Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 22.01.2003, Az.: 3 A 1943/99
Abschiebung; Abschiebungshindernis; Abschiebungsschutz; Asyl; Asylberechtigter; Ausländer; Eritrea; Gefahr; Gesundheitszustand; Heimatstaat; Klagerücknahme; konkrete Gefahr für Leib oder Leben; Kostenquote; Krankheit; Krankheitsbehandlung; zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 22.01.2003
- Aktenzeichen
- 3 A 1943/99
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47685
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 51 Abs 1 AuslG
- § 53 Abs 6 AuslG
- § 151 Abs 2 VwGO
- § 154 Abs 1 VwGO
- Art 16a GG
- § 83b AsylVfG
Tatbestand:
Der am ..... (nicht .....) in Asmara, der heutigen Hauptstadt Eritreas, geborene Kläger gelangte im Jahre 1980 zusammen mit seinem Vater und dreier Geschwister über den Sudan in die Bundesrepublik Deutschland. Bis zum 20. Oktober 1994 war er im Besitz einer Aufenthaltsbefugnis, die jedoch nicht verlängert wurde, weil Ausweisungsgründe vorlagen. Der Kläger ist Diabetiker, muss streng nach Diät leben und spritzt sich selbst Insulin. Im Oktober 1990 wurde bei ihm ein Tumor am Rückenwirbel festgestellt. Der Kläger ist in der Vergangenheit wiederholt strafrechtlich in Erscheinung getreten. Wegen verschiedener Straftaten verbüßte er in der Zeit vom 4. Juni 1998 bis zum 18. Januar 2000 eine Freiheitsstrafe.
Bereits mit Schriftsatz vom 15. März 1999 stellte er aus der Haft heraus einen Asylantrag, den er im wesentlichen unter Vorlage eines ärztlichen Attestes des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 22. Februar 1999 und einer Stellungnahme des Missionsärztlichen Institutes Würzburg vom 15. März 1999 damit begründete, dass er an einer insulinpflichtigen Zuckerkrankheit, einem zum Rezidiv neigenden Knochentumor und einer Diabetes insipidus leide, und eine entsprechende medizinische Versorgung in Eritrea nicht gewährleistet sei. Bei seiner Anhörung vor dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge am 15. April 1999 wies er ergänzend darauf hin, dass er den Asylantrag auch wegen des Krieges in seinem Heimatland gestellt habe.
Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge lehnte den Asylantrag des Klägers mit Bescheid vom 29. April 1999 als offensichtlich unbegründet ab und stellte zugleich fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG offensichtlich und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG nicht vorlägen. Gemäß Ziffer 4) dieses Bescheides wurde der Kläger für den Fall der Haftentlassung aufgefordert, innerhalb von einer Woche nach Bekanntgabe des Bescheides die Bundesrepublik Deutschland zu verlassen. Sofern er diese Ausreisefrist nicht einhalte, werde er nach Eritrea abgeschoben. In den Gründen des Bescheides vom 29. April 1999 ist im wesentlichen ausgeführt, dass der Kläger sein Heimatland zusammen mit seiner Familie aufgrund des dortigen Bürgerkrieges verlassen habe. Anhaltspunkte für eine drohende politische Verfolgung seien nicht erkennbar. Der Kläger könne sich auch nicht auf Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG berufen. Nach den vorliegenden Erkenntnissen sei nicht davon auszugehen, dass die Diabeteserkrankung des Klägers und die notwendigen Nachsorgeuntersuchungen aufgrund der Operationen in den Jahren 1990, 1993 und 1996 zu einer konkreten Gefahr für Leib und Leben des Klägers bei einer Rückkehr führen könnte.
Der Kläger hat daraufhin am 17. Mai 1999 Klage erhoben und zugleich einen Antrag auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes gestellt. Mit Beschluss vom 28. Juli 1999 (7 B 1945/99) ordnete das erkennende Gericht die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid des Bundesamtes für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge vom 29. April 1999 an. In den Gründen des Beschlusses wird ausgeführt, dass gegen die Regelung in Ziffer 4) des Bescheides mehrere erhebliche rechtliche Bedenken bestünden.
Zur Begründung seiner Klage trägt der Kläger im wesentlichen vor: Er sei schwer erkrankt. Dies werde durch das vorgelegte Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 22. Februar 1999 sowie durch die Stellungnahme des Missionsärztlichen Institutes Würzburg vom 15. März 1999 und die Stellungnahme des Deutschen Instituts für ärztliche Mission e.V. vom 28. Mai 1999 bestätigt. Aus diesen Stellungnahmen folge auch eindeutig, dass eine medizinische Versorgung seiner Krankheiten in Eritrea nicht gewährleistet sei. Dazu komme, dass er in Eritrea keinerlei familiäre Bindungen habe; er beherrsche noch nicht einmal die Sprache.
