Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 11.02.2015, Az.: 5 LA 211/13
Festbetrag; Fürsorgepflicht; Härtefall; Heilfürsorge; Hörgerät
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 11.02.2015
- Aktenzeichen
- 5 LA 211/13
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 45233
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 14.08.2013 - AZ: 1 A 33/11
Tenor:
Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Lüneburg - 1. Kammer (Einzelrichter) - vom 14. August 2013 wird abgelehnt.
Der Kläger trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Zulassungsverfahren auf 447,50 EUR festgesetzt.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses einen Anspruch des Klägers auf Gewährung einer weiteren freien Heilfürsorge in Höhe von 447,50 EUR für die Anschaffung zweier Hörgeräte abgelehnt hat, hat keinen Erfolg.
1. Die Berufung ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
Wird der Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO geltend gemacht, so kommt eine Zulassung nur dann in Betracht, wenn die Rechtssache in rechtlicher oder tatsächlicher Hinsicht eine Frage aufwirft, die im Rechtsmittelzug entscheidungserheblich und fallübergreifender Klärung zugänglich ist sowie im Interesse der Rechtseinheit geklärt werden muss. Der Zulassungsantrag muss eine konkrete Frage aufwerfen, deren Entscheidungserheblichkeit erkennen lassen und (zumindest) einen Hinweis auf den Grund enthalten, der das Vorliegen einer grundsätzlichen Bedeutung rechtfertigen soll (vgl. Nds. OVG, Beschluss vom 1.10.2008 - 5 LA 64/06 -, juris Rn. 14).
Dies zugrunde gelegt, fehlt es hier bereits an der Herausarbeitung einer konkreten klärungsbedürftigen Frage. Der Vortrag des Klägers, eine Entscheidung des Senats zu der durch den Erlass des Niedersächsischen Finanzministeriums vom 5. Juli 2012 geänderten Rechtsgrundlage zur Versorgung Heilfürsorgeberechtigter mit Hörhilfen liege nicht vor, vermag eine grundsätzliche Bedeutung noch nicht zu begründen. Dies gilt auch für sein Vorbringen, die Anwendung und Auslegung des Erlasses sei über den hier zu entscheidenden Fall hinaus landesweit von Bedeutung.
Soweit der Kläger meint, der genannte Erlass enthalte eine Härtefallregelung, lässt sich diese Ansicht anhand des Wortlautes des Erlasses beantworten und bedarf keiner grundsätzlichen Klärung. Insoweit und auch hinsichtlich des übrigen Vorbringens des Klägers betreffend seinen Einzelfall wird auf die nachfolgenden Ausführungen zum geltend gemachten Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO Bezug genommen.
2. Der Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor.
Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass dem Kläger über dem im zitierten Erlass geregelten Festbetrag von 1.500,-- EUR pro Ohr hinaus kein Anspruch auf freie Heilfürsorge für die Hörgeräte zusteht.
Die Begrenzung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung von Hörgeräten auf einen Höchstbetrag ist mit dem allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG vereinbar (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.2014 - BVerwG 5 C 40.12 -, juris Rnrn. 13 ff.). Zutreffend hat das Verwaltungsgericht entschieden, dass sich der Kläger nicht mit Erfolg auf das Urteil des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2009 (- B 3 KR 20/08 R -, juris) berufen kann. Das Gebot der Gleichbehandlung gemäß Art. 3 Abs. 1 GG wird in der Regel durch Unterschiede in der Leistungsgewährung nach den Beihilfevorschriften des Bundes und den Vorschriften des Fünften Buches Sozialgesetzbuch nicht verletzt (BVerwG, Urteil vom 2.4.2014, a. a. O., Rn. 16). Dies gilt entsprechend auch für das Heilfürsorgerecht im Verhältnis zu den sozialgesetzlichen Vorschriften.
