Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.06.2002, Az.: 74 IN 157/02
Antragszurückweisung; Auskunftspflichtverletzung; Eigenantrag; Insolvenzantrag; Insolvenzverfahrenseröffnung; Interessewegfall; Mitwirkungspflichtverletzung; rechtliches Interesse; Rechtsschutzinteresse; Schuldnerantrag; Verfahrensdurchführung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 19.06.2002
- Aktenzeichen
- 74 IN 157/02
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 43935
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 14 Abs 1 InsO
Tenor:
Der Antrag des Schuldners vom 25.04.2002 auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen wird als unzulässig abgewiesen.
Der Antrag auf Stundung wird zurückgewiesen.
Die am 26.04.2002 angeordneten Sicherungsmaßnahmen werden aufgehoben.
Der Schuldner trägt die Kosten des Verfahrens.
Der Gegenstandswert wird festgesetzt auf bis zu 300,00 Euro.
Gründe
Der Schuldner hat Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über sein Vermögen gestellt sowie Restschuldbefreiung und Stundung beantragt.
Maßnahmen der Zwangsvollstreckung sind gem. § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO untersagt und bereits eingeleitet Maßnahmen eingestellt worden mit Ausnahme von unbeweglichen Gegenständen und für vor Erlaß dieses Beschlusses erfolgt Pfändungen von Arbeitseinkommen des Schuldners. Weiter ist ein Sachverständiger beauftragt worden, binnen sechs Wochen ein Gutachten zu erstellen, ob ein Insolvenzgrund vorliegt und eine die Verfahrenskosten deckende Masse vorhanden ist.
Mit Schriftsatz vom 14.06.2002 hat der Sachverständige mitgeteilt, dass sich der Schuldner trotz mehrfacher Aufforderung mit ihm nicht in Verbindung gesetzt und erforderliche Auskünfte erteilt hat.
Er hat angeregt, den Insolvenzantrag abzuweisen, da der Schuldner trotz mehrfacher Aufforderungen sich mit ihm nicht in Verbindung setzte.
Der Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens ist zurückzuweisen.
Der Antrag des Schuldners ist bereits unzulässig.
§ 14 Abs. 1 InsO bestimmt, dass ein Antrag eines Gläubigers nur dann zulässig ist, wenn er ein rechtliches Interesse an der Durchführung des Insolvenzverfahrens hat. Durch das Erfordernis des rechtlichen Interesses sollen u.a. Fälle erfasst und ausgeschieden werden, in denen ein Insolvenzantrag missbräuchlich gestellt wird (FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 28). Diese Voraussetzung ist von Amts wegen bis zur Entscheidung über die Eröffnung zu beachten (MünchKomm-InsO/Schmahl § 14 Rz. 42).
Auch bei einem Eigenantrag des Schuldners auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens muss ein Rechtsschutzinteresse vorliegen (HK-InsO/Kirchhof § 13 Rz. 19). Verneint wird es beispielsweise, wenn der Schuldner den Antrag nur stellt, um eine einstweilige Einstellung der Zwangsvollstreckung gem. § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO zu erlangen (HK-InsO/Kirchhof § 13 Rz. 19; FK-InsO/Schmerbach § 14 Rz. 49c).
Vergleichbar ist die vorliegende Fallgestaltung. Der Schuldner kommt seinen gesetzlichen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten nicht nach. Sein Verhalten kann nur so gedeutet werden, dass er an der Durchführung des von ihm beantragten Verfahrens kein Interesse mehr hat. Damit ist das rechtliche Interesse jedenfalls für die weitere Durchführung des Verfahrens fortgefallen. Der Antrag ist daher unzulässig geworden.
Eine Veranlassung der zwangsweisen Durchsetzung der Auskunftspflichten des Schuldners gem. §§ 20, 98 Abs. 2 InsO sieht das Insolvenzgericht nicht. Es wird allerdings die Auffassung vertreten, vor einer Zurückweisung des Antrages müsse die Anhörung des Schuldners erzwungen werden, wenn sich nur so das Vorliegen des Insolvenzgrundes oder der Masselosigkeit ermitteln lasse (LG Köln NZI 2001, 559 = ZInsO 2001, 1017). Begründet wird dies mit der dem Insolvenzgericht gem. § 5 Abs. 1 Satz 1 InsO obliegenden Amtsermittlungspflicht.
Dem steht bereits entgegen, dass die in § 5 Abs. 1 InsO festgeschriebene Amtsermittlungspflicht erst eingreift, wenn ein zulässiger Antrag vorliegt (MünchKomm-InsO/Ganter § 5 Rz. 13; BK-Goetsch § 5 Rz. 4; für den konkreten Sachverhalt ebenso AG Dresden ZIP 2002, 862). Dies ist hier nicht (mehr) der Fall.
Lediglich hilfsweise ist auf folgendes hinzuweisen:
Die für die Auffassung, die eine Verpflichtung zur zwangsweise Durchsetzung bejaht, angeführten Entscheidungen (vgl. FK-InsO/Schmerbach, 2. Auflage, § 20 Rz. 3) betreffen andere Sachverhalte und sind dem vorliegenden Fall nicht vergleichbar. Es handelte sich um Fremdanträge (LG Göttingen NJW-RR 1996, 639 = ZIP 1996, 144 = EWiR 1996, 271; LG Stendal ZIP 1995, 1106) oder Eigenanträge antragspflichtiger Personen (LG Magdeburg EWiR 1997, 659). Im Gegensatz dazu handelt es sich im vorliegenden Fall um den Eigenantrag einer nicht antragspflichtigen natürlichen Person.
