Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 14.12.2023, Az.: 1 LC 11/21

Erteilung eines Bauvorbescheids über die planungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung eines Gebäudes als Spielhalle; Mitprägung eines Baugrundstücks von weiter entfernten Nutzungen mit intensiveren städtebaulichen Auswirkungen; Entsprechung der Eigenart der näheren Umgebung einem Kerngebiet

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
14.12.2023
Aktenzeichen
1 LC 11/21
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2023, 50595
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2023:1214.1LC11.21.00

Verfahrensgang

vorgehend
VG Lüneburg - 03.12.2020 - AZ: 2 A 404/18

Fundstelle

  • GewArch 2024, 130-132

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Dass ein Vorhaben aufgrund seiner vergleichsweise geringen Größe nicht allzu weit ausstrahlt, ändert nichts daran, dass das Baugrundstück von weiter entfernten Nutzungen mit intensiveren städtebaulichen Auswirkungen mitgeprägt wird und diese den Umgebungsrahmen bestimmen.

  2. 2.

    Die Eigenart der näheren Umgebung kann einem Kerngebiet auch dann entsprechen, wenn diese der Zweckbestimmung des § 7 Abs. 1 BauNVO entspricht und in untergeordnetem Umfang auch dem Wohnen dient.

Tenor:

Die Berufung wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt die Kosten des Berufungsverfahrens.

Das Urteil ist hinsichtlich der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Beklagte kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des vollstreckbaren Betrages abwenden, wenn nicht die Klägerin vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.

Die Revision wird nicht zugelassen.

Tatbestand

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids über die planungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzung eines Gebäudes als Spielhalle.

Sie ist Nutzungsberechtigte an einem Geschäftsgebäude in der Innenstadt der Beklagten unter der Adresse G. -Straße . Die etwa 145 m lange G. -Straße verbindet die beiden jeweils vom Marktplatz der Beklagten ausgehenden Straßen Große Bäckerstraße, die Haupteinkaufsstraße der Beklagten, im Osten und die Straßen Schröderstraße/An der Münze im Westen. In der Großen Bäckerstraße befinden sich in nahezu jedem Gebäude Einzelhandelsgeschäfte; in den Straßen Schröderstraße/An der Münze gibt es Einzelhandelsgeschäfte, überwiegend aber Gastronomie.

An der Nordseite der G. -Straße finden sich zwei Gebäude, in deren Erdgeschoss Bekleidung angeboten wird und die in den beiden darüber liegenden Geschossen bewohnt werden. Daran schließt sich in östlicher Richtung das Bekleidungsgeschäft H. mit einem eigenen Zugang von der G. -Straße an. Das Bekleidungsgeschäft verfügt über eine Gesamtverkaufsfläche von 4.500 m2. Sein Haupteingang liegt etwa 100 m nördlich zum Marktplatz hin. In zwei Geschossen oberhalb des Ladenlokals findet Wohnnutzung statt. Östlich davon befindet sich das Vorhabengebäude, in dem sich derzeit ein Ladengeschäft befindet, das neben Kleidung im skandinavischen Stil noch sonstige Textil-, Einrichtungs- und Kunstprodukte anbietet. Wiederum östlich davon schließt sich ein Geschäft an, das Inneneinrichtungsgegenstände kleinerer Größe anbietet. Beide vorgenannten Gebäude werden ausschließlich gewerblich genutzt. Östlich daneben befindet sich ein Boarding House. Zur Haupteinkaufszeile hin, der Großen Bäckerstraße, schließt die Nordseite der G. -Straße mit einer Filiale eines Kosmetikanbieters ab, die keinen Zugang zur G. -Straße hat.

