Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.01.2015, Az.: 2 NB 285/14

Abschluss des Vergabeverfahrens; Dienstleistungsbedarf; Mitwirkungspflicht; verfügbarer Studienplatz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.01.2015
Aktenzeichen
2 NB 285/14
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2015, 45301
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 05.08.2014 - AZ: 8 C 6676/13

Tenor:

Auf die Beschwerde der Antragstellerin wird der Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 8. Kammer (Einzelrichter) - vom 5. August 2014 mit Ausnahme der Streitwertfestsetzung geändert.

Die Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, die Antragstellerin nach den Rechtsverhältnissen des Wintersemester 2013/2014 vorläufig zum Studium Landschaftsarchitektur und Umweltplanung zuzulassen, wenn die Antragstellerin bis zum 13. Februar 2015 bei ihr verbindlich die unwiderrufliche Annahme des Studienplatzes erklärt und hierbei an Eides statt versichert, dass sie an keiner Hochschule im Bundesgebiet vorläufig oder endgültig zum Studium Landschaftsarchitektur und Umweltplanung zugelassen ist, und wenn sich die Antragstellerin bis zum 27. Februar 2015 vorläufig immatrikuliert.

Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des gesamten Verfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5.000 EUR festgesetzt.

Gründe

Die Antragstellerin begehrt ihre vorläufige Zulassung zum Studium Landschaftsarchitektur und Umweltplanung nach den Rechtsverhältnissen im Wintersemester 2013/2014.

Zugelassen wurden für dieses Semester bei einer festgesetzten Studienplatzzahl von 82 durch Überbuchung tatsächlich 88 Studierende. Das Verwaltungsgericht ist von einer tatsächlichen Aufnahmekapazität in Höhe von 87 Studienplätzen ausgegangen.

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag der Antragstellerin auf vorläufigen Rechtsschutz unter Auseinandersetzung mit einer Vielzahl von Kapazitätsrügen abgelehnt. Die dagegen gerichtete Beschwerde hat Erfolg, weil sich der Sachverhalt nach weiterer Aufklärung teilweise anders darstellt als vom Verwaltungsgericht angenommen und die Antragsgegnerin im gerichtlichen Verfahren teilweise auch keine zureichenden Erklärungen zur Kapazitätsermittlung abgegeben hat. Soweit das Verwaltungsgericht aus den vorgelegten Unterlagen eine Reihe der Antragsgegnerin günstiger Annahmen hergeleitet hat, waren diese ihrerseits wieder Gegenstand konkreter Beschwerderügen und hätten von der Antragsgegnerin infolgedessen weiter erhärtet werden müssen, damit der Senat sie hätte übernehmen können. Die jetzt gegebenen Tatsachengrundlagen erlauben keine verlässliche Nachprüfung der Kapazitätsberechnung durch den Senat. Es lässt sich auch nicht ohne Weiteres abschätzen, welche Größenordnung die dadurch bedingte Ergebnisunsicherheit hat. Dies liegt hier im Risikobereich der Antragsgegnerin, deren nur zurückhaltende Mitwirkung im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes angemessen zu berücksichtigen ist (vgl. VGH München, Beschl. v. 27.10.2014 - 7 CE 14.10234 u.a. -, juris). Da hier mit der Antragstellerin nur eine einzige Bewerberin gerichtlichen Rechtsschutz für einen außerkapazitären Studienplatz beantragt hat und nur die Differenz zwischen den vom Verwaltungsgericht festgestellten 87 Studienplätzen bis zum 89. Studienplatz zu überbrücken ist, ist es vertretbar, das Risiko einer Fehlberechnung hier voll zu Lasten der Antragsgegnerin gehen zu lassen.

Zur Kapazitätsermittlung im Einzelnen:

1. a) Keine Bedenken hat der Senat, soweit die Antragsgegnerin hinsichtlich der Frage, wie viele Studienplätze kapazitätswirksam besetzt waren, nunmehr klargestellt hat, dass in der Immatrikulationsliste weder Austausch- oder Programmstudierende noch zum wiederholten Male Beurlaubte enthalten sind. Der Senat sieht keinen Anlass, die Richtigkeit dieser Angaben zu bezweifeln.

b) Das gleiche gilt hinsichtlich der Überbuchung. Insoweit nimmt der Senat zunächst auf die zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts Bezug. Soweit die Antragstellerin nunmehr geltend macht, von der Überbuchung hätten auch ausländische Studierende profitiert, was nicht als kapazitätsverzehrend gewertet werden dürfe, hat die Antragsgegnerin bestätigt, in der Liste der Immatrikulierten befänden sich vier ausländische Studierende, d.h. auch insoweit sei eine Überbuchung erfolgt. Auf Befragen hat sie des Weiteren allerdings bestätigt, dass die Quote von 5 % nach § 4 Abs. 1 Nr. 1 Hochschul-Vergabeverordnung (bezogen auf festgesetzte 82 Studienplätze also 4,1 Studienplätze) insgesamt nicht überschritten wird. Damit ist die Überbuchung insgesamt nicht zu beanstanden.

