Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 13.07.2005, Az.: 8 PA 37/05

Rechtsgrundlage für die Vornahme einer Bestattung durch die Ordnungsbehörde und Erstattungspflicht für die Bestattungskosten in Niedersachsen; Voraussetzungen eines Leistungsbescheids aus § 66 Abs. 1 S. 1 des Niedersächsischen Sicherheits- und Ordnungsbehördengesetzes (SOG, NI) für eine auf Gewohnheitsrecht gestützte Ersatzvornahme; Voraussetzungen der Inanspruchnahme naher Angehöriger für die Erstattung von Bestattungskosten; Voraussetzungen für die Annahme eines die Bestattungspflicht nach niedersächsischem Landesrecht begrenzenden Ausnahmetatbestandes; Zulässigkeit von Billigkeitserwägungen bezüglich der Übernahme von Bestattungskosten nach § 11 Abs. 2 S. 2 des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes (NVwKostG)

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
13.07.2005
Aktenzeichen
8 PA 37/05
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2005, 32200
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2005:0713.8PA37.05.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 21.02.2005 - AZ: 1 A 6875/04

Fundstellen

  • FEVS 2006, 228-231
  • FStNds 2005, 631-635
  • NordÖR 2005, 434-435 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Bestattungskosten - PKH Beschwerde

Redaktioneller Leitsatz

  1. 1.

    Die nach niedersächsischem Landesgewohnheitsrecht gerechtfertigte Inanspruchnahme "naher" Angehöriger zur Organisation und Finanzierung der Bestattung eines verstorbenen Verwandten ist nur dann unverhältnismäßig, wenn sie nach § 11 Abs. 2 S. 2 NVwKostG grob unbillig und ermessensfehlerhaft ist. Etwaige Einschränkungen der gewohnheitsrechtlichen Pflicht müssen allen Bestattungspflichtigen gleichermaßen zugute kommen.

  2. 2.

    Soweit die Ordnungsbehörde auf Kosten des Bestattungspflichtigen die Bestattung selbst veranlasst, ist sie lediglich zur angemessenen Bestattung in einfacher, würdiger und ortsüblicher Form verpflichtet. Sie ist nicht gehalten, die Bestattung möglichst billig durchzuführen.

Tenor:

Die Beschwerde der Klägerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer (Einzelrichterin) - vom 21. Februar 2005 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Außergerichtliche Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

1

Die Beschwerde ist unbegründet, weil das Verwaltungsgericht den Antrag der Klägerin auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 ZPO zu Recht abgelehnt hat. Der Senat stimmt mit dem Verwaltungsgericht darin überein, dass die Rechtsverfolgung der Klägerin keine hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet.

2

Die Klägerin wendet sich gegen die Erstattung von Bestattungskosten für ihren verstorbenen Vater. In der Rechtsprechung des Senats (vgl. Senatsbeschl. v. 27.9.2004 - 8 ME 227/04 -, NJW 2005, 1067 = Nds. VBl. 2005, 54; Beschl. v. 19.5.2003 - 8 ME 76/03 - NST-N 2003, 205; v. 16.5.2003 - 8 LA 100/02 -; v. 9.12.2002 - 8 LA 158/02 -, Nds. VBl. 2003, 109, und v. 9.7.2002 - 8 PA 94/02 -) ist geklärt, dass die "nahen" Angehörigen eines Verstorbenen in Niedersachsen grundsätzlich landesgewohnheitsrechtlich dazu verpflichtet sind, für dessen Bestattung zu sorgen. Zu diesem Personenkreis gehören die Kinder des Verstorbenen. Kommen die nahen Angehörigen ihrer Bestattungspflicht nicht nach, so hat ersatzweise die zuständige Ordnungsbehörde die Bestattung zu veranlassen. Sie kann nachfolgend durch Leistungsbescheid gestützt auf § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG von dem Bestattungspflichtigen die Kosten der im Wege der Ersatzvornahme durchgeführten Bestattung geltend machen. Von diesen Grundsätzen ist zutreffend auch das Verwaltungsgericht ausgegangen und hat darauf beruhend der Anfechtungsklage der Klägerin keine Aussicht auf Erfolg beigemessen. Sie sei von der Beklagten als Ordnungsbehörde zu Recht zur Erstattung der Kosten herangezogen worden, die für die Bestattung ihres Vaters entstanden seien. Die Inanspruchnahme der Klägerin sei auch nicht unverhältnismäßig. Dies komme nur in Fällen in Betracht, in denen die Heranziehung zur Bestattung oder zum Kostenersatz grob unbillig und damit ermessensfehlerhaft wäre. Hierbei dürfte es sich jedoch in erster Linie um Fälle handeln, in denen sich der Verstorbene schwerer Straftaten gegenüber dem an sich bestattungspflichtigen Angehörigen schuldig gemacht habe. Diese Voraussetzungen seien vorliegend nicht gegeben.

