Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 22.01.2003, Az.: 3 A 1945/00

Abschiebungsschutz; Asyl; Asylanerkennung; Asylberechtigter; OLF; Rücknahmeverfahren; staatliche Verfolgung; terroristische Organisation; Verfolgungslage; Widerruf; Widerrufsbescheid; Äthiopien

Bibliographie

Gericht
VG Oldenburg
Datum
22.01.2003
Aktenzeichen
3 A 1945/00
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2003, 47674
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Tatbestand:

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Die Klägerin heißt ... Dies ergibt sich aus dem von der Klägerin in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2003 vorgelegten Reiseausweis der Bundesrepublik Deutschland (Nr. ...). Auf Seite 8 dieses Ausweises ist eine Aufenthaltserlaubnis für die Bundesrepublik Deutschland eingetragen. Auf Seite 10 des Ausweises befindet sich u.a. folgende Eintragung: "Name lt. Ausländerakte G..., M..., geb.: 24.03.64 in D..." Diese Eintragung ist - wovon sich der Einzelrichter in der mündlichen Verhandlung überzeugen konnte - mit einem Stempel der Stadt .... und dem Datum 1. Oktober 2002 versehen.

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Die Klägerin, eine äthiopische Staatsangehörige, reiste im August 1989 erstmals in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte unter dem Namen "M...., G..." erstmals ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. Juli 1991 (Geschäftszeichen: ...) erhob sie beim Verwaltungsgericht ... Klage, die mit Urteil vom 25. Februar 1992 (Az.: 3 K ...) abgewiesen worden ist.

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Nach Aktenlage reiste die Klägerin am 10. August 1992 erneut in die Bundesrepublik Deutschland ein und beantragte unter dem Namen „...“, geb. am 2. Februar 1969, wiederum ihre Anerkennung als Asylberechtigte. Zur Begründung erklärte sie anlässlich ihrer Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 21. April 1993 u.a., dass ihr Vater als Kämpfer für die OLF gefallen sei. Er sei am 10. Juli 1992 getötet worden. Gegen den ablehnenden Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 17. August 1993 (Geschäftszeichen: A ...) erhob die Klägerin beim erkennenden Gericht Klage. Mit Urteil vom 25. Juni 1997 (3 A ...) verpflichtete das erkennende Gericht die Beklagte unter Aufhebung des angefochtenen Bescheides vom 17. August 1993, die Klägerin als Asylberechtigte anzuerkennen. Zugleich stellte das Gericht fest, dass sowohl die Voraussetzungen des § 51 AuslG als auch Abschiebungshindernisse gemäß § 53 AuslG bestehen. In den Urteilsgründen ist im wesentlichen ausgeführt, dass die Klägerin bei ihrer persönlichen Anhörung am 25. Juni 1997 habe glaubhaft machen können, dass sie im Juli 1992 durch staatliche Stellen der damaligen Übergangsregierung in Äthiopien politisch verfolgt worden sei. Das Gericht habe aufgrund des persönlichen Eindrucks von der Klägerin und ihrer Schilderung der tatsächlichen Abläufe keinen Zweifel, dass sie in der zweiten Julihälfte 1992 zwei Wochen inhaftiert und misshandelt worden sei. Weiter heißt es: Es sei auch plausibel, dass im Zuge der bewaffneten Auseinandersetzungen der Vater der Klägerin als aktiver Kämpfer der OLF getötet worden sei. Da die Klägerin vorverfolgt aus Äthiopien ausgereist sei, könne nicht hinreichend sicher sein, dass ihr im Falle der Rückkehr nach Äthiopien nicht erneut eine politische Verfolgung drohe.

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Aufgrund des Urteils des erkennenden Gerichts vom 25. Juni 1997 (Az.: 3 A ....) erkannte das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Klägerin unter dem Namen "..." als Asylberechtigte gemäß Art. 16 a GG an.

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Mit Schriftsatz vom 18. August 1999 teilte der Prozessbevollmächtigte des Herrn G. S. dem Ausländeramt der Stadt ... mit, dass Frau "..." eine Scheinasylantin sei und sich unter diesem falschen Namen in Deutschland aufhalte. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge leitete daraufhin ein Widerrufsverfahren gemäß § 73 AsylVfG ein. Auf die schriftliche Anhörung des Bundesamtes vom 12. November 1999 hin nahm die Klägerin umfangreich Stellung und wies insbesondere darauf hin, dass sie gemeinsam mit ihren beiden Kindern weiter in Deutschland leben wolle. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge widerrief mit Bescheid vom 4. Mai 2000 (Geschäftszeichen ...) - gerichtet an ... ..., alias: ... - die Anerkennung als Asylberechtigte vom 11. August 1997 und stellte zugleich in dem Bescheid fest, dass Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG nicht vorlägen. Zur Begründung des auf § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG gestützten Widerrufs führte das Bundesamt im wesentlichen aus, dass die Anerkennung der Klägerin seinerzeit aufgrund der Verpflichtung durch das Verwaltungsgericht ... mit Urteil vom 25. Juni 1997 erfolgt sei, weil diese glaubhaft habe machen können, im Juli 1992 durch staatliche Stellen der damaligen Übergangsregierung in Äthiopien politisch verfolgt zu sein. Seit der Anerkennung der Klägerin im Jahre 1997 habe sich die politische Situation in Äthiopien aber verändert. Auch wenn man den Sachverhalt, den die Klägerin dem Verwaltungsgericht ... vorgetragen habe, als wahr unterstelle, sei sie heute vor einer Wiederholung politischer Verfolgung hinreichend sicher. Bei der Klägerin sei zu berücksichtigen, dass sie selbst nicht Mitglied der OLF gewesen sei, sondern dass sie Verfolgung vor ihrer Ausreise nur wegen vermuteter Mitgliedschaft erlitten habe. Abschiebungshindernisse nach §§ 51, 53 AuslG lägen ebenfalls nicht vor.

