Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 18.09.2002, Az.: 13 L 3501/00
Oberschlesienabkommen; Ostoberschlesien; Staatsangehörigkeit; Staatsangehörigkeitswechsel; Wiener Vertrag; Wohnsitzaufgabe
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 18.09.2002
- Aktenzeichen
- 13 L 3501/00
- Entscheidungsform
- Urteil
- Referenz
- WKRS 2002, 43592
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 23.03.1999 - AZ: 5 A 5078/98
Rechtsgrundlagen
- § 4 RustAG a.F.
Tatbestand:
Nachdem die Klägerin im verwaltungs- und erstinstanzlichen Verfahren die Verpflichtung der Beklagten, ihr einen Ausweis über die deutsche Staatsangehörigkeit auszustellen, erstrebt hat, hat sie die Klage im Berufungsverfahren auf die Feststellung ihrer deutschen Staatsangehörigkeit umgestellt.
Die Klägerin wurde am 19. Januar 1956 in B. /Polen als eheliches Kind geboren. Ihrer Mutter, C., geb. D., die später den Namen E. führt, wurde im Jahre 1981 ein Vertriebenenausweis als fremdvölkische Ehegattin gemäß § 1 Abs. 3 BVfG a.F. in Ableitung von ihrem damaligen Ehemann erteilt.
Der Vater der Klägerin, F., wurde am 23. Juni 1919 in G., Kreis Calau, preußische Provinz Brandenburg (heute: LK Oberspreewald-Lausitz, Sachsen, Bundesrepublik Deutschland) als eheliches Kind des H. und der I. geb. J., geboren. Der Großvater väterlicherseits der Klägerin - auf den es staatsangehörigkeitsrechtlich entscheidend ankommt -, H., wurde am 1. Juli 1888 in K., Kreis Posen - West, preußische Provinz Posen, als nichteheliches Kind der L. geboren. Ausweislich des Aufgebotsverzeichnisses des Standesamtes G. waren der Großvater und seine zukünftige Ehefrau zum Zeitpunkt der Eheschließung am 14. Januar 1913 preußische Staatsangehörige. H. wohnte bis zu seinem 21. Lebensjahr an seinem Geburtsort in der Provinz Posen und zog im Jahre 1909 nach G. in die preußische Provinz Brandenburg, wo er ab 1913 in einer Kohlengrube arbeitete. 1922 - der genaue Zeitpunkt ist nicht bekannt - siedelte er nach M. über, in ein Gebiet also, das in Folge des Versailler Vertrages an Polen abgetreten war. Dort verstarb er am 19. April 1957. Nach Angaben einer Schwester des Vaters der Klägerin, N., besaßen die Großeltern väterlicherseits und der Vater der Klägerin "die gelbe Volksliste". Von 1942 bis 1944 war O. bei der Rechtsvorgängerin der P. AG, Q., der ehemaligen Reichswerke AG für Erzbergbau und Eisenhütten R., Hütte Braunschweig, als Kranführer beschäftigt. Die Ermittlungen der beteiligten Behörden über die Art des Beschäftigungsverhältnisses und Gründe, aus denen eine Heranziehung des Vaters der Klägerin zum Dienst in der deutschen Wehrmacht nicht erfolgte, blieben erfolglos.
Am 11.Januar 1996 beantragte die Klägerin durch ihren Prozessbevollmächtigten bei dem Bundesverwaltungsamt in Köln die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises. Zuständigkeitshalber wurde der Antrag zunächst an den Landkreis Oberspreewald - Lausitz und von diesem an die Beklagte weitergeleitet. Die Klägerin ist der Ansicht, sie könne die deutsche Staatsangehörigkeit von ihrem Vater herleiten, der sie wiederum nach seinem Vater erworben habe. Dabei hat sie sich insbesondere auf den Prozesskostenhilfebeschluss des OVG Berlin vom 14. Januar 1994 - OVG 7 M 8.91 - im Vertriebenenausweisverfahren ihres 1951 geborenen Bruders S. bezogen. Das Oberverwaltungsgericht Berlin hat in diesem Beschluss die Auffassung vertreten, dass ein automatischer Staatsangehörigkeitswechsel nach Art. 25 § 1 des Genfer Oberschlesienabkommens bei dem Großvater der Klägerin seinerzeit nicht erfolgt sei. Sofern die Familie vor dem Übergang der Staatshoheit am 15. Juni 1922 nach M. verzogen sei, lägen zwar die Voraussetzungen des Art. 25 § 1 Oberschlesien Abk. vor, nicht jedoch die des Abs. 2 der Vorschrift. Eine Wohnsitznahme zu einem späteren Zeitpunkt müsse die Behörde beweisen, woran es fehle. Aufgrund dieses Beschlusses hat das Land Berlin den Bruder klaglos gestellt und ihm als deutschen Staatsangehörigen einen Vertriebenenausweis ausgestellt (Prozesserklärung vom 24. Februar 1994). Hinsichtlich der Begründung im Einzelnen wird auf den genannten Beschluss (Beiakte F Blatt 38 ff) Bezug genommen.