3

Die Klägerin wendet gegen diese Entscheidung sinngemäß ein, dass ihre Heranziehung sowohl in der Sache als auch aufgrund ihrer persönlichen, nämlich ihrer wirtschaftlichen Verhältnisse eine unbillige Härte darstelle. Sachlich sei ihre Heranziehung unbillig, weil sie ihren verstorbenen Vater erst im Jahre 2002 ausfindig gemacht habe. Bis dahin habe sie zu ihm 45 Jahre lang keinen Kontakt gehabt. Er habe weder Unterhalt gezahlt noch persönliche Beziehungen zu ihr unterhalten. Er habe vielmehr ihre Mutter verlassen, als die Klägerin noch im Säuglingsalter gewesen sei. Nach ihren persönlichen Verhältnissen sei die Heranziehung unbillig, weil sie seit mehreren Jahren arbeitslos und es ihr deshalb finanziell nicht möglich sei, den streitigen Betrag in Höhe von 2.229,44 EUR aus eigenen Mitteln aufzubringen. Schließlich bestreitet sie hilfsweise den geltend gemachten Betrag auch der Höhe nach, da die ausgeführte Erdbestattung nicht die billigst mögliche gewesen sei. Diese Einwände greifen jedoch nicht durch.

4

Als Rechtsgrundlage für die von der Klägerin unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung anderer Obergerichte (vgl. OVG Münster, Beschl. v. 15.10.2001 - 19 A 571/00 -, NVwZ 2002, 996 ff., OVGE 48, 228 ff., m.w.N., sowie v. 2.2.1996 - 19 A 3802/95 -, NVwZ-RR 1997, 99 ff.; OVG Saarlouis, Urt. v. 25.8.2003 - 2 R 18/03 -, AS RP-SL 30, 439 ff.) sinngemäß geltend gemachte Berücksichtigung von Billigkeitserwägungen kommt nach dem maßgeblichen niedersächsischen Landesrecht allenfalls § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG in Betracht. Danach kann die Behörde von der Erhebung von Kosten absehen, wenn dies im Einzelfall mit Rücksicht auf die wirtschaftlichen Verhältnisse des Kostenschuldners oder sonst aus Billigkeitsgründen geboten ist. Diese Vorschrift ist auf die hier streitigen Ersatzvornahmekosten jedoch schon dem Grunde nach nicht anwendbar. § 66 Abs. 1 Satz 1 Nds. SOG als Rechtsgrundlage für die geltend gemachte Kostenforderung enthält keinen Verweis auf das Niedersächsische Verwaltungskostengesetz, sondern spricht davon, dass die Verwaltungsbehörde die Handlung auf Kosten der betroffenen Person selbst ausführen oder eine andere Person mit der Ausführung beauftragen kann. Lediglich für die hier nicht streitigen, zusätzlich zur Ausführung der Handlung erforderlichen Amtshandlungen enthält § 66 Abs. 1 Satz 2 Nds. SOG einen Verweis auf die Erhebung von Gebühren und Auslagen nach den Vorschriften des Niedersächsischen Verwaltungskostengesetzes. Gegen die ergänzende Heranziehung von § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG bei der Geltendmachung von Kosten für eine Bestattung, die die Ordnungsbehörde im Wege der Ersatzvornahme für die bestattungspflichtigen nahen Angehörigen des Verstorbenen vorgenommen hat, spricht auch, dass ansonsten eine nicht zu rechtfertigende Ungleichbehandlung der Bestattungspflichtigen entstünde. Diejenigen, die freiwillig oder aufgrund eines sofort vollziehbaren Bescheides ihrer Bestattungspflicht nachkommen, haben jedenfalls im Verhältnis zum Träger der Ordnungsbehörde die Bestattungskosten zu tragen. Diejenigen, die untätig geblieben sind, hätten hingegen bei Anwendung des § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG Anspruch auf eine zusätzliche Billigkeitsprüfung. Die daraus folgende Besserstellung der nahen Angehörigen, die ihrer Bestattungspflicht nicht nachgekommen sind, leuchtet nicht ein. § 11 Abs. 2 Satz 2 NVwKostG ist daher bei der hier streitigen Geltendmachung der Ersatzvornahmekosten unanwendbar.