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Die Klägerin hat daraufhin noch unter dem Namen "..." am 17. Mai 2000 Klage erhoben. Zur Begründung führt sie im wesentlichen aus, dass der angefochtene Widerrufsbescheid zum einen deshalb rechtswidrig sei, weil er der Situation nicht gerecht werde und zum anderen keinen Bestand haben könne, weil sie nicht ausgewiesen werden dürfe. Auch sei zu berücksichtigen, dass sie mit ihren beiden Kindern bei Rückkehr nach Äthiopien keine wirtschaftliche Existenzgrundlage habe. Den äthiopischen Behörden dürfte bekannt geworden sein, dass ihr Vater OLF-Mitglied gewesen sei. Im übrigen reiche allein der Verdacht der Unterstützung der OLF auch heutzutage für eine hochgradige Gefährdung aus.

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Die Klägerin beantragt,

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den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2000 aufzuheben.

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Die Beklagte beantragt unter Bezugnahme auf den angefochtenen Bescheid,

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die Klage abzuweisen.

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Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhaltes im übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie in dem Verfahren 3 A ... und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen. Sie sind Gegenstand der Entscheidungsfindung gewesen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig und begründet. Der angefochtene Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2000 (Geschäftszeichen: ...) ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Die Voraussetzungen für den Widerruf der Asylanerkennung der Klägerin gemäß § 73 Abs. 1 AsylVfG sind nicht gegeben.

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Vorliegend hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge die Asylanerkennung der Klägerin mit Bescheid vom 4. Mai 2000 widerrufen. Ein Rücknahmeverfahren, so wie es in § 73 AsylVfG ebenfalls geregelt ist, hat das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge im Ergebnis nicht durchgeführt. Zwar hat es mit Schreiben vom 11. November 1999 ein "Rücknahmeverfahren" eingeleitet. Mit einem weiteren Schreiben, datiert mit 12. November 1999, leitete das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge aber auch ein "Widerrufsverfahren" ein. Bei dem streitgegenständlichen Bescheid vom 4. Mai 2000 handelt es sich hingegen eindeutig um einen Widerrufsbescheid. Für eine Umdeutung in einen "Rücknahmebescheid" fehlen jegliche Anhaltspunkte.

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Nach § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG sind die Anerkennung als Asylberechtigter und die Feststellung, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 des Ausländergesetzes vorliegen, unverzüglich zu widerrufen, wenn die Voraussetzungen für sie nicht mehr vorliegen. Das ist der Fall, wenn sich die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse erheblich geändert haben und die Feststellung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG deshalb nunmehr ausgeschlossen ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. September 2000 - 9 C 12.00, NVwZ 2001, 335). Die Änderung der für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgebenden Verhältnisse muss dabei nach dem Ergehen des Feststellungsbescheides eingetreten sein, wenn das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge diesen Bescheid in eigener Verantwortung erlassen hat. Ist das Bundesamt hingegen - wie auch im vorliegenden Fall - durch ein verwaltungsgerichtliches Urteil zum Erlass des Feststellungsbescheides verpflichtet worden, kommt es nach der u.a. vom Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht vertretenen Rechtsprechung darauf an, ob sich die für die Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse nach dem Erlass des Verpflichtungsurteils erheblich verändert haben (vgl. hier das Oberverwaltungsgericht, Beschluss vom 3. Mai 2001, 13 A 1619/01; Nds. OVG, Beschluss vom 1. März 2002, 8 LB 15/02; auch: VGH Baden-Württemberg, Urteil vom 23. November 1999, 6 S 1974/98, DVBl. 2000, 435; Hess. VGH, Urteil vom 2. April 1993, 10 UE 1413/91, DVBl. 1993, S. 1026; a.A.: Bayerischer VGH, Beschluss vom 16.11.2000, 20 ZBH 003237, AuAS 2001, S. 23). Eine Neubewertung der im Zeitpunkt der Ausgangsentscheidung gegebenen Sachlage stellt keine im Sinne des § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG beachtliche Änderung der Sachlage dar. Ein Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG kommt nur dann in Betracht, wenn die anfänglich gegebenen Verfolgungsgründe im Nachhinein entfallen sind oder wenn nachträgliche Ereignisse die ursprüngliche Verfolgungsfreiheit bestätigen (vgl. OVG Sachsen-Anhalt, Urteil vom 26. Januar 2000, A 1 S 174/99).

