Verwaltungsgericht Oldenburg
v. 25.01.2003, Az.: 11 A 1334/03
Alternativlosigkeit einer Entscheidung; Aufenthaltsbeendigung; Mitwirkung eines Ausländers bei der Passbeschaffung; Passbeschaffung; Passvorlage; unbeachtlicher Verfahrensfehler; Vorsprache bei Botschaft des Heimatstaates; zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 25.01.2003
- Aktenzeichen
- 11 A 1334/03
- Entscheidungsform
- Gerichtsbescheid
- Referenz
- WKRS 2003, 48267
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 15 Abs 2 Nr 4 AsylVfG
- § 15 Abs 2 Nr 6 AsylVfG
- § 70 Abs 4 S 1 AuslG
- § 53 Abs 6 AuslG
- § 11 Abs 1 GefAbwG ND
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Die Befugnis der Ausländerbehörde, einen abgelehnten Asylbewerber zur Vorlage eines Nationalpasses zu verpflichten, ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG i.V.m. § 11 Abs. 1 NGefAG.
2. Die Befugnis zur weiteren Verpflichtung, einen Pass oder einen Passersatz unter Vorsprache bei der Botschaft des Heimatlandes zu beantragen, ergibt sich aus § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG i.V.m. § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG.
3. Im Rahmen ihrer Ermessensentscheidung hat die Ausländerbehörde bei Festlegung dieser Mitwirkungspflichten des Ausländers weder selbstständig zu prüfen, ob im Heimatstaat politische Verfolgung droht, noch ob ein geltend gemachtes zielstaatsbezogenes (krankheitsbedingtes) Abschiebungshindernis vorliegt.
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Die Klägerin trägt die außergerichtlichen Kosten des Verfahrens; insoweit ist dieser Gerichtsbescheid vorläufig vollstreckbar.
Gerichtskosten werden nicht erhoben.
Tatbestand:
Die Klägerin ist kongolesische Staatsangehörige. Sie reiste im Jahre 2001 als Asylbewerberin in die Bundesrepublik Deutschland ein. Ihr Asylantrag, bei dem sie sich im Wesentlichen auf eine politische Verfolgung wegen Unterstützungshandlungen des eng ihr verbundenen Bruders für das alte kongolesische Regime berief, wurde rechtskräftig abgelehnt (vgl. Urteil des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 23. Dezember 2002 - 5 A 464/01 -). Der weitere Aufenthalt der seit dem 25. Januar 2003 ausreisepflichtigen Klägerin wird derzeit lediglich geduldet.
Mit Bescheid vom 31. März 2003 forderte die Beklagte die Klägerin unter Fristsetzung auf, einen gültigen Nationalpass vorzulegen. Für den Fall, dass sie keinen gültigen Nationalpass besitze, forderte die Beklagte sie zudem auf, einen Pass oder Passersatz bei der zuständigen Botschaft oder konsularischen Vertretung unter Beachtung bestimmter Verfahrensschritte zu beantragen. Ferner drohte ihr die Beklagte die zwangsweise Vorführung bei der Botschaft der Republik Kongo an, falls sie dieser Anordnung nicht fristgerecht Folge leiste. Zur Begründung führte sie im Wesentlichen aus, die vollziehbar zur Ausreise verpflichtete Klägerin müsse ihren nach § 4 Abs. 1 und § 40 Abs. 2 AuslG i.V.m. § 15 Abs. 2 Nr. 4 und 6 AsylVfG festgelegten Pflichten nachkommen. Die Anordnung von Verwaltungszwang ergehe nach §§ 69 Abs. 6, 70, 74 Abs. 1 NGefAG i.V.m. § 70 Abs. 1 VwVG und sei hier geeignet, erforderlich sowie angemessen.
Die Klägerin legte am 8. April 2003 gegen die Androhung des Verwaltungszwanges Widerspruch ein, über den - soweit ersichtlich - bislang nicht entschieden wurde.
Am 9. April 2003 hat die Klägerin gegen die Passvorlage- bzw. Passantragsverpflichtung Klage erhoben. Zur Begründung trägt sie im Wesentlichen vor, es sie ihr unzumutbar, bei der kongolesischen Botschaft vorzusprechen. Wegen des engen Kontakts zu ihrem Bruder werde sie vom gegenwärtigen kongolesischem Regime verfolgt. Ihr Bruder habe mit der früheren Regierung der Republik Kongo unter Präsident Lissouba kooperiert und sei insbesondere in Waffenlieferungen an diese Regierung verstrickt gewesen. Sie habe von ihrem Bruder verschiedene Geheimnisse erfahren. Ihr Bruder sei zwischenzeitlich umgebracht worden. Bei einer Rückkehr in den Kongo befürchte sie ein ähnliches Schicksal. Im Übrigen leide sie an einer Lungenkrankheit/Tuberkulose (Bescheinigung des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. W. vom 30. Juni 2003 darüber, dass seine Patientin im August einen Termin beim Lungenarzt wegen ihrer Erkrankung habe).