Die Beklagte folgte dieser Rechtsauffassung nicht, sondern lehnte den Antrag der Klägerin auf Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises mit Bescheid vom 7. November 1997 ab. Zur Begründung führte sie im wesentlichen aus, dass der Vater der Klägerin im Zeitpunkt ihrer Geburt allein die polnische Staatsangehörigkeit besessen habe. Seine frühere deutsche Staatsangehörigkeit habe er nach seinem Vater, dem Großvater der Klägerin, gem. Art. 7 §§ 4,1 des Wiener Abk. eingebüßt und die polnische Staatsangehörigkeit von Rechts wegen erworben. Einen Wiedererwerb der deutschen Staatsangehörigkeit durch Eintragung in die deutsche Volksliste habe die Klägerin für ihren Vater nicht nachweisen können.
Den dagegen eingelegten Widerspruch wies die Bezirksregierung Braunschweig mit Bescheid vom 20. März 1998 zurück. Auch die Widerspruchsbehörde vertrat dabei die Auffassung, dass der Großvater der Klägerin die deutsche Staatsangehörigkeit durch die Bestimmungen des Wiener Vertrages verloren habe. Das Oberschlesienabkommen finde von vornherein nicht Anwendung, weil der Vater und der Großvater der Klägerin erst nach dem Übergang der Staatshoheit nach Polnisch-Oberschlesien gezogen seien. Beide hätten die polnische Staatsangehörigkeit am 15. Juni 1922 bereits besessen.
Am 30. März 1998 hat die Klägerin Klage erhoben. Im Gegensatz zur Widerspruchsbehörde vertritt sie die Auffassung, dass auf die Frage der Staatsangehörigkeit ihres Vaters und Großvaters nicht das Wiener Abk., sondern allein das Oberschlesien Abk. Anwendung finde. Denn M., wohin die Familie im Jahre 1922 verzogen sei, liege im Bereich des Abstimmungsgebietes des Genfer Oberschlesien Abk. vom 15. Mai 1922. Nach Ziffer X. des Schlussprotokolls des Wiener Abk. würden die Bestimmungen des in Genf am 15. Mai 1922 gezeichneten deutsch-polnischen Abk. über Oberschlesien durch die Bestimmungen des Wiener Vertrages nicht berührt. Mithin sei das Oberschlesien Abk. im Verhältnis zum Wiener Abk. das speziellere Gesetz und verdränge die Regelungen des Wiener Abk. Die in der Literatur vertretene Auffassung, das Wiener Abk. sei auf den Personenkreis anzuwenden , der nicht eigentlich zur oberschlesischen Wohnbevölkerung gehöre, weil er zum polnischen Teil Oberschlesiens nur in loser Beziehung stehe, sei abzulehnen. Dem stehe der insoweit eindeutige Vertragstext entgegen, der ausschließlich auf den Wohnsitz im Zeitpunkt des Stichtages des In-Kraft-Tretens des Abkommens abstelle.
Auf der Grundlage des Oberschlesien Abk. könne auch dahin gestellt bleiben, ob die Familie des Großvaters der Klägerin vor oder nach dem Übergang der Staatshoheit am 15. Juni 1922 nach M. übergesiedelt sei. In beiden Fällen hätte die Wohnsitzverlegung nicht zum Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit geführt. Im ersten Fall wären die Art. 25 § 1 Abs. 2 und 26 § 1 Abs. 1 des Oberschlesiens Abk. anzuwenden. In diesem Fall sei von Bedeutung, dass die Familie den Wohnsitz erst nach dem 1. Januar 1908 im Abstimmungsgebiet begründet habe. Die Familienangehörigen seien auch nicht im polnischen Teil dieses Gebietes geboren worden. Für den Fall, dass die Übersiedlung erst nach dem Übergang der Staatshoheit erfolgt sei, scheide der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 26 § 2 des Abk. aus, da auch dann maßgeblich wäre, dass weder der Vater noch der Großvater der Klägerin im polnischen Teil des Abstimmungsgebietes geboren worden sei. Die Klägerin habe mithin gemäß § 4 Abs. 1 Satz 1 RuStAG a.F. mit der Geburt nach ihrem Vater die deutsche Staatsangehörigkeit erworben.
Die Klägerin hat beantragt, den Bescheid der Beklagten vom 7. November 1997 und den Widerspruchsbescheid der Bezirksregierung Braunschweig vom 20. März 1998 aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, ihr einen Ausweis über die deutschen Staatsangehörigkeit auszustellen.
Die Beklage hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Sie hat erwidert, dass sie entgegen der Annahme der Klägerin den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit ihres Großvaters nicht damit begründet habe, dass die Familie ihren Wohnsitz 1922 von G. nach M. verlegt habe. Maßgebend sei vielmehr, dass die Eltern des Großvaters zum Zeitpunkt seiner Geburt (1.7.1888) ihren Wohnsitz im Kreis Posen-West gehabt hätten, also in einem Gebiet, das auf Grund des Versailler Vertrages an Polen abgetreten sei. Hierdurch sei für den Großvater der Klägerin der Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit gemäß Art. 7 § 1 des Wiener Abk. eingetreten. Ziffer X. des Schlussprotokolls des Wiener Abk. schließe dessen Anwendbarkeit entgegen der Auffassung der Klägerin nicht aus. Diese Regelung weise lediglich darauf hin, dass die Vorschriften des Wiener Abk. unberührt blieben. Dies bedeute keineswegs die Nichtanwendbarkeit des Wiener Abk.
