Verwaltungsgericht Oldenburg
Urt. v. 15.01.2003, Az.: 7 A 500/01
Alkohol; Fahrerlaubnis; Neuerteilung
Bibliographie
- Gericht
- VG Oldenburg
- Datum
- 15.01.2003
- Aktenzeichen
- 7 A 500/01
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2003, 47676
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 13 Nr 2 FeV
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
Nach § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV kann es gerechtfertigt sein, die Vorlage eines medizinisch-psycholgischen Gutachtens auch dann anzuordnen, wenn bei einer einmaligen Fahrt unter Alkoholeinfluss der in § 13 Nr. 2 c FeV erwähnte Blutalkoholgehalt von 1,6 g Promille nicht erreicht wurde. Es bedarf dann jedoch des Vorliegens besonderer Umstände. Diese müssen umso gewichtiger sein, je weiter sich der Blutalkoholgehalt von dem in § 13 Nr. 2 c FeV genannten Wert entfernt (hier: 1,53 g Promille um 16.00 Uhr mit geringen Ausfallerscheinungen)
Tenor:
Die Klage wird abgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens; insoweit ist das Urteil vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand:
Der am 4. Dezember 19.. geborene Kläger begehrt die Neuerteilung einer Fahrerlaubnis.
Er führte am 2. Juni 1999 gegen 16.00 Uhr in Wilhelmshaven einen PKW mit einer Alkoholkonzentration von 1,53 g Promille. Mit rechtskräftigem Strafbefehl des Amtsgerichts Wilhelmshaven vom 10. August 1999 ist ihm u.a. die Fahrerlaubnis entzogen und eine Sperrfrist für die Neuerteilung von 9 Monaten festgesetzt worden.
Am 9. Februar 2000 beantragte der Kläger bei der Beklagten die Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse BE.
Im März/April 2000 haben Gespräche mit dem Kläger stattgefunden, in denen ihm dargelegt worden ist, dass die Beklagte u.a. eine medizinisch-psychologische Untersuchung des Klägers als notwendig ansieht. Am 10. Mai 2000 erklärte der Kläger, dass er nicht bereit sei, sich dieser zu unterziehen
Mit Bescheid vom 22. Mai 2000 lehnte die Beklagte den Antrag des Klägers auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis ab. Zur Begründung wurde im wesentlichen ausgeführt: Der Kläger habe am 2. Juni 1999 keine Ausfallerscheinungen gezeigt. Dies deute auf eine erhöhte Giftfestigkeit und einen übersteigerten regelmäßigen Alkoholkonsum hin. Die Tatzeit um 16.00 Uhr belege, dass er bereits tagsüber erhebliche Mengen getrunken haben müsse bzw., sofern es sich um Restalkohol handele, am Vortag einen Blutalkoholgehalt von weit über 2 g Promille gehabt haben müsse. Dies weise darauf hin, dass bei ihm Alkoholmissbrauch vorgelegen haben könnte. Nach § 13 Nr. 2 e FeV sei deshalb eine medizinisch-psychologische Untersuchung anzuordnen gewesen.
Mit Widerspruchsbescheid vom 26. Januar 2001 wies die Bezirksregierung Weser-Ems den hiergegen gerichteten Widerspruch des Klägers zurück.
Am 20. Februar 2001 hat der Kläger Klage erhoben.
Er trägt im Wesentlichen vor: Er habe eine Blutalkoholkonzentration von gut unter 1,6 g Promille gehabt. Dieser Wert sei weit unter denjenigen, die als Hinweis auf Alkoholmissbrauch angesehen werden könnten. Dass er am 2. Juni 1999 „äußerst kontrolliert“ gewesen sei, sei durch sein ruhiges Naturell begründet. Er habe gewusst, dass er gegen die Anordnung einer Blutprobe nichts machen könne. Die Unauffälligkeit werde von der Polizei erfahrungsgemäß deshalb bescheinigt, um dem Betroffenen keine weiteren Schwierigkeiten zu machen. Es handele sich bei den ärztlichen Beschreibungen auch lediglich um Ankreuzungen, nicht um wissenschaftliche Beschreibungen seines damaligen Zustandes. Außerdem sei die Beobachtungszeit kurz gewesen, Die hohe Blutalkoholkonzentration sei auf seine erhebliche Unterversorgung mit Blut zurückzuführen. § 13 Nr. 2 c FeV schreibe abschließend vor, dass eine medizinisch-psychologische Untersuchung erst bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 g Promille erfolgen dürfe. Bei einem Unterschreiten dieses Wertes dürfe deren Anordnung nicht mehr auf dem Blutalkoholgehalt gestützt werden.
