dass in dem Abbau eine Zäsur liegt. Die Verpflichtung zum Entfernen der Verglasung beruhte auf dem Beschluss der Eigentümerversammlung vom 12.06.2007 über der Einbeziehung der Balkone in die Sanierung, der nach dem insoweit rechtskräftigen Urteil des Amtsgerichts wirksam ist. Die Verpflichtung zum Entfernen der Verglasung wurde dem Kläger also nicht grundlos ohne konkreten Anlass auferlegt. Damit endete die Duldung. Ein Anspruch auf den Neuaufbau der Balkonverglasung ist aber von dem damaligen Duldungsbeschluss nicht erfasst. Insbesondere aus dem Wortlaut des Beschlusses vom 10.05.1994 folgt gerade nicht, dass die Eigentümerversammlung auch nach einem zukünftigen Abbau im Rahmen einer Sanierung wiederum eine Verglasung dulden wollte. Dieser Fall kommt in der Regelung nicht vor. Zweifel über die Reichweite der Beschlüsse gehen jedoch zu Lasten des Klägers, den insoweit die Darlegungs- und Beweislast für eine Duldung auch nach einem sanierungsbedingten Abbau trifft.

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Auch Vertrauensschutzgesichtspunkte stehen dieser rechtlichen Bewertung nicht entgegen. Die Sachlage ist nicht mit der seitens des Klägers angeführten Situation des aufhebenden Zweitbeschlusses vergleichbar. Der Kläger übersieht zunächst, dass er nicht langfristig auf eine Duldung vertrauen durfte, sondern vielmehr, wie bereits ausgeführt, eine Zäsur vorliegt, so dass keine Aufhebung des Duldungsbeschlusses vom 10.05.1994 vorliegt, sondern vielmehr auf Grund dessen Erledigung durch den sanierungsbedingten Abbau eine seitens der Eigentümergemeinschaft noch nicht geregelte Sachlage besteht. Zwar stellt die Rechtssprechung ( BayObLG, NJW-RR 2000, 1399; NJW-RR 1995, 395, 396 m.w.N.) strenge Anforderungen an die Berücksichtigung schutzwürdiger Belange, die Inhalt und Gegenstand des Erstbeschlusses waren, doch wären dies auch im Falle eines Aufhebungsbeschlusses nicht verletzt. Voraussetzung ist nämlich die Genehmigungswirkung des Erstbeschlusses. Eine Genehmigung seitens der Eigentümergemeinschaft lag niemals vor, lediglich die bauliche Veränderung wurde geduldet. Eine Duldung stellt gerade keine Genehmigung dar, so dass Vertrauensschutzgesichtspunkte aus ihr nicht erwachsen.

9

Schließlich hat der Kläger nicht vorgetragen, auf welche Vertrauensschutzgesichtspunkte er sich stützt. So hat er zu behaupteten Investitionen im Hinblick auf den Duldungsbeschluss nur pauschal vorgetragen. Die Kosten der Verglasung stellen keine im Vertrauen auf die Duldung zu berücksichtigende Investition dar, da die Verglasung schon vor Erlass der Beschlüsse aus den Jahren 1982 und 1994 errichtet wurde. Soweit der Kläger anführt, dass andere Erwerber für ihre Wohnungen höhere Kaufpreise im Hinblick auf die Verglasung gezahlt haben oder Möbel haben maßanfertigen lassen, kann er sich hierauf nicht berufen, da diese Gesichtspunkte nur Dritte betreffen.

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2. Trotz der Errichtung der Balkonverglasung vor über 25 Jahren ist der Beseitigungsanspruch auch nicht verwirkt. Ein Recht ist verwirkt und kann wegen unzulässiger Rechtsausübung nach Treu und Glauben nicht mehr gerichtlich durchgesetzt werden, wenn der Berechtigte es längere Zeit hindurch nicht geltend gemacht hat und der Verpflichtete sich nach dem gesamten Verhalten des Berechtigten darauf einrichten durfte und auch eingerichtet hat, dass dieser das Recht auch in Zukunft nicht geltend machen werde (BGHZ 25, 47, 52). Mit dem Rechtsgedanken der Verwirkung soll die illoyal verspätete Geltendmachung von Rechten gegenüber dem Verpflichteten ausgeschlossen werden (BGHZ, a.a.O.). Der Einwand der Verwirkung kann auch einem Anspruch auf Beseitigung einer rechtswidrig ohne Zustimmung der übrigen Eigentümer vorgenommenen baulichen Veränderung im Sinne des § 22 WEG, die von den übrigen Eigentümern gemäß § 14 Nr. 1 WEG nicht zu dulden wäre, entgegen gehalten werden (OLG Hamburg, Beschluss vom 25.02.2002, Geschäfts-Nr. 2 Wx 51/98, Beck RS 2002, 30242213). Dabei ist der Ablauf einer längeren Zeitspanne seit der Entstehung des Anspruchs allein nicht ausreichend um eine Verwirkung von Ansprüchen aus Beseitigung anzunehmen. Hinzutreten müssen darüber hinausgehende Umstände, die darauf schließen lassen, dass die Anspruchsinhaber ihre Ansprüche nicht mehr geltend machen werden (OLG Hamburg, a.a.O.; BayObLG, NJW-RR 88, 589).