Die Begrenzung der Beihilfefähigkeit von Aufwendungen für die Anschaffung von Hörgeräten auf einen Höchstbetrag ist auch mit der Fürsorgepflicht des Dienstherrn vereinbar (BVerwG, Urteil vom 2.4.2014, a. a. O., Rnrn. 18 ff.). Vor diesem Hintergrund ist auch der für heilfürsorgepflichtige Personen geregelte Festbetrag für die Erstattung von Aufwendungen für Hörhilfen rechtlich nicht zu beanstanden.
Die in Art. 33 Abs. 5 GG verankerte Fürsorgepflicht verpflichtet den Dienstherrn allerdings, wenn er sich - wie hier - entscheidet, seiner Fürsorgepflicht durch die Zahlung von Beihilfen nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutreten, dafür zu sorgen, dass der Beamte nicht mit erheblichen finanziellen Kosten belastet bleibt, die er durch die Regelalimentation und eine zumutbare Eigenvorsorge nicht bewältigen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.2014, a. a. O., Rn. 19). Dieser Grundsatz findet auch im Heilfürsorgerecht Anwendung.
Das Bundesverwaltungsgericht hat es in dem zitierten Urteil offen gelassen, ob die Bundesbeihilfeverordnung in Bezug auf die Leistungsbegrenzung den Anforderungen der verfassungsrechtlichen Fürsorgepflicht nur dann in vollem Umfang gerecht wird, wenn sie eine abstrakt-generelle Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten im Einzelfall vorhält. Denn in der Bundesbeihilfeverordnung mangelt es nicht an einer solchen Härtefallregelung (BVerwG, Urt. v. 2.4.2014, a. a. O., Rn. 18).
Demgegenüber sehen die hier maßgeblichen Heilfürsorgebestimmungen für den Polizeivollzugsdienst des Landes Niedersachsen (HFB, Runderlass d. MI vom 15.11.1995, Nds. MBl. 1996, S. 30) keine Härtefallregelung vor. Weder § 9 HFB, der die freie Heilfürsorge für Kosten für Hilfsmittel regelt, noch die allgemeine Regelung über den Leistungsumfang in § 2 HFB enthalten eine solche Bestimmung. Auch in § 114 NBG gibt es keine abstrakt-generelle Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten im Einzelfall.
Hierauf stützt der Kläger seinen Zulassungsantrag aber nicht, sondern er vertritt in seiner Zulassungsbegründung ausdrücklich die Auffassung, der Erlass vom 5. Juli 2012 enthalte eine solche Härtefallregelung. Dieser Auffassung vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. In diesem Erlass wird in „Übertragung“ der Entscheidung des Bundessozialgerichts vom 17. Dezember 2009 (a. a. O.) festgelegt, dass Aufwendungen für Hörhilfen auch weiterhin „grundsätzlich“ nur bis zur Höhe des festgesetzten Festbetrages erstattet werden. „Aus Gründen der Fürsorgepflicht“ des Dienstherrn werden Aufwendungen für eine Hörhilfe künftig ohne weitere Prüfung bis zur Höhe von 1.500,-- EUR je Ohr erstattet. Diesem Wortlaut lässt sich eine abstrakt-generelle Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten im Einzelfall nicht entnehmen. Vielmehr ist mit diesem Erlass nur der Festbetrag für die Erstattung erhöht worden, weil - wie in diesem Erlass weiter ausgeführt wird - sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass bei Berücksichtigung der sich aus dem Polizeivollzugsdienst ergebenden besonderen Anforderungen an das Hörvermögen ein angemessener Ausgleich der gesundheitlichen Beeinträchtigung durch eine Versorgung mit einer zum Festbetrag erhältlichen Hörhilfe vielfach nicht erreicht werden kann.
Der Zulassungsantrag hat aber auch keinen Erfolg, obgleich die Heilfürsorgebestimmungen, die überdies bereits nicht den Anforderungen des verfassungsrechtlichen Gesetzesvorbehalts genügen (vgl. auch BVerwG, Urteil vom 12.9.2013 - BVerwG 5 C 33.12 -, juris), aber gemäß § 120 Abs. 3 NBG bis zum Inkrafttreten der Verordnung nach § 114 Abs. 5 und 6 NBG weiter anzuwenden sind, keine Regelung zur Vermeidung unzumutbarer Härten im Einzelfall vorsehen.