5

Etwaige Einschränkungen der Pflicht naher Angehöriger, die Bestattung zu veranlassen und die dafür erforderlichen Kosten zu tragen, müssen vielmehr allen Bestattungspflichtigen in gleichem Umfang zugute kommen, d. h. die Bestattungspflicht selbst begrenzen. Diese öffentlich-rechtliche Pflicht besteht jedoch vorrangig aus Gründen der Gefahrenabwehr und kann daher allenfalls in besonderen Ausnahmefällen entfallen (vgl. Senatsbeschl. v. 19.5.2003, a.a.O.), insbesondere bei schweren Straftaten des Verstorbenen zu Lasten des an sich Bestattungspflichtigen. Unterhaltspflichtverletzungen gehören hierzu nicht. Weder dem (noch) maßgeblichen Landesgewohnheitsrecht noch dem gegenwärtig im Niedersächsischen Landtag beratenen Entwurf eines Gesetzes über das Leichen-, Bestattungs- und Friedhofswesen (LT-Drs. 15/1150) lässt sich eine solche Einschränkung entnehmen. Zudem wäre der Wegfall der Bestattungspflicht wegen einer Unterhaltspflichtverletzung von der zuständigen Verwaltungsbehörde innerhalb der Frist von 96 Stunden seit dem Tode, in der die Bestattung nach § 2 Abs. 1 der Verordnung über die Bestattung von Leichen vom 29. Oktober 1964 (GVBl. S. 183), zuletzt geändert durch Verordnung vom 17. September 1986 (GVBl. S. 303), zu veranlassen ist, kaum feststellbar.

6

Für die Annahme eines Ausnahmetatbestandes, der die Bestattungspflicht entfallen lässt, hat es der Senat (vgl. Beschl. v. 19.5.2003, a.a.O.) daher als nicht ausreichend angesehen, wenn der Verstorbene seiner bestattungspflichtigen Mutter vor mehr als 30 Jahren Geld entwendet hat. Ebenso wenig hat er dafür die seit Jahrzehnten fehlende familiäre Bindung zwischen dem Bestattungspflichtigen und dem Verstorbenen als zureichend erachtet (vgl. Beschl. v. 16.5.2003, a.a.O.). Auch die im vorliegenden Fall geltend gemachten Tatsachen, dass der Verstorbene die Klägerin und ihre Mutter verlassen habe, als die Klägerin noch im Säuglingsalter gewesen sei, und danach bis zum Jahr 2002 weder finanziell zum Unterhalt beigetragen noch sonst Kontakt zu der Klägerin gehalten habe, reichen daher für die Annahme eines Ausnahmefalles nicht hin. Im Übrigen ist nicht ersichtlich ist, inwieweit der Verstorbene nach seinen persönlichen oder wirtschaftlichen Verhältnissen überhaupt zum Kindesunterhalt hätte beitragen können.

7

Schließlich besteht unter Berücksichtigung der Kostenübernahmeregelung des § 15 BSHG bzw. nunmehr des § 74 SGB XII auch keine Notwendigkeit, bei gestörten Familienverhältnissen eine Ausnahme von der Bestattungspflicht für volljährige Kinder des Verstorbenen vorzusehen, wenn diese zur Übernahme der notwendigen Bestattungskosten finanziell nicht in der Lage sind. Soweit diese Kosten nicht anderweitig, etwa durch zivilrechtliche Ausgleichsansprüche, gedeckt werden können, verbleibt dem Bestattungspflichtigen nach den genannten Bestimmungen nämlich die Möglichkeit, die erforderlichen Bestattungskosten vom Sozialhilfeträger des Bestattungsortes zu verlangen, soweit ihm als Verpflichteten die Kostentragung nicht zugemutet werden kann (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 19.10.2004 - 1 S 681/04 -, VBlBW 2005, 141 ff.).

