Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 05.09.2002, Az.: 74 IN 269/02

Ermächtigung eines Sachverständigen durch das Insolvenzgericht zur Einholung von Auskünften über die Vermögenslage des Schuldners von Kreditinstituten; Zeugnisverweigerungsrecht der Mitarbeiter des Kreditinstituts; Entbindung eines Zeugen von der Verschwiegenheitspflicht; Erfordernis einer Einverständniserklärung des Schuldners

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
05.09.2002
Aktenzeichen
74 IN 269/02
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28689
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2002:0905.74IN269.02.0A

Fundstellen

  • NZI 2002, 615
  • NZI 2003, 64
  • ZInsO 2002, 943-944 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZVI 2002, 370-372

Amtlicher Leitsatz

Das Insolvenzgericht kann gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO auch einen Sachverständigen ermächtigen, Auskünfte über die Vermögenslage des Schuldners u.a. von Kreditinstituten einzuholen. In diesem Fall steht den Mitarbeitern des Kreditinstitutes kein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 4 InsO i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu. Die Auskünfte sind zu erteilen, ohne dass der Schuldner ausdrücklich eine Entbindung von der Schweigepflicht erteilen muss.

Gründe

1

Die Schuldnerin hat am 29.07.2002 Eigenantrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens gestellt sowie Stundung und Restschuldbefreiung beantragt. Mit Beschluss vom selben Tage hat das Insolvenzgericht einen Sachverständigen bestellt. In dem Beschluss ist der Sachverständige u.a. ermächtigt worden, "Auskünfte über die Vermögenslage der Schuldnerin bei Dritten (Banken, Versicherungen, Behörden, Vertragspartnern usw.) einzuholen". Mit Schriftsatz vom 28.08.2002 hat der Sachverständige beantragt, den zuständigen Sachbearbeiter des Kreditinstitutes als Zeugen zu hören über den Inhalt der von der Schuldnerin unterhaltenen umfassenden Geschäftsverbindung. Im Termin vom 05.09.2002 hat der Zeuge seine bereits gegenüber dem Sachverständigen ausgesprochene Weigerung wiederholt, auszusagen. Er beruft sich auf das Bankgeheimnis sowie darauf, dass die Sparkasse als Dienstherrin ihm keine Aussagegenehmigung erteilt habe.

2

Gem. § 4 InsO i.V.m. § 387 ZPO hat das Insolvenzgericht über die Rechtmäßigkeit der Aussageverweigerung des Zeugen zu entscheiden. Diese Entscheidung hat das Insolvenzgericht durch Beschluss getroffen. Zwar sieht § 387 Abs. 3 ZPO den Erlass eines Zwischenurteils vor. Gem. § 4 InsO finden die Vorschriften der ZPO jedoch nur entsprechende Anwendung. Da § 5 Abs. 2 InsO die mündliche Verhandlung freistellt, ergehen Entscheidungen des Insolvenzgerichtes durch Beschluss, auch wenn eine mündliche Verhandlung stattgefunden hat (FK-InsO/Schmerbach § 5 Rz. 31). Die in § 387 Abs. 1 ZPO vorgesehene Anhörung der Parteien ist nicht erforderlich, da das Insolvenzgericht über den zulässigen Antrag der Schuldnerin von Amts wegen alle Umstände zu ermitteln hat (§ 5 Abs. 1 Satz 1 InsO).

3

Dem Zeugen steht ein Zeugnisverweigerungsrecht gem. § 4 InsO i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht zu.

4

Nach Eröffnung des Verfahrens kann der Insolvenzverwalter, auf den gem. § 80 InsO die Verwaltung- und Verfügungsmacht übergeht, einen Zeugen gem. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO von der Verschwiegenheitspflicht entbinden (FK-InsO/Schmerbach § 5 Rz. 14). Wird im Eröffnungsverfahren ein so genannter "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt, auf den gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis übergeht, so steht diesem diese Befugnis ebenfalls zu (HK-InsO/Kirchhoff § 5 Rz. 15). Den so genannten "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 22 Abs. 2 InsO kann das Insolvenzgericht ermächtigen, Auskünfte u.a. bei Kreditinstituten einzuholen (HK-InsO/Kirchhoff § 5 Rz. 15, § 22 Rz. 31; FK-InsO/Schmerbach § 5 Rz. 14). Rechtsgrundlage für die Ermächtigung des "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalters ist die Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO (AG Duisburg NZI 2000, 606; FK-InsO/Schmerbach § 5 Rz. 14).