Der Kläger beantragt,
den Bescheid der Beklagten vom 22. Mai 2000 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Weser-Ems vom 26. Januar 2001 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihm die Fahrerlaubnis der Klasse BE neu zu erteilen
hilfsweise,
die Beklagte zu verpflichten, über seinen Antrag auf Neuerteilung der Fahrerlaubnis der Klasse BE erneut unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts zu entscheiden.
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
Sie erwidert im Wesentlichen: Die Anordnung eines medizinisch-psychologischen Gutachtens sei nicht unverhältnismäßig. Nach den Begutachtungsrichtlinien zur Kraftfahrereignung liege Alkoholmissbrauch auch dann vor, wenn bei einer einmaligen Fahrt unter einer hohen Alkoholkonzentration keine weiteren Anzeichen einer Alkoholwirkung vorlägen. Die Blutalkoholkonzentration des Klägers habe nur geringfügig unter dem in § 13 Nr. 2 c FeV genannten Wert gelegen.
Wegen des Sach- und Streitstandes im Übrigen wird auf die Gerichtsakte und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Beklagten Bezug genommen; sie sind Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen.
Entscheidungsgründe
Die Klage ist unbegründet. Dem Kläger stehen die geltend gemachten Ansprüche nicht zu.
Nach §§ 20 Abs. 1, 11 Abs. 1 FeV darf die Fahrerlaubnis nur dann neu erteilt werden, wenn der Bewerber um die Fahrerlaubnis die hierfür notwendigen körperlichen und geistigen Anforderungen erfüllt. Gem. § 11 Abs. 8 Satz 1 FeV darf jedoch auf die Nichteignung des Klägers geschlossen werden, weil er sich weigert, entsprechend einer behördlichen Anordnung zur Klärung von Eignungszweifeln untersuchen zu lassen.
Die Beklagte war berechtigt, von dem Kläger die Vorlage eines medizinisch-psychologischen Gutachtens zu verlangen. Es kann dabei dahinstehen, ob sich dies - wie die Beklagte meint - aus § 13 Nr. 2 e FeV ergibt. Jedenfalls findet ihre Anordnung eine Rechtsgrundlage in § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV.
§ 13 Nr. 2 FeV regelt, in welchen Fällen die Fahrerlaubnisbehörde wegen Alkoholmissbrauchs ein medizinisch-psychologisches Gutachten fordern darf. Ein Alkoholmissbrauch liegt vor, wenn das Führen von Kraftfahrzeugen und ein die Fahrsicherheit beeinträchtigender Alkoholkonsum nicht hinreichend sicher getrennt werden können (vgl. Anlage 4, Ziff. 8.1 zur FeV).
In § 13 Nr. 2 a, 1. Fall und b bis d FeV sind bestimmte Sonderfälle geregelt. So ist bei Anzeichen auf Alkoholmissbrauch, die sich aus einem wegen des Verdachts auf Alkoholabhängigkeit nach § 13 Nr. 1 FeV eingeholten Gutachten ergeben, eine medizinisch- psychologische Untersuchung vorgeschrieben (§ 13 Nr. 2 a, 1.Fall FeV). Gleiches gilt bei wiederholten Zuwiderhandlungen im Straßenverkehr unter Alkoholeinwirkung und dem Führen eines Fahrzeuges bei einer Blutalkoholkonzentration von 1,6 g Promille oder mehr (§ 13 Nr. 2 b bis d FeV).
Diese Regelungen sind entgegen der Auffassung des Klägers nicht abschließend. In § 13 Nr. 2 a 2. Fall und e FeV finden sich nämlich Auffangtatbestände (vgl. etwa VGH Mannheim, Beschluss vom 24. Juni 2002 - 10 S 985/02 - DAR 2002, 523 [VGH Baden-Württemberg 24.06.2002 - 10 S 985/02] < 525>; VGH Kassel, Beschluss vom 9. November 2000 - 2 TG 3571/00 - juris). § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV schreibt vor, dass auch dann, wenn „sonst Tatsachen die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen“ ein medizinisch-psychologisches Gutachten beizubringen ist. In § 13 Nr. 2 e FeV ist dies vorgesehen, wenn „sonst zu klären ist, ob Alkoholmissbrauch nicht mehr besteht“. Der Gesetzgeber hat damit hinreichend verdeutlicht, dass er der Fahrerlaubnisbehörde auch in Fällen, die von den Spezialregelungen nicht erfasst werden, die Befugnis, ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu verlangen, einräumen wollte. Er hat damit auf die Vielfalt und Unvorhersehbarkeit der im Bereich des Alkoholmissbrauchs vorkommenden Fallgestaltungen Rücksicht genommen.
