Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 03.05.2002, Az.: 74 IN 134/02
Glaubhaftmachung und Gegenglaubhaftmachung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 03.05.2002
- Aktenzeichen
- 74 IN 134/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28964
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2002:0503.74IN134.02.0A
Rechtsgrundlagen
- § 14 InsO
- § 17 Abs. 2 InsO
Fundstellen
- NZI 2003, 104
- ZInsO 2002, 592-594 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Ein Insolvenzantrag kann auch auf eine nicht titulierte Forderung gestützt werden; es genügt die Glaubhaftmachung beispielsweise durch Vorlage eines Arbeitsvertrages.
- 2.
Die dem Schuldner mögliche Gegenglaubhaftmachung setzt einen substantiierten, nachvollziehbaren und in sich widerspruchsfreien Sachvortrag voraus.
- 3.
Das rechtliche Interesse im Sinne des § 14 Abs. 1 InsO wird nicht dadurch beseitigt, dass der Schuldner die Forderung bestreitet oder eine vorherige Einzelzwangsvollstreckung nicht erfolgt ist.
Gründe
I.
Die Antragstellerin hat mit Schreiben v. 8.4.2002 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Antragsgegnerin gestellt. Zur Begründung hat die Antragstellerin in Ablichtung den am 27.9.2001 mit der Antragsgegnerin geschlossenen Anstellungsvertrag vorgelegt, wonach ein Gehalt i.H.v. 6.000 DM brutto jeweils zum letzten eines Monates fällig ist. Mit Schreiben v. 26.3.2002 forderte die Antragstellerin die Antragsgegnerin vergeblich zur Zahlung des Restlohnes für Januar sowie der Löhne für Februar und März 2002 i.H.v. insgesamt 4.762,75 EUR auf. Ergänzend teilte die Antragstellerin mit, dass ihr auf Grund einer telefonischen Nachfrage am 2.4.2002 von einem der Mitgeschäftsführer mitgeteilt worden sei, dass er nicht wisse, wann das ausstehende Gehalt bezahlt werden könne. Die Antragstellerin vertritt die Auffassung, das Überschuldung, zumindest aber Zahlungsunfähigkeit vorliege.
Zu dem mit Verfügung v. 19.4.2002 auf den 2.5.2002 anberaumten Anhörungstermin ist die Antragsgegnerin nicht erschienen. Sie hat mit Schreiben v. 30.4.2002, per Fax eingegangen am 1.5.2002, Stellung genommen. Sie beruft sich darauf, es liege lediglich eine Zahlungsstockung vor. Darüber hinaus mangele es am Rechtsschutzbedürfnis, da die Antragstellerin eine zweifelhafte, nicht bestehende Forderung im Insolvenzverfahren durchsetzen wolle, ohne die Einzelzwangsvollstreckung durch ein Arbeitsgerichtsverfahren zu betreiben. Darüber hinaus tritt die Antragsgegnerin der Höhe der Forderung entgegen.
II.
Auf den zulässigen Antrag der Antragstellerin hin hat das AG die Einholung eines schriftlichen Gutachtens beschlossen darüber, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt, eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist und weitere Anordnungen zur Sicherung der Masse erforderlich sind.
1.
Obgleich die gem. § 5 Abs. 1 Satz 2, 4 InsO i.V.m. §§ 402 ff. ZPO getroffene Bestellung eines "isolierten" Sachverständigen gem. § 6 Abs. 1 InsO nicht anfechtbar ist (BGH, ZIP 1999, 319 = EWiR 1999, 131 = NZI 1998, 42 = ZInsO 1998, 336; LG Potsdam, DZWIR 2000, 255; FK- InsO/Schmerbach, § 22 Rn. 57b), hält es das Gericht für angezeigt, zu den Einwendungen der Antragsgegnerin Stellung zu nehmen und den Beschluss zu begründen, auch um einer etwaigen Gegenvorstellung vorzubeugen.
Die Antragstellerin hat ihre Forderung und das Vorliegen eines Eröffnungsgrundes glaubhaft gemacht, die der Antragsgegnerin mögliche Gegenglaubhaftmachung ist dieser nicht gelungen. Für den Antrag besteht auch das rechtliche Interesse gem. § 14 Abs. 1 InsO.
2.
Der Antragstellerin steht gegen die Antragsgegnerin eine Forderung aus Arbeitsvertrag zu. Der in Ablichtung vorgelegte, von der Antragsgegnerin nicht bestrittene Anstellungsvertrag v. 27.9.2001 bestimmt, dass das Einstellungsverhältnis zum 1.10.2001 beginnt und auf unbegrenzte Zeit geschlossen ist. Die Probezeit beträgt sechs Monate, die Kündigungsfrist während der Probezeit jeweils einen Monat zum Monatsende.