Die Südseite der G. -Straße ist auf dem Eckgrundstück zur Schröderstraße hin mit einem Gebäude bebaut, das durch die Immobilienabteilung der örtlichen Sparkasse genutzt wird. Zur G. -Straße hin befindet sich der Zugang zu einem I. im gleichen Gebäude. Östlich daran schließt sich der Zugang zum J. an. Das Gebäude östlich daneben in Richtung Große Bäckerstraße wird von Anbietern verschiedener, auch kommunaler Beratungsangebote, unter anderem dem Familienbüro der Beklagten, genutzt. Wiederum östlich davon schließt sich ein weiteres Bekleidungsgeschäft an. Östlich davon befindet sich ein dreigeschossiges Wohnhaus. Zwei daran in östlicher Richtung angrenzende Gebäude werden im Erdgeschoss durch Bekleidungsgeschäfte genutzt und in den oberen drei Etagen bewohnt.

Etwa 100 m nördlich des Vorhabengrundstücks befindet sich der Marktplatz der Beklagten, an dem auch der Haupteingang zu H. liegt. Neben anderen Gebäuden grenzen an diesen Marktplatz die Gebäude des Amts- und des Landgerichts Lüneburg und des Kaufhauses K. mit einer Verkaufsfläche von deutlich über 3.000 m2. Ferner befindet sich dort das historische Rathaus der Beklagten, dass auch heute noch der Hauptsitz der Stadtverwaltung ist und zusammen mit Nebengebäuden und dem Rathausgarten ein Karree von über 6.500 m2 einnimmt. Vom Marktplatz aus erreicht man die G. -Straße über die Straße An der Münze. An diese Straße grenzt das Zentralgebäude der L. mit einer Grundfläche von über 1.500 m2, das im Erdgeschoss als Kundencenter genutzt wird. In den Geschossen darüber befindet sich die Verwaltung der Bank.

Wie in den umliegenden Straßen auch ist in der G. -Straße der Kraftfahrzeugverkehr mit Ausnahme des Lieferverkehrs weitgehend ausgeschlossen.

Im Jahr 2017 beantragte die Klägerin die Erteilung eines planungsrechtlichen Bauvorbescheids für die Änderung der Nutzung in eine Spielhalle mit einer Fläche von knapp über 150 m2 und mit insgesamt 12 Spielgeräten. Mit Bescheid vom 6. Dezember 2017 lehnte die Beklagte diesen Antrag ab. Zur Begründung führte diese aus, dass die G. -Straße neben eigentümergeführten Einzelhandelsgeschäften, Büros, Arztpraxen und dem J. in den Obergeschossen auch einen größeren Anteil an Wohnnutzung aufweise und die nähere Umgebung des Bauvorhabens deshalb keinem der Baugebietstypen der Baunutzungsverordnung entspreche. Insbesondere lasse sie sich nicht als Kerngebiet klassifizieren. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richte sich demnach nach § 34 Abs. 1 BauGB. Danach sei das Bauvorhaben unzulässig, weil in der beurteilungsrelevanten Umgebung eine Vergnügungsstätte nicht vorhanden sei und es mithin kein Vorbild für die beantragte Nutzung gebe. Bodenrechtliche Spannungen seien wegen der mit der Ansiedlung verbundenen Vorbildwirkung zu erwarten und es drohe ein trading-down-Effekt.

Den dagegen erhobenen Widerspruch begründete die Klägerin damit, dass die zu betrachtende Umgebung die gesamte Innenstadt umfasse. Diese sei als Kerngebiet zu qualifizieren, sodass das Vorhaben ohne weiteres zulässig sei. Selbst wenn man aber davon ausgehe, dass sich die Zulässigkeit nach den Maßstäben des § 34 Abs. 1 BauGB richte, sei das Vorhaben zulässig. Im Innenstadtbereich existierten bereits sechs Spielhallen. Anhaltspunkte für einen trading-down-Effekt fehlten.

Nach Zurückweisung ihres Widerspruchs mit Bescheid vom 17. Oktober 2018 hat die Klägerin Klage erhoben und ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren wiederholt und vertieft.

Die Klägerin hat beantragt,

die Beklagte unter Aufhebung des Bescheids vom 6. Dezember 2017 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 17. Oktober 2018 zu verpflichten, den beantragten Bauvorbescheid zu erteilen.

Die Beklagte hat beantragt,

die Klage abzuweisen.

Auch sie hat ihren Vortrag aus dem Widerspruchsverfahren ergänzt und vertieft.

