Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 21.01.2003, Az.: 13 A 3705/01

Kostenerstattung; Nochmaliger Umzug im Gebiet des neuen Trägers der Sozialhilfe

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
21.01.2003
Aktenzeichen
13 A 3705/01
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47657
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

1

Der Kläger begehrt vom Beklagten die Erstattung von Leistungen der Sozialhilfe, die er für die Zeugin K. und ihre vier Kinder erbracht hat. Im Frühjahr 1999 war die Ehe des Ehepaars K. einer schweren Belastung ausgesetzt; der Zeuge K. hatte damals bereits eine Beziehung zu seiner jetzigen Ehefrau. Die Zeugen K. verabredeten, von D. nach B. zu verziehen, um die Ehe zu retten. Durch Vermittlung eines Bekannten nahmen die Zeugen K. Kontakt zu dem Zeugen O. auf und verabredeten mit ihm, dessen Wohngrundstück ... anzumieten. Die Zeugin K. und ihre vier Kinder begaben sich Anfang April 1999 auf das Wohngrundstück ... in B. und nahmen dort zunächst Unterkunft in zwei Wohnwagen. Die Zeugin K. begann - u. a. mit Hilfe des Zeugen O. - das Wohnhaus ... zu renovieren. Es wurden auch die Möbel aus der bisherigen Unterkunft in D. nach B. gebracht.

2

Am 12. April 1999 beantragte Frau K. für sich und ihre vier Kinder Hilfe zum Lebensunterhalt bei der für den Beklagten handelnden Gemeinde B.. Ihr wurde ein Abschlag von 1.200,00 DM ausgezahlt. Die Gemeinde B. bat Frau K., eine Mietbescheinigung sowie Bescheinigungen über Nebenkosten, Abschläge an EWE und OOWV zur endgültigen Berechnung des Hilfeanspruchs nachzureichen. Frau K. meldete sich nicht wieder. Der Zeuge K. verließ seine Familie endgültig Mitte April 1999 und zog mit seiner jetzigen Ehefrau zusammen. Am 26. April 1999 teilte ein anonymer Anrufer mit, dass die Familie K. in der Nacht ausgezogen sei. Bei einem Ortstermin am gleichen Tag stellten Mitarbeiter der Gemeinde B. fest, dass die Angaben zutreffend waren.

3

Die Zeugin K. und ihre vier Kinder waren mittlerweile nach dem endgültigem Scheitern der Ehe der Zeugen K. nach G. zu Freunden verzogen. Die für den Kläger handelnde Gemeinde G. gewährte der Frau K. und ihren vier Kindern bis zum 30. September 1999 Hilfe zum Lebensunterhalt. Diese Aufwendungen erstattete der Beklagte. Zum Oktober 1999 zog die Zeugin K. mit ihren Kindern nach M. um. In der Zeit von Oktober 1999 bis 30. September 2001 betrug der Aufwand der für den Beklagten handelnden Stadt M. für die Gewährung von Sozialhilfe an die Zeugin K. und ihre vier Kinder 34.497,50 DM. Der Beklagte weigerte sich, diese weiteren Aufwendungen der Hilfe zum Lebensunterhalt des Beklagten für die Familie K. zu erstatten.

4

Der Kläger hat am 07. November 2001 Klage erhoben und beantragt,

5

den Beklagten zur Zahlung von 34497,50 DM (= 17.638,29 €) nebst 7,74 % Zinsen seit Rechtshängigkeit.

6

Der Beklagte beantragt,

7

die Klage abzuweisen.

8

Die Kammer hat am 18. Oktober 2002 beschlossen zu der Frage, ob Frau K. und ihre vier Kinder im April 1999 ihren gewöhnlichen Aufenthalt in B. hatten, Beweis zu erheben. Wegen der Einzelheiten der Beweiserhebung durch den Berichterstatter (Vernehmung der Zeugin K., des Zeugen K. und des Zeugen O. am 12. November 2002) wird auf die Niederschrift der Sitzung verwiesen.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beteiligten Bezug genommen; sie waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.

