Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 20.01.2015, Az.: 10 LB 13/13

Abtretung; Aufrechnung; privater Dienstleister; ständige Verwaltungspraxis; Tierseuchenkasse; tierseuchenrechtliche Entschädigung; Vorschuss; Werklohnforderung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
20.01.2015
Aktenzeichen
10 LB 13/13
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2015, 45220
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 13.01.2011 - AZ: 7 A 869/09

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Die von der Tierseuchenkasse in ständiger Verwaltungspraxis vorgenommene Aufrechnung mit an sie abgetretenen werkvertraglichen Restzahlungsansprüchen eines privaten Dritten gegen tierseuchenrechtliche Entschädigungsansprüche eines Tierhalters ist mit der bundesgesetzlich und europarechtlich vorgeschriebenen Systematik und dem Sinn und Zweck einer zügigen und angemessenen Entschädigungsgewährung an den Tierhalter nicht vereinbar.

2. Die Verwaltungspraxis der Tierseuchenkasse, sich systematisch zivilrechtliche Forderungen privater Dienstleister gegenüber dem durch eine tierseuchenrechtliche Tötungsanordnung betroffenen Tierhalter zur Sicherung von zuvor geleisteten Vorschusszahlungen abtreten zu lassen, ist Bestandteil eines Seuchenvorsorgesystems. Sie gehört nicht zu den gesetzlichen Aufgaben der Tierseuchenkasse und hätte einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft.

Tatbestand:

Die Beteiligten streiten im Berufungsverfahren um die Frage, ob die Beklagte gegenüber einem tierseuchenrechtlichen Entschädigungsanspruch des Klägers mit einer an sie abgetretenen und gegen den Kläger gerichteten zivilrechtlichen (Rest-)Forderung die Aufrechnung erklären durfte.

Der Kläger betrieb im Jahre 2008 in seiner Betriebsstätte in A. u.a. die     Putenmast. Am 12. Dezember 2008 stellte das Veterinäramt des Landkreises B. den Befall des Putenbestands des Klägers mit dem Virus PCR Influenza A Subtyp H5 (LPAI) fest und ordnete sogleich die Tötung und unschädliche Beseitigung des Putenbestands an. Daraufhin beauftragte der Kläger die Anicon Vorsorge GmbH mit der Tötung von 14.746 Puten und der Räumung des Bestands. Diesen Maßnahmen lag ein Vertrag vom 22. Dezember 2008 zugrunde. In § 2 dieses Vertrags heißt es, dass der Auftragnehmer vom Auftraggeber für die durchgeführten Arbeiten eine Vergütung erhält. Des Weiteren wurde vereinbart, dass der Tierhalter seine auf bundesrechtlicher und landesrechtlicher Grundlage bestehenden Ansprüche auf Freistellung von den Kosten, die ihm durch diesen Werkvertrag entstanden sind, an den Auftragnehmer abtritt und ihn ermächtigt, die Ansprüche nach Abschluss der Maßnahme gegenüber der Niedersächsischen Tierseuchenkasse geltend zu machen. Die Beklagte gewährte der Anicon Vorsorge GmbH entsprechend ihrer Verwaltungspraxis zum Zwecke der effektiven Tierseuchenbekämpfung einen finanziellen Vorschuss in Höhe von 100.000,-- €.

Am 22. Dezember 2008 beantragte der Kläger bei der Beklagten eine Entschädigung für den Wert seiner Tiere und die Erstattung der Kosten für die Tötung der Tiere und die Reinigung der Ställe. Die Firma Anicon Vorsorge GmbH stellte dem Kläger am 29. Dezember 2008 die Kosten für die Tötung und Bestandsräumung in Höhe von 168.475,44 € brutto (Menge 166.560 kg x 0,85 € Einzelpreis = 141.576 € zuzüglich 26.899,44 € MwSt.) und am 6. Januar 2009 für die Desinfektion und Reinigung des Bestands in Höhe von weiteren 6.300,81 € (14.000 Tiere x 0,3782 € Einzelpreis = 5.294,80 € zuzüglich 1.006,01 € MwSt.) in Rechnung.

Mit Schreiben vom 11. Februar 2009 wies die Beklagte den Kläger darauf hin, dass Leistungen nur erbracht werden könnten, wenn der Kläger den gegen sie gerichteten Anspruch auf Übernahme der Tötungs-, Reinigungs- und Desinfektionskosten zuvor an die Firma Anicon Vorsorge GmbH abgetreten habe. Bislang habe der Kläger nur den Anspruch auf Erstattung der Tötungskosten und nicht seinen Beihilfeanspruch auf Übernahme der Reinigungs- und Desinfektionskosten an die Firma Anicon Vorsorge GmbH abgetreten. Der Kläger erklärte am 13. Februar 2009 auch diesbezüglich die Abtretung an die Firma Anicon Vorsorge GmbH. Des Weiteren trat auch die Firma Anicon Vorsorge GmbH mit Schreiben vom 16./17. Februar 2009 ihre gegen den Kläger bestehenden Werklohnforderungen an die Beklagte ab.

Mit Bescheid vom 17. Februar 2009 gewährte die Beklagte dem Kläger

1. eine Entschädigung für die am 13. Dezember 2008 auf amtliche Anordnung getöteten 14.746 Putenhähne in Höhe von 201.022,69 €,

2. eine Erstattung von Tötungskosten in Höhe von 124.671,83 € und

3. eine Beihilfe zu den Kosten der durchgeführten Reinigung und Desinfektion in Höhe von 4.662,00 €.