2. Andere Rügen der Antragstellerin sind hingegen berechtigt:

a) Soweit es um die Studienplätze geht, die nachträglich durch Exmatrikulation wieder frei geworden sind, ist das Verwaltungsgericht in Bezug auf ein Schreiben der Antragsgegnerin vom 27. Mai 2014 offenbar einem Missverständnis erlegen, indem es darin eine Klarstellung gesehen hat, dass diese Liste keine Studierenden enthalte, die sich bereits im Wintersemester 2013/2014 exmatrikuliert hätten. Die Bemerkung "Exmatrikulation" bei 9 Studierenden beziehe sich auf das Sommersemester. Auf Befragen hat die Antragsgegnerin nunmehr erklärt, eine Exmatrikulation sei zum 31. Oktober 2013 erfolgt, die übrigen zum 31. März 2014. Jedenfalls durch die erste Exmatrikulation ist rechtzeitig wieder ein Studienplatz verfügbar geworden. Das ergibt sich aus Folgendem:

Vereinfacht ausgedrückt ist ein Studienplatz als im Vergabeverfahren verfügbar anzusehen, wenn er - etwa durch Exmatrikulation - noch vor Abschluss des Vergabeverfahrens einschließlich eines eventuell durchzuführenden Losverfahrens wieder freigeworden ist. Ansonsten fließt er in die Schwundberechnung ein. Die Frage, ob noch freie Kapazitäten vorhanden sind, beurteilt sich insoweit grundsätzlich anders als die Frage, ob im gerichtlichen Eilverfahren nachträglich noch Studienplätze nach Maßgabe der Rechtsverhältnisse im fraglichen, u.U. bereits abgelaufenen Semester besetzt werden können.

Wie die Antragsgegnerin zu ihrer Erklärung im Schriftsatz vom 21. November 2014 gelangt ist, sämtliche Zulassungsverfahren seien spätestens in der ersten Vorlesungswoche abgeschlossen, also immer vor dem 31. Oktober 2014, erschließt sich nicht. Möglicherweise geht sie von einem Verständnis des Begriffes „Abschluss des Vergabeverfahrens“ aus, dem nicht zu folgen ist; dies mag auch dem Umstand geschuldet sein, dass der genannte Rechtsbegriff in Niedersachsen normativ weniger deutlich geregelt ist als in anderen Bundesländern.

Der Zeitpunkt des Abschlusses des Vergabeverfahrens lässt sich nicht generell bestimmen. Er ist Gegenstand uneinheitlicher landesrechtlicher Bestimmungen unterschiedlicher Regelungsdichte. Der in Niedersachsen für Fächer mit örtlicher Zulassungsbeschränkung geltende § 16 Hochschul-Vergabeverordnung definiert keinen bestimmten Zeitpunkt für den Abschluss des Vergabeverfahrens. Nach seinem Absatz 1 Satz 1 kann das Vergabeverfahren mit Vorlesungsbeginn für abgeschlossen erklärt werden, was hier nicht geschehen ist. Ein Zwang hierzu besteht offenbar schon deshalb nicht, weil auch bei örtlichen Zulassungsbeschränkungen durchaus die Situation eintreten kann, dass die verfügbaren Plätze von vornherein nicht alle besetzt werden können. Auch wenn eine solche Erklärung aber tatsächlich abgegeben wird, kann nach Satz 2 für noch verfügbare Studienplätze eine Vergabe im Losverfahren stattfinden. Zeitlich festgelegt ist insoweit nur der Beginn der Bewerbungsfrist, nämlich zwei Wochen vor Vorlesungsbeginn; enden soll der Bewerbungszeitraum mit dem zunächst nicht näher definierten "Abschluss des Verfahrens". Absatz 2 Satz 1 räumt sodann der Hochschule die Möglichkeit ein, die Vergabe der Studienplätze durch Los für beendet zu erklären, wenn weitere Zulassungen wegen der fortgeschrittenen Vorlesungszeit nicht mehr sinnvoll erscheinen. Letzteres zu beurteilen ist vorrangig Aufgabe der Hochschule selbst, die dabei die besonderen Verhältnisse im jeweiligen Studiengang zu berücksichtigen hat. Eine entsprechende Erklärung brauchte die Antragsgegnerin allerdings bereits wegen der erfolgten Überbuchung nicht abzugeben.

Hier war Vorlesungsbeginn ausweislich des Vorlesungsverzeichnisses Mitte Oktober 2013. Dafür, dass bereits zwei Wochen später weitere Zulassungen wegen der fortgeschrittenen Vorlesungszeit nicht mehr sinnvoll erscheinen, spricht nichts. Die Antragsgegnerin hat insoweit auch nichts vorgetragen. Im Übrigen ist der Senat jüngst auch für andere Fallgestaltungen davon ausgegangen, dass bis etwa Ende Oktober noch „nachzubesetzen“ ist (Beschl. v. 18.11.2014 - 2 NB 391/13 -, juris Rdnrn. 15 ff.). Ein Studienplatz ist mithin rechtzeitig wieder verfügbar geworden.