Die Klägerin beantragt,
die Regelungen in Nr. 1 und 2 des Bescheides der Beklagten vom 31. März 2003 aufzuheben.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie bezieht sich auf den angefochtenen Bescheid und erwidert ergänzend, dass für die Prüfung des geltend gemachten krankheitsbedingten zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge zuständig sei.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf den Inhalt der Gerichtsakte und der beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Über die Klage konnte gemäß § 84 VwGO nach Anhörung der Beteiligten durch Gerichtsbescheid entschieden werden, da die Sache keine besonderen Schwierigkeiten tatsächlicher oder rechtlicher Art aufweist und der entscheidungserhebliche Sachverhalt geklärt ist.
Die zulässige Klage ist unbegründet. Die allein in Streit befindliche Verpflichtung der Klägerin zur Vorlage eines gültigen kongolesischen Nationalpasses bzw. zur Beantragung eines Passes oder Passersatzes unter Beachtung bestimmter Verfahrensschritte in dem angefochtenen Bescheid der Beklagten vom 31. März 2003 ist rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
Die Ausländerbehörde der Beklagten durfte als neben dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge mit der Ausführung des AsylVfG befasste Behörde im Rahmen ihres Aufgabenbereichs die hier geforderte Mitwirkung verlangen. Die Regelungen des § 15 AsylVfG dienen nämlich auch den Behörden der Länder zur Erfüllung der ihnen obliegenden Aufgabe, die Ausreisepflicht eines Asylbewerbers, dessen Anerkennungsverfahren vor dem Bundesamt erfolglos geblieben ist und gegenüber dem das Bundesamt - in eigener Zuständigkeit - gem. § 34 Abs. 1 AsylVfG eine Abschiebungsandrohung erlassen hat, durchzusetzen (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 27. Dezember 2000 - 11 S 1592/00 - NVwZ 2001, Beilage Nr. I 7, 87). Die besondere Zuständigkeit des Bundesamtes endet abgesehen von denen in §§ 34 a, 43 AsylVfG geregelten Sonderfällen mit dem Erlass der Abschiebungsandrohung und der Unterrichtung der Ausländerbehörde. Die Durchsetzung der Ausreisepflicht obliegt dann den nach allgemeinen ausländerrechtlichen Vorschriften zuständigen Landesbehörden (vgl. §§ 63 Abs. 1, 6 AuslG). In diesem Verfahrensstadium soll durch eine Mitwirkung des Ausländers bei der Beschaffung von Identitätspapieren erreicht werden, dass nach negativem Ausgang des Asylverfahrens dessen Rückführung in den Herkunftsstaat nicht verzögert oder verhindert wird.
Allerdings reicht allein die Verpflichtungsnorm des § 15 Abs. 2 Nr. 4 bzw. Nr. 6 AsylVfG nicht zum Erlass eines Verwaltungsaktes aus. Vielmehr bedarf es dazu einer Ermächtigung zum Erlass einer Verfügung, die sich hier jedoch in § 11 Abs. 1 NGefAG bzw. § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG befindet (so auch Bay VGH, Urteil vom 11. Juli 2000 - 10 B 99.3200 - AuAS 2000, 249, der allerdings die Mitwirkungspflichten aus dem Ausländerrecht herleitet; a.A. VGH Baden-Württemberg a.a.O., der die Ermächtigung unmittelbar aus § 15 Abs. 2 AsylVfG ableitet). Demgemäß ergibt sich die Verpflichtung zur Vorlage eines Nationalpasses aus § 15 Abs. 2 Nr. 4 AsylVfG i.V.m. § 11 Abs. 1 NGefAG und die (hilfsweise) weitere Verpflichtung, einen Pass oder einen Passersatz bei der kongolesischen Botschaft unter Einhaltung der vorgeschriebenen Verfahrensschritte zu beantragen, aus § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG i.V.m. § 70 Abs. 4 Satz 1 AuslG.
Ein durch unterbliebene Anhörung möglicher Verfahrensfehler wäre nach § 46 VwVfG i.V.m. § 1 Abs. 1 Satz 1 Nds. VwVfG unbeachtlich, weil hier offensichtlich ist, dass die Beklagte auch in Kenntnis der Einwände der Klägerin zu dem gleichen Ergebnis gekommen wäre (vgl. zur Alternativlosigkeit einer bestimmten Entscheidung: Bay VGH, Urteil vom 11. Juli 2000, a.a.O. m.w.N.).
Die Voraussetzungen für eine Verfügung zur Durchsetzung der Vorlagepflicht sind gegeben. Nach Beendigung des Asylverfahrens kann auch die Ausländerbehörde diese Verpflichtung durchsetzen.
Die Verfügung ist insoweit ermessensfehlerfrei, insbesondere geeignet, erforderlich und angemessen zur Durchsetzung des gesetzlichen Zieles, die Ausreise von abgelehnten Asylbewerbern zu fördern. Auch wenn die Klägerin behauptet, sie besitze keinerlei Papiere, steht dies der Rechtmäßigkeit der Verfügung nicht entgegen. Denn sie ist in höchstem Maße unglaubwürdig. Dazu kann auf die Ausführungen im abgeschlossenen Asylverfahren verwiesen werden, in dem das Verwaltungsgericht Osnabrück auch sachverständige Auskünfte eingeholt hatte. Möglicherweise besitzt die Klägerin auch einen Pass von einem Staat, an den bisher noch nicht gedacht worden ist. Deshalb macht allein die Behauptung, man besitze keine Unterlagen, die Verfügung noch nicht ungeeignet.