Zur Begründung der Entschädigung für die Tötung der Puten (Ziffer 1.) führte die Beklagte aus, dass ein Verstoß gegen die Nachmelde- und Beitragspflicht gegeben sei. Der Kläger habe die Beiträge für 2.000 Puten nicht rechtzeitig entrichtet und weitere 1.220 Tiere weder rechtzeitig angemeldet noch nachgemeldet (Differenz: 15.220 und 12.000 Puten = 3.220 Puten). Die Beklagte sprach dem Kläger - unter ausführlicher Begründung - eine teilweise Leistung in Höhe von 74 % des gemeinen Werts der 14.746 getöteten Putenhähne zu, d.h. eine  teilweise Leistung in Höhe von 201.022,69 €. Ebenfalls sei im Hinblick auf die Erstattung der Tötungskosten (Ziffer 2.) und hinsichtlich der Berechnung der Beihilfe für die Reinigungs- und Desinfektionskosten (Ziffer 3.) eine Quote von 74 % anzulegen. Die Beklagte stellte laut Rechnungsvermerk die sachliche Richtigkeit der Rechnungen der Firma Anicon Vorsorge GmbH vom 29. Dezember 2008 und vom 6. Januar 2009 fest und bewilligte dem Kläger einen Erstattungsbetrag hinsichtlich der Tötungs- und Räumungskosten in Höhe von 124.671,83 Euro, d.h. 74 % von dem Rechnungsbetrag in Höhe von 168.475,44 €. Die Beihilfe für die Reinigungs- und Desinfektionskosten betrage 4.662,00 Euro, d.h. 74 % von dem Rechnungsbetrag in Höhe von 6.300,81 €.

Die Beklagte wies ferner darauf hin, dass sie den Erstattungsbetrag und den Beihilfebetrag aufgrund der Abtretungserklärung des Klägers unmittelbar an die Firma Anicon Vorsorge GmbH auszahle. Hinsichtlich der Tötungs- und Räumungskosten verbleibe eine Differenz von 43.803,61 € (168.475,44 € - 124.671,83 €), hinsichtlich der Desinfektions- und Reinigungskosten von 1.638,81 € (6.300,81 € - 4.662,00 €). Da die Firma Anicon Vorsorge GmbH die beiden Restforderungen gegen den Kläger in Höhe von insgesamt 45.442,42 € an sie abgetreten habe, rechne sie diese mit dem tierseuchenrechtlichen Entschädigungsbetrag in Höhe von 201.022,69 € auf. Demnach sei dem Kläger ein verbleibender Betrag von 155.580,27 € auszuzahlen.

Der Kläger hat am 9. März 2009 Klage erhoben, mit der er eine weitere Leistung der beklagten Tierseuchenkasse begehrt. Er hat sich zum einen gegen die Quotelung des Entschädigungs-, Erstattungs- und Beihilfeanspruchs gewendet. Zum anderen richtet er sich gegen die Aufrechnung, zu der die Beklagte nicht befugt gewesen sei. Die Beklagte habe mit der Aufrechnung in der Sache die Rechtmäßigkeit der Forderungen unterstellt. Diese sei allerdings nicht gegeben, weil er die Höhe der Forderungen bestreite.

Der Kläger hat beantragt,

die Beklagte zu verpflichten, ihm

1. eine Entschädigung für seine am 13. Dezember 2008 auf amtliche Anordnung getöteten 14.746 Putenhähne in Höhe von 271.652,29 € zu gewähren,

2. Tötungskosten in Höhe von 168.475,44 € zu erstatten und

3. eine Beihilfe zu den Kosten der durchgeführten Reinigung und Desinfektion in Höhe von 6.300,81 € zu gewähren und

den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2009 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht,

hilfsweise,

die Beklagte zu verpflichten, den Antrag des Klägers auf Gewährung einer Leistung vom 6. Januar 2009 unter Aufhebung des Bescheides der Beklagten vom 17. Februar 2009 unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu bescheiden.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Zur Begründung hat sie Ihren Vortrag wiederholt, vertieft und ergänzt.

Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit Urteil vom 13. Januar 2011 abgewiesen.    Es hat zur Rechtmäßigkeit der Aufrechnung ausgeführt: Der Einwand des Klägers, die Anicon Vorsorge GmbH habe für ihr Tätigwerden eine unangemessene Vergütung verlangt, führe nicht zu einer anderen Beurteilung. Der Kläger habe die Höhe des Vergütungsanspruchs vorprozessual weder der Anicon GmbH noch der Beklagten gegenüber gerügt. Vielmehr habe er eine Erstattung von Tötungskosten nach Maßgabe der Rechnung der Anicon Vorsorge GmbH beantragt. Wäre diese überhöht und würde der Kläger eine geringere Vergütung durchsetzen, wären ihm Vergütungskosten in deutlich geringerer Höhe zu erstatten. Zudem müsse er im Verhältnis zur Anicon Vorsorge GmbH einen angemessenen Werklohn durchsetzen; dieses Rechtsverhältnis sei nicht Gegenstand dieses Verfahrens.

Auf Antrag des Klägers hat der Senat mit Beschluss vom 28. Januar 2013 (- 10 LA 19/11 -) die auf § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Berufung im Hinblick auf die Aufrechnung im Umfang von 45.442,42 € zugelassen. Insoweit sei die - in Rechtsprechung und Literatur umstrittene - Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Verwaltungsgericht die Entscheidung über das Bestehen oder Nichtbestehen einer zur Aufrechnung gestellten rechtswegfremden und bestrittenen Gegenforderung nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG in der seit dem 1. Januar 1991 geltenden Fassung vom 17. Dezember 1990 gestattet ist, im Berufungsverfahren näher zu beantworten. Im Übrigen hat der Senat den Zulassungsantrag zurückgewiesen.

Mit der Berufung macht der Kläger ergänzend geltend, dass das Verwaltungsgericht zu einer Entscheidung über die zivilrechtliche Forderung der Anicon Vorsorge GmbH gemäß § 17 Abs. 2 GVG nicht berufen gewesen sei. Die Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts beschränke sich auf öffentlich-rechtliche Forderungen. Etwas anderes könne lediglich für den Fall gelten, dass die zur Aufrechnung gestellte Gegenforderung unbestritten oder rechtskräftig festgestellt wäre. Dies sei hier jedoch nicht gegeben, so dass die Aufrechnung gegenstandslos und die Beklagte zur Auszahlung des Betrags in Höhe von 45.442,42 € verpflichtet sei. Entgegen der Auffassung der Beklagten habe er die Forderungen der Anicon Vorsorge GmbH auch nicht anerkannt, sondern bereits erstinstanzlich vorgetragen, dass die Vergütung unangemessen hoch sei. Im Übrigen sei die Beklagte nicht legitimiert gewesen, diese Forderungen zu seinen Lasten anzuerkennen.

