Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 05.10.2004, Az.: 11 ME 245/04

Bestehen eines assoziationsrechtlichen Aufenthaltsrechts; Für eine ordnungsgemäße Beschäftigung erforderliche Aufenthaltsgenehmigung in Gestalt der befristeten Aufenthaltserlaubnis; Erreichen der ersten Verfestigungsstufe

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
05.10.2004
Aktenzeichen
11 ME 245/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 36205
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:1005.11ME245.04.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 11.08.2004

Fundstelle

  • AGS 2005, 355 (Volltext mit amtl. LS)

Verfahrensgegenstand

Aufenthaltserlaubnis

Vorläufiger Rechtsschutz

In der Verwaltungsrechtssache
hat das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht - 11. Senat -
am 5. Oktober 2004
beschlossen:

Tenor:

Die Beschwerde der Antragsteller gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover - 1. Kammer - vom 11. August 2004 wird zurückgewiesen.

Die Antragsteller tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000,-- EURO festgesetzt.

Gründe

1

Die Beschwerde der Antragsteller bleibt ohne Erfolg. Die mit ihr vorgebrachten Einwände, die im Beschwerdeverfahren allein zu prüfen sind (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO), zeigen nichts auf, was die Richtigkeit des angefochtenen Beschlusses in Frage stellen könnte.

2

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend entschieden, dass die Antragsteller keine neuen Umstände im Sinne des § 80 Abs. 7 Satz 2 VwGO vorgetragen haben, die eine Abänderung des im vorangegangenen vorläufigen Rechtsschutzverfahren ergangenen Beschlusses vom 14. April 2004 - 1 B 1447/04 - (die dagegen gerichtete Beschwerde verwarf der erkennende Senat mit Beschluss vom 26.5.2004 - 11 ME 125/04 -, weil die Begründungsfrist des § 146 Abs. 4 Satz 1 VwGO versäumt worden war) rechtfertigen könnten. Das Beschwerdevorbringen führt zu keiner anderen Entscheidung.

3

Im erstinstanzlichen Verfahren machten die Antragsteller, die seit dem 29. April 2004 in Herne und damit außerhalb des örtlichen Zuständigkeitsbereichs der Antragsgegnerin wohnen, ausschließlich geltend, dass der Antragsteller zu 1) nunmehr eine neue Arbeitsstelle habe. Dies hilft den Antragstellern jedoch nicht weiter. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend darauf hingewiesen, dass sie daraus keinen Rechtsanspruch auf einen weiteren Aufenthalt im Bundesgebiet herleiten können. Im Beschwerdeverfahren berufen sie sich insofern allein darauf, dass dem Antragsteller zu 1) ein assoziationsrechtliches Aufenthaltsrecht zustehe. Dazu hat aber bereits das Verwaltungsgericht im Beschluss vom 14. April 2004 (a.a.O.) rechtsfehlerfrei ausgeführt, dass die Voraussetzungen des allein in Betracht kommenden Anspruchs aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 nicht vorliegen. Die für eine ordnungsgemäße Beschäftigung erforderliche Aufenthaltsgenehmigung in Gestalt der befristeten Aufenthaltserlaubnis vom 14. August 2002 habe lediglich bis zum 3. August 2003 Gültigkeit besessen, während der Antragsteller zu 1) das bei der Firma G. in H. begründete Arbeitsverhältnis jedoch erst zum 17. Februar 2003 aufgenommen habe, so dass es an der erforderlichen Bestandszeit von einem Jahr fehle. Hinsichtlich der seit März 2004 neu aufgenommenen Tätigkeit bei der Baufirma I. in J. lägen die Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 weder hinsichtlich der erforderlichen Beschäftigungsdauer noch hinsichtlich des erforderlichen Aufenthaltsstatus vor. Dem halten die Antragsteller zu Unrecht entgegen, dass die Beschäftigungszeiten des Antragstellers, der im Oktober 2000 erstmals in einem Arbeitsverhältnis gestanden habe, bei den verschiedenen Arbeitgebern addiert werden müssten, zumal die dazwischen liegenden Zeiten der Arbeitslosigkeit von ihm nicht verschuldet seien. Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 erfordert jedoch eine mindestens einjährige ununterbrochen ordnungsgemäße Beschäftigung bei ein und demselben Arbeitgeber (vgl. etwa EuGH, Urt. v. 29.5.1997, NVwZ 1997, 1108 = InfAuslR 1997, 336 = DVBl. 1997, 1376). Beschäftigungszeiten von weniger als einem Jahr bei verschiedenen Arbeitgebern können nicht kumuliert werden, um die erste Verfestigungsstufe des Art. 6 Abs. 1 ARB 1/80 zu erlangen. Ein Arbeitgeberwechsel ist erst nach drei Jahren ordnungsgemäßer Beschäftigung bei demselben Arbeitgeber assoziationsrechtlich unschädlich. Jeder frühere Wechsel des Arbeitgebers lässt den bereits erworbenen Anspruch aus Art. 6 Abs. 1 1. Spiegelstrich ARB 1/80 wieder erlöschen (vgl. zum Vorstehenden Dienelt, Aktuelle Fragen zum Aufenthaltsrecht türkischer Staatsangehöriger, 2001, Rdnrn. 37-41). Die von den Antragstellerin in Bezug genommene Vorschrift des Art. 6 Abs. 2 Satz 2 ARB 1/80 findet vor Erreichen der ersten Verfestigungsstufe keine Anwendung (vgl. Hess.VGH, Beschl. v. 9.2.2004 - 12 TG 35/48/03 -, zit. nach juris; Dienelt, a.a.O., Rdnr. 44). Angesichts dieser klaren Rechtslage besteht auch kein Anlass für die von den Antragstellern angeregte Aussetzung und Vorlage an den Europäischen Gerichtshof nach Art. 234 EGV (früher Art. 177 EG-Vertrag).

