Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.02.2015, Az.: 8 PA 13/15
Verfügung einer Wohnsitzauflage zur Aufenthaltserlaubnis gegenüber im Bundesgebiet lebenden Menschen mit Behinderungen auf gesetzlicher Grundlage
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 23.02.2015
- Aktenzeichen
- 8 PA 13/15
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2015, 11879
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2015:0223.8PA13.15.0A
Rechtsgrundlagen
- § 166 Abs. 1 VwGO
- Art. 12 Abs. 1 IPBPR
- § 12 Abs. 2 S. 2 AufenthG
- § 61 Abs. 1d S. 1 AufenthG
- Art. 18 Abs. 1 UN BRK
- Art. 19 Abs. 1 Buchst. a) UN BRK
Fundstellen
- AUAS 2015, 74-76
- InfAuslR 2016, 175-177
- ZAR 2015, 278
Amtlicher Leitsatz
Aus den Bestimmungen der UN Behindertenrechtskonvention ergibt sich kein allgemeines Verbot, gegenüber im Bundesgebiet lebenden Menschen mit Behinderungen auf gesetzlicher Grundlage eine Wohnsitzauflage zu verfügen.
Tenor:
Die Beschwerde des Klägers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück - 5. Kammer - vom 5. Januar 2015 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens. Außergerichtliche Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet.
Gründe
Die Beschwerde des Klägers gegen den seinen Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe ablehnenden Beschluss des Verwaltungsgerichts ist zulässig, aber unbegründet. Das Verwaltungsgericht hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Klageverfahren zu Recht abgelehnt.
Nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu gewähren, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint.
Hier fehlt der Rechtsverfolgung des Klägers die erforderliche Erfolgsaussicht. Denn nach der im Prozesskostenhilfeverfahren nur vorzunehmenden summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage (vgl. BVerfG, Beschl. v. 26.2.2007 - 1 BvR 474/05 -, NVwZ-RR 2007, 361, 362 [BVerfG 26.02.2007 - 1 BvR 474/05]) kann der Kläger eine Aufhebung oder Änderung der Wohnsitzauflage zu seiner Aufenthaltserlaubnis nicht beanspruchen. Der Senat macht sich die zutreffenden Erwägungen des angefochtenen Beschlusses zu Eigen und verweist deshalb auf sie (§ 122 Abs. 2 Satz 3 VwGO).
Der Kläger macht demgegenüber mit der Beschwerde geltend, die Wohnsitzauflage verstoße gegen Art. 12 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte - IPBPR - vom 19. Dezember 1966 (BGBl. II 1973, S. 1533; 1976, S. 1068). Danach genieße jede sich im Bundesgebiet rechtmäßig aufhaltende Person Freizügigkeit. Sein Aufenthalt sei in diesem Sinne rechtmäßig. Die Annahme des Verwaltungsgerichts, die ihm erteilte Aufenthaltserlaubnis sei von vorneherein nur mit der Wohnsitzauflage rechtmäßig gewesen, gehe fehl.
Dieser Einwand greift nicht durch.
Das Verwaltungsgericht hat in der angefochtenen Entscheidung bereits auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 19. August 2014 ( -BVerwG 1 C 3.14 -, juris Rn. 16 f.) verwiesen, wo ausgeführt worden ist:
"Die gegenüber der Klägerin angeordnete Beschränkung des Wohnsitzes verstößt nicht gegen die völkerrechtlichen Regelungen in Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zur Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 16. September 1963 (BGBl 1968 II S. 423, 1109) und in Art. 12 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) vom 19. Dezember 1966 (BGBl 1973 II S. 1533, 1976 II S. 1068).