Entscheidungsgründe

10

Über die Klage konnte im Einvernehmen mit den Beteiligten (ohne weitere) mündliche Verhandlung entschieden werden (§ 101 Abs. 2 VwGO). Die Erklärung des Rechtsstreits in der Hauptsache für erledigt durch den Beklagten, soweit er seine Pflicht zur Erstattung der Kosten der Sozialhilfe für die Zeugin K. und ihre vier Kinder in der Zeit bis zum 30. September 1999 anerkennt, geht ins Leere, da diese Kosten nicht streitgegenständlich sind.

11

Die zulässige Klage ist begründet. Der Beklagte ist dem Kläger gegenüber zur Erstattung der von der Stadt M. in der Zeit vom 1. Oktober 1999 bis zum 30. April 2001 an die Zeugin K. und ihre vier Kinder geleistete Sozialhilfe in Höhe von 17.638,29 € gemäß § 107 Abs. 1 BSHG verpflichtet. Nach dieser Vorschrift ist der Träger der Sozialhilfe des bisherigen Aufenthaltsortes verpflichtet, dem nunmehr zuständigen örtlichen Träger der Sozialhilfe die dort erforderlich werdende Hilfe außerhalb von Einrichtungen im Sinne des § 97 Abs. 2 Satz 1 BSHG zu erstatten, wenn ein Sozialhilfeempfänger vom Wohnort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts verzieht und innerhalb eines Monats nach dem Aufenthaltswechsel der Hilfe bedarf.

12

Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind hier erfüllt. Aufgrund der Beweiserhebung steht für die Kammer fest, dass die Zeugin K. und ihre vier Kinder im April 1999 von B. im Gebiet des Beklagten nach G. im Gebiet des Klägers umgezogen sind. Voraussetzung für einen Umzug i.S.v. § 107 Abs. 1 Satz 1 BSHG ist, dass die Zeugin K. und ihre vier Kinder im April 1999 bei ihrem vorübergehenden Aufenthalt in B. dorthin ihren gewöhnlichen Aufenthaltsort verlegt hatten. Maßgeblich ist insofern die Legaldefinition von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I. Nach dieser Vorschrift hat jemand den gewöhnlichen Aufenthalt dort, wo er sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass er an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Zur Begründung eines „gewöhnlichen Aufenthalts“ ist ein dauerhafter oder längerer Aufenthalt nicht erforderlich. Es genügt vielmehr, dass der Betreffende sich an dem Ort oder in dem Gebiet „bis auf Weiteres“ im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt seiner Lebensbeziehungen hat (BVerwG, Urteil vom 18. März 1999 - 5 C 11/98 -, FEVS 49, 434). Die Formulierung von § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I macht deutlich, dass es - in erster Linie - auf die objektiven Lebensumstände sowie ein zeitliches Element (nicht nur vorübergehend) ankommt (Niedersächsisches OVG, Urteil vom 12. April 2000 - 4 L 4035/99 -, Nds. Rpfl. 2001, 73). Dabei ist nicht eine Betrachtung „ex post“ geboten. Regelmäßig wird ein gewöhnlicher Aufenthalt mit dem Zuzug, und zwar schon am ersten Tag begründet, wenn es sich dabei nicht um einen Aufenthalt mit besuchs- oder sonstwie vorübergehenden Charakter handelt. Der Vermutung eines Zuzugs i.S.d. Begründung eines neuen gewöhnlichen Aufenthalts müssen also objektive persönliche Verhältnisse entgegen stehen; maßgeblich ist nicht der subjektive Wille, sondern sind die Umstände des Einzelfalles (OVG Koblenz, Urteil vom 17. August 2000 - 12 A 10912/99 - FEVS 53, 171).

13

Unter Zugrundelegung dieser Umstände ist die Kammer aufgrund der Beweiserhebung vom 22. November 2002 der Überzeugung, dass die Zeugin K. und ihre vier Kinder ihren gewöhnlichen Aufenthalt vorübergehend in B. im Gebiet des Beklagten hatten. Der Aufenthalt war „zukunftsoffen“ in dem Sinne, dass ein Ende des Verbleibens der Familie K. in B. bei dem Zuzug nicht abzusehen war. Demgemäß hatte die Zeugin K. beispielsweise auch ihre Kinder in den Schulen in B. angemeldet. Zwischen den Beteiligten ist dieser Sachverhalt und seine rechtliche Bewertung zu Recht auch nach der Beweiserhebung am 22. November 2002 nicht mehr streitig.

