Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 20.02.2002, Az.: 74 IK 14/02
Entscheidungskompetenz; funktionelle Zuständigkeit; Insolvenzeröffnung; Insolvenzrichter; Nullplan; pfändbares Einkommen; Rechtspfleger; Regelinsolvenzverfahren; Restschuldbefreiung; sachliche Zuständigkeit; Schuldenbereinigungsplan; Schuldenbereinigungsverfahren; Stundungsantrag; Stundungsbewilligung; Stundungsverfahren; Verbraucherinsolvenzverfahren; Verfahrenseröffnung; Verfahrenskosten
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 20.02.2002
- Aktenzeichen
- 74 IK 14/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43805
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 4a InsO
- § 306 Abs 1 S 3 InsO
Amtlicher Leitsatz
Leitsatz
1. Bei einem Nullplan wird das Insolvenzgericht regelmäßig die Fortsetzung des Verfahrens gem. § 306 Abs: 1 Satz 3 InsO anordnen, falls nicht greifbare Anhaltspunkte bestehen, dass der Schuldner während der Planlaufzeit zu pfändbaren Einkommen gelangt oder sonstige Gründe vom Schuldner dargelegt sind.
2. Vor Eröffnung des Verfahrens ist über einen vom Schuldner gestellten Stundungsantrag zu entscheiden. Zur Entscheidung ist der Insolvenzrichter zuständig, die Entscheidung ist nicht von dem Rechtspfleger nach Eröffnung des Verfahrens zu treffen (a. A. AG Hamburg ZInsO 2001, 2241).
Tenor:
<Anmerkung der Dokumentationsstelle des Bundesgerichtshofs: Der Tenor wurde vom Gericht nicht mitgeteilt.>
Gründe
Die Schuldnerin hat mit Antrag vom 04.02.2002, beim Insolvenzgericht eingegangen am 13.02.2002, Antrag auf Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens, Stundung der Verfahrenskosten und Restschuldbefreiung gestellt. Ein Antrag auf Zustimmungsersetzung ist nicht gestellt worden. Die arbeitslose Schuldnerin, die einem Kind unterhaltspflichtig ist, bezieht Arbeitslosengeld in Höhe von ca. 425,00 € und eine Witwenrente in Höhe von ca. 150,00 €. Die Verbindlichkeiten belaufen sich auf 18.600,00 €. Außergerichtlich bot sie den Gläubigern eine monatliche Mindestrate von 25,00 € an. Der außergerichtliche Plan wurde allen Gläubigern übersandt, die Gläubiger lehnten den Plan wegen des Mißverhältnisses zwischen Forderung und tatsächlichem Angebot ab. Einen gerichtlichen Einigungsversuch hält die Schuldnerin nicht für aussichtsreich, da sie einen Nullplan vorgelegt.
Das Insolvenzgericht hat die Fortsetzung des Verfahrens gemäß § 306 Abs. 1 Satz 3 InsO angeordnet, der Antragstellerin Stundung bewilligt, das Insolvenzverfahren eröffnet und einen Treuhänder bestellt.
Gemäß § 306 Abs. 1 Satz 3 InsO hat das Insolvenzgericht die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet, weil nach seiner Überzeugung der Schuldenbereinigungsplan voraussichtlich nicht angenommen wird. Es handelt sich um einen Nullplan. Greifbare Anhaltspunkte, dass die Schuldnerin während der Planlaufzeit zu pfändbaren Einkommen kommen wird, bestehen nicht. Die Schuldnerin hat auch keine Gründe dargelegt, weshalb – ausnahmsweise – ein Einigungsversuch unternommen werden sollte. Deshalb hat das Insolvenzgericht – wie inzwischen bei Vorlage eines Nullplanes üblich – die Fortsetzung des Verfahrens angeordnet.
Das Insolvenzgericht hat der Antragstellerin Stundung gemäß § 4 a InsO bewilligt. Ein formgerechter Antrag gemäß § 4 a Abs. 1 InsO liegt vor. Weiter hat die Schuldnerin Angaben zu ihren Einkommens – und Vermögensverhältnissen gemacht. Verwertbares Vermögen besteht nicht. Das Guthaben auf dem Girokonto belief sich am 11.02.2002 auf 43,11 €. Ihren Lebensunterhalt bestreitet die Schuldnerin aus Arbeitslosengeld und einer Witwenrente. Diese Angaben sind belegt durch Ablichtungen der entsprechenden Leistungsbescheide. Folglich war der Schuldnerin Stundung zu bewilligen.