(Hinsichtlich der ursprünglich begehrten Anerkennung als Asylberechtigter sowie auf Feststellung des Vorliegens der Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG nahm der Kläger die Klage in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2003 zurück.)
Der Kläger beantragt,
die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides vom 29. April 1999 zu verpflichten, bei ihm das Vorliegen der Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 AuslG festzustellen.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie verteidigt den angefochtenen Bescheid und nimmt zur Begründung auf dessen Inhalt Bezug.
Wegen des Vorbringens der Beteiligten im einzelnen und des Sachverhaltes im übrigen wird ergänzend auf den Inhalt der Gerichtsakte sowie auf die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten und die Ausländerakte Bezug genommen. Diese waren Gegenstand der Entscheidungsfindung.
Entscheidungsgründe
Soweit der Kläger ursprünglich mit seiner Klage die Anerkennung als Asylberechtigter und Gewährung von Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG begehrt hatte, hat er die Klage in der mündlichen Verhandlung am 22. Januar 2003 zurückgenommen. Das Verfahren war daher insoweit mit der Kostenfolge aus § 155 Abs. 2 VwGO einzustellen.
Im übrigen hat die Klage Erfolg. Die Beklagte ist verpflichtet festzustellen, dass in der Person des Klägers ein Abschiebungshindernis im Sinne von § 53 Abs. 6 AuslG besteht.
Ein individuelles Abschiebungshindernis nach § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG kann sich aus der Gefahr ergeben, dass sich die Krankheit eines ausreisepflichtigen Ausländers in seinem Heimatstaat verschlimmert, weil die Behandlungsmöglichkeiten dort unzureichend sind. § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG setzt insoweit das Vorliegen einer erheblichen konkreten Gefahr für Leib oder Leben voraus. Der Gesundheitszustand müsste sich wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern. Der Ausländer müsste alsbald nach Rückkehr in den Zielstaat der Abschiebung in diese Lage geraten, weil er auf die dortigen unzureichenden Möglichkeiten zur Behandlung seines Leidens angewiesen ist und auch anderswo wirksame Hilfe nicht in Anspruch nehmen kann (vgl. BVerwG, Urteil vom 25. November 1997, BVerwG 9 C 58.96, BVerwGE 105, 383). Ein zielstaatsbezogenes Abschiebungshindernis i.S. von § 53 Abs. 6 S. 1 AuslG liegt nach der neueren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts nicht nur dann vor, wenn die Krankheitsbehandlung im Zielstaat grundsätzlich nicht möglich ist, sondern auch, wenn sie für den Kranken individuell nicht erreichbar ist (z.B. mangels finanzieller Mittel; aber auch bei Unvermögen des Kranken, ohne Hilfe Dritter seine Therapie einzuhalten) (BVerwG, Urteil v. 29. Oktober 2002, 1 C 1.02 - bislang nur Leitsatz, schriftl. Gründe liegen noch nicht vor).
Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Der Kläger leidet unstreitig an einer insulinpflichtigen Diabetes, an einem zum Rezidiv neigenden Knochentumor (Histiozytose X) und einem Diabetes Insipidus. Dies ergibt sich übereinstimmend und eindeutig sowohl aus dem ärztlichen Attest des Facharztes für Allgemeinmedizin Dr. J. vom 22. Februar 1999 und der Stellungnahme des ............ärztlichen Instituts ...... vom 15. März 1999. Die Krankheiten werden auch durch das Schreiben des Deutschen Instituts für ......... vom 28. Mai 1999 bestätigt. Obgleich diese Atteste und Schreiben bereits einige Jahre alt sind, sind sie für die rechtliche Beurteilung weiterhin entscheidungserheblich. Der Gesundheitszustand des Klägers ist gleichbleibend geblieben. Dies hat der Kläger auf Frage des Gerichts in der mündlichen Verhandlung glaubhaft dargelegt. Bestätigt wird dies auch durch eine in der Ausländerakte befindliche ärztliche Bescheinigung des Kinderkrankenhauses „...........“ vom 20. Februar 1996. Danach handelt es sich bei dem Kläger um eine chronische Stoffwechselerkrankung, "die die lebenslange Substitution mit Insulin notwendig mache". Laut Angaben von Dr. J. in dessen ärztl. Attest vom 22. Februar 1999 sind bei dem Kläger „weiterhin regelmäßige Nachsorgeuntersuchungen ..... in der MHH notwendig“.