Mit Urteil vom 23. März 1999 hat das Verwaltungsgericht die Klage abgewiesen, und zwar im wesentlichen mit folgender Begründung: Die Klägerin habe keinen Anspruch auf die Ausstellung eines Staatsangehörigkeitsausweises; denn sie sei nicht deutsche Staatsangehörige. Der allein in Betracht kommende Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit von ihrem Vater scheitere daran, dass dieser im Zeitpunkt ihrer Geburt ebenfalls nicht deutscher Staatsangehöriger gewesen sei. Zwar habe der Vater mit seiner Geburt am 23. Juni 1919 in G. zunächst die deutsche Staatsangehörigkeit von seinem Vater erworben. Es müsse jedoch davon ausgegangen werden, dass beide ihre ursprüngliche deutsche Staatsangehörigkeit als Folge des ersten Weltkrieges mit der Übersiedlung der Familie von G. nach M. verloren hätten. Dabei könne offen bleiben, ob T. und F. vor oder nach dem In-Kraft-Treten des Oberschlesienabkommens am 15. Juni 1922 ihren Wohnsitz in M. genommen hätten. Denn in beiden Fällen sei - wenn auch auf der Grundlage unterschiedlicher Bestimmungen - von einem Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit auszugehen.
Sollten T. und F. ihren Wohnsitz am 15. Juni 1922 bereits in M. begründet haben, gelte folgendes: Weder die Auffassung der Klägerin noch die der Beklagten hinsichtlich der Anwendbarkeit des Oberschlesienabkommens bzw. des Wiener Vertrages träfen zu. Die Regelung der Ziffer X. des Schlussprotokolls des Wiener Abk. ergebe einen Vorrang des Oberschlesien Abk. nach seinem Geltungsbereich. Dieser sei entgegen der Annahme der Klägerin nicht allein territorial zu bestimmen, sondern durch seinen Regelungsbereich. Immer dann, aber auch nur dann, wenn das Oberschlesien Abk. eine Regelung treffe, sei es vorrangig. Andererseits könne mit den vermeintlichen Rechtswirkungen des erst im Jahre 1924 als nachrangig beschlossenen Wiener Abk. wegen dieser Nachrangigkeit nicht zu Lasten einer Anwendbarkeit des Oberschlesien Abk. auf Personen argumentiert werden, die letzterem seinem Wortlauf nach unterfielen, was die Beklagte aber unternehme. Art. 25 § 1 Abs. 1 des Oberschlesien Abk. könne nun eindeutig entnommen werde, dass das Abkommen jedenfalls eine Regelung hinsichtlich der Staatsangehörigkeit jener deutschen Reichsangehörigen habe treffen wollen, die zum Zeitpunkt des Überganges der Staatshoheit (15. Juni 1922) ihren Wohnsitz im polnischen Teil des Abstimmungsgebietes hatten. Sollten T. und F. also schon damals in M. gewohnt haben, das zu diesem Teil des Abstimmungsgebietes gehörte, finde das Oberschlesien Abk. Anwendung. Der minderjährige Vater der Klägerin folge nach Art. 31 Abs. 1 und Abs. 4 Oberschlesien Abk. dem Großvater.
Entgegen der Rechtsmeinung des OVG Berlin sei in diesem Fall davon auszugehen, dass der Großvater gemäß Art. 25 § 1 Abs. 1 Oberschlesien Abk. die polnische Staatsangehörigkeit unter Verlust der deutschen erworben habe. Dem stehe Art. 25 § 1 Abs. 2 Oberschlesien Abk. nämlich nicht entgegen. Diese Vorschrift sei dahingehend so zu verstehen, dass sie nur auf jene deutschen Reichsangehörigen Anwendung finde, die vor dem 2. Januar 1908 weder in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebietsteilen noch im Abstimmungsgebiet ihren Wohnsitz gehabt hatten oder bei denen eine nicht nach Art. 25 § 2 unbeachtliche Unterbrechung der Wohnsitznahme in den genannten Gebieten vorliege. Zwar hatte H. den Wohnsitz im Abstimmungsgebiet, nämlich in M., erst nach dem 1. Januar 1908 begründet. Nach den Angaben der Klägerin habe er jedoch seit seiner Geburt im Jahre1888 bis zum Jahre 1909 seinen Wohnsitz an seinem Geburtsort im Kreis Posen-West, das in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebietsteilen liege, gehabt. Die Unterbrechung der Wohnsitznahme in den genannten Gebieten von 1909 bis 1922 bleibe gemäß Art. 25 § 2 b) Oberschlesien Abk. unberücksichtigt. Danach kam nämlich bei einem deutschen Reichsangehörigen, der seinen Wohnsitz vor dem 2. Januar 1908 in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebietsteilen begründet hatte, und der am Tage des Übergangs der Staatshoheit am 15. Juni 1922 seinen Wohnsitz im polnischen Teil des Abstimmungsgebiets hatte, eine vorrübergehende Aufgabe des Wohnsitzes nicht in Betracht, wenn der deutsche Reichsanghörige vor der vorübergehenden Aufgabe seines Wohnsitzes mindestens ein Jahr und im Ganzen von der ersten Begründung seines Wohnsitzes bis zum Übergang der Staatshoheit mindestens zwölf Jahre in den Gebietsteilen gewohnt hatte. Dies sei beim Großvater der Klägerin der Fall gewesen; denn er habe dort vom Zeitpunkt seiner Geburt an 21 Jahre lang gewohnt. Für die 12-jährige Mindestdauer der Wohnsitznahme kämen auch Zeiten des Wohnsitzes vor dem 2. Januar 1908 in Anrechnung. Für den Fall, dass die Familie des Großvaters der Klägerin am 15.Juni 1922 bereits in M. gewohnt habe, sei also davon auszugehen, dass H. und ihm folgend sein Sohn S. mit dem Übergang der Staatshoheit von Rechts wegen die polnische Staatsangehörigkeit unter Verlust der deutschen erworben habe. Für eine Option binnen der zweijährigen Frist für die deutsche Staatangehörigkeit sei nichts ersichtlich.
