Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.09.2002, Az.: 13 LA 262/02

armenische Volkszugehörige; Aserbeidschan; politische Verfolgung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.09.2002
Aktenzeichen
13 LA 262/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43687
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 02.08.2002 - AZ: 8 A 119/02

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Armenischen Volkszugehörigen droht in Aserbeidschan nicht mehr politische Verfolgung.

Gründe

1

Der Zulassungsantrag bleibt ohne Erfolg. Die geltend gemachten Zulassungsgründe liegen nicht vor.

2

Die Rechtssache hat nicht grundsätzliche Bedeutung (§ 78 Abs. 3 Nr. 1 AsylVfG), nachdem der Senat in einem Berufungsverfahren durch Beschluss nach § 130 a Satz 1 VwGO vom 3. April 2002 - 13 L 1954/00 - (ebenso Senatsbeschluss vom 16.4.2002 - 13 LA 22/02 - u. Beschluss vom 13. Juni 2002 - 13 LA 110/02 -) entschieden hat, dass armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan (jedenfalls) zum jetzigen Zeitpunkt, auf den gemäß § 77 AsylVfG abzustellen ist, politische Verfolgung nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht (mehr) droht. Ebensowenig sind für den betroffenen Personenkreis wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG festzustellen. Dazu hat der Senat in dem erstgenannten Beschluss folgendes ausgeführt:

3

Die Berufung hat Erfolg. Der Senat hält sie einstimmig für begründet und eine mündliche Verhandlung für entbehrlich; er gibt ihr deshalb durch Beschluss statt (§ 130 a Satz 1 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat den Klagen zu Unrecht teilweise entsprochen. Entgegen seiner Ansicht liegen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG hinsichtlich der Heimat der Kläger, Aserbaidschan, nicht vor, wobei der Senat mit den Klägern davon ausgeht, dass sie die Staatsangehörigkeit Aserbaidschans besitzen.

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Nach § 51 Abs. 1 AuslG darf ein Ausländer nicht in einen Staat abgeschoben werden, in dem sein Leben oder seine Freiheit wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe oder wegen seiner politischen Überzeugung bedroht ist. Hier kommt eine Verfolgung der Kläger als Angehörige einer „bestimmten Gruppe“, nämlich der armenischen Volkszugehörigen in Aserbaidschan, in Betracht, wie sie nach 1988 dort im Zuge der Unabhängigkeitsbestrebungen der überwiegend von Armeniern bewohnten Enklave Berg-Karabach bestanden haben mag. Dass es insoweit an einem Zusammenhang mit der fast fünf Jahre später erfolgenden Asylantragstellung fehlt, ist im Rahmen des § 51 AuslG unerheblich. Indessen liegen die dafür erforderlichen Voraussetzungen (jedenfalls) zum jetzigen Zeitpunkt, auf den gemäß § 77 AsylVfG abzustellen ist, nicht (mehr) vor. Die gegenteilige Annahme des Verwaltungsgerichts beruht insbesondere auf einer inzwischen überholten Auskunftslage, z.B. dem Lagebericht des Auswärtigen Amtes vom 3. Juli 1996, wonach (bis 1999) tatsächlich davon die Rede war, dass Armenier in Aserbaidschan einer mittelbaren staatlichen Verfolgung unterlegen hätten. Nach der neueren Auskunftslage für die derzeitigen Verhältnisse in Aserbaidschan ist das jedoch nicht mehr der Fall. Nunmehr ist (z.B. AA-Lagebericht vom 11.5.01) nur noch von einer „vielfach“ – aber nicht durchgängig – erfolgenden „schlechteren Behandlung“ der (geschrumpften) armenischen Volksgruppe die Rede, wobei zudem auch die allgemeine Korruption ursächlich sei. Dass diese mögliche Benachteiligung asylrelevante Ausmaße annehmen würde, ist nicht ersichtlich. So werden vom Auswärtigen Amt Übergriffe von Aseri gegenüber ihren armenischen Landsleuten nicht mehr erwähnt. In einem anderen Erkenntnis (EU-Bericht der dänischen Delegation vom 1.9.00) heißt es insoweit (S. 7), es seien „keine Fälle von Verfolgungen ... bekannt“, auch nicht Einzelfälle, „in denen Armenier ausschließlich aufgrund ihrer Volkszugehörigkeit körperlich angegriffen worden sind“. Zwar könnten „keinerlei Garantien im Hinblick auf die Reaktion eines einzelnen Aseri auf einen Armenier abgegeben werden, aber im Großen und Ganzen sei die Angst vor Übergriffen eher psychologisch und gefühlsbedingt und nicht vernunftsmäßig begründet“. Danach ist nicht anzunehmen, dass die Kläger, wenn sie nach Aserbaidschan zurückkehren würden, dort wegen ihrer Volkszugehörigkeit an Leib und Leben bedroht wären. Von einer auch nur mittelbaren Verfolgung der Armenier als Gruppe kann danach nicht (mehr) die Rede sein.

