Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 26.01.2015, Az.: 8 ME 163/14
Verwaltungsverfahrensrechtliche Einordnung der Ausschreibung zur Festnahme in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei; Erfordernis des Vorliegens von Haftgründen als nicht geschriebenes Tatbestandsmerkmal für die Ausschreibung zur Festnahme
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 26.01.2015
- Aktenzeichen
- 8 ME 163/14
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 10423
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2015:0126.8ME163.14.0A
Rechtsgrundlagen
- § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO
- § 123 Abs. 3 VwGO
- § 920 Abs. 2 ZPO
- § 294 ZPO
- § 50 Abs. 6 S. 1 AufenthG
- § 62 AufenthG
Fundstellen
- AUAS 2015, 51-53
- DÖV 2015, 391
- InfAuslR 2015, 252-254
- Polizei 2015, 89-90
- ZAR 2015, 194-195
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die Ausschreibung zur Festnahme in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei ist kein Verwaltungsakt.
- 2.
Neben den tatbestandlichen Voraussetzungen des § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG erfordert die Ausschreibung zur Festnahme als nicht geschriebenes Tatbestandsmerkmal das Vorliegen von Haftgründen nach § 62 AufenthG.
Tenor:
Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren wird abgelehnt.
Die Beschwerde des Antragstellers gegen den die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts Oldenburg - 11. Kammer - vom 6. November 2014 wird zurückgewiesen.
Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Verfahrens wegen Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren werden nicht erstattet.
Der Streitwert des Beschwerdeverfahrens wird auf 2.500 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren ist unbegründet. Der Beschwerde des Antragstellers fehlt aus den nachfolgend angeführten Gründen die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg.
Die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat es zu Recht abgelehnt, dem Antragsgegner im Wege einer einstweiligen Anordnung die Löschung der Ausschreibung des Antragstellers zur Festnahme aufzugeben.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist zwar statthaft und auch im Übrigen zulässig. Der Antragsteller kann insbesondere nicht auf den nach § 123 Abs. 5 VwGO vorrangigen vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO verwiesen werden. Denn eine Ausschreibung zur Festnahme in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei ist nicht auf eine unmittelbare Rechtswirkung nach außen gerichtet; ihr fehlt daher die Verwaltungsaktsqualität (vgl. zur Ausschreibung im Schengener Informationssystem (SIS) und zur Ausschreibung im polizeilichen Informationssystem (INPOL): VG Koblenz, Beschl. v. 24.7.2007 - 3 L 1035/07.KO -, [...] Rn. 3; Westphal, Die Ausschreibung zur Einreiseverweigerung im Schengener Informationssystem - Voraussetzungen, Wirkungen und Rechtsschutzmöglichkeiten, in: InfAuslR 1999, 361, 364 jeweils m.w.N.).
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist aber unbegründet. Dem Antragsteller steht ein (Anordnungs-)Anspruch auf Unterlassung der Ausschreibung zur Festnahme, sei es durch Löschung oder durch Berichtigung, nicht zu.
Der allgemeine öffentlich-rechtliche Unterlassungsanspruch setzt - unabhängig davon, ob dessen Rechtsgrundlage unmittelbar in den Grundrechten oder in dem analog anzuwendenden § 1004 BGB gesehen wird (vgl. BVerwG, Urt. v. 19.1.1989 - BVerwG 7 C 77.87 -, BVerwGE 81, 197, 199 f. (offengelassen); Niedersächsisches OVG, Urt. v. 12.2.1991 - 9 L 246/89 -, NJW 1992, 192, 193 (Grundrechte); Bayerischer VGH, Urt. v. 18.12.1990 - 8 B 87.03780 -, NJW 1991, 2660 f. [OVG Rheinland-Pfalz 20.03.1990 - 7 A 101/89]; Hessischer VGH, Urt. v. 20.10.1987 - 9 OE 24/83 -, NJW 1988, 1683 f. (§ 1004 BGB analog)) - voraus, dass zu besorgen ist, die Behörde werde künftig durch ihr hoheitliches Handeln rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des vom behördlichen Handeln Betroffenen eingreifen (vgl. BVerwG, Urt. v. 7.8.1997 - BVerwG 3 C 49.96 -, Rn. 19; BVerwG, Beschl. v. 29.4.1985 - BVerwG 1 B 149.84 -, Rn. 9; Senatsurt. v. 11.3.2010 - 8 LB 9/08 -, NVwZ-RR 2010, 639, 640).
Das Vorliegen dieser Anspruchsvoraussetzungen hat der Antragsteller nicht in einer den Anforderungen des § 123 Abs. 3 VwGO in Verbindung mit §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO genügenden Weise glaubhaft gemacht. Auch unter Berücksichtigung seines Beschwerdevorbringens vermag der Senat nicht festzustellen, dass die fortdauernde Ausschreibung zur Festnahme rechtswidrig in die geschützte Rechts- und Freiheitssphäre des Antragstellers eingreift.