Der Einzelrichter ist davon überzeugt, dass sich die Erkrankung des Klägers bei einer Rückkehr nach Eritrea wesentlich verschlimmern würde, weil die dortigen Behandlungsmöglichkeiten unzureichend sind. Nach der genannten Stellungnahme des Deutschen Instituts für ärztliche ........... e.V. vom 28. Mai 1999 ist die ärztliche Betreuung und medizinische Versorgung des Klägers für die geschilderten Krankheitszustände in der erforderlichen Quantität und Qualität in Eritrea nicht gewährleistet. In Eritrea komme es häufig zu Engpässen und damit zu Lücken in der medizinischen Versorgung, die sich bei dem Kläger lebensbedrohend auswirken könnten. Das ................ärztliche Institut ............. vertritt in seiner Stellungnahme vom 15. März 1999 die Auffassung, dass eine sachgemäße Behandlung diffiziler Krankheitssymptome, die bei dem Kläger offensichtlich vorlägen, nur in äußerst beschränktem Maße möglich sei. Auch Dr. J., Facharzt für Allgemeinmedizin und Medizinaldirektor der Justizvollzugsanstalt ............., vertritt in seinem ärztlichen Attest vom 22. Februar 1999 die Ansicht, dass eine entsprechende medizinische Versorgung des Klägers "im Heimatland auf große Schwierigkeiten stoßen dürfte". Es sind auch keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass sich die medizinische Versorgungssituation in Eritrea zwischenzeitlich in nennenswerter Weise gebessert haben könnte. Eritrea gehört nach wie vor zu den ärmsten Ländern der Welt. Aus dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes für Eritrea vom 14. Oktober 2001 ergibt sich, dass Medikamente und Verpflegung von den Patienten bzw. ihren Familien zu tragen sind, die dazu aber nicht stets in der Lage seien. Behandlungsmöglichkeiten für chronische Krankheiten im Bereich der inneren Medizin gebe es - in eingeschränktem Maße - nur in Asmara. Die Einfuhr von Medikamenten aus Deutschland sei zwar für einzelne Personen möglich. Voraussetzung sei aber eine private Kostentragung. Aufgrund des dargelegten komplexen Krankenbildes des Klägers - der Kläger leidet nicht lediglich an einer insulinpflichtigen Diabetes - verbietet sich nach den obigen Ausführungen eine Rückkehr des Klägers nach Eritrea, weil seine medizinische Versorgung in dem erforderlichen Umfang (noch) nicht gewährleistet ist. Dies ergibt sich deutlich aus den vom Kläger vorgelegten ärztlichen Attesten und Stellungnahmen in Verbindung mit den in das Verfahren eingeführten Erkenntnismitteln, insbesondere den Ausführungen zur medizinischen Versorgung in Eritrea in dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 14. Oktober 2001. Der Einzelrichter ist im Ergebnis davon überzeugt, dass sich die Erkrankung des Klägers bei einer Rückkehr in sein Heimatland wesentlich verschlimmern würde, weil die dortigen Behandlungsmöglichkeiten unzureichend sind. Im übrigen dürfte der Kläger im Sinne der neuen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (s.o.) nicht in der Lage sein, die notwendigen Behandlungskosten/Kosten der Medikamente in Eritrea selbst zu tragen.
Aus den vorstehenden Ausführungen ergibt sich somit die Verpflichtung der Beklagten zur Feststellung von Abschiebungshindernissen nach § 53 Abs. 6 AuslG im Hinblick auf den Kläger.
Lediglich klarstellend war festzustellen, dass Ziffer 4) des angefochtenen Bescheides, dessen Regelungsgehalt zwischenzeitlich auch inhaltlich überholt ist, weil der Kläger bereits am 18. Januar 2000 aus der Haft entlassen worden ist, keinen Bestand mehr haben kann. Zur Begründung wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die ausführliche Begründung in dem Beschluss des vorläufigen Rechtsschutzes vom 28. Juli 1999 (7 B 1945/99, dort S. 9 ff.) Bezug genommen. Diese Ausführungen macht sich der Einzelrichter zu eigen.
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 154 Abs. 1 VwGO, 83 b AsylVfG. Die Kostenquote entspricht dabei der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. Urteil vom 4. November 1997, 9 C 34.96). Berücksichtigt wurde insoweit, dass die Klage im Hinblick auf die ursprünglich begehrte Asylanerkennung gemäß Art. 16 a GG, den Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG und die Voraussetzungen des § 53 Abs. 1 - 4 AuslG keinen Erfolg gehabt hatte und der Kläger folgerichtig die Klage insoweit zurückgenommen hat. Erfolgreich war die Klage lediglich im Hinblick auf die Gewährung von Abschiebungsschutz gemäß § 53 Abs. 6 AuslG, was es rechtfertigt, dass die Beklagte 1/6 der außergerichtlichen Kosten zu tragen hat.