Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 14.01.2002, Az.: 74 IK 18/00

10%; Abschlag; abschließende Entscheidung; Abzugsfähigkeit; Arbeitseinkommen; Erinnerungsverfahren; Erwerbseinkommen; Forderungspfändung; funktionelle Zuständigkeit; Geldforderung; Herabsetzung; Insolvenzrichter; Insolvenzverfahren; mietfreies Wohnen; Mietfreiheit; Pfändungsfreibetrag; Prozentsatz; Rechtspflegererinnerung; sachliche Zuständigkeit; Unpfändbarkeitsgrenze; Wohnvorteil

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
14.01.2002
Aktenzeichen
74 IK 18/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43726
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Gegen Entscheidungen des Rechtspflegers im Insolvenzverfahren gemäß §§ 850 ff. ZPO ist die Erinnerung gemäß § 11 Abs. 2 RpflG zulässig, über die der Insolvenzrichter abschließend entscheidet.


2. Die Tatsache mietfreien Wohnens ist bei der Ermittlung des Pfändungsfreibetrages gemäß § 850 c ZPO zu berücksichtigen; angemessen ist eine Herabsetzung des Pfändungsfreibetrages um 10 %.


3. Bei überlanger, vom Schuldner nicht zu vertretender Bearbeitungsdauer eines Antrages auf Herabsetzung des pfändbaren Betrages kann es geboten sein, den streitigen Betrag erst mit Wirkung für die Zukunft vom Schuldner einzufordern.

Tenor:

Auf die sofortige Erinnerung des Schuldners hin wird der Beschluß des Rechtspflegers vom 27.07.2001 teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:

Der dem Schuldner monatlich pfandfrei zu belassende Betrag ist von seinem Einkommen zu berechnen. Diesem Betrag sind weitere 125,00 Euro mit Wirkung vom 01.02.2002 hinzuzurechnen.

Die weitergehende sofortige Erinnerung wird zurückgewiesen.

Gründe

1

Aufgrund Antrages des Schuldners vom 03.02.2000 ist am 02.06.2000 über das Vermögen des Schuldners das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet und dem Schuldner Prozeßkostenhilfe einschließlich der Vergütung des Treuhänders bewilligt worden. Mit Beschluß vom 13.03.2001 ist klargestellt worden, dass aus der Insolvenzmasse vorweg zu begleichen sind die Gerichtskosten einschließlich der Vergütung des Treuhänders.

2

Im Bericht vom 04.07.2000 kommt der Treuhänder zu dem Ergebnis, dass unter Berücksichtigung eines Nettoeinkommens von 1.948,26 DM und eines unterhaltspflichtigen Kindes sich ein pfändbarer Betrag von 131,50 DM ergibt. Da der Schuldner mietfrei im Haus seiner Ehefrau wohnt, rechnet der Treuhänder einen Betrag in Höhe von 500,00 DM hinzu, so dass hier ein Gesamtbetrag in Höhe von 631,50 DM ergibt. Der Schuldner hat daraufhin mit Schreiben vom 10.08.2000 beantragt, dass das Insolvenzgericht die Höhe des pfändbaren Betrages festsetzen soll. Der Treuhänder hat darauf mit Schriftsatz vom 18.08.2000 erwidert.

3

Im Schlussbericht vom 11.10.2000 hat der Treuhänder mitgeteilt, dass monatlich ein pfändbarer Betrag von 131,50 DM auf die Hinterlegungsstelle eingezahlt wird. Zu dem aufgrund einer Verfügung vom 19.10.2000 zur Stellungnahme übersandten Antrag des Schuldners vom 10.08.2000 hat eine Gläubigerin mit Schreiben vom 27.10.2000 Stellung genommen, der Schuldner seinerseits hat darauf mit Schreiben vom 17.11.2000 erwidert. Mit Beschluss vom 12.12.2000 ist die Restschuldbefreiung angekündigt und die Wohlverhaltensperiode auf fünf Jahre festgesetzt worden. Der Antrag des Schuldners vom 10.08.2001 ist zunächst nicht weiter bearbeitet worden.

4

Nachdem der Schuldner im Juli 2001 telefonisch nachgefragt hatte, ist dessen Antrag weiter bearbeitet worden. Der Rechtspfleger hat mit Beschluß vom 27.07.2001 beschlossen, dass der dem Schuldner monatlich pfandfrei zugelassene Betrag von seinem Einkommen zu berechnen ist und diesem Betrag weitere 500,00 DM hinzuzurechnen sind. Der Rechtspfleger hat sich der Auffassung des Treuhänders angeschlossen, wonach der mietfrei wohnende Schuldner sich eine fiktive Miete in Höhe von 500,00 DM anrechnen lassen müsse.

5

Gegen den am 31.07.2001 zugestellten Beschluß hat der Schuldner mit Schreiben vom 05.08.2001, bei Gericht eingegangen am 07.08.2001, Rechtsbehelf eingelegt, dem der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat. Nachdem den Gläubigern Gelegenheit zur Stellungnahme eingeräumt worden war, hat das Gericht – Insolvenzrichter – dem Schuldner mit Schreiben vom 27.09.2001 aufgegeben, ergänzende Angaben zu machen. Auf das Schreiben des Schuldners vom 18.10.2001 hin hat der Treuhänder mit Schreiben vom 09.11.2001 mitgeteilt, dass der “fiktive” Mietanteil des Schuldners auf 250,00 DM reduziert werden könne.