Mit dem angefochtenen Urteil vom 3. Dezember 2020 hat das Verwaltungsgericht der Klage stattgegeben. Die angestrebte Nutzung als Spielhalle sei gemäß § 34 Abs. 1 BauGB zulässig. Die Grenzen der zu betrachtenden näheren Umgebung seien jeweils die Einmündungsbereiche in die Große Bäckerstraße im Osten und in den Straßenzug Schröderstraße und An der Münze im Westen. Die sich daraus ergebende maßgebliche nähere Umgebung entspreche keinem der Baugebiete der Baunutzungsverordnung. Eine Einstufung als Mischgebiet komme wegen der Nachbarschaft des Bekleidungsgeschäfts H. als großflächigem Einzelhandelsbetrieb nicht in Betracht. Der Klassifizierung als Kerngebiet stehe entgegen, dass in der näheren Umgebung in einem mehr als nur geringfügigem Umfang Wohnnutzung erfolge und überdies Wohnnutzung in einem Kerngebiet nur nach Maßgabe eines Bebauungsplans zulässig sei. Nach Maßgabe des somit anwendbaren § 34 Abs. 1 BauGB sei das Vorhaben aber zulässig. Es überschreite zwar den sich aus der näheren Umgebung gegebenen Rahmen. Bei dem Bauvorhaben handele es sich um eine kerngebietstypische Vergnügungsstätte, die in der näheren Umgebung kein Vorbild habe. Jedoch füge sich das Vorhaben trotz Überschreitens des vorhandenen Rahmens in die maßgebliche Umgebung ein. Städtebauliche Spannungen aufgrund erhöhten Fußgängerverkehrs seien nicht zu erwarten. Der Ansiedlung weiterer Spielhallen in der näheren Umgebung stehe bereits das Glücksspielrecht entgegen, wonach zwischen Spielhallen ein Mindestabstand von 100 m eingehalten werden müsse. Eine Vorbildwirkung im Hinblick auf andere Vergnügungsstätten als Spielhallen (etwa Sexkinos oder Wettbüros) sei ebenfalls nicht ersichtlich und von der Beklagten nicht konkret dargelegt. Die abstrakte und nur entfernte Möglichkeit der Konflikterzeugung genüge für die Versagung der Zulässigkeit nicht.

Die Beklagte hat gegen dieses Urteil die vom Verwaltungsgericht zugelassene Berufung eingelegt. Sie meint, das Verwaltungsgericht habe den Ausnahmecharakter des Einfügens trotz Überschreitung des Rahmens nicht mit der notwendigen Konsequenz angewandt. Richtigerweise sei vom Bauherrn darzulegen, dass das konkrete Vorhaben die Voraussetzungen des Harmoniegebots innerhalb des Einfügungsgebots erfülle. Dabei sei zu berücksichtigen, dass sich das Bauvorhaben der Klägerin direkt gegenüber der in der Straße vorhandenen Wohnnutzung und sogar direkt gegenüber einem Gebäude befinde, in dem ausschließlich Wohnnutzung stattfinde. Dies lasse befürchten, dass die neue Spielhalle die konkret gegebene Situation "in Bewegung" bringe, was gemäß § 34 Abs. 1 BauGB nicht zulässig sei. Die Prämisse des Verwaltungsgerichts, das Vorhaben sei nach § 34 Abs. 1 BauGB zu beurteilen, sei demgegenüber zutreffend. Bei der G. -Straße handele es sich um ein Gebiet eigener Art und Prägung, das selbst dann, wenn man die Umgebung der G. -Straße als Kerngebiet auffassen würde, als Gemengelage zu bewerten sei.

Die Beklagte beantragt,

unter Abänderung des angefochtenen Urteils die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Berufung zurückzuweisen.

Sie verteidigt das verwaltungsgerichtliche Urteil. Unter der Annahme, dass es sich bei der näheren Umgebung um ein Kerngebiet handele, ergebe sich ihr Anspruch auf einen positiven Bauvorbescheid bereits direkt aus dem Gesetz.

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die Beiakten verwiesen, die Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind.

Entscheidungsgründe

Die Berufung hat keinen Erfolg.