§ 13 Nr. 2 e FeV setzt dabei positiv voraus, dass ein Alkoholmissbrauch bestanden hat. Dagegen verlangt § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV lediglich konkrete Tatsachen, die die Annahme von Alkoholmissbrauch begründen. Es reicht bei letzterer Regelung also bereits ein Verdacht auf Alkoholmissbrauch aus. (vgl. VGH Mannheim a.a.O., <S. 524>) § 13 Nr. 2 e FeV ist für die Konstellationen, die - wie hier - eine Nähe zu den Fällen des § 13 Nr. 2 b bis d aufweisen, nicht abschließend. Ein Rückgriff auf § 13 Nr. 2 a, 2.Fall FeV ist auch dann zulässig. Hiergegen spricht allerdings der systematische Aufbau des § 13 Nr. 2 FeV. Ferner werden die Fälle des § 13 Nr. 2 e FeV sehr häufig auch von § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV erfasst sein. Eine entsprechend Einschränkung des Anwendungsbereichs der zuletzt genannten Regelung lässt sich dem Wortlaut der Vorschriften jedoch nicht entnehmen. In der Sache wäre es auch nicht verständlich, weshalb bei tatsächlich feststellbaren Alkoholfahrten ein konkreter Verdacht auf Alkoholmissbrauch nicht genügen soll. § 13 FeV dient zudem - wie sich aus der Überschrift der Norm ergibt - der Klärung von Eignungszweifeln.
Bei der Anwendung des Auffangtatbestandes des § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV muss im Hinblick auf die Sonderreglung des § 13 Nr. 2 c FeV allerdings bei einmaligen Alkoholfahrten mit Blutalkoholkonzentrationen von unter 1,6 g Promille beachtet werden, dass weitere konkrete Anhaltspunkte für einen Alkoholmissbrauch vorliegen müssen. Ihr Gewicht hat so erheblich zu sein, dass hierdurch die geringere Blutalkoholkonzentration aufgewogen wird, so dass die Fälle gleichwertig erscheinen. Die zusätzlichen Gesichtspunkte müssen um so gewichtiger sein, je weiter sich die beim Betroffenen festgestellte Blutalkoholkonzentration von dem in § 13 Nr. 2 c FeV genannten Wert entfernen. Dabei ist im Hinblick auf die zuletzt genannte Vorschrift zu beachten, dass bei ihr entlastenden Einzelfallumstände unberücksichtigt bleiben (vgl. OVG Münster, Beschluss vom 29. September 1999 - 19 B 1629/99 - juris; BR-Drs. 443/98 [Beschluss], S.6, abgedruckt bei: Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 36. Aufl. 2001, Rn. 2 zu § 13 FeV).
Solche ausreichenden Anhaltspunkte liegen hier zur Überzeugung des Gerichts vor. Der Kläger hat am 2. Juni 1999 mit einer Blutalkoholkonzentration von 1,53 g Promille ein Kraftfahrzeug geführt. Dieser Wert liegt nicht erheblich unter dem in § 13 Nr. 2 c FeV genannten. Bei Blutalkoholkonzentrationen ab etwa 1,5 g Promille liegt bereits die Annahme eines chronischen Alkoholkonsums nahe. Dieser führt zum Verlust der kritischen Einschätzung des Verkehrsrisikos. Es besteht in der Regel ein Alkoholproblem, welches die Gefahr weiterer Alkoholauffälligkeiten im Straßenverkehr in sich birgt (vgl. Begutachtungsrichtlinien zur Kraftfahrereignung, Bundesanstalt für Straßenwesen, Februar 2000, Ziff. 3.11.2, S. 42).