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Zwar hatte die Eigentümergemeinschaft die Verglasung über mehr als 20 Jahre nicht beanstandet. Das ist zweifellos ein sehr langer Zeitraum.

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Es fehlt jedoch am Umstandsmoment, wonach die Geltendmachung des Beseitigungsanspruchs nach den Grundsätzen von Treu und Glauben unbillig wäre. Wie bereits ausgeführt, liegt in dem notwendigen Abbau der Balkonverglasung aufgrund der Sanierungsarbeiten eine Zäsur. Der Kläger durfte nicht darauf vertrauen, dass die Eigentümergemeinschaft nach einem Abbau eine Neuerrichtung hinnehmen würde. Der Kläger erstrebt letztlich nicht die Fortdauer des gegenwärtigen Zustands, sondern er will in einer inzwischen veränderten Lage einen früheren Zustand wiederherstellen. Ein subjektives Recht auf Veränderung des Balkons kann der Kläger indessen nicht im Wege der Verwirkung erwerben.

13

Eine Verwirkung des Anspruchs kann zudem nur angenommen werden, wenn sich die Verpflichtung als schlechthin unerträglich darstellt (BGHZ 125, 56). Dies ist hier nicht der Fall, da der Kläger mit Ausnahme des Zeitablaufs keine Tatsachen vorgebracht hat, die einer Nutzung des Balkons ohne Verglasung entgegenstünde. Die Mehrheit der Balkon hat keine Verglasung, ohne dass die Nutzung dadurch erheblich beeinträchtigt wäre.

14

Die vom Kläger in der Berufungsverhandlung angeführte Entscheidung des Hanseatischen Oberlandesgerichts (OLG Hamburg, a.a.O.) führt zu keiner anderen Beurteilung. Dort wird zwar eine Verwirkung eines Beseitigungsanspruchs, der ohne sachlichen Grund geltend gemacht, wird nach erheblichem Zeitablauf bejaht. Einschränkend wird aber ausgeführt, dass das Vertrauen des Wohnungseigentümers nicht soweit geht, dass er sich auf Dauer darauf verlassen kann, von der Wohnungseigentümergemeinschaft unter keinen Umständen mehr auf Beseitigung in Anspruch genommen zu werden. Vielmehr kommt die Geltendmachung eines Beseitigungsanspruchs ausdrücklich dann in Betracht, wenn er im Falle einer notwendig werdenden Sanierung im Rahmen ordnungsgemäßer Verwaltung beschlossen wird. Ein solcher bindender Beschluss lag hier vor.

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3. Auf Grund der Beschränkung der Berufung war für jede Instanz eine separate Kostenentscheidung zu treffen. Zutreffend hat das Amtsgericht den Streitwert der ersten Instanz auf 4 000,- € festgesetzt. Der anteilige Streitwert des mit der Berufung angegriffenen Feststellungsantrages (Ziff. 2) umfasst dabei ein Drittel des Gesamtstreitwertes, so dass der Berufungsstreitwert auf bis zu 1 500,- € festzusetzen war. Die Kostenentscheidung folgt hinsichtlich der ersten Instanz wegen der anteiligen Unterliegensbeiträge aus § 92 Abs. 1 ZPO, hinsichtlich der zweiten Instanz aus § 91 Abs. 1 ZPO.

16

Der Ausspruch zur vorläufigen Vollstreckbarkeit folgt aus §§ 708 Nr. 10, 713 ZPO (Thomas/Putzo, ZPO, 26. Aufl., § 708 Rn. 11).

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4. Die Voraussetzungen des § 543 Abs. 2 ZPO liegen nicht vor.