Auch die Verpflichtung, bei der Botschaft des Heimatstaates persönlich vorzusprechen und einen Pass bzw. Passersatz zu beantragen, ist rechtmäßig. Nach § 15 Abs. 2 Nr. 6 AsylVfG ist der Asylbewerber im Falle des Nichtbesitzes eines gültigen Passes oder Passersatzes verpflichtet, an der Beschaffung eines Identitätspapiers mitzuwirken. Diese Mitwirkungspflicht umfasst alle Tat- und Rechtshandlungen, die zur Beschaffung eines fehlenden Identitätspapiers oder zur Verlängerung seiner Gültigkeit erforderlich sind und nur von dem Ausländer persönlich vorgenommen werden können. Dazu gehören nicht nur die Fertigung von Lichtbildern und das Ausfüllen und eigenhändige Unterzeichnen des Antragsformulars, sondern auch die persönliche Vorsprache bei der diplomatischen oder konsularischen Auslandsvertretung seines Heimatstaates und/oder die Abholung des Passes oder des Passersatzes, wenn die Auslandsvertretung dies verlangt (VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Oktober 1998 - A 9 S 856/98 - InfAuslR 1999, 287 [OVG Schleswig-Holstein 18.11.1998 - 2 L 9/96]).
Dies gilt im Hinblick auf das Asylgrundrecht aus Art. 16 a Abs. 1 GG jedenfalls dann, wenn - wie hier - der Ausländer nach Abschluss des Asylverfahrens vollziehbar ausreisepflichtig ist (vgl. VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Oktober 1998, a.a.O.). Stellt der Ausländer einen Folgeantrag, findet eine Suspendierung der Mitwirkungspflicht nur statt, wenn der Folgeantrag auf beachtliche Wiederaufnahmegründe im Sinne von § 51 Abs. 1 - 3 VwVfG gestützt wird. Hier kann die Klägerin weder einen Nachweis des Bundesamtes über eine Wiederaufnahme des Asylverfahrens vorweisen noch dass sie überhaupt einen Folgeantrag gestellt hat.
Auch diese Maßnahme ist nicht ermessensfehlerhaft. Sie verletzt insbesondere nicht den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Sie ist geeignet, den angestrebten Verwaltungszweck (Durchsetzung der gesetzlichen Ausreisepflicht) zu erreichen. Die Maßnahme ist angesichts des Umstandes, dass die Klägerin entgegen ihren Mitwirkungspflichten bisher weder Papiere vorgelegt, noch erkennbar Anstalten unternommen hat, Identitätsnachweise beizubringen, auch erforderlich. Schließlich steht das der Klägerin angesonnene Verhalten auch nicht erkennbar außer Verhältnis zum Gewicht der mit der Verfügung verfolgten öffentlichen Belange.
Soweit sich die Klägerin durch eine persönlichen Vorsprache bei einer Auslandsvertretung ihres Heimatlandes als gefährdet ansieht und daraus eine Unzumutbarkeit der verlangten Mitwirkung ableitet, beruft sie sich in der Sache auf die Gefahr einer politischen Verfolgung in der Republik Kongo. Dies ist aber nicht von der Ausländerbehörde im Verfahren der Aufenthaltsbeendigung oder dem sie überprüfenden Verwaltungsgericht zu beurteilen, sondern nur vom Bundesamt (vgl. Bay VGH, Urteil vom 11. Juli 2000, a.a.O.; VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 6. Oktober 1998, a.a.O.). Folglich kann die Klägerin mit der geltend gemachten Verfolgungsgefahr durch das kongolesische Regime, auf die sie sich bereits in ihrem rechtskräftig abgeschlossenen Asylverfahren erfolglos berufen hatte, nicht nochmals in dem Verfahren der Ausländerbehörde zur Aufenthaltsbeendigung gehört werden.
Entsprechendes gilt in der Sache hinsichtlich der geltend gemachten Lungenerkrankung und der Behauptung, eine ordnungsgemäße medizinische Versorgung sei in ihrem Heimatland nicht möglich. Eine derartige Erkrankung berührt keinesfalls unmittelbar die Möglichkeit oder Zumutbarkeit einer Vorsprache bei der Auslandsvertretung ihres Heimatlandes. Allenfalls mittelbar könnten sich Auswirkungen ergeben. In der Sache wird aber ein sog. krankheitsbedingtes zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 AuslG geltend gemacht, für dessen Prüfung hier ebenfalls allein das Bundesamt zuständig ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 21. März 2000 - 9 C 41.99 - NVwZ 2000, 940 = BVerwGE 111, 77 und Urteil vom 21. September 1999 - 9 C 12.99 - InfAuslR 2000, 93 m.w.N.).