Nach Art. 2 Abs. 1 des Protokolls Nr. 4 zur EMRK hat nur derjenige, der sich "rechtmäßig im Hoheitsgebiet eines Staates aufhält", das Recht, sich dort frei zu bewegen und seinen Wohnsitz frei zu wählen. Nur soweit der Aufenthalt rechtmäßig ist, gelten die in Absatz 3 der Vorschrift normierten Grenzen für eine Beschränkung der in Absatz 1 gewährten Freiheit. Wurde der Aufenthalt von Anfang an nur - wie hier - mit der verfügten Wohnsitzbeschränkung gestattet, ist er auch nur in diesem Umfang rechtmäßig; die aufschiebende Wirkung des gegen die Wohnsitzauflage eingelegten Rechtsbehelfs verhindert lediglich deren Vollziehung, berührt aber nicht die Wirksamkeit der Wohnsitzauflage. Dass die räumliche Beschränkung die Rechtmäßigkeit des Aufenthalts bestimmt, entspricht der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Entscheidung vom 20. November 2007 - Nr. 44294/04 - Omwenyeke/Deutschland - m.w.N. - ergangen zur räumlichen Beschränkung eines Asylbewerbers auf das Gebiet der Stadt Wolfsburg), des vorlegenden Gerichts (vgl. Urteil vom 19. März 1996 a.a.O. <346> bzw. S. 44) und der Kommentarliteratur (vgl. Grabenwarter, European Convention on Human Rights - Commentary - 2014, S. 412 Rn. 3). Die Wohnsitzbeschränkung ist dann nicht am Maßstab einer Einschränkung nach Absatz 3 von Art. 2 des Protokolls Nr. 4 zu messen, weil sie bereits für den rechtmäßigen Aufenthalt im Sinne von Absatz 1 konstitutiv ist. Das Gleiche gilt für die Auslegung von Art. 12 IPBPR. Denn der Aufenthalt ist von vornherein nur mit der Wohnsitzauflage rechtmäßig gewesen im Sinne von Art. 12 Abs. 1 IPBPR. Die Auflage ist daher nicht am Maßstab von Art. 12 Abs. 3 IPBPR zu messen. Die von den Klägern der Verfahren BVerwG 1 C 1.14 und BVerwG 1 C 7.14 dagegen zitierte Kommentierung zu Art. 12 IPBPR (UN Human Rights Committee (HRC), CCPR General Comment No. 27: Article 12 (Freedom of Movement), 2 November 1999, CCPR/C/21/Rev.1/Add.9 - marginal 12) bezieht sich auf Art. 12 Abs. 3 IPBPR und nicht auf den hier maßgeblichen Art. 12 Abs. 1 IPBPR."
Dem entspricht die Rechtsprechung anderer Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts (vgl. Urt. d. 2. Senats v. 11.12.2013 - 2 LC 222/13 -, juris Rn. 51; Beschl. d. 9. Senats v. 6.6.2001 - 9 LB 1404/01 -, Umdruck, S. 8 ff.). Auch der beschließende Senat sieht nach dem Beschwerdevorbringen des Klägers keinen Anlass für eine abweichende Bewertung (vgl. auch Fritzsch, Zur Zulässigkeit wohnsitzbeschränkender Auflagen, in: ZAR 2007, 356, 360).
Der Kläger macht weiter geltend, die zu seiner Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen erteilte Wohnsitzauflage stelle eine nicht gerechtfertigte Ungleichbehandlung gegenüber geduldeten Ausländern dar, die ihren Lebensunterhalt selbst sichern. Nach § 61 Abs. 1d AufenthG dürfe Letzteren eine Wohnsitzauflage nicht auferlegt werden.
Auch dieser Einwand greift nicht durch.
Der Senat vermag schon die vom Kläger angenommene Ungleichbehandlung gleicher Sachverhalte nicht nachzuvollziehen. Denn der Kläger ist - anders als die von ihm benannte Vergleichsgruppe der geduldeten Ausländer, die ihren Lebensunterhalt selbst sichern - eben nicht zur selbständigen Sicherung seines Lebensunterhalts in der Lage.
Unabhängig davon geht der Kläger in der Annahme fehl, aus § 61 Abs. 1d AufenthG in der durch das Gesetz zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern vom 23. Dezember 2014 (BGBl. I S. 2439) geänderten Fassung ergebe sich ein Verbot, geduldeten Ausländern, die ihren Lebensunterhalt selbst sichern, eine Wohnsitzauflage aufzuerlegen. § 61 Abs. 1d Satz 1 AufenthG ordnet lediglich eine Wohnsitzauflage kraft Gesetzes für geduldete Ausländer an, deren Lebensunterhalt nicht gesichert ist (vgl. Gesetzentwurf der Fraktionen der CDU/CSU und SPD, Entwurf eines Gesetzes zur Verbesserung der Rechtsstellung von asylsuchenden und geduldeten Ausländern, BT-Drs. 18/3144, S. 12 f.). Dass hiermit zugleich die bisher bestehenden Möglichkeiten, nach Beendigung des Asylverfahrens und der Aufenthaltsgestattung nach § 55 AsylVfG (vgl. zu dem während des laufenden Asylverfahrens eröffneten Anwendungsbereich des § 60 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 AsylVfG: Marx, AsylVfG, 7. Aufl., § 60 Rn. 1 f. m.w.N.) auf der Grundlage des § 46 Abs. 1 AufenthG (vgl. Bayerischer VGH, Beschl. v. 5.6.2007 - 24 CS 07.1014 -, juris Rn. 8; Nr. 46.1.4.4 AVwV AufenthG) oder des § 61 Abs. 1 Satz 2 AufenthG (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 29.11.2007 - 2 L 223/06 -, juris Rn. 31; OVG Rheinland-Pfalz, Beschl. v. 19.11.2003 - 10 B 11432/03 -, InfAuslR 2004, 255, 256 f. (zu § 56 Abs. 3 Satz 2 AuslG); Nr. 61.1.2 AVwV AufenthG) eine Duldung mit einer Wohnsitzauflage zu erteilen, eingeschränkt werden sollen, ist für den Senat nicht ersichtlich.