Denn auch wenn eine normierte Härtefallregelung fehlt, hat die Festsetzungsstelle im Rahmen der Gewährung von Heilfürsorge für Hörgeräte nach § 9 HFB zu prüfen, ob im Einzelfall unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG ein über den Festbetrag hinausgehender Anspruch auf Heilfürsorge hergeleitet werden kann.
Dies folgt auch daraus, dass das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 2. April 2014 (a. a. O., Rn. 20) betreffend die Festbetragsregelung für Hörgeräte in der Bundesbeihilfeverordnung (BBhV) die Härtefallregelung des § 25 Abs. 4 Satz 1 BBhV für analog anwendbar hält. Nach dieser Vorschrift sind getätigte Aufwendungen ausnahmsweise beihilfefähig, „wenn dies im Hinblick auf die Fürsorgepflicht nach § 78 BBG notwendig ist“. Diese Härtefallregelung schreibt mithin lediglich den für den Dienstherrn ohnehin bei der Beihilfegewährung zu beachtenden Fürsorgegrundsatz fest.
Eine besondere Härte kann sich aus einer unzumutbaren finanziellen Belastung des Beamten ergeben. Wenn sich der Dienstherr - wie nach dem gegenwärtig praktizierten System - entscheidet, seiner Fürsorgepflicht durch die Gewährung einer Beihilfe oder Heilfürsorge nachzukommen, die zu der aus der gewährten Alimentation zu bestreitenden Eigenvorsorge ergänzend hinzutritt, und dabei für bestimmte krankheitsbedingte Aufwendungen einen Leistungsausschluss oder eine Leistungsbegrenzung vorsieht, hat er dafür zu sorgen, dass der Beamte bzw. Versorgungsempfänger nicht mit erheblichen finanziellen Kosten belastet bleibt, die er durch die Regelalimentation und eine zumutbare Eigenvorsorge nicht bewältigen kann. Geschieht dies nicht und führt eine Beschränkung zu unzumutbaren Belastungen, ist der nicht zur Disposition des Dienstherrn stehende Wesenskern der Fürsorgepflicht mit der Folge betroffen, dass die Beihilfefähigkeit bzw. die Heilfürsorgeberechtigung nicht ausgeschlossen oder begrenzt werden darf (vgl. BVerwG, Urteil vom 2.4.2014, a. a. O., Rn. 19; Urteil vom 13.12.2012 - BVerwG 5 C 3.12 -, juris Rn. 18ff.).
Nach welchen konkreten Maßstäben ausnahmsweise eine finanzielle Unzumutbarkeit für den Beamten anzunehmen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 2. April 2014 (a. a. O.) nicht weiter bestimmt.
Das Verwaltungsgericht hat bezüglich dieser Wertung die Härtefallregelung in § 50 Abs. 1 Satz 4 Nr. 1 BBhV a. F. herangezogen, wonach die Belastungsgrenze für Beihilfeberechtigte und deren berücksichtigungsfähige Angehörige zusammen zwei Prozent der jährlichen Einnahmen nach § 39 Abs. 3 Satz 3 bis 7 BBhV a. F. beträgt. Nach dem zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgericht vom 2. April 2014 (a. a. O., Rnrn. 21 ff.) scheidet hinsichtlich einer erforderlichen Härtefallregelung eine Analogie zu § 50 Abs. 1 BBhV a. F. jedoch aus.
Es kann im vorliegenden Fall dahinstehen, ob gleichwohl die in § 50 Abs. 1 BBhV geregelte Belastungsgrenze als Anhaltspunkt für die Annahme einer unzumutbaren finanziellen Belastung zugrunde gelegt werden kann oder ob bereits eine Belastung von mehr als einem Prozent der Jahresbezüge ausreicht (vgl. BVerwG, Urteil vom 3.7.2003 - BVerwG 2 C 36.02 -, juris Rn. 17).