Auch dann, wenn Vater und Großvater der Klägerin ihren Wohnsitz in M. erst nach dem 15. Juni 1922 begründet hätten, ergebe sich kein anderes Ergebnis. Für diesen Fall sei entgegen der Auffassung der Klägerin und im Einklang mit der Kommentierung von einer ergänzenden Anwendbarkeit des Wiener Abk. auszugehen. Dem stehe Art. X. des Schlussprotokolls des Wiener Abk. nicht entgegen; denn das Oberschlesien Abk. bleibe unberührt, weil es keine Regelungen für den Staatsangehörigkeitswechsel deutscher Reichsangehöriger, ihrer Ehefrauen und Kinder und Pflegebefohlenen enthalte, die weder zum Zeitpunkt des Überganges der Staatshoheit ihren Wohnsitz im Abstimmungsgebiet hatten noch im polnischen Teil des Abstimmungsgebiets geboren waren.
Auf der Grundlage des also anzuwendenden Wiener Abk. ergebe sich: Auch nach dem Wiener Abk. sei der minderjährige Vater dem Großvater in der Staatsangehörigkeit nachgefolgt (Art. 8 § 2 Satz 1 Wiener Abk.). Für diesen finde Art. 7 § 1 Abs. 1 iVm Art. 3 Wiener Abk. Anwendung. Danach hatten deutsche Staatsangehörige, die in irgendeinem Teil Polens einschließlich der auf der Grundlage des Versailler Vertrages abgetretenen Gebiete von Eltern geboren worden waren, die zur Zeit der Geburt dort ihren Wohnsitz hatten, die polnische Staatsangehörigkeit von Rechts wegen erworben. Der Großvater der Klägerin, H., sei am 1. Juli 1888 als nichteheliches Kind im Kreis Posen-West, also im abgetretenen Gebiet, geboren worden. Ausweislich der Geburtsurkunde habe seine Mutter dort gewohnt. In entsprechender Anwendung des Rechtsgedankens des Art. 8 § 2 Satz 1 letzter Gliedsatz Wiener Abk. sei bei der Anwendung des Art. 7 § 1 Abs. 1 Wiener Abk. allein auf den Wohnsitz der Mutter des nichtehelichen Kindes abzustellen. Im übrigen reiche es im Umkehrschluss aus Art. 7 § 1 Abs. 2 Wiener Abk. ohnehin aus, wenn ein Elternteil seinen Wohnsitz in Polen bis einschließlich 1. Januar 1908 begründet hatte. Gründe für den Verlust der polnischen Staatsangehörigkeit nach Art. 7 § 2 Wiener Abk. seien nicht ersichtlich. Insbesondere war der Großvater der Klägerin schon 1922, also vor dem 10. Juli 1924 (Art. 7 § 3 Abs. 1 Satz 1 Wiener Abk.), nach Polen zurückgekehrt. Mithin habe auch bei dieser Sachverhaltsvariante der Großvater und nach ihm der Vater der Klägerin die polnische Staatsangehörigkeit erworben und die deutsche verloren. Auch der Vater der Klägerin habe also die deutsche Staatsangehörigkeit als Folge des Versailler Vertrages und der Wohnsitznahme der Familie in M. verloren.
Ein Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit auf der Grundlage der Verordnung über die deutsche Volksliste durch den Vater der Klägerin sei nicht nachgewiesen. So liege eine Zugehörigkeit zur Wehrmacht nicht vor. Die Angabe der Tante der Klägerin, die Familie hätte "die gelbe Volksliste gehabt", sei nicht glaubhaft; denn gelbe Volkslistenausweise seien nicht verwendet worden. Das Urteil ist der Klägerin am 19. April 1999 zugestellt worden.