Der Kläger beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 13. Januar 2011 zu ändern und die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 45.442,42 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 9. März 2009 zu zahlen sowie den Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2009 aufzuheben, soweit er dem entgegensteht.

Die Beklagte beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts sei die Aufrechnung zu berücksichtigen, sofern die Gegenforderung rechtskräftig oder bestandskräftig festgestellt oder unbestritten sei. Es sei zweifelhaft, ob der Kläger die Forderung der Anicon Vorsorge GmbH überhaupt qualifiziert bestritten habe. Das Verwaltungsgericht habe in der angefochtenen Entscheidung festgestellt, dass der Kläger die Forderung weder der Anicon Vorsorge GmbH noch der Beklagten gegenüber gerügt habe. Ungeachtet dessen spreche die Prozessökonomie dafür, dass das Verwaltungsgericht zugleich auch über die zivilrechtliche Forderung der Anicon Vorsorge GmbH habe entscheiden dürfen. Denn die Frage der Rechtmäßigkeit der von der Beklagten gewährten  Entschädigung, Erstattung und Beihilfe könne nur beurteilt werden, wenn auch die ihr zugrunde liegenden zivilrechtlichen Forderungen der Anicon Vorsorge GmbH der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle unterlägen. Anderenfalls bestünde die Gefahr der Rechtswegzersplitterung. Die Zivilgerichtsbarkeit hätte über die Rechtmäßigkeit der Forderung der Anicon Vorsorge GmbH zu entscheiden und die Verwaltungsgerichtsbarkeit über die Rechtmäßigkeit des auf der Grundlage dieser zivilrechtlichen Forderung ergangenen Bescheides.

Der Senat hat der Beklagten - nach Durchführung der mündlichen Verhandlung am   17. Juni 2014 - mit Beschluss vom 19. Juni 2014 aufgegeben:

1. Die Organisation des von ihr im Schriftsatz vom 16. Juni 2014 angesprochenen Seuchenvorsorgesystems und deren rechtlichen Grundlagen näher darzustellen, insbesondere in Hinblick auf die Funktion und die Einbindung der Ems-ländischen Geflügelseuchenvorsorge GmbH, der GESEVO GmbH und der Anicon Vorsorge GmbH.

2. Für den Fall, dass Verträge zwischen der Anicon Vorsorge GmbH und der Beklagten bestehen, diese dem Gericht vorzulegen. Das gleiche gilt für Verträge zwischen der Emsländischen Geflügelseuchenvorsorge GmbH bzw. der      GESEVO GmbH und der Beklagten.

3. Ihre Rechtsauffassung, § 5 Abs. 4 der Beihilfesatzung stelle die Rechtsgrundlage für die Abtretung der zivilrechtlichen (Rest-)Forderungen der Anicon Vorsorge GmbH an sie dar, normativ zu begründen.

4. Dem Gericht den nach § 5 Abs. 4 Beihilfesatzung gefassten Beschluss des Vorstands vorzulegen, welcher der Beklagten die Befugnis einräumt, sich private Forderungen - hier der Anicon Vorsorge GmbH - abtreten zu lassen.

5. Zu belegen, dass die Funktionsfähigkeit des Vorsorgesystems davon abhängt, dass die Beklagte sich die Forderungen der privaten Unternehmen (Kosten für die Tötung und Reinigung) abtreten lässt.

6. Näher darzulegen, warum bei unterstellter Rechtmäßigkeit der o.a. Abtretung die Aufrechnung mit der Forderung auch gegenüber anerkannten Entschädigungsansprüchen des Tierbesitzers zulässig sein soll und dem weder die insoweit ggf. abschließenden, keine Aufrechnung enthaltenden §§ 67 ff. TierSG und §§ 11, 12 AGTierSG noch in entsprechender Anwendung von § 72 a Abs. 1 Satz 2 TierSG ein Aufrechnungsverbot entgegenstehen.

Die Beklagte beantwortet die gerichtlichen Fragen mit Schreiben vom 3. September 2014 im Wesentlichen wie folgt:

Sie habe aufgrund der Erfahrungen mit der verheerenden Geflügelpest in den Niederlanden und Belgien im Jahr 2003 auf der Rechtsgrundlage des § 6 Nds. GeflügelpstVO sowie nach Art. 7 Abs. 3 e) VO (EU) 349/2005 ein Seuchenvorsorgesystem eingeführt, um im Fall des Seuchenausbruchs die Mobilisierung und Beschaffung der zur Beseitigung der Krise erforderlichen Dienstleistungen und Geräte zügig und effektiv organisieren zu können. Diese Aufgabe nehme in den Landkreisen Emsland und in der Grafschaft Bentheim die Emsländischen Geflügelvorsorge GMBH (im Folgenden: GSV) und in den übrigen Landkreisen die GESEVO GmbH wahr, indem sie Verträge mit Dritten zur Durchführung und Abrechnung von Maßnahmen zur Bekämpfung der Geflügelpest abgeschlossen hätten. Die GESEVO habe nach Durchführung einer Marktanalyse die Anicon Vorsorge GmbH, welche eigens für die Erbringungen von Dienstleistungen im Seuchenvorsorgesystem gegründet worden sei, als Dienstleisterin für die Bekämpfung der Geflügelpest vertraglich gebunden und verpflichtet, im Seuchenfall direkt mit der Beklagten abzurechnen. Mit Vereinbarung vom Oktober 2008 habe sich die Beklagte an den Kosten der von der GESEVO veranlassten Vorsorgemaßnahmen beteiligt. Die Beklagte stellt klar, dass ein Vertrag zwischen ihr und der Anicon Vorsorge GmbH nicht bestehe. Es entspreche der ständigen Verwaltungspraxis der Beklagten, dass der Anicon Vorsorge GmbH zum Zwecke der Seuchenbekämpfung Vorschusszahlungen gewährt werden, um Subunternehmer und Personal bezahlen zu können. Dabei sei dem Vorstand der Beklagten bewusst gewesen, dass unter Umständen ein Erstattungsanspruch des Tierhalters nicht bzw. nur beschränkt bestehe und ein finanzielles Risiko bestehe, die Kosten vom Tierhalter nicht erstattet zu bekommen. Dieses Vorgehen sei aber zwingend erforderlich, um die Liquidität der Anicon Vorsorge GmbH im Seuchenfall zu gewährleisten. Darüber hinaus habe sich die Anicon Vorsorge GmbH von der GESEVO zusichern lassen, dass sie zur Vermeidung von Zahlungsschwierigkeiten eine 100 % Vergütungssicherheit erhalte. Vor diesem Hintergrund habe der Vorstand am 27. Januar 2009 die (Vorschuss-)Zahlungen an die Anicon Vorsorge GmbH als Beihilfe zu vorbeugenden Maßnahmen im Sinne des § 13 Abs. 1 Satz 1 AGTierSG in Verbindung mit § 5 Abs. 4 Beihilfesatzung gewertet. Dieser Beschluss stehe im Einklang mit der zum Zeitpunkt der Vorlage des Vertragsentwurfs „GESEVO Anicon“ ergangenen Entscheidung des Vorstands vom 26. Juni 2008. Seinerzeit habe der Vorstand beschlossen, dass die Tierseuchenkasse für die Schaffung einer niedersächsischen Geflügelpestvorsorgelösung eine bestimmte jährliche Summe für eine Laufzeit von 5 Jahren aus den Beiträgen der Geflügelhalter als Beihilfe gewähre. Aus diesem Grund sei im Jahr 2009 vertraglich zwischen der Beklagten und der GESEVO sowie der GSV vereinbart worden, dass „auf Antrag der GESEVO/GSV ein beauftragter Dritter i.S.v. § 2 Abs. 2 Satz 1 dieses Vertrages von der TSK eine Ausgleichszahlung erhält, wenn er in einem Seuchengeschehen mit einer Forderung aus Werkvertrag gegenüber einem Tierhalter ausfällt, weil Ansprüche aus Abtretung gemäß §§ 69, 70, 72 d TierSG bzw. zukünftiger entsprechender Regelungen im Tiergesundheitsgesetz vollständig oder teilweise ins Leere gehen und der Tierhalter trotz 2. Mahnung nicht gezahlt hat. Voraussetzung für die Zahlung ist, dass der Dritte seine Ansprüche gegen den Tierhalter i.S.v. § 398 ff. BGB an die TSK abtritt. Die Ausgleichszahlung wird nach erfolgloser zweite[r] Mahnung in Höhe der abgetretenen Forderung geleistet.“ Diese Abrechnungsweise habe sich bewährt, was die Räumung von 47 Beständen beim Ausbruch der Vogelgrippe 2008/2009 gezeigt habe. Diese Bestände seien effektiv und schnell geräumt worden, so dass sich das Virus nicht habe ausbreiten können. Für die Tötung, Tierkörperbeseitigung, Reinigung und Desinfektion seien 14,12 Mio. € aufgewandt worden. Verzögerungen hätten die Kosten deutlich in die Höhe steigen lassen. Das finanzielle Risiko der Beklagten stehe im Verhältnis zu den Zielen des Vorsorgesystems. Der Beklagte habe lediglich gegenüber einem säumigen Tierhalter Außenstände in Höhe von 100.000,00 €, die wegen eines parallel betriebenen Rechtsstreits noch nicht hätten eingetrieben werden können.

Die von der Beklagten vorgenommene Aufrechnung der (Rest-)Forderung der Anicon Vorsorge GmbH mit der Entschädigungsforderung des Klägers greife zwar in dessen  Rechte ein, doch sei dieser Eingriff gemäß § 70 TierSG gesetzlich zulässig. Nach dieser Vorschrift stünde der Beklagten ein weites Ermessen zu, ob und wie (in welcher Höhe) sie eine Entschädigung bewillige. Die Frage des „ob“ könne dahingehend beantwortet werden, dass nur im Fall der Aufrechnung mit Außenständen eine Entschädigung gewährt werde. Die Aufrechnung sei ferner nicht verboten. Etwas anderes ergebe sich nicht aus den Vorschriften der §§ 67 ff. TierSG in Verbindung mit §§ 11, 12 TierSG, weil diese auf den vorliegenden Sachverhalt nicht anzuwenden seien. Die Zulässigkeit der Aufrechnung sei aus Sicht des Gesetzgebers mangels Anlasses nicht regelungsbedürftig gewesen. Für ein Aufrechnungsverbot spreche auch nicht die analoge Anwendung des § 72a Abs. 1 Satz 2 TierSG. Diese Norm diene nicht dem Schutz des Entschädigungsberechtigten, sondern verfolge öffentliche Interessen.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakte verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat Erfolg, soweit der Senat sie zugelassen hat.

Dem Kläger steht ein Anspruch gegen die Beklagte auf Zahlung eines weiteren Entschädigungsbetrags in Höhe von 45.442,42 € zu. Diesen Anspruch kann der Kläger im Wege der kombinierten Anfechtungs- und Leistungsklage geltend machen, weil er sinngemäß als minus in der erstinstanzlich erhobenen Verpflichtungsklage enthalten ist.