14

Es ist auch unstreitig, dass die Zeugin K. und ihre vier Kinder Ende April 1999 nach dem Scheitern der Ehe der Zeugen K. „Hals über Kopf“ wieder in das Gebiet des Klägers (Gemeinde G.) verzogen sind. Insoweit hat der Beklagte auch die Kosten der Sozialhilfe für die Zeugin K. und ihre vier Kinder dem Kläger erstattet. Streitig ist zwischen den Beteiligten lediglich, ob der Beklagte weiterhin zur Kostenerstattung verpflichtet ist, nachdem die Zeugin K. mit ihren vier Kindern im Gebiet des Beklagten erneut (in die Stadt M.) umgezogen ist. Dieser Umzug berührt nach Überzeugung der Kammer indes die Verpflichtung des Beklagten zur Kostenerstattung nicht. Nach wie vor ist der Kläger der nunmehr zuständige örtliche Träger der Sozialhilfe gemäß § 107 Abs. 1 BSHG, in dessen Zuständigkeit sich die Zeugin K. mit ihren vier Kindern durch ihren Wegzug von B. begeben hat. Verzieht eine Person vom Ort seines bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts ohne gleichzeitigen Wechsel des zuständigen örtlichen Trägers der Sozialhilfe, so wird dadurch eine bis zu diesem Umzug bestehende Verpflichtung zur Kostenerstattung nicht beendet (VG Stuttgart, Urteil vom 10. April 2002 - 7 K 5167/01 -, NDV-RD 2002, 74). Der gegenteiligen Auffassung des OVG Koblenz (Beschluss vom 8. Februar 2000 - 12 A 11825/99 - FEVS 52, 232) schließt sich die Kammer nicht an.

15

Zutreffend führt das VG Stuttgart in dem vorzitierten Urteil hierzu aus:

16

„Danach soll tatbestandliche Voraussetzung für einen Anspruch nach § 107 Abs. 1 BSGH nur sein, dass der HE an einem Ort einen gewöhnlichen Aufenthalt hat, von diesem Ort verzieht und innerhalb eines Monats nach dem Ortswechsel der „offenen Hilfe“ bedarf. Alle weiteren Bestandteile der gesetzlichen Regelung seien der Rechtsfolgenseite zuzurechnen. Das Gericht hält die vom OVG vorgenommene Trennung von Tatbestands- und Rechtsfolgenseite in der geschehenen Weise nicht für zwingend. Ebenso vertreten ließe sich, der Rechtsfolgenseite lediglich die Erstattungspflicht zuzurechnen, der Tatbestandseite dagegen, wer was unter welchen Voraussetzungen zu erstatten hat. Zwar ist dem Obergericht darin zuzustimmen, dass ein eindeutiger Gesetzeswortlaut keine Auslegung bedarf. Allein das Auseinanderziehen von Tatbestand und Rechtsfolge kann jedoch einem auslegungsbedürftigen Wortlaut noch nicht hinreichend Sinn geben. Auslegungsbedürftig aber ist eine Norm auch dann, wenn Tatbestand und Rechtsfolge in ihrem Verhältnis zueinander widersprüchlich sind. Gerade dies wäre der Fall, wenn die These des OVG Koblenz zuträfe, wonach § 107 Abs. 1 BSHG als Voraussetzungen für eine Kostenerstattung einen Trägerwechsel nicht fordert. Auf Tatbestandsebene wäre dann ein Anspruch auf Kostenerstattung entstanden, der aber niemanden zuzuordnen wäre, da es ohne Trägerwechsel weder Berechtigte noch Verpflichtete gebe. Eine solche ausschließlich am Wortlaut des „Tatbestandes“ orientierte Betrachtung verkennt die Notwendigkeit, Tatbestand und Rechtsfolge in sinnvolle Beziehung zueinander zu setzen. Dies verlangt im Falle des § 107 Abs. 1 BSHG das Vorhandensein zweier unterschiedlicher Sozialhilfeträger, eines bislang zuständigen und eines durch den Umzug neu zuständig gewordenen Sozialhilfeträgers. Ohne die Beteiligung eines Anspruchsberechtigten ergibt sich aus der Erstattungsnorm des § 107 Abs. 1 BSHG keinen Sinn.