Am 21. April 1999 hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt. Dem hat der Senat mit Beschluss vom 11. Oktober 2000 - 13 L 1933/99 - wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache entsprochen. Unter dem 17. Oktober 2000 - eingegangen am 19. Oktober - hat sie die Berufung begründet und zwar im wesentlichen wie folgt: Das VG habe zu Unrecht angenommen, dass der Großvater der Klägerin die deutsche Reichsangehörigkeit verloren habe. Werde unterstellt, dass er am 15. Juni 1922 seinen Wohnsitz bereits in M. inne gehabt habe, folge dies daraus, dass der Großvater im Jahre 1909 seinen Wohnsitz am Geburtsort in Posen-West nicht nur vorrübergehend, sondern auf Dauer verlassen habe, denn er habe sich über 13 Jahre in G. aufgehalten. Dort habe er geheiratet und eine Familie gegründet. Art. 25 § 2 des Oberschlesienabkommens sei bereits aus diesem Grunde nicht einschlägig, ohne dass es auf die Frage ankomme, ob die Voraussetzungen des Buchstaben b - wie das VG angenommen habe - vorliegen. Art. 26 des Oberschlesien Abk. sei nicht einschlägig, weil der Großvater nicht im Abstimmungsgebiet, sondern im sonstigen an Polen abgetretenen Gebiet geboren worden sei. Werde unterstellt, dass der Großvater der Klägerin erst nach dem 15. Juni 1922 nach M. übergesiedelt wäre, ergebe sich aus dem Oberschlesien Abk. kein Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit. Ein Rückgriff auf das Wiener Abk. verbiete sich wegen Ziffer X. des Schlussprotokolls.
Die Klägerin beantragt nunmehr,
das angefochtene Urteil zu ändern, die angefochtenen Bescheide aufzuheben und festzustellen, dass sie, die Klägerin, die deutsche Staatsangehörigkeit besitzt.
Die Beklagte beantragt, die Berufung zurückzuweisen.
Sie verteidigt das angefochtene Urteil und erwidert: Soweit das Oberschlesien Abk. einschlägig sei, stehe der Auffassung der Klägerin der eindeutige Wortlaut des Art. 25 § 2 b entgegen. Danach komme es auf die Gründe für den jeweiligen Umzug nicht an. Entscheidend sei allein, dass der Großvater der Klägerin in dem endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebiet weitaus mehr als 12 Jahre - von 1888 bis 1909 - gelebt habe. Sei der Großvater erst nach dem 15. Juni 1922 nach M. übergesiedelt, so sei das Wiener Abk. ergänzend anzuwenden. Auf Grund seiner Geburt am 1. Juli 1888 im Kreis Posen-West habe der Großvater die polnische Staatsangehörigkeit infolge des Art. 7 § 1 Abs. 1 des Wiener Abk. erworben und gleichzeitig die deutsche Staatsangehörigkeit verloren.
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhaltes und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Inhalt der Gerichtsakten und der beigezogenen Vorgänge Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Die zugelassene und im Übrigen zulässige, insbesondere auch rechtzeitig begründete Berufung, ist begründet. Die Klägerin ist deutsche Staatsangehörige.
In der mündlichen Verhandlung ist die Klägerin auf die Feststellungsklage übergegangen. Der Klage auf Feststellung der deutschen Staatsangehörigkeit steht § 46 Abs. 2 VwGO, wonach die Feststellungsklage gegenüber der Gestaltungs- und Leistungsklage subsidiär ist, nicht entgegen. Der Staatsangehörigkeitsausweis, dessen Ausstellung die Klägerin ursprünglich begehrt hat, hat lediglich deklaratorische Bedeutung. Die deutsche Staatsangehörigkeit ist dagegen nicht im Sinne einer verbindlichen feststellenden Regelung Inhalt der Bescheinigung und führt folglich nicht zu einer entsprechenden Bindungswirkung (BVerwGE 71, 309, 316; Hailbronner/Renner, Staatsangehörigkeitsrecht, § 39 RuStAG, Anm. 6). Ob die Klägerin Deutsche ist, kann deshalb verbindlich nur durch ein Feststellungsurteil geklärt werden (vgl. BVerwGE 36, 179, 182). Die Klageänderung wird vom Senat als sachdienlich zugelassen (§ 91 Abs. 1 VwGO). Denn auch für die geänderte Klage bleibt der Streitstoff im Wesentlichen derselbe (vgl. BVerwGE 91, 275 [BVerwG 09.12.1992 - BVerwG 6 C 3/92]), und die Klageänderung fördert die endgültige Beilegung des Streites, wobei dazu beigetragen werden könnte, dass ein weiterer, sonst zu erwartender Prozess - gegen das für die Ausstellung von Staatsangehörigkeitsausweisen inzwischen zuständige Bundesverwaltungsamt - vermieden wird.