Das Verwaltungsgericht hat der Klage im Ergebnis zu Recht stattgegeben.

I.

Die Klägerin hat einen Anspruch auf einen positiven Bauvorbescheid gemäß § 73 Abs. 1 Satz 1 NBauO. Danach ist für eine Baumaßnahme auf Antrag (Bauvoranfrage) über einzelne Fragen, über die im Baugenehmigungsverfahren zu entscheiden wäre und die selbstständig beurteilt werden können, durch Bauvorbescheid zu entscheiden. Anders als die Baugenehmigung gibt der Bauvorbescheid den Bau noch nicht zur Ausführung frei, aber er enthält ebenso wie die Baugenehmigung die Feststellung, dass das zur Prüfung gestellte Vorhaben dem öffentlichen Baurecht entspricht, jedoch beschränkt auf einzelne Punkte, die einer selbstständigen Beurteilung zugänglich sind. Insoweit allerdings nimmt der Bauvorbescheid die Baugenehmigung vorweg (Burzynska/Mann, in: Große-Suchsdorf, 10. Aufl. 2020, NBauO, § 73 Rn. 11). Gemäß § 73 Abs. 1 Satz 2 gilt dies auch für die Frage, ob eine Baumaßnahme nach städtebaulichem Planungsrecht zulässig ist. Hierauf allein bezieht sich die Bauvoranfrage der Klägerin.

Die Nutzung des Vorhabengebäudes als Spielhalle ist nach städtebaulichem Planungsrecht gemäß § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB i.V.m. § 7 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO als Vergnügungsstätte zulässig. Insbesondere entspricht die Eigenart der näheren Umgebung (hierzu unter 1) einem Kerngebiet im Sinne des § 7 BauNVO (hierzu unter 2).

1.

Gemäß § 34 Abs. 2 Hs. 1 BauGB beurteilt sich die Zulässigkeit eines Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der aufgrund des § 9a BauGB erlassenen Verordnung (BauNVO) in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre, wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete entspricht, die in dieser Verordnung bezeichnet sind.

a) In die danach zu betrachtende nähere Umgebung sind nicht nur die G. -Straße einzubeziehen, sondern mindestens auch noch der nördlich des Bauvorhabens gelegene Marktplatz und die Nutzungen entlang der Verbindungsstraßen An der Münze/Schröderstraße und Große Bäckerstraße.

Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist maßstabsbildend die Umgebung, insoweit sich die Ausführung eines Vorhabens auf sie auswirken kann und insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Die für die Abgrenzung der "näheren Umgebung" maßgebliche wechselseitige Prägung ergibt sich dabei allein aus den in § 34 Abs. 1 BauGB genannten städtebaulichen Merkmalen. Diese Merkmale prägen - vom Vorhaben aus gesehen - im Sinne einer Vorbildwirkung nur einen begrenzten Bereich. Umgekehrt wird das Grundstück, auf dem das Vorhaben verwirklicht werden soll, in diesen Merkmalen nur von anderen Nutzungen in einem begrenzten räumlichen Umfeld geprägt. Dabei lassen sich die Grenzen der näheren Umgebung nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist (vgl. BVerwG, Beschl. v. 14.10.2019 - 4 B 27.19 -, Buchholz 406.11 § 34 BauGB Nr. 225 = juris Rn. 8 m.w.N.; Senatsurt. v. 1.9.2022 - 1 LC 50/20 -, BauR 2022, 1749 = juris Rn. 16; Senatsbeschl. v. 26.4.2023 - 1 ME 26/23 -, juris Rn. 11).