Der Kläger hat gegenüber der Beklagten einen Anspruch auf Gewährung einer Entschädigung für den Wert der getöteten 14.746 Puten in Höhe von insgesamt 201.022,69 €. Diese Hauptforderung ist auch nicht erloschen, soweit die Beklagte mit einer Gegenforderung der Anicon Vorsorge GmbH in Höhe von 45.442,42 € aufgerechnet hat. Denn die Beklagte ist weder zur Aufrechnung berechtigt (dazu unter 1.) noch durfte sie sich die gegen den Kläger gerichteten und noch offenen Werklohnforderungen von der Anicon Vorsorge GmbH abtreten lassen (dazu unter 2.). Der Bescheid der Beklagten vom 17. Februar 2009 ist rechtswidrig und verletzt den Kläger in seinen Rechten, soweit er die Aufrechnung betrifft (§§ 125 Abs. 1 Satz 1, 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Da sich Aufrechnungs- und Abtretungsverbot aus den folgenden öffentlich-rechtlichen Normen ergeben, ist jedenfalls insoweit nach § 17 Abs. 2 Satz 1 GVG eine Prüfungskompetenz der Verwaltungsgerichtsbarkeit eröffnet.

1. Die von der Beklagten im Bescheid vom 17. Februar 2009 erklärte Aufrechnung gegen den Entschädigungsanspruch des Klägers und die damit erfolgte Kürzung dieses Anspruches sind unzulässig. Zwar bestehen im Grundsatz keine Bedenken, dass auch juristische Personen des öffentlichen Rechts mit an sie abgetretenen zivilrechtlichen Forderungen die Aufrechnung gegen einen öffentlich-rechtlichen Entschädigungsanspruch erklären dürfen. Doch ist die von der Beklagten in ständiger Verwaltungspraxis vorgenommene Aufrechnung mit an sie abgetretenen werkvertraglichen Restzahlungsansprüchen eines privaten Dritten gegen tierseuchenrechtliche Entschädigungsansprüche eines Tierhalters mit der bundesgesetzlich und europarechtlich vorgeschriebenen Systematik und dem Sinn und Zweck einer zügigen und angemessenen Entschädigungsgewährung an den Tierhalter nicht vereinbar.

Über die ausdrücklichen Aufrechnungsverbote in §§ 390 ff. BGB hinaus kann eine Aufrechnung gegen öffentlich-rechtliche Ansprüche auch aus Gründen ausgeschlossen sein, die sich aus dem jeweils maßgeblichen öffentlichen Recht ergeben. Zwar schließen die für den tierseuchenrechtlichen Entschädigungsanspruch des Klägers maßgeblichen Vorschriften eine Aufrechnung nicht ausdrücklich aus. Eine Aufrechnung gegen den Entschädigungsanspruch läuft jedoch ihrem Sinn und Zweck zuwider. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 des hier maßgeblichen Tierseuchengesetzes (im Folgenden: TierSG) regelt das (Bundes-)Gesetz die Bekämpfung von Tierseuchen. Gemäß § 66 TierSG wird insbesondere für Tiere, die auf behördliche Anordnung getötet worden sind, eine Entschädigung in Geld geleistet. Der Entschädigung wird nach § 67 Abs. 1 Satz 1 TierSG der gemeine Wert des Tieres zugrunde gelegt. Absatz 2 Satz 1 dieser Vorschrift setzt für einzelne Tierarten Höchstsätze der Entschädigung je Tier fest. § 72 Abs. 1 TierSG regelt, dass die Entschädigung, sofern ein anderer Berechtigter nicht bekannt ist, demjenigen gezahlt wird, in dessen Gewahrsam oder Obhut sich das Tier zur Zeit des Todes befand. Dies ist grundsätzlich der gemeldete Tierhalter. Gemäß      § 69 Abs. 1 Satz 2 TierSG entfällt in den Fällen des § 66 Nr. 1 der Anspruch auf Entschädigung auch, wenn ein vollständiger Antrag auf Zahlung der Entschädigung nicht spätestens 30 Tage nach der Tötung des Tieres, im Falle der Tötung eines Bestandes nach der Tötung des letzten Tieres des Bestandes bei der nach Landesrecht zuständigen Stelle eingegangen ist. Nach den Erwägungen des Gesetzgebers ist diese kurze Fristsetzung erforderlich, um zu gewährleisten, dass der Tierbesitzer auch wirklich innerhalb der aufgrund der europarechtlichen Vorgaben geltenden 90-Tage-Frist seine Entschädigung erhält. Anderenfalls wird die von den Mitgliedstaaten bei der Kommission beantragte Kofinanzierung gekürzt (Bundesrat Drs. 132/04, zu Nummer 41 (§ 69)). Damit hat der Gesetzgeber die Anforderungen an die Gewährung von Finanzhilfen der Gemeinschaft an die Mitgliedstaaten nach Artikel 3 a) VO (EG) Nr. 349/2005 der Kommission vom 28. Februar 2005 umgesetzt. Darin heißt es, dass die Mitgliedsländer Finanzhilfen für die „zügige und angemessene“ Entschädigung der Tierhalter erhalten. Laut der Definition gemäß Artikel 2 a) dieser Verordnung setzt eine „zügige und angemessene Entschädigung“ die Entschädigung in Höhe des Marktpreises der Tiere, die innerhalb von 90 Tagen nach der Tötung gezahlt wird, voraus. Weitere Kosten, die bei der Verwertung oder Tötung des Tieres entstehen, zählen gemäß § 67 Abs. 4 Satz 2 TiersG nicht zur Entschädigung und werden zusätzlich erstattet. Die Beihilfegewährung ist im TierSG hingegen nicht normiert, sondern als zusätzliche Leistung im Ausführungsgesetz zum Tierseuchengesetz (im Folgenden: AGTierSG) enthalten. Hinsichtlich der Erstattung der Tötungskosten und der Beihilfe für die Reinigungs- und Desinfektionskosten gilt eine mit § 69 Abs. 1 Satz 2 TierSG vergleichbare Frist nicht. Auch richtet sich deren Höhe maßgeblich nach den von dem privaten Dienstleister gegenüber dem Tierhalter in Rechnung gestellten Beträgen. Voraussetzung dafür ist also zunächst, dass die Kosten dieser Maßnahmen durch den privaten Dienstleister - hier die Anicon Vorsorge GmbH - gegenüber dem Tierhalter ordnungsgemäß abgerechnet worden sind. Erst in einem nächsten Schritt gewährt die Beklagte nach Prüfung der Sach- und Rechtslage im Einzelfall die vollen Kosten bzw. anteilig die Kosten der vorgelegten Rechnungsbeträge.

