Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.09.2002, Az.: 8 LA 105/02
Berufsunfähigkeit; Berufsunfähigkeitsrente; Existenzsicherung; Prozesszinsen; zahnärztliche Tätigkeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 06.09.2002
- Aktenzeichen
- 8 LA 105/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43506
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG - 13.06.2002 - AZ: 1 A 1119/00
Rechtsgrundlagen
- § 13 Abs 1 ASO
- § 13 Abs 2 ASO
- § 291 Abs 1 BGB
Gründe
Der Antrag der Beklagten auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts hat keinen Erfolg. Die geltend gemachten Berufungszulassungsgründe sind nicht hinreichend dargelegt worden oder liegen nicht vor.
Das Verwaltungsgericht hat der Klage der Klägerin, die beantragt hat, die Beklagte zu verpflichten, ihr eine Berufsunfähigkeitsrente ab dem 1. Juli 1999 zu gewähren, mit der Begründung stattgegeben, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Berufsunfähigkeitsrente nach § 13 Abs. 1 und 2 der Alterssicherungsordnung der Beklagten - ASO - vorlägen. Die Klägerin, die zwischen dem 1. Oktober 1991 und dem 30. Juni 1999 bereits eine Berufsunfähigkeitsrente bezogen habe, sei aufgrund ihrer Erkrankung dauerhaft nicht in der Lage, eine zahnärztliche Tätigkeit nachhaltig auszuüben, da sie weder die klassische therapeutische Arbeit am zahnärztlichen Behandlungsstuhl leisten noch eine nachhaltige und existenzsichernde, nicht kurative zahnärztliche Tätigkeit ausführen könne. Das ergebe sich nicht nur aus dem Gutachten von Prof. Dr. {B.} vom 28. August 1998 und dessen ergänzender Stellungnahme vom 10. April 2000, sondern auch aus den gutachterlichen Äußerungen von Prof. Dr. {C.}, der auf Nachfrage des Gerichts erklärt habe, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schwindelanfälle nicht in einen festen und geplanten Arbeitsablauf eingebunden werden könne, da sie ihre Tätigkeit häufig und zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten abbrechen müsse und daher nicht in der Lage sei, eine kontinuierliche Tätigkeit, die eine Existenzsicherung ermögliche, wahrzunehmen. Diese gutachterliche Einschätzung sei durch die Angaben der Klägerin in der mündlichen Verhandlung eindrucksvoll bestätigt worden.
Die Einwände, die die Beklagte gegen diese Entscheidung erhoben hat, begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, so dass der Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO nicht vorliegt.
Nach § 13 Abs. 1 ASO gewährt das Versorgungswerk der Beklagten bei Vorliegen völliger Berufsunfähigkeit eine monatliche Rente. Nach § 13 Abs. 2 Satz 1 ASO liegt völlige Berufsunfähigkeit infolge Krankheit, Unfall, körperlicher oder geistiger Schwäche vor, wenn das Mitglied des Altersversorgungswerks der Beklagten für dauernd nicht mehr in der Lage ist, eine zahnärztliche Tätigkeit nachhaltig auszuüben, und diese auch nicht ausübt. In der Rechtsprechung des Senats ist geklärt, dass der in dieser Bestimmung verwandte Begriff der zahnärztlichen Tätigkeit nicht nur eine Erwerbstätigkeit in Gestalt der zahnärztlichen Arbeit am Behandlungsstuhl umfasst, sondern sich auch auf andere Erwerbstätigkeiten erstreckt, für die die durch das Studium der Zahnmedizin erworbenen und in der zahnärztlichen Prüfung nachgewiesenen Kenntnisse und Fähigkeiten erforderlich sind (Senatsurt. v. 26.3.1999 - 8 L 3080/96 - m.w.N.). Daher umfasst die zahnärztliche Tätigkeit auch die nicht kurative Tätigkeit eines Zahnarztes im öffentlichen Gesundheitswesen, bei gesetzlichen oder privaten Krankenkassen und den dazu gehörigen Verbänden und Organisationen sowie in Forschung und Lehre an einer Hochschule (Senatsurt. v. 26.3.1999, a.a.O.). Der Senat hat des weiteren entschieden, dass der Zahnarzt eine zahnärztliche Tätigkeit nicht nachhaltig im Sinne des § 13 Abs. 2 Satz 1 ASO ausüben kann, wenn es ihm nicht möglich ist, einer kontinuierlichen zahnärztlichen Tätigkeit nachzugehen, die seine Existenz sichert (Senatsurt. v. 26.3.1999, a.a.O.; Senatsurt. v. 16.3.1998 - 8 L 5187/96 -). Das ist regelmäßig der Fall, wenn er nicht in der Lage ist, sich kontinuierlich in einen festen und geplanten Arbeitsablauf einzubinden und eine existenzsichernde Erwerbstätigkeit in berechenbarer Weise auszuüben (Senatsurt. v. 26.3.1999, a.a.O.).