Der Kläger macht schließlich geltend, die maßgeblich an das Kriterium der Lebensunterhaltssicherung anknüpfende Wohnsitzauflage stelle eine unzulässige Diskriminierung wegen einer Behinderung dar, da er - der Kläger - nur aufgrund einer Schwerbehinderung nicht zur selbständigen Lebensunterhaltssicherung in der Lage sei. Die UN-Behindertenrechtskonvention gewähre aber Behinderten das Recht, ihren Aufenthaltsort frei zu wählen.
Auch dieser Einwand greift nicht durch.
Die UN-Behindertenrechtskonvention hat in Deutschland zwar Gesetzeskraft (vgl. Gesetz zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen sowie zu dem Fakultativprotokoll vom 13. Dezember 2006 zum Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen vom 21. Dezember 2008, BGBl. II S. 1419) und ist als Auslegungshilfe für die Bestimmung von Inhalt und Reichweite der Grundrechte heranzuziehen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.3.2011 - 2 BvR 882/09 -, BVerfGE 111, 307, 317 f.). Subjektive Ansprüche begründet das Übereinkommen hingegen nicht (so ausdrücklich Denkschrift der Bundesregierung zu dem Übereinkommen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen, in: BT Drs. 16/10808, S. 48).
Aus den Bestimmungen der UN-Behindertenrechtskonvention ergibt sich entgegen der Annahme des Klägers auch kein allgemeines Verbot, gegenüber im Bundesgebiet lebenden Menschen mit Behinderungen auf gesetzlicher Grundlage eine Wohnsitzauflage zu verfügen. Nach Art. 18 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention anerkennen die Vertragsstaaten das gleiche Recht von Menschen mit Behinderungen auf Freizügigkeit und auf freie Wahl ihres Aufenthaltsorts. Hierzu gewährleisten die Vertragsstaaten nach Art. 19 Abs. 1 Buchst. a der UN-Behindertenrechtskonvention, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben, ihren Aufenthaltsort zu wählen. Schon nach dem Wortlaut dieser Bestimmungen wird Menschen mit Behinderungen nicht allgemein die Freiheit der Wahl des Aufenthaltsorts gewährleistet, sondern das - im Verhältnis zu Menschen ohne Behinderungen - gleiche Recht auf freie Wahl des Aufenthaltsorts. Dies entspricht auch dem Grundanliegen der UN-Behindertenrechtskonvention, die volle Verwirklichung aller Menschenrechte und Grundfreiheiten für alle Menschen mit Behinderungen ohne jede Diskriminierung aufgrund von Behinderung zu gewährleisten und zu fördern (vgl. Art. 4 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention) sowie alle Menschen vom Gesetz gleich zu behandeln (vgl. Art. 5 Abs. 1 der UN-Behindertenrechtskonvention). Die UN-Behinderten-rechtskonvention schafft mithin kein Sonderrecht für Menschen mit Behinderungen (so ausdrücklich Denkschrift der Bundesregierung, a.a.O., S. 46; Schulte, Die UN-Behindertenrechtskonvention, in: ZESAR 2012, 69, 72). Die UN-Behindertenrechts- konvention untersagt vielmehr in erster Linie spezifische Regelungen für Menschen mit Behinderungen. Eine derart spezifische Regelung enthält die Bestimmung in § 12 Abs. 2 Satz 2 AufenthG, nach der die hier streitgegenständliche Wohnsitzauflage verfügt worden ist, aber nicht. Die Bestimmung erfasst zwar - in gleicher Weise wie Menschen ohne Behinderungen - auch Menschen mit Behinderungen, führt aber weder direkt noch indirekt zu einer Diskriminierung aufgrund des Merkmals der Behinderung (vgl. Bundesministerium für Arbeit und Soziales. Übereinkommen der Vereinten Nationen über Rechte von Menschen mit Behinderungen - Erster Staatenbericht der Bundesrepublik Deutschland, 2011, S. 42 f.). Etwas anderes ergibt sich entgegen der Annahme des Klägers auch nicht aus den vom ihm benannten Entscheidungen des Bundessozialgerichts vom 23. Juli 2014 (- B 8 SO 14/13 R -, - B 8 SO 31/12 R -,
- B 8 SO 12/13 R -, alle zitiert nach juris).
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 127 Abs. 4 ZPO. Ein Streitwert ist nicht festzusetzen. Für die Höhe der Gerichtskosten des Beschwerdeverfahrens gilt der streitwertunabhängige Kostentatbestand in Nr. 5502 der Anlage 1 (Kostenverzeichnis) zum Gerichtskostengesetz.