Daran gemessen sind jedenfalls die nördlich gelegenen Nutzungen, also der Marktplatzmit Rathaus und Gerichten, die Sparkasse, das Bekleidungsgeschäft H. und der Einzelhandel entlang der Großen Bäckerstraße prägend für den Standort des Bauvorhabens. Für das Bekleidungsgeschäft ergibt sich dies allein daraus, dass dieses von der G. -Straße aus nicht nur sichtbar ist, sondern durch einen eigenen Eingang von dort aus betreten werden kann. Darüber hinaus wirkt sich dieses Bekleidungsgeschäft belebend auf die Bekleidungsgeschäfte in der G.-Straße aus. Kunden, die Bekleidung bei H. einkaufen wollen, werden eher geneigt sein, auch noch die kleineren Geschäfte in der G. -Straße aufzusuchen, als wenn es den großen Einzelhändler mit einem ähnlichen Sortiment dort nicht gäbe. Vergleichbares gilt für die weiteren Einzelhandelsnutzungen insbesondere entlang der Großen Bäckerstraße, die ihrerseits zu der erheblichen Frequentierung der G. -Straße beitragen und den Kunden einen "Verbundeinkauf" in zahlreichen verschiedenen Geschäften ermöglichen. Ebenso strahlt das Rathaus als Hauptsitz der Kommunalverwaltung auf die Umgebung aus, was durch die Existenz des ausgegliederten Familienbüros in der Straße unterstrichen wird. Auch insoweit bildet die G. -Straße mit dem Marktplatz aus städtebaulicher Sicht eine funktionale Einheit. Diese funktionale Einheit ist auch im historisch gewachsenen Stadtbild abzulesen. Abgesehen vom Rathaus, das wegen seiner Bauweise hervorsticht, und abgesehen von der Verkaufs- bzw. Grundfläche weisen alle Gebäude, also sowohl das Gebäude des Bauvorhabens als auch die umstehenden Gebäude eine ähnliche Bauweise und Höhe auf, die gerade die harmonische Gestaltung der Innenstadt der Beklagten ausmacht. Alle genannten Nutzungen sind zudem dadurch geprägt, dass sie durch eine gemeinsame Fußgängerzone miteinander verbunden sind.

Dass umgekehrt das Vorhaben, also die potentielle Spielhalle, ihrerseits nur in einem kleineren Raum, möglicherweise nur in dem vom Verwaltungsgericht gewählten, prägend ist, steht der Annahme eines größeren, prägenden Einwirkungsbereichs nicht entgegen. Die räumlichen Bereiche, in denen das Vorhaben im Sinne einer Vorbildwirkung prägend ist und in denen umgekehrt Nutzungen das Bauvorhaben prägen, müssen nicht deckungsgleich sein. In diesem Fall - dies hat das Verwaltungsgericht übersehen - ist der größere der beiden Räume maßgeblich. Dass ein Vorhaben aufgrund seiner vergleichsweise geringen Größe nicht allzu weit ausstrahlt, ändert nichts daran, dass das Baugrundstück von weiter entfernten Nutzungen mit intensiveren städtebaulichen Auswirkungen mitgeprägt wird und diese den Umgebungsrahmen bestimmen.

b) Der Senat teilt auch nicht die Auffassung der Beklagten, dass die G. -Straße eine eigene städtebauliche Prägung als ruhigere Seitenstraße der beidseits der Straße angrenzenden Haupteinkaufsstraßen in der Innenstadt der Beklagten aufweist. Die von der Beklagten in der mündlichen Verhandlung nochmals betonte Zäsur zwischen der G. -Straße und ihrer Umgebung besteht nicht. Denn auch die G. -Straße wird - wie ausgeführt - maßgeblich von zentralen Einrichtungen der Verwaltung, der Kultur und des Einzelhandels geprägt. Richtig ist zwar, dass der Wohnanteil höher liegt, als dies entlang der Straßen An der Münze/Schröderstraße/Große Bäckerstraße der Fall ist. Die im Straßenbild nur sehr zurückhaltend wahrzunehmende Mitprägung durch Wohnnutzung reicht indes nicht aus, um dem Straßenzug einen gegenüber der Umgebung eigenständigen städtebaulichen Charakter zuzuweisen. Es überwiegen bei weitem die Gemeinsamkeiten, nicht die Unterschiede. Hinzu kommt, dass die G. -Straße mit ihrer Länge von lediglich etwa 145 m nicht das Gewicht hat, einen eigenen städtebaulichen Charakter auszubilden. Sie wird von den sie benutzenden Passanten als Verbindungsstraße zwischen den beiden Haupteinkaufsstraßen, in der sich ähnliche Einzelhandelsangebote wie auf den angrenzenden Straßen finden lassen, wahrgenommen, ohne dass der Eindruck entsteht, das funktionale Zentrum der Beklagten werde auch nur temporär verlassen.