4

Soweit der Antragsteller zu 1) im Beschwerdeverfahren auf seinen Gesundheitszustand hinweist und sich dabei auf eine Bescheinigung des Facharztes für Psychiatrie und Psychotherapie Dr. K. (L.) vom 2. September 2004 bezieht, wonach bei ihm eine "schwere depressive Episode und akute Belastungsreaktion bei drohender Abschiebung" bestehe, kann dieser Umstand im vorliegenden Verfahren nicht berücksichtigt werden. Wie sich aus § 50 Abs. 3 Satz 1 AuslG ergibt, steht das Vorliegen von Abschiebungshindernissen und Duldungsgründen nach den §§ 51 und 53 bis 55 AuslG dem Erlass der hier als Folge der Ablehnung der Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis verfügten Abschiebungsandrohung nicht entgegen. Bei der behaupteten Reiseunfähigkeit und der Suizidgefahr handelt es sich nämlich um eine Abschiebung regelmäßig nur vorübergehend hindernde Umstände. Es ist Sache der mit dem Vollzug der Abschiebung betrauten Behörde, derartigen Gefahren angemessen, etwa durch Erteilung einer Duldung nach § 55 AuslG, zu begegnen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 16.4.2002, NVwZ-Beil. 2002, 91).

5

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

6

Dieser Beschluss ist unanfechtbar.

Streitwertbeschluss:

Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 25.000,-- EURO festgesetzt.

Die Festsetzung des Streitwerts auf 25.000,-- EURO ergibt sich aus §§ 52 Abs. 2 und 53 Abs. 3 Nr. 2 GKG n.F. i.V.m. § 5 ZPO in entsprechender Anwendung. Dabei orientiert sich der Senat an den Empfehlungen des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der Fassung der am 7./8. Juli 2004 in Leipzig beschlossenen Änderungen - Streitwertkatalog 2004 -. Dort wird unter Nr. 8.1 für Streitigkeiten im Ausländerrecht um einen Aufenthaltstitel (hier: Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis) als Streitwert der Auffangwert des § 52 Abs. 2 GKG n.F. in Höhe von 5.000,-- EURO pro Person für das Klageverfahren vorgeschlagen. Dass es sich vorliegend um ein Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes handelt, führt zu keiner Reduzierung dieses Streitwerts. Denn wegen der faktischen Vorwegnahme der Hauptsacheentscheidung ist es angemessen, den Streitwert des Klageverfahrens zugrunde zu legen (vgl. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs 2004). Da in dem vorliegenden Verfahren fünf Antragsteller (der Antragsteller zu 1) und seine vier minderjährigen Kinder) beteiligt sind, ergibt sich entsprechend den genannten Empfehlungen des Streitwertkatalogs 2004 ein Gesamtstreitwert von 25.000,-- EURO. Dies entspricht auch der Festsetzungspraxis des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschl. v. 11.12.2003 - 1 B 272.03 -). Damit gibt der Senat seine abweichende Streitwertpraxis, die einen sog. Familienabschlag in entsprechender Anwendung des § 83 b Abs. 2 Satz 3 AsylVfG a.F. vorsah (vgl. etwa Beschlüsse v. 8.12.2003 - 11 OA 221/03 - u. v. 5.12.2001 - 11 OA 3700/01 -), im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung auf.

Dr. Heidelmann
Kurbjuhn
Vogel