Die Feststellungsklage richtet sich darüber hinaus zu Recht auch gegen die bisherige Beklagte, obwohl durch das Gesetz zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999 (BGBl. I S. 1618) § 17 Abs. 2 des Gesetzes zur Regelung von Fragen der Staatsangehörigkeit vom 22. Februar 1955 neu gefasst worden ist. Die am 1. Januar 2000 in Kraft getretene Vorschrift begründet nunmehr die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamts für die Entgegennahme von Einbürgerungserklärungen bei Personen, die - wie die Klägerin - ihren dauernden Aufenthalt außerhalb Deutschlands haben. Der Gesetzgeber hat der geänderten Vorschrift indessen keine Rückwirkung beigelegt. Der Senat teilt daher - jedenfalls für die Feststellungsklage - die Auffassung des VGH Baden-Württemberg, dass es bei der vor dem 1. Januar 2000 begründeten Behördenzuständigkeit bleibt, sofern es um Erklärungen geht, die vor diesem Zeitpunkt abgegeben worden sind, bzw. - wie hier - sofern bereits Bescheide der Einbürgerungsbehörde ergangen sind (vgl. VGH Baden-Württ., Urt. v. 13.6.2001 - 13 S 1099/00 - ).
Die Feststellungsklage - und damit die Berufung - hat auch Erfolg, weil die Klägerin entgegen der Auffassung der beteiligten Behörden und des Verwaltungsgerichts die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt nach ihrem Vater erworben hat (§ 4 RustAG a.F.). Danach erwirbt das eheliche Kind eines Deutschen durch die Geburt die Staatsangehörigkeit des Vaters. Auszugehen ist davon, dass der Vater der Klägerin, U., mit seiner Geburt am 23. Juni 1919 in G. gemäß § 4 RustAG a.F. die deutsche Staatsangehörigkeit erlangte; denn er war eheliches Kind des damals deutschen Staatsangehörigen H.. Auf der Grundlage der Eintragungen im Aufgebotsverzeichnis des Standesamtes G. vom 14. Januar 1913 ist davon auszugehen, dass H. zum damaligen Zeitpunkt die Staatsangehörigkeit im Bundesstaat Preußen besaß und damit deutscher Reichsangehöriger war (§ 1 RustAG a.F.). Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts steht indessen nicht fest, dass der Großvater und der Vater der Klägerin die ursprünglich deutsche Staatsangehörigkeit nach dem 1. Weltkrieg und im Zusammenhang mit seiner Übersiedlung nach M. verloren haben.
Da der Großvater der Klägerin 1888 in einem endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebietsteil geboren wurde und im Jahre 1922 nach Ostoberschlesien verzogen ist, kommen für die rechtliche Beurteilung eines Staatsangehörigkeitswechsels einerseits das Oberschlesienabkommen vom 15. Mai 1922 zwischen Deutschland und Polen (RGBl. 1922 Teil II S. 237) und andererseits der deutsch-polnische Wiener Vertrag vom 30. August 1924 (RGBl. 1925 Teil II S. 33 ff., 98) in Betracht. Nach Art. X des Schlussprotokolls des deutsch-polnischen Abkommens über Staatsangehörigkeits- und Optionsfragen - Wiener Abkommen - werden die Bestimmungen des deutsch-polnischen Abkommens über Oberschlesien - Genfer Abkommen - durch die Bestimmungen des Wiener Abk. nicht berührt. Dies bedeutet, dass das Oberschlesien Abk. als das speziellere Gesetz dem Wiener Abk. in seinem Geltungsbereich vorgeht (Isay, Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz und Deutsche Staatsangehörigkeitsverträge, Berlin 1929, Wiener Abk., Schlussprotokoll, X, Anm. 1; Nr. 3 Vorbemerkungen). Das Oberschlesien Abk. trifft in Art. 25 eine Regelung hinsichtlich derjenigen deutschen Reichsangehörigen, die am Tage des Übergangs der Staatshoheit (15.6.1922) ihren Wohnsitz im polnischen Teil des Abstimmungsgebiets hatten. Es ist offen, ob der Großvater der Klägerin mit seiner Familie vor dem Tag des Übergangs der Staatshoheit nach M. übergesiedelt ist. Sofern dies der Fall war, ergibt sich entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ein Staatsangehörigkeitswechsel nicht.