2.

Die Eigenart dieser sich daraus ergebenden näheren Umgebung entspricht der eines Kerngebiets gemäß § 7 BauNVO. Kerngebiete dienen gemäß § 7 Abs. 1 BauNVO vorwiegend der Unterbringung von Handelsbetrieben sowie der zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, der Verwaltung und der Kultur.

a) Alle genannten Nutzungen sind in der so umschriebenen näheren Umgebung zu finden, namentlich das Sparkassen-Gebäude als zentrale Einrichtung der Wirtschaft, das Rathaus als zentrale Einrichtung der Verwaltung, das Kino als kulturelle Einrichtung und der Marktplatz als zentrale Einrichtung sowohl der Wirtschaft wegen der dort zweimal wöchentlich stattfindenden Wochenmärkte als auch der Kultur als viel genutzte Veranstaltungsstätte der Beklagten. Allein das Bekleidungsgeschäft H. wäre wegen seiner Großflächigkeit im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BauNVO außerhalb eines Sondergebietes nur in einem Kerngebiet zulässig, was die Klassifizierung der näheren Umgebung als Kerngebiet zumindest indiziert. Vergleichbares gilt für das östlich des Marktplatzes angesiedelte Kaufhaus.

b) Die nicht unerhebliche, aber jedenfalls noch untergeordnete Nutzung einiger Gebäude in dieser Umgebung zum Wohnen steht der Annahme eines Kerngebiets - anders als das Verwaltungsgericht angenommen hat - nicht entgegen.

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urt. v. 25.11.1983 - 4 C 21.83 -, BVerwGE 68, 213 = BRS 40 Nr. 52 = ZfBR 1984, 95 = BauR 1984, 145 = juris Rn. 11) sind Kerngebiete im Sinne des § 7 BauNVO Gebiete für zentrale Funktionen in der Stadt mit vielfältigen Nutzungen und einem - urbanen - Angebot an Gütern und Dienstleistungen für Besucher der Stadt und für die Wohnbevölkerung eines größeren Einzugsbereichs. Sie dienen darüber hinaus auch in beschränktem Umfang dem Wohnen (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 2 BauNVO, erweitert um § 7 Abs. 4 BauNVO 1977).

Wohnnutzung hindert somit nicht per se die Annahme eines faktischen Kerngebiets. Im Gegenteil entspricht eine Mischung von einer - untergeordneten, also nicht gleichgewichtigen - Wohnnutzung und den sonst in § 7 Abs. 1 BauNVO genannten Nutzungen der Vorstellung des Verordnungsgebers von einem Kerngebiet. So war es gerade Ziel der Änderungsverordnung 1977 zur BauNVO, auf die die heutige Fassung von § 7 BauNVO im Wesentlichen zurückgeht, durch Einfügung des neuen Abs. 4 (im Regierungsentwurf noch Abs. 5) "den Bau von Wohnungen in Kerngebieten zu erleichtern und gegebenenfalls die Wohnnutzung zu sichern. [...] Vor allem in bereits bebauten innerstädtischen Bereichen, die noch vorwiegend dem Wohnen dienen und gesunde Wohnverhältnisse aufweisen, ergibt sich die Notwendigkeit, das Gebiet in seiner gegebenen gesunden Struktur durch Aufstellung eines Bebauungsplans zu sichern" (zitiert nach Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand: Mai 2023, § 7 Rn. 6). Die Eigenart der näheren Umgebung des hier zu betrachtenden Bauvorhabens, die in einigen Teilen, südlich des Marktplatzes verstärkt, eine Wohnnutzung neben Nutzungen im Sinne des § 7 Abs. 1 BauNVO aufweist, entspricht somit den Vorstellungen des Verordnungsgebers von einem Kerngebiet. Durch das gesunde Nebeneinander von zentralen Nutzungen und - untergeordnet - Wohnen wird nämlich vermieden, dass nach Schließung der Geschäfte das Gebiet wie ausgestorben wirkt.