Damit stehen die Entschädigung, die Erstattung und die Beihilfe in einem hierarchischen Verhältnis zueinander, wobei der Entschädigungsanspruch vorrangig und unabhängig von den beiden übrigen Ansprüchen zu gewähren ist. Dieses bundesgesetzlich und europarechtlich vorgeschriebene System der Entschädigungsgewährung an den Tierhalter wird durch die ständige Verwaltungspraxis der Beklagten in sein Gegenteil verkehrt. Denn die Beklagte gewährt den Entschädigungsanspruch erst, nachdem der Kläger als gemeldeter Tierhalter die abgerechneten Kosten des privaten Dienstleisters eingereicht und die Beklagte den Erstattungsbetrag und den Beihilfebetrag berechnet hat. Bereits diese Praxis steht der zügigen Entschädigungsgewährung entgegen. Darüber hinaus bewirkt die erklärte Aufrechnung eine Kürzung des dem Kläger als gemeldeten Tierhalter zustehenden Entschädigungsbetrages um die noch offenen Werklohnforderungen des Dritten, die sie sich hat abtreten lassen. Damit wird die Entschädigung nicht - wie gesetzlich in § 69 Abs. 4 Satz 2 TierSG vorgesehen - zügig und ungeachtet etwaiger zusätzlicher Kostenerstattungs- und/oder Beihilfeansprüche gewährt, sondern sie wird von der Beklagten systematisch davon abhängig gemacht, in welchem Umfang Kostenerstattungs- und/oder Beihilfeansprüche bestehen und inwieweit dadurch eine Differenz zu den zivilrechtlichen Zahlungsansprüchen eines Dritten besteht. Entgegen dem Sinn und Zweck der Regelung in § 69 Abs. 4 Satz 2 TierSG verrechnet somit die Beklagte zu Lasten des Entschädigungsberechtigten im öffentlich-rechtlichen Zuwendungsverhältnis die privaten Forderungen eines Dritten, zu dem sie selbst in keinem direkten Vertragsverhältnis steht. Damit ist dem Tierhalter im Umfang der Abtretung die Möglichkeit genommen, über die Entschädigung selbst zu verfügen, etwa davon neue Tiere zu erwerben.

2. Unabhängig von dem danach aus den tierseuchenrechtlichen Bestimmungen folgenden Aufrechnungsverbot gegen den vorrangigen Entschädigungsanspruch scheitert die von der Beklagten erklärte Aufrechnung mit den an sie abgetretenen Werklohnforderungen eines Dritten aber auch - und die Entscheidung selbstständig tragend - daran, dass die Abtretung der noch offenen Werklohnforderungen von der Anicon Vorsorge GmbH an die Beklagte rechtswidrig ist. Die Beklagte ist daher nicht aufgrund des Schreibens vom 16./17. Februar 2009, mit dem die Anicon Vorsorge GmbH die beiden (Rest-)Forderungen gegen den Kläger an sie abgetreten hatte, Inhaberin dieser Geldforderungen geworden. Sie konnte folglich mangels Aufrechnungslage im Sinne des    § 387 BGB gegenüber dem Entschädigungsanspruch des Klägers nicht die Aufrechnung erklären. Daher ist es für das Berufungsverfahren nicht (mehr) entscheidungserheblich, dass der Kläger die Werklohnforderungen der Anicon Vorsorge GmbH der Höhe nach bestreitet (hierzu noch der Zulassungsbeschluss des Senats vom 28.01.2013 - 10 LA 19/11 -).

Der Senat räumt ein, dass ein praktisches Bedürfnis besteht, Dritten (Dienstleistern) wie der Anicon Vorsorge GmbH zur Gewährleistung eines funktionierenden Seuchenvorsorgesystems einen Vorschuss zu zahlen. Demensprechend ist es auch nachvollziehbar, dass sich die Beklagte im Gegenzug dafür von den Dienstleistern deren Ansprüche auf Entlohnung gegen den Tierhalter abtreten lässt, um diese Forderungen mit Entschädigungsansprüchen des Tierhalters aufrechnen zu können. Doch beinhaltet diese Vorgehensweise das erhebliche finanzielle Risiko für die Beitragszahler der Beklagten sowie das Land Niedersachsen, dass die an die Tierseuchenkasse abgetretenen Forderungen höher sind als der Entschädigungsanspruch des Tierhalters, mit dem die Aufrechnung erklärt werden soll. Das ist insbesondere dann der Fall, wenn der Tierhalter beispielsweise - wie hier - wegen verspäteter Meldung von Tieren bzw. wegen sonstiger Pflichtverletzung überhaupt keinen oder nur teilweise einen Anspruch auf Entschädigung besitzt. Dann muss die offene Forderung, die bei dem Tierhalter nicht beigetrieben werden kann, durch die Beiträge der Beklagten bzw. die Landeskasse finanziert werden. Dieses Ausfallrisiko ist zum Zeitpunkt der Vorschusszahlung mangels Prüfung der Beihilfevoraussetzungen (noch) nicht einschätzbar und kann angesichts der anlässlich der Geflügelpest 2008 nach eigenen Angaben der Beklagten aufgewendeten Ausgaben in Höhe von etwa 14.000.000,-- € beträchtlich sein.