Demnach kann die Beklagte gegen das erstinstanzliche Urteil nicht einwenden, das Verwaltungsgericht habe die völlige Berufsunfähigkeit der Klägerin zu Unrecht damit begründet, dass die Klägerin aufgrund ihrer Schwindelanfälle eine kontinuierliche zahnärztliche Tätigkeit, die eine Existenzsicherung ermögliche, nicht ausüben könne, weil sie ihre Arbeit wegen der Schwindelanfälle häufig und zu nicht vorhersehbaren Zeitpunkten abbrechen müsse und daher in einen festen und geplanten Arbeitsablauf nicht eingebunden werden könne. Das gilt umso mehr, als die Beklagte nicht konkret dargelegt hat, welche zahnärztliche Tätigkeit die Klägerin ausüben könnte, die weder kontinuierliches Arbeiten noch die Einbindung in einem festen und geplanten Arbeitsablauf erfordert, aber gleichwohl auch dann, wenn sie nur in geringem Umfang ausgeübt wird, eine Existenzsicherung ermöglicht. Soweit die Beklagte auf eine fachschriftstellerische Tätigkeit am eigenen Schreibtisch hinweist, übersieht sie, dass ein Zahnarzt, der fast ein Jahrzehnt als praktizierender Zahnarzt tätig gewesen ist und sich danach mehr als zehn Jahre lang zahnärztlich nicht betätigt hat, auf eine derartige Tätigkeit nicht verwiesen werden darf (vgl. Senatsurt. v. 20.4.1995 - 8 L 6642/93 -; Senatsurt. v. 25.1.1991 - 8 L 7/89 -). Im übrigen lässt sich den Ausführungen der Beklagten nicht entnehmen, dass die Klägerin in der Lage wäre, ihre Existenz durch eine fachschriftstellerische oder eine vergleichbare freiberufliche Tätigkeit zu sichern, obwohl sie nach den vorliegenden Gutachten in bezug auf eine nicht kurative zahnärztliche Tätigkeit allenfalls zu 30 % erwerbsfähig ist und auch eine häusliche zahnärztliche Tätigkeit infolge ihrer Erkrankung nicht kontinuierlich ausüben könnte.