c) Der Senat teilt auch nicht die Ansicht des Verwaltungsgerichts, die Wohnnutzung stehe der Einstufung der näheren Umgebung im Sinne des § 34 Abs. 2 BauGB als Kerngebiet entgegen, weil Wohnen im vorhandenen Umfang nur durch einen Bebauungsplan zugelassen werden könnte (so aber auch VG Aachen, Urt. v. 1.12.2016 - 5 K 1776/13 -" juris Rn. 82; Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand: Mai 2023, § 7 Rn. 11).

Im Ausgangspunkt trifft allerdings zu, dass die Errichtung und die Nutzung von Räumlichkeiten zum Wohnen innerhalb eines Kerngebiets nach den auch vom Bundesverwaltungsgericht zitierten Normen des § 7 Abs. 2 Nr. 7, Abs. 3 Nr. 2, Abs. 4 Satz 1 BauNVO nur ausnahmsweise oder nach Maßgabe eines Bebauungsplans zulässig sind und die Wohnnutzung nicht in der Zweckbestimmung des § 7 Abs. 1 BauNVO erscheint. Dabei darf aber nicht außer Acht bleiben, dass sich die BauNVO in erster Linie an den Plangeber richtet. Sie beruht auf der Ermächtigungsgrundlage des § 9a Abs. 1 Nrn. 1 und 2 BauGB und beinhaltet daher Vorschriften über Festsetzungen in den Bauleitplänen über Art und Maß der baulichen Nutzung. Die fehlende Erwähnung der Wohnnutzung im § 7 Abs. 1 BauNVO wie auch die Bebauungsplänen vorbehaltenen Regelungen dienen dazu, mit Hilfe der Regelungstechnik der BauNVO eine unbeschränkte Zulassung von Wohnen im Kerngebiet auf Kosten der Nutzungen zu vermeiden, denen § 7 Abs. 1 BauNVO den Vorrang einräumt. Sie sind aber nicht Ausdruck einer ablehnenden, auf Minimierung bedachten Haltung des Verordnungsgebers gegenüber Wohnnutzung im Kerngebiet.

Im Einzelnen: Seit Erlass der ersten BauNVO 1962, die dem Gedanken verhaftet war, Funktionen möglichst zu trennen, war umstritten, inwiefern Wohnnutzung im Kerngebiet beschränkt werden soll (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand: Mai 2023, § 7 Rn. 3 f.). Im Zuge der nachfolgenden Änderungen der BauNVO gab es wiederholt Bestrebungen, die Wohnnutzung allgemein zuzulassen oder gar, sie in die Zweckbestimmung in § 7 Abs. 1 BauNVO aufzunehmen. Demgegenüber stand die Befürchtung, dass die Wohnnutzung zu einer Verdrängung der kerngebietstypischen Nutzungen führen könnte (Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauNVO, Stand: Mai 2023, § 7 Rn. 7). Die heute geltende Regelung, die im Wesentlichen auf die Änderungsverordnung 1977 zurückgeht, stellt insofern einen Kompromiss dar. So erlaubt § 7 Abs. 2 Nr. 7 BauNVO, Wohnnutzung nach Maßgabe von Festsetzungen eines Bebauungsplans zuzulassen, allerdings ohne die sonstigen Nutzungen gemäß Abs. 2 auszuschließen. § 7 Abs. 4 Satz 1 BauNVO gestattet, Wohnen in Teilen eines Kerngebiets zwingend vorzuschreiben, stellt dies aber unter den Vorbehalt, dass dadurch die Eigenart des Kerngebiets nach § 7 Abs. 1 BauNVO nicht beeinträchtigt oder sogar beseitigt werden darf (vgl. Söfker, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Stand: Mai 2023, § 7 Rn. 6). Durch dieses Ineinandergreifen von Kompetenzen und Kompetenzbeschränkungen soll der Vorstellung des Verordnungsgebers Rechnung getragen werden, im Kerngebiet den Vorrang der in § 7 Abs. 1 BauNVO genannten Nutzungen zu sichern und zugleich Wohnen zu ermöglichen. Wohnnutzung soll untergeordnet bleiben und darf nicht das Übergewicht an Handelsbetrieben und zentralen Einrichtungen der Wirtschaft, Verwaltung und Kultur in Frage stellen (vgl. OVG NRW, Urt. v. 10.5.2019 - 7 A 1419/17 -, BRS 87 Nr. 55 = BauR 2019, 563 = juris Rn. 54), soll aber andererseits keinesfalls nur eine störende Randerscheinung sein.