Nach § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG (bis zum 25. November 2011: § 50 Abs. 7 Satz 1 AufenthG, vgl. Art. 1 Nr. 26 Buchst. d des Gesetzes zur Umsetzung aufenthaltsrechtlicher Richtlinien der Europäischen Union und zur Anpassung nationaler Rechtsvorschriften an den EU-Visakodex v. 22.11.2011, BGBl. I S. 2258) kann ein Ausländer zum Zweck der Aufenthaltsbeendigung in den Fahndungshilfsmitteln der Polizei zur Aufenthaltsermittlung und Festnahme ausgeschrieben werden, wenn sein Aufenthalt unbekannt ist (vgl. zur verwaltungspraktischen Umsetzung der Ausschreibung durch die Ausländerbehörden: Runderlass des Niedersächsischen Ministeriums für Inneres und Sport, Ausländerrecht; Allgemeine Anwendungshinweise zum Schengener Durchführungsübereinkommen, v. 9.3.1998 (Nds. MBl. S. 766), dort Anlage Nr. 4.2.2.3).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Aufenthalt des Antragstellers ist dem Antragsgegner unverändert unbekannt; auch sein Aufgriffsort und der Aufgriffszeitpunkt können nicht abgeschätzt werden. Die Ausschreibung zur Festnahme erfolgt mit dem Zweck der Aufenthaltsbeendigung. Der Antragsteller ist vollziehbar ausreisepflichtig. Wiederholte Anträge auf einstweilige Verpflichtung des Antragsgegners, die Abschiebung des Antragstellers auszusetzen, blieben ohne Erfolg (vgl. zuletzt Senatsbeschl. v. 7.11.2014 - 8 ME 125/14 -). Der Antragsgegner hat im Beschwerdeverfahren mit Schriftsatz vom 10. Dezember 2014 erneut seine Absicht zum Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen bekundet.
Neben den danach erfüllten tatbestandlichen Voraussetzungen, wie sie in § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG ausdrücklich normiert sind, erfordert die Ausschreibung zur Festnahme als nicht geschriebenes Tatbestandsmerkmal das Vorliegen von Haftgründen nach § 62 AufenthG (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.5.2009 - 2 BvR 475/09 -, NVwZ 2009, 1034, 1035).
Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass die Haftgründe nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 2, 3 und 5 AufenthG vorliegen. Die dem Antragsteller vom Antragsgegner im Bescheid vom 18. September 2013 gesetzte Ausreisefrist ist abgelaufen und sein Aufenthalt ist dem Antragsgegner unbekannt (Nr. 2). Die für den 30. September 2014 vorgesehene Abschiebung konnte nicht vollzogen werden, weil der Antragsteller untergetaucht ist (Nr. 3). Er hat auch im Beschwerdeverfahren seinen Aufenthalt nicht bekanntgegeben. Er ist offensichtlich nicht bereit, die wiederholten ablehnenden gerichtlichen Sachentscheidungen über seine Anträge auf Aussetzung der Abschiebung zu akzeptieren und sich dem bevorstehenden Vollzug aufenthaltsbeendender Maßnahmen freiwillig zu stellen (Nr. 5).
Die Ausschreibung zur Festnahme ist auch verhältnismäßig (vgl. zu diesem Erfordernis: GK-AufenthG, § 50 Rn. 57 (Stand: Februar 2012)). Dabei kann der Senat hier dahinstehen lassen, ob, wie es der Antragsteller meint, die Verhältnismäßigkeit stets dann zu verneinen ist, wenn ein auf die Festnahme gestellter Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft voraussichtlich abgelehnt werden wird. Denn hier hat der Antragsteller nicht hinreichend glaubhaft gemacht, dass ein erneuter Antrag auf Anordnung der Abschiebungshaft voraussichtlich erfolglos bleiben wird. Die vom Antragsteller behauptete bevorstehende Geburt einer Tochter, die die deutsche Staatsangehörigkeit haben soll, führt jedenfalls nicht zur Unverhältnismäßigkeit der Abschiebung (vgl. Senatsbeschl. v. 7.11.2014, a.a.O., Umdruck S. 4 f.). Gleiches gilt voraussichtlich nach der Geburt dieser Tochter, denn der Antragsteller hat nicht ansatzweise aufgezeigt, dass er mit dieser eine nach Art. 6 GG schutzwürdige familiäre Lebensgemeinschaft führen wird (vgl. zu den Anforderungen: Senatsbeschl. v. 28.11.2013 - 8 ME 157/13 -, Rn. 9; v. 12.3.2013 - 8 LA 13/13 -, Rn. 24 jeweils m.w.N.). Hiergegen sprechen schon die in den Gerichtsakten dokumentierten Einlassungen der Kindesmutter (vgl. Blatt 24 der Gerichtsakte).
Schließlich bedarf die Ausschreibung zur Festnahme durch die Ausländerbehörde auch unter dem Gesichtspunkt etwaiger aus Art. 104 Abs. 2 GG abzuleitender Vorwirkungen keiner richterlichen Anordnung. § 50 Abs. 6 Satz 1 AufenthG enthält nur die Ermächtigung zur Nutzung der Fahndungshilfsmittel der Polizei, nicht aber eine Ermächtigung zu Freiheitsentziehungen. Die Ausschreibung zur Festnahme lässt für die Polizei als Nutzer der Fahndungshilfsmittel zwar erkennen, dass die zum Zeitpunkt der Ausschreibung zuständige Ausländerbehörde nach eigenverantwortlicher Prüfung Haftgründe nach § 62 AufenthG bejaht hat. Die Entscheidung über die Ingewahrsamnahme bleibt aber der eigenverantwortlich nach § 62 Abs. 4 AufenthG tätig werdenden Behörde überlassen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 7.5.2009, a.a.O., S. 1034; Beichel-Benedetti, Die Ausschreibung zur Festnahme nach § 50 Abs. 7 AufenthG, in: NVwZ 2009, 1150).
Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über die Kosten des Prozesskostenhilfeverfahrens ergibt sich aus § 166 VwGO Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.
Die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1, 53 Abs. 2 Nr. 1, 52 Abs. 1 GKG.