17

Weitere rechtliche Bedenken ... ergeben sich daraus, dass dort - ebenso wie hier - zu prüfen war, ob der einmal entstandene Erstattungsanspruch des neuen Sozialhilfeträgers aufgrund weiterer Umstände erloschen ist. Insoweit zieht das OVG Koblenz § 107 Abs. 1 BSHG als Erlöschensnorm heran. Das Gesetz bestimmt jedoch in § 107 Abs. 2 BSHG, und welchen Voraussetzungen die Verpflichtung zur Kostenerstattung entfällt (Satz 1) bzw. endet (Satz 2). Eine Regelung, wonach die Verpflichtung entfällt oder endet, sobald ein neuer Erstattungsfall eintritt, findet sich in §  107 Abs. 2 BSHG ebenso wenig wie anderswo. Das erkennende Gericht kann offen lassen, ob dann, wenn auf Seiten eines weiteren (dritten) Sozialhilfeträgers wiederum ein Anspruch nach § 107 Abs. 1 BSHG entstanden ist, zwingend und in jedem Fall der zuerst in Anspruch genommene Träger von seiner Erstattungspflicht frei wird oder ob in bestimmten Fallkonstellationen nicht auch eine Kette von Erstattungsansprüchen nach § 107 Abs. 1 BSHG denkbar ist. Selbst wenn unterstellt werden könnte, dass aufgrund der ursprünglichen Zielsetzung des § 107 Abs. 1 BSHG, Hilfeempfänger vor Vertreibungsdruck der Sozialhilfeträger in Schutz zu nehmen, ein Umzug nur gegenüber dem bislang zuständigen Hilfeträger mit der Erstattungspflicht des § 107 Abs. 1 BSHG „geahndet“ werden könnte, diese aber mangels entsprechender Einwirkungsmöglichkeiten der weiteren Umzügen aus der Kostenverantwortung entlassen werden soll, spricht dieser Gedanke wohl nur dann für eine Entlastung des ursprünglichen Erstattungsträgers, wenn der HE in dem Zuständigkeitsbereich eines dritten Sozialhilfeträgers umgezogen ist. Erst dann könnte nämlich ein neuer „Sanktionsfall“ eingetreten sein, der die für die Erstattung maßgebliche Kausalität des ersten Umzugs verdrängt und zu einer neuen Erstattungspflicht des bisherigen Anspruchsberechtigten führt“ (VG Stuttgart, a.a.O.).

18

Diesen Erwägungen schließt sich die Kammer an. Zwischen den Beteiligten ist der Erstattungsanspruch der Höhe nach nicht streitig; die Kammer hat weder aus dem Vorbringen der Beteiligten noch aus den Verwaltungsvorgängen Anhaltspunkte gewinnen können, dass der Gesamtaufwand der Sozialhilfe für die Zeugin K. und ihre vier Kinder in der hier in Rede stehenden Zeit geringer gewesen ist.

19

Der Erstattungsanspruch des Klägers ist gemäß §§ 291, 288 BGB zu verzinsen. Der Grundsatz, dass für öffentlich-rechtliche Geldforderungen Prozesszinsen unter sinngemäßer Anwendung des § 291 BGB zu entrichten sind, wenn das jeweils einschlägige Fachrecht keine gegenteilige Regelung trifft, gilt auch für Erstattungsansprüche zwischen Jugend- und Sozialhilfeträgern (BVerwG, Urteil vom 22. Februar 2001 - 5 C 34.00 -, FEVS 52, 433; BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2000 - 5 C 27.99 -, FEVS 51, 546).