5

Auf Grund der Vorschrift des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO kann auch bei Bestellung eines Sachverständigen das Insolvenzgericht darüber hinaus anordnen, dass der Sachverständige Auskünfte u.a. von Kreditinstituten einholen kann mit der Folge, dass die Vorschrift des § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO nicht gilt. Entgegen der von Huber (InsO 2001, 289, 291) vertretenen Auffassung fällt eine derartige Anordnung unter den Begriff der Sicherungsmaßnahme im Sinne des § 21 Abs. 1 InsO. Die Vorschrift enthält eine Generalklausel und ist weit auszulegen. Im Übrigen setzt die Anordnung einer Maßnahme gem. § 21 Abs. 1 InsO - entgegen der von Huber a.a.O. geäußerten Ansicht - nicht voraus, dass ein vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt ist. Bei der Bestellung eines vorläufigen Insolvenzverwalters handelt es sich nur um eine der möglichen Sicherungsmaßnahmen, wie sich aus dem Wortlaut des § 21 Abs. 2 InsO (insbesondere) ergibt. Daher kann der Sachverständige gem. § 21 Abs. 1 InsO ermächtigt werden, Auskünfte über die Vermögenslage des Schuldners einzuholen (FK-InsO/Schmerbach § 22 Rz. 57 a; ähnlich HK-InsO/Kirchhoff § 5 Rz. 13; a.A. BK-Goetsch§5Rz. 14 a E).

6

Einer ausdrücklichen Einverständniserklärung des Schuldners gegenüber dem Kreditinstitut bedarf es nicht (a. A. Huber InsO 2001, 289, 291). Das Insolvenzgericht sieht daher keine Veranlassung, von der Schuldnerin eine Einverständniserklärung einzuholen. Zwar bestehen Mitwirkungspflichten des Schuldners auch beim Eigenantrag. Das Insolvenzgericht ist jedoch an eine bestimmte Vorgehensweise nicht gebunden (AG Duisburg NZI 2000, 606, 607). Zwar mag es sein, dass es im vorliegenden Fall zu einer gewissen Verzögerung kommt. Dies kann jedoch hingenommen werden. Der Geschäftsbetrieb der Schuldnerin ist eingestellt. Es handelt sich um eine grundsätzliche, klärungsbedürftige Frage. Sie tritt immer dann auf, wenn ein Sachverständiger bestellt wird. Die Bestellung eines Sachverständigen erfolgt nicht nur bei Stellung eines Eigenantrages durch den Schuldner, sondern auch in einer Vielzahl von Gläubigeranträgen. Es wäre unverhältnismäßig, einen vorläufigen Insolvenzverwalter nur deshalb zu bestellen, damit Auskünfte u.a. von Kreditinstituten eingeholt werden können.

7

Folglich kann das Insolvenzgericht dem Sachverständigen die Befugnis verleihen, Auskünfte u.a. von Kreditinstituten des Schuldners einzuholen, ohne dass sich Mitarbeiter des Kreditinstitutes auf ein Zeugnisverweigerungsrecht (gem. § 4 InsO i.V.m. § 383 Abs. 1 Nr. 6 ZPO) berufen können. Dies folgt - wie bereits erwähnt - aus der Regelung des § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO (a. A. Huber InsO 2001, 289, 291). § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO spricht davon, dass das Insolvenzgericht alle Maßnahmen zu treffen hat, die erforderlich erscheinen, um bis zur Entscheidung über den Antrag eine den Gläubigern nachteilige Veränderung in der Vermögenslage des Schuldners zu verhüten. Auch bei eingestelltem Geschäftsbetrieb können aber die Aufklärungsmöglichkeiten mit wachsendem Zeitablauf schwieriger werden. Weiter ist nicht gesagt, dass der Schuldner in jedem Fall sein Einverständnis erteilt. Die Einholung eines Einverständnisses wäre bei der Vielzahl der Insolvenzanträge umständlich und zeitraubend. Zu bedenken ist auch, dass bei der Schaffung der InsO in der überwiegenden Zahl der Fälle die Anträge von den Gläubigern gestellt wurden. Inzwischen dominieren aber eindeutig die Eigenanträge der Schuldner, u.a. bedingt durch die Einführung des so genannten Stundungsmodels gem. § 4 a ff InsO zum 01.12.2001.

8

Ergänzend ist zu bemerken, dass die Anordnung einer Sicherungsmaßnahme gem. § 21 Abs. 1 Satz 1 InsO lediglich vom Schuldner angegriffen werden kann (§ 21 Abs. 1 Satz 2 InsO), was im vorliegenden Fall aber nicht geschehen ist.

9

Schließlich kann sich der Zeuge nicht darauf berufen, er habe von seinem Arbeitgeber keine Aussagegenehmigung erhalten. Dabei handelt es sich um einen innerdienstlichen Vorgang. Als Angestellter eines kommunalen Kreditinstitutes bedarf der Zeuge keiner Aussagegenehmigung seines Dienstherren. Im Übrigen ist oben dargelegt worden, dass ein Zeugnisverweigerungsrecht dem Zeugen nicht zusteht.

Schmerbach, Richter am Amtsgericht