Die Verwaltungspraxis der Beklagten, sich systematisch zivilrechtliche Forderungen privater Dienstleister gegenüber dem durch eine tierseuchenrechtliche Tötungsanordnung betroffenen Tierhalter zur Sicherung von zuvor geleisteten Vorschusszahlungen abtreten zu lassen, ist Bestandteil eines Seuchenvorsorgesystems. Die Seuchenvorsorge gehört nicht zu den gesetzlich vorgegebenen Aufgaben der Beklagten und hätte angesichts des Regelungsvorbehalts in § 4 Abs. 3 Satz 3 AGTierSG, insbesondere unter Berücksichtigung des Umfangs der daraus für die Beklagte entstehenden finanziellen Verpflichtungen, einschließlich der dazu erforderlichen Mitte, wie der Abtretung,  einer gesetzlichen Ermächtigung bedurft:

Die Beklagte ist gemäß § 4 Abs. 1 AGTierSG eine Anstalt des öffentlichen Rechts. Ihr ist nach Abs. 3 dieser Regelung ein Katalog an (obligatorischen- und fakultativen) Aufgaben zugewiesen. Die Beklagte hat gemäß § 4 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 1. bis 3. AGTierSG die Pflichtaufgaben, nach Maßgabe dieses Gesetzes Tierverluste durch Tierseuchen oder seuchenartige Erkrankungen zu ersetzen, Kosten der Bekämpfung von Tierseuchen oder seuchenartige Erkrankungen zu tragen und hierdurch eintretende Schäden zu erstatten und die Kosten für Einrichtung und Betrieb von Vakzinebanken zu tragen, an denen das Land vertraglich beteiligt ist. Diese Aufgaben entsprechen § 66 und § 67 Abs. 4 Satz 2 TierSG. Anspruchsberechtigt ist nach § 11 Abs. 1 und 2 AGTierSG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 und 2 der Beihilfesatzung der Beklagten (im Folgenden: BS) jeweils der Entschädigungs- bzw. Erstattungsberechtigte, d.h. der gemeldete Tierhalter. Ein (Leistungs-)Verhältnis der Beklagten zu einem Dritten (Dienstleister) sieht das Gesetz im Zusammenhang mit den Pflichtaufgaben daher nicht vor. Darüber hinaus kann die Beklagte nach § 4 Abs. 3 Satz Satz 2 Nr. 1 AGTierSG Zuschüsse zu Forschungsvorhaben gewähren, die der Feststellung, der Bekämpfung oder der Verhütung von Tierseuchen oder seuchenartigen Erkrankungen dienen (Nr. 1) oder ganz oder teilweise die Kosten für Vorbeugungs- oder Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen und andere Tierkrankheiten sowie für Maßnahmen zur Förderung und Erhaltung der Gesundheit der Haustiere und Süßwasserfische übernehmen (Nr. 2). Gemäß § 4 Abs. 3 Satz 3 AGTierSG können der Tierseuchenkasse neben diesen in § 4 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AGTierSG bestimmten Aufgaben weitere Aufgaben nur durch Gesetz übertragen werden.

Der Aufbau eines Ausfallabsicherungssystems zur effektiven Seuchenvorsorge derart, dass die Beklagte an den vom Tierhalter mit der Tötung des Bestandes beauftragten Dienstleister - hier die Anicon Vorsorge GmbH - einen Vorschuss leistet und sich im Gegenzug dessen Werklohnforderungen abtreten lässt, ist von den Aufgaben der Beklagten nach § 4 Abs. 3 Sätze 1 und 2 AGTierSG nicht gedeckt. Denn die Vorsorge ist darin nicht geregelt und von der Bekämpfung sowie der Vorbeugung zu unterscheiden (vgl. Entscheidung des 11. Senats: Nds. OVG, Beschluss vom 16. September 2009
- 11 ME  402/09 -, OVGE 53, 320; NVwZ 2010, 69 [OVG Niedersachsen 16.09.2009 - 11 ME 402/09], m.w.N.)

Bei der Abtretung zivilrechtlicher Werklohnforderungen eines Dienstleisters handelt es sich insbesondere nicht um eine Kostenübernahme für Vorbeugungs- oder Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen nach 4 Abs. 3 Satz Satz 2 Nr. 2 AGTierSG. Dagegen spricht bereits der Wortlaut „Vorbeugungs- oder Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen“. Nach dem allgemeinen Sprachverständnis sind derartige Maßnahmen vorbeugend, wenn sie geeignet sind, den Ausbruch einer Tierseuche im Vorfeld zu verhindern oder den Verlauf der Seuche abzuschwächen. Diesen Zweck vermag die Abtretung nicht zu erfüllen. Die Abtretung der Forderung des Dienstleisters dient ausschließlich der wirtschaftlichen Absicherung der im Voraus an einen Dritten geleisteten Geldbeträge. Sie ist als solche nicht geeignet, die Gefahr des Ausbruchs einer Seuche bei einem Tierbestand generell zu verringern oder sogar ausschließen bzw. eine Seuche eines konkret betroffenen Tierbestandes zu bekämpfen. Gegen die Annahme, es handele sich um eine Vorbeugungsmaßnahme, spricht des Weiteren, dass die Abtretung erst nach dem Seuchenbefall eines Tierbestandes erklärt wird und nicht bereits vor Ausbruch einer Tierseuche. Auch bei einheitlicher Betrachtung der von der Beklagten geübten Verwaltungspraxis der Vorschusszahlung und der Abtretung steht die Finanzierungsgarantie für eine private Spezialfirma wie die Anicon Vorsorge GmbH im Vordergrund, die mit dem Wortlaut dieser Aufgabe nicht in Einklang zu bringen ist. Der Umstand allein, dass diese Garantie faktisch die Bereitschaft einer Spezialfirma fördert, bei dem Auftreten zukünftiger Seuchenfälle unabhängig von der Zahlungsfähigkeit bzw. Zahlungswilligkeit des betroffenen Tierhalters unverzüglich Seuchenbekämpfungsmaßnahmen zu ergreifen, führt nicht dazu, darin eine Vorbeugungs- oder Bekämpfungsmaßnahmen gegen Tierseuchen zu erblicken. Ungeachtet dessen umfasst der Wortlaut „Kosten […] übernehmen“ nach § 4 Abs. 3 Satz Satz 2 Nr. 2 AGTierSG nicht die systematische Übernahme von Forderungen eines Dritten im Wege der Abtretung nach § 398 ff. BGB. Die Vorgehensweise der Beklagten gehört somit auch aus diesem Grund nicht zu den Aufgaben nach dieser Vorschrift. Es bedarf daher nach § 4 Abs. 3 Satz 3 AGTierSG einer normativen Ermächtigung, die (derzeit) fehlt.