6

Der zulässige Rechtsbehelf des Schuldners ist teilweise begründet.

7

Gegen die Entscheidungen des Rechtspflegers gemäß §§ 850 ff ZPO im Insolvenzverfahren ist der Rechtspfleger beim Insolvenzgericht zuständig. Gegen dessen Entscheidung ist gemäß § 11 Abs. 2 RpflG die befristete Erinnerung zulässig, über die der Insolvenzrichter abschließend entscheidet (AG Göttingen ZInsO 2001, 815; ebenso die weitere überwiegende Rechtsprechung, zuletzt OLG Stuttgart in ZI 2001, 52; vgl. FK – InsO/Schmerbach, 3. Auflage, § 6 RZ. 44).

8

Der zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte Rechtsbehelf des Schuldners, dem der Rechtspfleger nicht abgeholfen hat, ist teilweise begründet.

9

Nach der Änderung der Insolvenzordnung zum 01.12.2001 ist auch gesetzlich klargestellt, dass die Vorschriften der §§ 850 ff ZPO – im wesentlichen – auch im Insolvenzverfahren anwendbar sind, worüber das Insolvenzgericht entscheidet (§ 36 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 Satz 1 InsO).

10

Im Rahmen der §§ 850 ff ZPO ist bei einem mietfrei wohnenden Schuldner eine “fiktive” Miete zu berücksichtigen.

11

Die Vorschrift des § 850 e Nr. 3 ZPO ist allerdings nicht anwendbar. Danach sind zu berücksichtigen Naturalleistungen wie z. B. freie Wohnung, die von einem Arbeitgeber geleistet werden. Diese gelten als pfändbares Arbeitseinkommen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, § 850 e RZ. 26).

12

Teilweise wird eine Zusammenrechnung des Arbeitseinkommens mit Sachbezügen, die nicht Dienstleistungsvergütung sind, abgelehnt (OLG Frankfurt, Jur.Büro 1991, 723, 725; JurBüro 1995, 218; Zöller/Stöber aaO). Dieser Auffassung ist allerdings nicht zuzustimmen. § 850 c ZPO gewährt einem berufstätigen Schuldner einen Freibetrag in Form eines unpfändbaren Grundbetrages. In die Bemessung dieses Grundbetrages müssen auch die üblicherweise anfallenden Wohnkosten des Schuldners einfließen. Geschützt ist lediglich das Existenzminimum des Schuldners. Dieser Schutz ist nicht beeinträchtigt, denn der mietfrei wohnende Schuldner kann über den ersparten Mietzins verfügen.

13

Legt man für die Berechnung des Pfändungsfreibetrages einen Anteil von 20 % an Mietkosten zugrunde, so ist bei dem mit seiner berufstätigen und verdienenden Ehefrau zusammenlebende Schuldner ein Betrag von 10 % seines Nettoeinkommens zu berücksichtigen. Bei einem Nettoeinkommen von nunmehr 1.255,72 Euro ergibt sich abgerundet ein Betrag von 125,00 Euro.

14

Sieht man in den Ausführungen des Schuldners in seinem Schreiben vom 10.08.2000 einen Antrag auf Heraufsetzung des pfandfrei zu belassenen Betrages gemäß § 850 f Abs. 1 ZPO, ergibt sich kein anderes Ergebnis. Die gesetzlich nunmehr ab dem 01.12.2001 geregelte Anwendbarkeit des § 850 f Abs. 1 ZPO gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO war auch für den Zeitraum vor dem 01.12.2001 in der Rechtsprechung des erkennenden Gerichtes anerkannt (AG Göttingen ZInsO 2001, 275; AG Göttingen ZInsO 2001, 815). Unter Berücksichtigung des sozialhilferechtlichen Bedarfes des Schuldners und der im Schreiben vom 10.08.2000 Seite 2 angegebenen Kosten mit Ausnahme der Position Lebensunterhalt inklusive Hauskosten ergibt sich ein Betrag in Höhe von ca. 950,00 Euro, der unter dem tatsächlichen Einkommen von 1.255,72 Euro liegt. Auch unter Berücksichtigung des Unterhaltsanspruches des minderjährigen Sohnes des Schuldners und evtl. Nebenkosten für die Wohnung liegt das Einkommen des Schuldners über dem sozialhilferechtlichen Mindestbedarf. Dabei ist zu bemerken, dass die Tatsache des mietfreien Wohnens noch nicht berücksichtigt ist.

15

Im Hinblick auf die lange, vom Schuldner nicht zu vertretende Verfahrensdauer ist im Beschlusstenor klargestellt worden, dass die Tatsache des mietfreien Wohnens bei der Berücksichtigung des pfändbaren Betrages erst ab dem 01.02.2002 zu berücksichtigen ist.