5

Diese Auskunftslage ist eindeutig, so dass es weiterer Aufklärung insoweit nicht bedarf. Zwar ist den Klägern zuzugeben, dass eine Vielzahl von Armeniern Aserbaidschan verlassen hat. Auch spricht das Auswärtige Amt hinsichtlich der im Lande verbliebenen Personen von "überwiegend ... mit Aserbaidschanern verheiratete(n), meist ältere(n) Armenierinnen und deren Abkömmlinge(n)“, die durch Verleugnung ihres Volkstums „Nachteile aufgrund der armenischen Abstammung weitgehend vermeiden“ könnten (AA-Lagebericht vom 11.5.01, S. 10). Von einer entsprechenden Anpassung ist auch im „EU-Bericht der dänischen Delegation“ vom 1. September 2000 die Rede (S. 4), wo allerdings darauf hingewiesen wird, dass die armenische Volkszugehörigkeit „dennoch allgemein bekannt sei“. Im Übrigen gilt weiterhin die oben genannte Aussage der gleichen Quelle, wonach Verfolgungen von Armeniern durch Aseri nicht bekannt seien. Es besteht daher kein Zweifel daran, dass es jedenfalls an der „Verfolgungsdichte“ (BVerwGE 85, 139/142) fehlt, die erst die Annahme einer Gruppenverfolgung rechtfertigen würde. Das gilt auch in Bezug auf die von den Klägern vorgelegte Aussage des UNHCFR vom 22. Februar 2000 gegenüber dem Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge, wo davon die Rede ist, in vielen Fällen (nähmen „diese Maßnahmen“) die Intensität politischer Verfolgung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit der Betroffenen an“, so dass Asylgesuche von „ethnischen Armeniern“ aus Aserbaidschan „mit größter Sorgfalt untersucht“ werden sollten - abgesehen davon, dass es im Asylrecht auf die Verhältnisse bei einer Rückkehr ankommt. Hiernach ist eine Gruppenverfolgung, wie sie vom Verwaltungsgericht aufgrund der alten Auskunftslage angenommen wurde, derzeit aber nicht anzunehmen. Soweit die Kläger das Gegenteil behaupten (Schriftsatz vom 1.3.02, S. 40) und dazu Beweis anbieten, gibt es dafür keine ausreichenden Anhaltspunkte als Tatsachengrundlage („Ausforschungsbeweis“). Soweit ihr Vorbringen zur Frage einer Anpassung (Schriftsatz vom 1.3.02, z.B. S. 32) so verstanden werden sollte, dass sie ihre Volkszugehörigkeit demonstrativ betonen möchten und dadurch Übergriffe provozieren sollten, würde dies an diesem Befund nichts ändern. Im Übrigen hätten sie sich das dann selbst zuzuschreiben.

6

Danach kommt es nicht mehr darauf an, ob demgegenüber immerhin das Gebiet von Berg-Karabach als sogenannte „inländische Fluchtalternative“ anzusehen wäre (vgl. dazu BVerwGE 67, 314; 85, 139; 101, 134; 105, 204; 108, 84), wie der Senat schon früher angenommen hat und wo die Kläger auch heute ganz gewiss sicher wären. Dieses Gebiet, das sich zwar für selbständig erklärt hat, ist staats- und völkerrechtlich nach wie vor aserbaidschanisches Staatsgebiet. Dort leben inzwischen ganz überwiegend Armenier, eine aserbaidschanische Staatsgewalt kann dort nicht mehr ausgeübt werden.

7

Hiernach steht den Klägern bezüglich ihrer Heimat Aserbaidschan entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ein Abschiebungsverbot nach § 51 Abs. 1 AuslG nicht zur Seite und brauchte Aserbaidschan infolgedessen auch nicht als Staat bezeichnet zu werden, in den sie nicht abgeschoben werden dürfen (§ 34 AsylVfG iVm § 50 Abs. 3 Satz 2 AuslG).

8

Die Ausführungen der Kläger im Zulassungsverfahren gebieten die Durchführung eines weiteren Berufungsverfahrens nicht. Die von ihnen vorgenommenen Differenzierungen nach Abstammung und Familienzusammensetzung finden in der insoweit eindeutigen Auskunftslage keinerlei Grundlage.

9

Auch der behauptete Verfahrensmangel - Verstoß gegen das rechtliche Gehör - (§ 78 Abs. 3 Nr. 3 AsylVfG iVm § 138 Nr. 3 VwGO) liegt nicht vor. Das Verwaltungsgericht hat die Hilfsbeweisanträge der Kläger zur Kenntnis genommen und hat sie der Prozessordnung entsprechend in dem angefochtenen Urteil zurückgewiesen. Die Einholung weiterer Auskünfte steht grundsätzlich im Ermessen des Gerichts. Die Ausübung dieses Ermessens durch das Verwaltungsgericht ist vom Berufungsgericht nur eingeschränkt überprüfbar. Dieser Gesichtspunkt kann indessen dahinstehen; denn der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass das Vorbringen der Kläger die Einholung weiterer Erkenntnismittel nicht gebietet.