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Unter Zugrundelegung dieser Grundsätze liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf der Asylanerkennung gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht vor. Die für die Beurteilung der Verfolgungslage maßgeblichen Verhältnisse haben sich nach dem Erlass des Urteils des erkennenden Gerichts vom 25. Juni 1997 nicht erheblich geändert. Bei der Klägerin, die, wie vom erkennenden Gericht mit Urteil vom 25. Juni 1997 (3 A ...) zutreffend festgestellt, glaubhaft gemacht hat, dass sie in Äthiopien eine politische Verfolgung erlitten hat, kann nach wie vor nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden, dass sich diese Verfolgung nicht wiederholt. Der erkennende Einzelrichter legt die in dem Urteil des erkennenden Gerichts vom 25. Juni 1997 enthaltenen Ausführungen zur politischen Verfolgung der Klägerin, die inhaltlich überzeugend sind, auch dieser Entscheidung zugrunde. (Der Klägerin ist es im übrigen in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2003 auch gelungen, die in dem Schreiben des Rechtsanwaltes ... vom 18. August 1999 enthaltenen Behauptungen glaubhaft zu widerlegen.)

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Die maßgeblichen Verhältnisse in Äthiopien haben sich nicht nachträglich entscheidungserheblich geändert. Die Klägerin muss nach wie vor wegen der von ihr erlittenen politischen Verfolgung mit einer erneuten staatlichen Verfolgung rechnen. Nach der glaubhaften Schilderung der Klägerin im Asylverfahren ist den staatlichen Behörden in Äthiopien bekannt, dass ihr Vater ein aktiver Kämpfer der OLF gewesen ist. Die Klägerin ist nach dem dieser Entscheidung zugrundezulegenden Sachverhalt in Anknüpfung an die von den staatlichen Stellen vermutete Mitgliedschaft in der oppositionellen politischen Gruppierung (OLF) misshandelt und inhaftiert worden (vgl. insofern auch Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2000 S. 3, letzter Absatz).

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Nach dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in Äthiopien vom 10. Januar 2001 wird die OLF (nach wie vor) als "terroristische Organisation" eingestuft (ebenda S. 7). Der begründete Verdacht der Mitgliedschaft oder Unterstützung der OLF habe strafrechtliche Konsequenzen. Weiter heißt es in diesem Lagebericht: "Die Regierung betrachtet nach eigener Aussage neben der OLF auch ... als eine ernsthafte Bedrohung für die innere Sicherheit". Diese Einschätzung stimmt überein mit der amtlichen Auskunft des Auswärtigen Amtes vom 26. September 2001 an das VG Ansbach, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen ist. Danach wird die OLF in Äthiopien als terroristische Organisation verfolgt. Selbst bei lediglich politischer Unterstützung und vermuteter Sympathie für diese Organisation ist dort eine bis zu mehreren Jahren dauernde Inhaftierung möglich. Dieselbe Einschätzung wird auch vom Verwaltungsgericht Aachen in dem Beschluss vom 24. April 2001 (7 L 1048/00.A, Asylmagazin 2001 S. 18) vertreten. Diese Entscheidung ist Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen. In dem Beschluss des Verwaltungsgerichts Aachen vom 24. April 2001 wird u.a. die Äthiopien-Information des Bundesamtes mit Stand vom Juni 1999, Bd. 2, S. 28 ff. erwähnt. Danach seien Ziel von Maßnahmen der Sicherheitsbehörde insbesondere auch vermutete Anhänger der OLF. Die Regierung bekämpfe mit Härte die als terroristisch eingestufte OLF; ihre Mitglieder und Anhänger werden politisch und strafrechtlich verfolgt und unter schlechtesten Haftbedingungen gehalten (VG Aachen, Beschluss vom 24. April 2001 a.a.O. - m.w.N.).

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Zusammenfassend ist damit festzustellen, dass die Voraussetzungen für den Widerruf des Bescheides des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 11. August 1997 nicht vorliegen. Der Widerrufsbescheid des Bundesamtes vom 4. Mai 2000 ist rechtswidrig und war daher aufzuheben.

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Der streitgegenständliche Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 4. Mai 2000 ist auch im Hinblick auf die in Ziffer 2) und 3) der Entscheidung enthaltenen Feststellungen zu §§ 51 und 53 des Ausländergesetzes rechtswidrig. Bei § 51 Abs. 1 AuslG liegen die Voraussetzungen für einen Widerruf gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 AsylVfG nicht vor. Zur Vermeidung von Wiederholungen kann auf die obigen Ausführungen insoweit verwiesen werden. Die in Ziffer 3) des Bescheides vom 4. Mai 2000 getroffene Feststellung zu § 53 AuslG ist ebenfalls rechtswidrig. Sie steht in Widerspruch zu dem rechtskräftigen Urteil des erkennenden Gerichts vom 25. Juni 1997.