Entgegen der Annahme der Beklagten bestehen auch keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils, soweit die Beklagte verpflichtet worden ist, der Klägerin auf die Berufsunfähigkeitsrente 4 % Zinsen seit dem 1. Juli 2000 zu gewähren. Das Verwaltungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Voraussetzungen des § 291 Abs. 1 BGB im vorliegenden Fall erfüllt sind. Nach dieser Vorschrift, die im öffentlichen Recht entsprechend anwendbar ist, wenn das einschlägige Fachgesetz - wie hier - keine gegenteilige Regelung enthält, können Prozesszinsen im Verwaltungsprozess nicht nur verlangt werden, wenn der Beklagte zur Zahlung eines Geldbetrages verurteilt worden ist. Vielmehr besteht auch dann ein Anspruch auf Prozesszinsen, wenn der Beklagte zum Erlass eines Verwaltungsakts, der die Zahlungspflicht unmittelbar auslöst, verpflichtet worden ist und der Geldbetrag rechnerisch unzweifelhaft ermittelt werden kann (BVerwG, Urt. v. 28. 5.1998 - 2 C 28/97 - NJW 1998 S. 3386, m. w. N.). Das ist hier entgegen der Darstellung der Beklagten der Fall. Die Beklagten hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Berufsunfähigkeitsrente sich nach § 13 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. §§ 12, 12 a und 12 c ASO aus der Grundleistung und der Rentenanpassung zusammensetzt. Sie geht aber fälschlicherweise davon aus, dass nur die Grundleistung und nicht auch die Rentenanpassung für die hier in Betracht kommenden Jahre 2000, 2001 und 2002 eindeutig bestimmt ist. Dabei übersieht sie, dass der Leitende Ausschuss den nach § 12 c Abs. 2 ASO notwendigen Beschluss über die Höhe der jährlichen Rentenanpassung für die Jahre 2000, 2001 und 2002 bereits gefasst hat, da § 12 c Abs. 2 ASO eine Beschlussfassung in dem der Rentenanpassung jeweils vorausgehenden Jahr vorschreibt.
Da die erstinstanzliche Entscheidung demnach mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Mai 1998 (a.a.O.) und dem vorausgegangenen Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 8. Juli 1997 (- 5 L 3107/94 -) im Einklang steht, liegt der Berufungszulassungsgrund der Divergenz (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO), den die Beklagte in bezug auf die Entscheidung des Verwaltungsgericht über die Prozesszinsen auch geltend gemacht hat, ebenfalls nicht vor.
Des Weiteren kann die Berufung nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zugelassen werden. Eine Rechtssache ist nur dann im Sinne dieser Bestimmung grundsätzlich bedeutsam, wenn sie eine bislang höchstrichterlich oder obergerichtlich noch nicht beantwortete Rechtsfrage oder eine obergerichtlich noch ungeklärte Tatsachenfrage von allgemeiner Bedeutung aufwirft, die sich im Rechtsmittelverfahren stellen würde und im Interesse der Einheit der Rechtsprechung oder der Weiterentwicklung des Rechts einer fallübergreifenden Klärung durch das Berufungsgericht bedarf (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, VwGO, Kommentar, § 124 Rn. 30 ff., m. w. N.). Die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache ist daher nur dann im Sinne des § 124 a Abs. 4 Satz 4 VwGO dargelegt, wenn eine derartige Frage bezeichnet und überdies erläutert worden ist, warum sie im angestrebten Berufungsverfahren sowohl entscheidungserheblich als auch klärungsbedürftig wäre und aus welchen Gründen ihre Beantwortung über den konkreten Einzelfall hinaus dazu beitrüge, die Rechtsfortbildung zu fördern oder die Rechtseinheit zu wahren (vgl. Schoch/Schmidt-Aßmann/Pietzner, § 124 Rn. 53 ff., m. w. N.). Diesen Anforderungen genügt die Antragsschrift in keiner Hinsicht. Damit hat die Beklagte nicht dargelegt, dass die Rechtssache grundsätzlich bedeutsam ist.
Schließlich ist die Berufung auch nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO zuzulassen, weil die von der Beklagten gerügte Ablehnung des in der mündlichen Verhandlung hilfsweise gestellten Beweisantrags rechtlich nicht zu beanstanden ist. Das Verwaltungsgericht hat im angefochtenen Urteil zutreffend ausgeführt, dass der Beweisantrag nach § 98 VwGO i. V. m. §§ 404, 412 ZPO verfahrensfehlerfrei abgelehnt werden konnte, weil sich die Notwendigkeit der Einholung eines weiteren Sachverständigengutachtens nicht aufgedrängt hat. Zum einen sind gegen die dem Verwaltungsgericht vorliegenden drei Gutachten nebst ergänzenden Stellungnahmen keine durchgreifenden fachlichen Einwände erhoben worden. Zum anderen haben diese Gutachten das Verwaltungsgericht in die Lage versetzt, darüber zu entscheiden, ob der Klägerin eine Berufsunfähigkeitsrente zu gewähren ist