Soweit sich die Antragsgegnerin darauf beruft, die Antragstellerin sei bei ihr nicht mehr angestellt, ist der Vortrag teilweise unsubstantiiert, teilweise widersprüchlich und nicht nachvollziehbar.
Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, der Antragstellerin sei während der Probezeit gekündigt worden. Dem widerspricht der nachfolgende Vortrags, die Auflösung des Anstellungsvertrages sei zum 31.12.2001 in gegenseitigem Einvernehmen erfolgt. Ebenso unvereinbar ist damit der weitere Vortrag, die Parteien seien sich einig gewesen, dass das Anstellungsverhältnis solange habe ruhen sollen, bis nach einer Anlernzeit von weiteren drei Monaten sich das Wissen und die Kenntnis der Antragstellerin soweit gefestigt hätten, dass die Bedingungen des Vertrages wieder hätten aufleben sollen.
Weiter beruft sich die Antragsgegnerin darauf, dass der im 81. Lebensjahr stehende Mitgeschäftsführer die Tragweite des Vertrages nicht erkannt habe. Dieser Vortrag ist ohne nähere Substantiierung nicht nachvollziehbar.
Ebenfalls nicht nachvollziehbar ist der Vortrag der Antragsgegnerin dahingehend, die Forderungen der Antragstellerin seien erfüllt worden. Der Vortrag der Antragsgegnerin kann dahin verstanden werden, dass nach Erbringung der Zahlung Oktober bis Dezember 2001 i.H.v. 18.000 DM für die restliche Anlernzeit Januar bis März 2002 auf eine Vergütung verzichtet worden sei. Dieser Vortrag widerspricht jedoch den gewöhnlichen Ablauf der Dinge nach der Lebenserfahrung so sehr, dass er einer näheren Substantiierung bedurft hätte. Die Antragsgegnerin beruft sich darauf, die Antragstellerin sei nicht in der Lage gewesen, die an sie gestellten Anforderungen zur Unterstützung der Geschäftsleitung zu erfüllen. Welche einzelnen Anforderungen die Antragstellerin nicht oder nur teilweise erfüllt haben soll, hat die Antragsgegnerin nicht vorgetragen. I.Ü. hätte bei dieser Sachlage für die Antragsgegnerin die vertragliche Möglichkeit bestanden, im Hinblick auf die Probezeit das Dienstverhältnis zum Monatsende zu beenden. Bei einer einvernehmlichen Weiterbeschäftigung trotz mangelhafter Leistung hätte es nahe gelegen, die Bezüge der Antragstellerin zu reduzieren, nicht aber auf null zu setzen.
Bei dieser Sachlage bedarf es keiner näheren Erörterung mehr, ob die am 20.2.2002 geleistete Teilzahlung von 500 EUR eine Abschlagszahlung auf das Januargehalt darstellte oder ohne Rechtsgrund auf besonderen Wunsch der Antragstellerin auf Grund Entgegenkommens der Antragsgegnerin erfolgte.
Folglich hat die Antragstellerin glaubhaft gemacht, dass ihr eine Forderung gegen die Antragsgegnerin zusteht; die mögliche Gegenglaubhaftmachung hat die Antragsgegnerin nicht geführt (vgl. MünchKomm/Schmahl, InsO, § 14 Rn. 19; FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 51).
Nach gegenwärtiger Aktenlage ist zwar die dem Antrag zugrunde liegende Forderung die einzige, die für den Fall ihres Bestehens den Insolvenzgrund ausmachen würde. Auch in diesem Fall genügt jedoch die Glaubhaftmachung, ein Vollbeweis ist im Rahmen der Zulässigkeitsprüfung des Antrages nicht erforderlich (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 14 Rn. 8; FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 58). Darauf kommt es erst im Rahmen der Entscheidung über die Eröffnung an (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 14 Rn. 22), falls nicht noch weitere Forderungen gegen die Schuldnerin existieren.
Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin ist es auch nicht erforderlich, dass die Forderung der Antragstellerin tituliert ist (Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 14 Rn. 5; HK- InsO/Kirchhof, § 14 Rn. 9: FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 57).