Für die noch vor Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu treffende Entscheidung ist der Richter zuständig. Die entgegengesetzte Auffassung des AG Hamburg (Beschluß vom 04.12.2001 – 68 g IK 78/01 – ZIP 2001, 2241) ist abzulehnen. Das AG Hamburg beruft sich darauf, dass die Wirkungen der Stundung gemäß § 4 a Abs. 3 Satz 3 InsO einstweilen eintreten, daher bedürfe es einer richterlichen Entscheidung über den Stundungsantrag bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht. Eine solche Entscheidung sei auch gar nicht möglich, da die Berechnung für die genauen Verfahrenskosten erst später nach Erstellung der Schlußrechnung durch den Insolvenzverwalter feststehe. Deshalb sei die Entscheidung dem Rechtspfleger vorzubehalten.
Dem ist zunächst entgegenzuhalten, dass gemäß § 4 a Abs. 3 Satz 2 InsO die Stundung für jeden Verfahrensabschnitt besonders erfolgt. Dies spricht bereits dafür, dass nicht das Verfahren eröffnet und dass später über den Stundungsantrag entschieden wird.
§ 4 a Abs. 3 Satz 3 InsO bestimmt zwar, dass bis zur Entscheidung über die Stundung die in Satz 1 genannten Wirkungen einstweilen eintreten, Kosten gegen den Schuldner also grundsätzlich nicht geltend gemacht werden können. Dadurch sollen jedoch nur eine vermeidbare Verfahrensverzögerung dadurch verhindert werden, dass erst nach Entscheidung über die Stundung dem Verfahren Fortgang gegeben wird.
Zutreffend ist zwar, dass die genauen Verfahrenskosten zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Stundung noch nicht feststehen. Dies ist jedoch für das Insolvenzverfahren nichts Ungewöhnliches. Im Rahmen des § 26 Abs. 1 InsO ist anerkannt, dass das Insolvenzgericht die voraussichtlichen Kosten im Wege einer Prognose schätzen muß (vgl. FK – InsO/Schmerbach § 26 Rz. 14). Im Übrigen werden sich die Kosten im Rahmen eines Verbraucherinsolvenzverfahrens annähernd genau berechnen lassen. Erfahrungsgemäß sind inzwischen Nullpläne die Regel, bei denen nur die Mindestvergütung festgesetzt wird. Sofern ein Schuldner – wie in dem vom AG Hamburg entschiedenen Fall - über pfändbares Einkommen verfügt, kann für die – überschlägige – Berechnung der Verfahrenskosten von dem Jahresbetrag des pfändbaren Einkommens ausgegangen werden (vgl. AG Göttingen, Beschluss vom 24.09.1999 – 74 IK 23/99 – Nds. Rpfl 2000, 36 = EzInsR InsO § 4 Nr. 45; AG Göttingen, Beschluss vom 25.02.2000 – 74 IK 60/99 – ZInsO 2000, 233,234).
Ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens zunächst das gesamte pfändbare Vermögen dem Insolvenzbeschlag unterfällt mit der Folge, dass der Treuhänder bzw. Insolvenzverwalter darauf zugreifen kann (Kübler/Prütting/Wenzel InsO § 4a Rz. 14). Vorrangig werden aus einer Masse die Kosten des Verfahrens beglichen. Auch bei – teilweiser oder völliger unberechtigter Stundung – wird der Landeskasse regelmäßig kein Schaden entstehen.
Schließlich ist zu bedenken, dass das Stundungsverfahren erkennbar dem Prozeßkostenhilfeverfahren nachgebildet ist. Bei Einreichung einer Klage in einem Zivilverfahren und gleichzeitigem PKH-Gesuch erfolgt eine förmliche Zustellung der Klage regelmäßig erst dann, wenn das Prozeßgericht Prozeßkostenhilfe bewilligt hat. Die genauen Kosten des Zivilverfahrens werden sich häufig nicht vorhersehen lassen, sie werden beispielsweise durch die Erforderlichkeit einer Beweisaufnahme beeinflußt.
Folglich ist über den Stundungsantrag vor Eröffnung des Verfahrens zu entscheiden (FK-InsO/Kothe § 4a Rz. 22 f.). Eine einstweilige Eröffnung des Insolvenzverfahrens kennt die Insolvenzordnung außerdem nicht (Kübler/Prütting/Wenzel InsO § 4a Rz. 46). Genauso verhält es sich, wenn ein gerichtliches Schuldenbereinigungsverfahren durchgeführt wird. Vor dessen Durchführung ist ebenfalls über die Stundung der Verfahrenskosten jedenfalls für die Durchführung des gerichtlichen Schuldenbereinigungsplanverfahrens zu befinden (vgl. FK-InsO/Kothe § 4a Rz. 31 ff.). Zuständig ist jeweils der Insolvenzrichter gem. § 18 Abs. 1 Nr. 1 RPflG (FK-InsO/Kothe § 4a Rz. 43).
Da die Schuldnerin zur Überzeugung des Insolvenzgerichtes auch zahlungsunfähig ist, hat das Insolvenzgericht das Insolvenzverfahren eröffnet und einen Treuhänder bestellt.