Denn diese Belastungsgrenzen sind hier bei Weitem nicht erreicht. Bei dieser Wertung ist zu berücksichtigen, dass es sich bei Hörgeräten um hochpreisige Hilfsmittel handelt, die im Allgemeinen eine längere Lebensdauer aufweisen und nicht in kürzeren Abständen angeschafft werden müssen. Demzufolge verteilt sich eine etwaige den Beihilfe- bzw. Heilfürsorgeberechtigten treffende finanzielle Belastung rechnerisch auf mehrere Jahre, sodass dieser regelmäßig in der Lage sein wird, hierfür eine entsprechende Eigenvorsorge zu treffen (BVerwG, Urteil vom 2.4.2014, a. a. O., Rn. 15 a. E.). In Anlehnung an die derzeit geltende Regelung in Ziffer 8.8 der Anlage 11 zu § 25 BBhV legt der Senat auch im vorliegenden Fall des Heilfürsorgerechts eine regelmäßige Nutzungsdauer für Hörgeräte von fünf Jahren zugrunde (s. hierzu auch OVG Rh.-Pf., Urteil vom 15.12.2014 - 10 A 10492/14 -, juris Rn. 39).
Daraus ergibt sich hier bezogen auf einen Fünfjahreszeitraum rechnerisch eine jährliche Belastung des Klägers in Höhe von 89,50 EUR (447,50 EUR : 5). Unter Berücksichtigung des vom Verwaltungsgericht zugrunde gelegten monatlichen Bruttogrundgehaltes von 3.291,23 EUR und damit eines Jahresbruttogehaltes des Klägers von 39.494,76 EUR beträgt die jährliche Belastung für den Kläger etwa 0,25 Prozent seiner Jahresbruttobezüge. Bei dieser Größenordnung ist eine Gefährdung des angemessenen Lebensunterhalts nicht hinreichend dargelegt.
Die Prüfung, ob im Einzelfall unmittelbar aus der Fürsorgepflicht des Dienstherrn aus Art. 33 Abs. 5 GG ein über den Festbetrag hinausgehender Anspruch auf Beihilfe bzw. Heilfürsorge hergeleitet werden kann, ist allerdings nicht auf die Prüfung einer unzumutbaren finanziellen Belastung des Beamten beschränkt. Eine weitergehende Gewährung von Beilhilfe bzw. Heilfürsorge kann vielmehr auch ausnahmsweise aus Fürsorgegesichtspunkten wegen besonderer medizinischer Umstände, etwa wegen eines schwerwiegenden medizinischen Sachverhalts geboten sein (vgl. hierzu auch die Härteregelung in Ziffer 8.8 der Anlage 11 zu § 25 Abs. 1 und 4 BBhV n. F., wonach der Höchstbetrag für Hörgeräte überschritten werden kann, soweit dies erforderlich ist, um eine ausreichende Versorgung bei beidseitiger an Taubheit grenzender Schwerhörigkeit oder bei vergleichbar schwerwiegenden Sachverhalten zu gewährleisten).
Dafür, dass hier solche Umstände vorlägen, hat der Kläger keine Ansatzpunkte dargelegt. Aus dem ärztlichen Attest vom 29. November 20 ergibt sich, dass der Kläger an einer mittelgradigen Schwerhörigkeit leidet. Ein schwerwiegender medizinischer Sachverhalt wird hieraus nicht erkennbar. Soweit der Kläger vorträgt, für die medizinische Notwendigkeit der Versorgung werde Beweis durch Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten, reicht dies nicht aus, einen Härtefall aus Fürsorgegesichtspunkten anzunehmen. Für die Einholung von Sachverständigengutachten ist im Zulassungsverfahren überdies kein Raum.
Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
Die Streitwertfestsetzung folgt aus §§ 47 Abs. 1 und 3, 52 Abs. 1 und 3 GKG.
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).