8

Da die geltend gemachten sachlichen und persönlichen "Unbilligkeitsgründe" somit nicht durchgreifen, ist die Klägerin dem Grunde nach zu Recht zur Kostentragung herangezogen worden.

9

Ihr kann auch nicht in der Argumentation gefolgt werden, dass die im Wege der Ersatzvornahme durchgeführte Bestattung "billigst" zu erfolgen habe und darüber hinausgehende Kosten nicht erstattungsfähig seien. Soweit die Ordnungsbehörde auf Kosten des Bestattungspflichtigen die Bestattung selbst veranlasst, hat sie vielmehr grundsätzlich eine angemessene Bestattung in einfacher, aber würdiger und ortsüblicher Form zu gewährleisten (vgl. VGH Mannheim, Urt. v. 5.12.1996 - 1 S 1366/96 -, NJW 1997, 3113 f.). Daher ist es nicht zu beanstanden, wenn die Ordnungsbehörde - wie vorliegend die Beklagte - mangels ausdrücklicher abweichender Bestimmungen des Verstorbenen oder des Bestattungspflichtigen eine Bestattung nach Maßgabe ihrer Sozialhilferichtlinien für Bestattungen veranlasst. Darin sind nämlich die notwendigen Kosten für ein ortsübliches Begräbnis in einfacher, aber der Würde des Toten entsprechender Art zusammengefasst. Dazu gehören etwa die Aufwendungen für den Sarg, das Waschen, Einkleiden und Einsargen, den Leichenwagen, die Sargträger sowie die Leichenhalle und den Ankauf eines Grabplatzes (vgl. VGH Kassel, Urt. v. 10.2.2004 - 10 UE 2497/03 -, FEVS 55, 400 ff.). Die Ordnungsbehörde ist nicht verpflichtet, den Verstorbenen aus Kostengründen anonym zu beerdigen (vgl. Gaedke/Tiefenbach, Handbuch des Friedhofs- und Bestattungsrechts, 9. Aufl., S. 117). Denn eine anonyme Bestattung wird in der Regel nur für Urnen angeboten, setzt also eine Verbrennung der Leiche voraus. Dadurch wird ein irreparabler Zustand geschaffen. Angehörigen oder Bekannten wäre es dann nicht mehr möglich, die Grabstätte des Verstorbenen zu besuchen oder eine Umbettung vorzunehmen. Dass hieran möglicherweise ein Interesse besteht, kann jedoch grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden, wenn nicht ausdrücklich eine abweichende Erklärung des Verstorbenen oder des Bestattungspflichtigen vorliegt. Es kann daher dahinstehen, ob die Ordnungsbehörde ohne dahingehende Erklärung des Verstorbenen oder seiner bestattungspflichtigen Angehörigen nach dem in Niedersachsen als Landesrecht fortgeltenden Gesetz über die Feuerbestattung vom 15. Mai 1934 (Sb II, S. 279), geändert durch Gesetz vom 30. Juli 1985 (GVBl. S. 246), überhaupt berechtigt ist, die Leiche des Verstorbenen verbrennen zu lassen. Die Klägerin hat daher auch die Kosten für die Erdbestattung ihres verstorbenen Vaters in einem Reihengrab zu tragen.

10

Den von ihr für notwendig erachteten Antrag auf Stundung bzw. Erlass der (Friedhofs-) Gebühren aus Billigkeitsgründen gemäß § 5 der Gebührenordnung für den Friedhof, auf dem die Leiche ihres Vaters bestattet worden ist, konnte die Beklagte schon deshalb nicht stellen, weil ihr die dazu erforderlichen persönlichen und sachlichen Verhältnisse des oder der als bestattungspflichtig in Betracht kommenden Person oder Personen unbekannt waren.

11

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO.

12

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).

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