Zwar liegen die Voraussetzungen des Art. 25 § 1 Abs. 1 Oberschlesien Abk. bei dieser Fallalternative vor. Denn der Großvater hätte am Tage des Übergangs der Staatshoheit seinen Wohnsitz im polnischen Teil des Abstimmungsgebiets gehabt. Jedoch fehlt es an den Voraussetzungen des Abs. 2 dieser Vorschrift. Mangels einer Einzelfallentscheidung der polnischen Regierung und mangels der Voraussetzungen des Art. 26 § 2 ist nach Art. 25 § 1 Abs. 2 Oberschlesien Abk. weitere Voraussetzung für den Staatsangehörigkeitswechsel nämlich ein ununterbrochener Wohnsitz in den endgültig als Bestandteil Polens anerkannten Gebietsteilen oder im Abstimmungsgebiet bereits seit dem 1. Januar 1908 bis zum Tage des Übergangs der Staatshoheit am 15. Juni 1922 (Lichter, Staatsangehörigkeit, 2. Aufl., Berlin/Köln 1955, S. 419 FN 26). Diese Voraussetzung ist im Falle des Großvaters der Klägerin nicht erfüllt; denn er ist im Jahre 1909 aus dem später an Polen abgetretenen Gebiet nach G., in die preußische Provinz Brandenburg, ein Gebiet also, das infolge des Versailler Vertrages nicht an Polen abgetreten wurde, verzogen und hat dort bis zum Jahre 1922 gelebt (ebenso OVG Berlin, Beschl. v. 30.9.1991 - OVG 7 M 8.91 -). Die Voraussetzungen des Art. 25 § 2, die das Verwaltungsgericht mit dem Buchstaben b bejaht hat, sind nach Auffassung des Senats indessen nicht gegeben. Nach dieser Vorschrift kommt eine vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes in den genannten Gebietsteilen nicht in Betracht, wenn (b) die deutschen Reichsangehörigen vor der vorübergehenden Aufgabe ihres Wohnsitzes mindestens ein Jahr und im Ganzen von der ersten Begründung ihres Wohnsitzes bis zum Übergange der Staatshoheit mindestens zwölf Jahre in diesen Gebietsteilen wohnten. Diese Vorschrift ist nach ihrem Wortlaut nicht eindeutig. Das Verwaltungsgericht hat sie dahingehend ausgelegt, dass auch eine längere Abwesenheit aus dem Abtretungs- bzw. Abstimmungsgebiet - im Fall des Großvaters 13 Jahre - immer vorübergehend ist, und wegen der besonderen Beziehungen des Reichsangehörigen zu den Gebietsteilen - hier ein mindestens zwölfjähriger Wohnsitz - die vorübergehende Abwesenheit unbeachtlich macht. Die Klägerin dagegen vertritt die Auffassung, der der Senat im Ergebnis folgt, dass in jedem Fall zunächst zu prüfen ist, ob die Aufgabe des Wohnsitzes in dem Abtretungsgebiet aus der Sicht des Betreffenden vorübergehend oder endgültig sein sollte. Für beide Auffassungen lassen sich wichtige Argumente finden. Nach der Kommentierung ist die Bedeutung der Worte „vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes“ bestritten, dies besonders hinsichtlich ihres inneren Zusammenhangs mit den Bedingungen unter Art. 25 § 2 a) bis c). Der Auffassung, dass die Wohnsitzverlegung stets dann als vorübergehend anzusehen sei, wenn eine dieser Bedingungen erfüllt sei, steht die Meinung gegenüber, dass es ohne Rücksichtnahme auf die Bedingungen einzig auf die zeitliche Dauer der Unterbrechung ankomme (Lichter, aaO, S. 420 FN 31). Das seinerzeitige Schiedsgericht für Oberschlesien hat einen vermittelnden Standpunkt eingenommen, indem es sagte, das Tatbestandsmerkmal „vorübergehende Aufgabe des Wohnsitzes“ müsse „grundsätzlich im Wege rückschauender Betrachtung unter Berücksichtigung aller Umstände des Falles geprüft werden, die bei der früheren Aufgabe des Wohnsitzes in Oberschlesien und der Begründung des Wohnsitzes außerhalb mitwirkten und bestimmend waren“ (Lichter, aaO). Nach einer weiteren Auffassung (Rechtsverfolgung im Internationalen Verkehr, Bd. VII, Das Recht der Staatsangehörigkeit der europäischen und der außereuropäischen Staaten, 1. Teil, Die europäischen Staaten, Berlin 1940, S. 966 FN 227) stellt die „vorübergehende Aufgabe“ des Wohnsitzes ein allgemeines wesentliches Tatbestandsmerkmal dar, das neben den Bedingungen zu a), b) oder c) erfüllt sein muss. Wann sie angenommen werden könne, sei Tatfrage. Die Betrachtung aller Umstände des Falles müsse zu dem Ergebnis führen, dass der Wohnsitz außerhalb Oberschlesiens in Deutschland als ein nur zeitweiser anzusprechen sei. Da es im vorliegenden Verfahren letztlich darauf ankommt nachzuvollziehen, wie der Großvater der Klägerin seinerzeit staatsangehörigkeitsrechtlich behandelt worden ist, vertritt der Senat die Auffassung, dass der Entscheidungspraxis des damaligen Schiedsgerichts für Oberschlesien ausschlaggebende Bedeutung beizumessen ist. Es kommt mithin darauf an, ob der Umzug des Großvaters der Klägerin aus der preußischen Provinz Posen im Jahre 1909 unter Berücksichtigung aller Umstände als vorübergehend oder als endgültig anzusehen war. Hier spricht ganz Überwiegendes für einen endgültigen Wegzug. Der Großvater der Klägerin ist mit der gerade erlangten Volljährigkeit nach G. gezogen, hat dort im Jahre 1913 geheiratet und auch Arbeit in einer Kohlengrube gefunden. In G. hat er einen erheblichen Zeitraum, nämlich dreizehn Jahre, gewohnt. Letztlich ausschlaggebend muss aber sein, dass der Großvater im Jahre 1922 nicht etwa an seinen Geburtsort in die Provinz Posen zurückgekehrt, sondern nach Ostoberschlesien, also in einen völlig anderen Teil des Abtretungsgebiets verzogen ist. Mithin kann nicht angenommen werden, dass selbst unter Anlegung strenger Maßstäbe (vgl. zit. Komm. aaO) auch nur geringe Anhaltspunkte dafür bestehen, dass der Großvater seinerzeit, im Jahre 1909, eine Rückkehr in das später polnische Gebiet (Posens) auch nur nicht ausgeschlossen habe. Nach allem ist demzufolge auf der Grundlage des Oberschlesienabkommens davon auszugehen, dass der Großvater der Klägerin und mit ihm ihr im maßgeblichen Zeitpunkt des Jahres 1922 etwa dreijähriger Vater die deutsche Reichsangehörigkeit behalten hat, sofern die Familie am Tage des Übergangs der Staatshoheit ihren Wohnsitz bereits im polnischen Teil des Abstimmungsgebietes genommen hatte.