Rechtlich unerheblich ist der Vortrag der Antragsgegnerin, die Antragstellerin sei ab dem 4.3.2002 unentschuldigt der Arbeitsstelle ferngeblieben. Es genügt nämlich, das ein Teil der Forderung glaubhaft gemacht ist, da die Antragsberechtigung nicht an einen Mindestbetrag geknüpft ist (OLG Naumburg, NZI 2000, 263, 264; HK- InsO/Kirchhof, § 14 Rn. 10; FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 51a; MünchKomm/Schmahl, InsO, § 14 Rn. 58). In jedem Fall verbleibt eine Lohnforderung für Februar und eine Restlohnforderung für Januar.
3.
Weiterhin hat die Antragstellerin den Eröffnungsgrund der Zahlungsunfähigkeit in Form der Zahlungseinstellung (§ 17 Abs. 2 Satz 2 InsO) glaubhaft gemacht.
Der Anspruch der Antragstellerin auf Zahlung des Lohnes ist fällig. Eine Zahlungsstockung liegt nicht vor. In der Rechtsprechung wird bei der Abgrenzung der Zahlungsstockung von der Zahlungsunfähigkeit die Obergrenze bei zwei bis max. drei Wochen gezogen (AG Köln, ZIP 1999, 1889, 1891; LG Bonn, ZIP 2001, 342, 346). Diese Grenze ist hier bei weitem überschritten.
Rechtlich unerheblich ist es, dass die Antragsgegnerin sich darauf beruft, die schleppende Bedienung von Außenständen sei im allgemeinen Wirtschaftsleben fast zur Normalität geworden. Am Vorliegen der Zahlungsunfähigkeit ändert dies nichts.
Auch das Vorhandensein von Außenständen i.H.v. ca. 85.000 EUR und das Vorhandensein eines kreditierbaren Wertpapieres über argentinische Pesos ändert an der Zahlungsunfähigkeit nichts. Es gilt der Grundsatz der Geldliquidität. Entscheidend kommt es darauf an, ob in dem zur Abgrenzung von der Zahlungsstockung herangezogene Zeitraum von zwei bis max. drei Wochen sich Vermögenswerte veräußern bzw. Außenstände einziehen lassen (vgl. FK- InsO/Schmerbach, § 17 Rn. 15; HK- InsO/Kirchhof, § 17 Rn. 15).
Auf die Frage, ob auch der Eröffnungsgrund der Überschuldung (§ 19 InsO) glaubhaft gemacht ist, kommt es nicht an, da bereits die Zahlungsunfähigkeit (§ 17 InsO) glaubhaft gemacht ist.
Bei der vorstehenden Sachlage kann es auch dahinstehen, ob der Mitgeschäftsführer der Antragsgegnerin der Antragstellerin am 2.4.2002 telefonisch mitteilte, dass er nicht wisse, wann das ausstehende Gehalt gezahlt werden könne.
4.
Schließlich liegt das gem. § 14 Abs. 1 erforderliche rechtliche Interesse vor.
Nicht erforderlich ist, dass die dem Antrag zugrunde liegende Forderung tituliert ist (HK- InsO/Kirchhof, § 14 Rn. 9; FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 36; Kübler/Prütting/Pape, InsO, § 14 Rn. 5). Das rechtliche Interesse kann auch nicht mit der Begründung abgesprochen werden, es handele sich um eine rechtlich zweifelhafte Forderung (FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 37). Ein Schuldner ist durch das Erfordernis der Glaubhaftmachung durch den Gläubiger und die Möglichkeit der Gegenglaubhaftmachung hinreichend geschützt. Zudem existieren keine klaren Abgrenzungskriterien wann eine rechtlich zweifelhafte Forderung anzunehmen sein soll. Könnte man eine gerichtliche Titulierung fordern, würden Verzögerungsmaßnahmen von Schuldnern Tür und Tor geöffnet, evtl. Sicherungsmaßnahmen könnten nicht ergehen (vgl. FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 58).
Schließlich ist nicht erforderlich, das zuvor eine Einzelzwangsvollstreckung versucht worden ist (MünchKomm/Schmahl, InsO, § 14 Rn. 49; FK- InsO/Schmerbach, § 14 Rn. 32). Im Falle einer nicht titulierten Forderung würde zudem etwas rechtlich Unmögliches gefordert.
III.
In Anbetracht der Höhe der dem Antrag zu Grunde liegenden Forderung und Mangels weiterer Erkenntnisse über das Bestehen weiterer Forderungen gegen die Antragsgegnerin hat das Insolvenzgericht unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit davon abgesehen, einen vorläufigen Insolvenzverwalter zu bestellen, sondern es - zunächst - bei der Bestellung eines Sachverständigen belassen (vgl. MünchKomm/Haarmeyer, InsO, § 21 Rn. 24; FK- InsO/Schmerbach, § 22 Rn. 57).