Hinsichtlich der weiteren Exmatrikulationen zum 31. März 2014 geht der Senat demgegenüber davon aus, dass sie lediglich in die Schwundberechnung einzugehen haben. Soweit in anderen beim Senat anhängig gewesenen Verfahren vereinzelt argumentiert worden ist, es komme nicht auf den Zeitpunkt der Exmatrikulation an, sondern auf denjenigen der Antragstellung, weil ansonsten das Verwaltungsverfahren missbräuchlich hinausgezögert werden könne, folgt der Senat dem nicht. Allenfalls dann, wenn konkrete Anhaltspunkte für missbräuchliche Vorgehensweisen hervortreten, ist eine nähere Überprüfung angezeigt; im Übrigen geht der Senat von einem ordnungsgemäßen Ablauf der Exmatrikulationen aus.

b) Nicht nachvollziehbar ist, wie die Antragsgegnerin den Dienstleistungsbedarf ermittelt hat. Zwar folgt der Senat nicht der Auffassung der Antragstellerin, dass es insoweit durchgängiger normativer Vorgaben bedarf. Jedenfalls muss sich aber aus den geltenden Prüfungsordnungen im Wesentlichen herleiten lassen, wie sich der Dienstleistungsbedarf berechnet.

Die Antragsgegnerin hat zwar einen WinKAP-Ausdruck und einschlägige Prüfungsordnungen sowie - freilich nicht selbsterklärende - Unterlagen für die Berechnung der Dienstleistungsbedarfe für die Studiengänge Geographie und Sozialwissenschaften vorgelegt. Gleichwohl hat sie ihre Mitwirkungspflichten (vgl. dazu Senatsbeschl. v. 29.4.2014 - 2 NB 133/14 -, juris) jedenfalls insoweit nicht mehr hinreichend erfüllt, als sie auf die detaillierten Rügen der Antragstellerin die danach gebotenen Konkretisierungen ihrer Kapazitätsberechnung nicht mehr nachgeholt hat bzw. nicht mehr hat nachholen können. So hat sie u.a. erklärt, Aufzeichnungen für die Architektur seien nicht mehr vorhanden; die Curricularanteile in den Studiengängen der Architektur seien damals aus dem alten Diplom abgeleitet und seitdem nicht mehr verändert worden. Auf Gruppengrößen stellt sie bei der Kapazitätsberechnung nach eigenen Angaben nicht ab, weil von einer „konstanten“ Gruppengröße ausgegangen werde, die rein rechnerisch zu vernachlässigen sei. Den Ansatz des Verwaltungsgerichts, die Ergebnisse der für genommen nicht nachvollziehbaren Kapazitätsberechnung durch Rückgriff auf allgemeine Erfahrungswerte zu plausibilisieren und das im Intranet einsehbare Vorlesungsverzeichnis auszuwerten, hat sie sich auf ausdrückliche Nachfrage des Senats, ob die Methodik der Kapazitätsermittlungen den Annahmen entsprochen habe, von welchen der Beschluss des Verwaltungsgerichts ausgegangen sei, nicht zu eigen gemacht, und damit auch die ihr günstigen Annahmen des Verwaltungsgerichts - das weite Teile der erforderlichen Kapazitätsberechnung praktisch selbst erarbeitet hat - nicht weiter erhärtet. Das gilt insbesondere für den Umfang der nach den Prüfungsordnungen und dem Vorlesungsverzeichnis vorgesehenen Lehrleistungen (Bl. 9 unten ff. des angegriffenen Beschlusses). Gerade bei kritischer Sichtung des Vorlesungsverzeichnisses ergeben sich Fragen dazu, ob die Angaben zu den einzelnen Veranstaltungen im Hinblick auf deren Umfang systematisch und konsistent gemacht worden sind. Es ist aber nicht Aufgabe der Gerichte, selbst Vorlesungsverzeichnisse im Detail darauf durchzusehen, in welchem Umfang sie für eine Reihe von Studiengängen kapazitätsbeanspruchende Veranstaltungen ausweisen, sondern dies ist im Streitfall von der Hochschule darzulegen, die allein mit der jeweiligen Methodik der Führung des Vorlesungsverzeichnisses vertraut ist. Zweifel gehen insoweit zu ihren Lasten.

Unter diesen Umständen lässt der Senat offen, ob hier aufgeworfene Fragen der Berechnung einer horizontalen Substitution abweichend von den Annahmen des Verwaltungsgerichts zu beantworten wären, auch um nicht einem anderen beim Senat anhängigen Verfahren vorzugreifen, das zur Klärung solcher Fragen besser geeignet zu sein scheint.

Die Nebenentscheidungen beruhen auf den §§ 154 Abs. 2 VwGO, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).