War dies nicht der Fall, wäre also die Familie des Großvaters der Klägerin erst nach dem Stichtag des 15. Juni 1922 nach M. verzogen, stellt sich hinsichtlich eines Staatsangehörigkeitswechsels die Frage, ob die Vorschriften des Wiener Abk. Anwendung finden. Das VG, das diese Frage bejaht hat, hat zutreffend dargelegt, dass für diesen Fall von einem Verlust der deutschen Reichsangehörigkeit der Vorfahren der Klägerin auszugehen wäre. Ob Vorschriften des Wiener Abk. neben denen des Oberschlesien Abk. Anwendung finden können, lässt sich nicht generell beantworten. Einerseits vertritt die Kommentierung die Auffassung, dass das Oberschlesien Abk. als lex spezialis dem Wiener Abk. vorgehe, soweit nicht die Bestimmungen des Wiener Abk. ihrem Sinn nach allgemein sein sollten (Isay, aaO, Wiener Abk. Schlussprotokoll X, Anm. 1). Andererseits soll sich das Wiener Abk. nicht auf Oberschlesien beziehen. Auf die Fragen dieses Gebietes solle lediglich das Oberschlesien Abk. Anwendung finden. Dieses könne als lex spezialis auch zur Auslegung des Wiener Abk. nicht herangezogen werden (Isay, aaO, Vorbemerkungen Wiener Abk. Nr. 3). Nach anderer Auffassung soll das Oberschlesien Abk. unter Hinweis auf die Spruchpraxis des Schiedsgerichts für Oberschlesien ausschließlich für die Reichsangehörigen maßgebend sein, die in Deutsch- oder Polnisch-Oberschlesien von dort wohnhaften Eltern geboren sind, auch wenn sie am 15. Juni 1922 ihren Wohnsitz nicht im oberschlesischen Abstimmungsgebiet hatten (Rechtsverfolgung im internationalen Verkehr, aaO, S. 980). Nimmt man mit dem VG eine ergänzende Anwendbarkeit des Wiener Abk. in den Fällen an, in denen das Oberschlesien Abk. eine Regelung nicht trifft, ist allerdings zweifelhaft, ob diese Voraussetzung erfüllt wäre. Denn Art. 26 § 2 Oberschlesien Abk. regelt den Fall, dass ein Wohnsitz im polnischen Teil Oberschlesiens am Tage des Übergangs der Staatshoheit fehlte. Ein Wechsel der Staatsangehörigkeit sollte - neben anderen Merkmalen - vor allem voraussetzen, dass der Betroffene in Ostoberschlesien geboren war. Im Umkehrschluss könnte daraus gefolgert werden, dass eine Geburt im sonstigen Abtretungsgebiet - wie beim Großvater der Klägerin - eben nicht ausreichen sollte.
Diese Frage kann im vorliegenden Verfahren indessen offen bleiben. Da das Reichs- und Staatsangehörigkeitsgesetz so aufgebaut ist, dass es zunächst in den §§ 3 ff. den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit aufgrund spezieller Erwerbstatbestände regelt und sodann in den §§ 17 ff. den Verlust aufgrund spezieller Verlusttatbestände, liegt die Beweislast dafür, dass die entstandene Rechtsposition - hier der Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit des Vaters der Klägerin durch Geburt (§ 4) - später untergegangen ist, bei der Behörde (vgl. BVerwG, Beschl. v. 16.1.1992 - 9 B 192.91 -, NVwZ-RR 1992, 439; OVG Berlin, Beschluss vom 30.9.1991 - OVG 7 M 8.91 -). Auch der Beklagten ist indessen nicht bekannt, zu welchem Zeitpunkt die Vorfahren der Klägerin nach Ostoberschlesien verzogen sind. Dies lässt sich heute auch nicht mehr ermitteln. Von einem Nachweis des Verlustes der deutschen Staatsangehörigkeit bei Großvater und Vater der Klägerin durch die Beklagte kann demzufolge nicht ausgegangen werden, so dass es bei der Feststellung verbleibt, sie habe die deutsche Staatsangehörigkeit durch Geburt erworben.