Diese Wertung hat Rückwirkungen auf die Anwendung des § 34 Abs. 2 BauGB. Die Eigenart der näheren Umgebung kann einem Kerngebiet auch dann entsprechen, wenn diese der Zweckbestimmung des § 7 Abs. 1 BauNVO entspricht und zugleich auch dem Wohnen dient. Es ist kein Grund dafür ersichtlich, einer näheren Umgebung den Charakter eines Kerngebiets, den sie nach Vorstellung des Verordnungsgebers - wie ausgeführt - aufweist, allein aus dem Grund abzusprechen, dass dieser Charakter nicht mithilfe eines Bebauungsplans erreicht worden ist.

d) Etwas Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus der vom Verwaltungsgericht zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, die ein Baugebiet im Sinne des § 4a Abs. 1 BauNVO betrifft (Beschl. v. 11.12.1992 - 4 B 209.92 -, ZfBR 1993, 144 = NVwZ 1993, 1100 = juris). Gemäß § 4a Abs. 1 Satz 1 BauNVO sind besondere Wohngebiete überwiegend bebaute Gebiete, in denen vorhandene Anlagen erhalten und fortentwickelt werden sollen. Diese in die Zukunft gerichtete planerische Absicht der Gemeinde ist wesentliches Merkmal einer Gebietsfestsetzung nach § 4a Abs. 1 BauNVO. Planerische Absichten der Gemeinde im Sinne von § 4a Abs. 1 BauNVO sind einer Wahrnehmung regelmäßig nicht zugänglich, deren Aufgabe es ist, den tatsächlichen Gebietscharakter zu dem Zeitpunkt zu ermitteln, in dem über die Zulässigkeit eines Vorhabens zu befinden ist. Im Hinblick darauf scheidet eine Anwendung des § 4a BauNVO über § 34 Abs. 2 BauGB aus. Zur Steuerung der Entwicklung eines derartigen Gebiets ist der Erlass eines entsprechenden Bebauungsplans unerlässlich (BVerwG, Beschl. v. 11.12.1992 - 4 B 209.92 -, ZfBR 1993, 144 = NVwZ 1993, 1100 = juris Rn. 3). Daraus lässt sich aber nicht im Umkehrschluss folgern, dass dann, wenn der Tatbestand für die Zulässigkeit eines Vorhabens die Aufstellung eines Bebauungsplans fordert, die Anwendung von § 34 Abs. 2 BauGB ebenfalls ausscheidet.

e) Selbst dann, wenn man mit dem Verwaltungsgericht als nähere Umgebung lediglich die G. -Straße und deren Einmündungsbereiche in den Blick nehmen würde, entspräche die Eigenart dieser näheren Umgebung trotz des dann relativ gesehen höheren Wohnanteils aus den vorgenannten Erwägungen einem Kerngebiet. Auf ein rein zahlenmäßiges Verhältnis zwischen den in § 7 Abs. 1 BauNVO genannten Nutzungen und der Wohnnutzung kommt es dabei nicht an. Maßgeblich ist der städtebauliche Eindruck der Straße. Dieser entspricht dem einer zentral gelegenen Einkaufsstraße. Insbesondere durch die in die Straße hineinragende Nutzung des Kinos und des I. auf der westlichen und der Apotheke und des Kosmetikanbieters auf der östlichen Seite der Straße nimmt die so betrachtete, engere nähere Umgebung Teil an den sie umgebenden Nutzungen und deren städtebaulichen Charakter.

II.

Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.

Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 10, 711 ZPO.

Gründe für die Zulassung der Revision gemäß § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.