Darüber hinaus hat die Beklagte zutreffend darauf hingewiesen, dass sich die genannte Blutalkoholkonzentration am 2. Juni 1999 bereits gegen 16.00 Uhr feststellen ließ. Der Kläger muss also bereits tagsüber - nach seinen Angaben in der mündlichen Verhandlung bei einer Feier auf einer Baustelle - ganz erhebliche Mengen alkoholhaltiger Getränke zu sich genommen haben. Ferner hat die Beklagte zu Recht berücksichtigt, dass der Kläger bei der Polizeikontrolle am 2. Juni 1999 und bei der anschließenden ärztlichen Untersuchung kaum alkoholbedingte Ausfallerscheinungen zeigte (vgl. Begutachtungsrichtlinien zur Kraftfahrereignung a.a.O., Ziff. 3.11.1, S. 40). Nach dem Bericht der Polizeiinspektion Wilhelmshaven vom 2. Juni 1999 (S. 2) konnte der Kläger bei der Verkehrskontrolle dem Geschehen ohne Probleme folgen. Seine Sprache war nicht auffällig. In dem ärztlichen Protokoll über die Blutabnahme von diesem Tage ist festgehalten, dass der Kläger nur leicht unter Alkoholeinfluss zu stehen schien. Sein Gang, die Finger-Finger- und Nasen-Finger-Probe seien sicher gewesen. Die Sprache sei deutlich, das Bewusstsein klar, der Denkablauf geordnet, das Verhalten beherrscht und die Stimmung unauffällig.
Dass allein das ruhige Wesen des Klägers für seine geringen Auffälligkeiten verantwortlich ist, ist nicht zutreffend. Die geschilderten Verhaltensweisen sind, sofern nicht eine Gewöhnung vorliegt, unter starkem Alkoholeinfluss auch unter Willensanstrengung nicht möglich. An der Richtigkeit der ärztlichen Beurteilungen hat das Gericht keine Zweifel. Darüber hinaus wird darauf hingewiesen, dass, wie bereits ausgeführt, bei Anwendung des § 13 Nr. 2 a, 2. Fall FeV bereits der Verdacht auf Alkoholmissbrauch ausreichend ist.
Soweit der Kläger vorträgt, dass sich die hohe Blutalkoholkonzentration am 2. Juni 1999 wegen seiner erheblichen Blutarmut ergebe, braucht dem nicht durch ein Sachverständigengutachten nachgegangen werden. Denn auch insoweit ist entscheidend, dass nach § 13 Nr. 2 a, 2.Fall FeV der bloße Verdacht auf einen Alkoholmissbrauch ausreichend ist, um ein medizinisch-psychologisches Gutachten zu fordern. Der Vortrag des Klägers müsste im Rahmen der notwendigen Untersuchung, welche eine umfassende Beurteilung der Persönlichkeit des Klägers erfordert, berücksichtigt werden. An dieser mitzuwirken weigert sich der Kläger jedoch gerade.
Hingewiesen sei abschließend noch darauf, dass eine Neuerteilung der Fahrerlaubnis eine erneute Fahrerlaubnisprüfung voraussetzt, weil seit der Entziehung der Fahrerlaubnis mehr als zwei Jahre vergangen sind (§ 20 Abs. 2 Satz 2 FeV). Im Hinblick auf die beim Kläger festgestellte Zuckerkrankheit wird zudem gem. §§ 20 Abs. 1, 11 Abs. 2 FeV iVm mit Anlage 4, Ziff. 5 zur FeV die Vorlage eines fachärztlichen Gutachtens erforderlich sein.
Die Nebenentscheidungen folgen aus den §§ 154 Abs. 1, 167 VwGO, 708 Nr. 11 ZPO.
Sonstiger Langtext
Rechtsmittelbelehrung:
Gegen dieses Urteil ist die Berufung nur eröffnet, wenn sie von dem Niedersächsischen Oberverwaltungsgericht in Lüneburg zugelassen worden ist. Die Zulassung der Berufung ist innerhalb eines Monats nach Zustellung des vollständigen Urteils zu beantragen. Der Antrag ist bei dem
Verwaltungsgericht Oldenburg, Schloßplatz 10, 26122 Oldenburg,
zu stellen und muss das angefochtene Urteil bezeichnen. Innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils sind die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist (§ 124 Abs. 2 VwGO). Die Begründung ist bei dem Verwaltungsgericht Oldenburg einzureichen.
Der Antragsteller muss sich von einem Rechtsanwalt oder einem Rechtslehrer an einer deutschen Hochschule im Sinne des Hochschulrahmengesetzes mit Befähigung zum Richteramt oder einer nach § 67 Abs. 1 Sätze 3 bis 6 VwGO zur Vertretung berechtigten Person als Bevollmächtigten vertreten lassen.