Die Beklagte hat dieses Auslegungsergebnis im Gesetzgebungsverfahren zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Ausführungsgesetzes zum Tierseuchengesetz offensichtlich geteilt. Denn sie äußerte den - nicht Gegenstand des Gesetzes gewordenen - Wunsch, „eine Regelung zu schaffen, die es der Tierseuchenkasse entsprechend der schon bisher geübten Praxis ermöglicht, sich im Fall der Tötung  die Ansprüche des Dienstleisters gegen den Tierhalter abtreten zu lassen, um diese dann gegen die Entschädigungsansprüche des Tierhalters aufrechnen zu können (vgl. die Begründung des Gesetzentwurfs zu Nummer 11 (§ 11), LT-DRS. 17/2042)“].

Entgegen der Auffassung der Beklagten stellt auch §§ 4 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2, 13 Abs. 1 Satz 2 AGTierSG in Verbindung mit § 5 Abs. 1 bzw. 4 BS keine Rechtsgrundlage für die Übernahme von zivilrechtlichen Forderungen durch die Beklagte im Wege der Abtretung dar. Nach § 5 Abs. 1 BS gewährt die Tierseuchenkasse - für die in § 13 Abs. 1 Satz 2 AGTierSG genannten Tierarten - Beihilfen für den Fall, dass vorbeugende Maßnahmen gegen einzelne Tierseuchen für das ganze Land angeordnet werden, die dem einzelnen Tierhalter Kosten verursachen. Im Fall der Abtretung der (Rest-)Forderung der Anicon Vorsorge GmbH an die Beklagten ist eine derartige Maßnahme landesweit nicht angeordnet worden. Ungeachtet dessen umfasst der Wortlaut „vorbeugende Maßnahmen“ nicht den Erwerb von Forderungen zur Seuchenvorsorge. Denn dieses Vorgehen der Beklagten ist aus den bereits angeführten Gründen nicht geeignet, den Ausbruch einer Tierseuche im Vorfeld zu verhindern oder abzuschwächen und mit dem Wortlaut der Vorschrift daher nicht zu vereinbaren.

Ferner beinhaltet § 5 Abs. 4 BS keine Rechtsgrundlage für den systematischen Erwerb von zivilrechtlichen Forderungen eines privaten Dienstleisters im Wege der Abtretung. Danach können Beihilfen aufgrund einer besonderen Entscheidung des Vorstandes auch für vorbeugende Maßnahmen gegen Tierseuchen oder seuchenähnliche Erkrankungen bei anderen Tierarten oder für amtlich empfohlene Bekämpfungsmaßnahmen bewilligt werden. Damit wird der Anwendungsbereich für vorbeugende Maßnahmen, insbesondere für weitere Tierarten als die in § 5 Abs. 1 BS Genannten, eröffnet. Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber mit „vorbeugende Maßnahmen“ im Sinne dieses Absatzes etwas anderes versteht als in Abs. 1 dieser Vorschrift, bestehen nicht. Überdies ist an dieser Stelle anzumerken, dass § 11 Abs. 1 und 2 AGTierSG in Verbindung mit § 9 Abs. 1 und 2 BS im Hinblick auf § 5 Abs. 1 und 4 BS gegen die Ansicht der Beklagten spricht, Vorschusszahlungen an einen privaten Dritten seien Beihilfen für vorbeugende Maßnahmen. Denn beihilfeberechtigt sind - wie bereits ausgeführt - ausschließlich die gemeldeten Tierhalter und nicht Dritte. Da der Anwendungsfall des § 5 Abs. 4 BS aus den gennannten Gründen nicht gegeben ist, kommt es im Weiteren auf den Inhalt der besonderen Entscheidungen des Vorstandes vom 26. August 2008 und vom 27. Januar 2009 nicht an.

Aufgrund des in § 4 Abs. 3 AGTierSG im Einzelnen normierten Aufgabenkatalogs, der die Übernahme von zivilrechtlichen (Rest-)Forderungen der Anicon Vorsorge GmbH zur Seuchenvorsorge nicht umfasst, verstößt die Abtretung mangels gesetzlicher Grundlage somit gegen den Gesetzesvorbehalt.

Der Anspruch des Klägers auf Zahlung von Prozesszinsen seit Erhebung der Klage am 9. März 2009 ergibt sich aus § 291 Satz 1 BGB entsprechend.

Die Kostenentscheidung für das gesamte Verfahren folgt aus § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, weil der Kläger mit seinem (Klage- und Zulassungs-)Begehren, ihm einen weiteren Betrag in Höhe von 116.072,01 € auszuzahlen, im Berufungsverfahren nur teilweise in Höhe von 45.442,42 € (d.h. 39,15 %) obsiegt hat. Das Verhältnis von Obsiegen und Unterliegen des Klägers beträgt daher 2/5 zu 3/5.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i. V. m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.

Der Streitwert wird unter Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung für das Klage- und Zulassungsverfahren auf 116.072,01 EUR (45.442,42 EUR + 70.629,59 EUR) und für das Berufungsverfahren auf 45.442,42 EUR festgesetzt (§§ 47 Abs. 1 Satz 1, 52 Abs. 1 GKG).

Die Befugnis zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung folgt aus § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG.

Der Beschluss ist unanfechtbar (§§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. 66 Abs. 3 Satz 3 GKG.