Die vom LG Köln (NZI 2001, 559 = ZInsO 2001, 1017) angeführten Kommentarstellen (Haarmeyer/Wutzke/Förster Handbuch zur InsO, 3/167; Kübler/Prütting/Pape § 20 Rz. 13 a; ohne weitere Ausführungen ebenso HK-InsO/Kirchhoff § 20 Rz. 15) belegen teilweise nicht die Auffassung des LG Köln. Sie nehmen Bezug auf die oben erwähnten Entscheidungen, denen jedoch Fremdanträge oder Eigenanträge antragspflichtiger Personen zugrunde lagen. Soweit Kübler/Prütting/Pape (InsO § 20 Rz. 8a) nunmehr zu der vorliegenden Problematik Stellung nehmen und Gründe des Gläubigerschutzes anführen, kann dem nicht gefolgt werden. Der Gefahr einer Versagung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 5 InsO kann der Schuldner entgehen, indem er den Antrag auf Restschuldbefreiung bei einem Versagungsantrag eines Gläubigers zulässigerweise (vgl. FK-InsO/Ahrens § 287 Rz. 15) zurücknimmt. In einem nachfolgenden Verfahren kann der Verstoß nicht mehr geltend gemacht werden.
Eine Versagung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 4 InsO wegen Verzögerung der Verfahrenseröffnung dürfte in einem nachfolgenden Verfahren nicht in Betracht kommen. Sie setzt nämlich voraus, dass der Schuldner durch eine Täuschung die Gläubiger davon abgehalten hat, die Eröffnung des Insolvenzverfahrens zu beantragen (BT-Drucks. 12/2443 S. 190; FK-InsO/Ahrens § 290 Rz. 37). Hingewirkt werden soll darauf, dass die Insolvenzmasse größer ist als bisher (BT-Drucks. 12/2443 S. 190). Es geht um Fälle, in denen der Schuldner die Einleitung eines Insolvenzverfahrens so lange hinausschiebt, bis nahezu alle verfügbaren Mittel und Vermögensgegenstände verbraucht oder übertragen worden sind (Kübler/Prütting/Wenzel InsO § 290 Rz. 19). Das soll der Fall sein, wenn der Schuldner Forderungen der antragstellenden Gläubiger befriedigt, im übrigen aber seine Schulden nicht mehr bezahlt, sondern weitere nicht erfüllbare Verbindlichkeiten eingeht. Eine Insolvenzantragspflicht für natürliche Personen soll aber keinesfalls geschaffen werden (Pape/Uhlenbruck Insolvenzrecht Rz. 961). Von dieser sog. "aktiven Verfahrensverzögerung" kann bei Anträgen von Schuldnern, die zugleich einen Stundungsantrag gestellt haben, nicht die Rede sein.
Eines konkreten Hinweises durch das Insolvenzgericht an den Schuldner bedarf es nicht (a.A. LG Köln NZI 2001, 559, 560 = ZInsO 2001, 1017). Es genügt, dass der Schuldner sich trotz mehrfacher Aufforderung mit dem Sachverständigen nicht in Verbindung gesetzt hat. Eine unzulässige Verlagerung der Entscheidungskompetenz auf den Sachverständigen liegt darin nicht (a.A. LG Köln NZI 2001, 559, 560 = ZInsO 2001, 1017). Der Schuldner ist nämlich seinen Mitwirkungs- und Auskunftspflichten nicht nachgekommen. Diese Pflichten obliegen dem Schuldner nicht nur gegenüber dem Insolvenzgericht, sondern auch und gerade gegenüber einem vom Insolvenzgericht mit der Ermittlung beauftragten Sachverständigen.
Folglich ist der Antrag als unzulässig abzuweisen. Damit wird auch die Einheit der Insolvenzordnung gewahrt. Im Verbraucherinsolvenzverfahren gilt der Antrag eines Schuldners gem. § 305 Abs. 3 InsO als zurückgenommen, wenn er nach einer gerichtlichen Aufforderung nicht die in § 305 Abs. 1 InsO genannten Unterlagen (vollständig) vorlegt. Von der teilweise zufälligen Einordnung z.B. eines ehemals selbständig wirtschaftlich tätigen Schuldners in das Regel- oder Verbraucherinsolvenzverfahren sollte bei Nichtvorlage von Unterlagen der Verfahrensgang aber nicht abhängen. Es würde sogar zu einer nicht gerechtfertigten Benachteiligung der Schuldner im Verbraucherinsolvenzverfahren kommen, bei denen ein Antrag als zurückgenommen gilt, während beim Regelinsolvenzverfahren Sachverständiger und Gericht den Schuldner zur Auskunft auffordern und dies zwangsweise durchsetzen müssten. Ob jedenfalls ein Haftbefehl gegen einen derartigen Schuldner noch verhältnismäßig wäre, erscheint dabei zweifelhaft.
Hinzu kommt, dass im vorliegenden Fall der auch der Antrag des Schuldners auf Stundung abgewiesen werden muß (s. u. II a). Damit sind die Voraussetzungen für die Durchführung des Insolvenzverfahrens entfallen, das erkennbar in Anbetracht des die Massekosten nicht abdeckenden Vermögens des Schuldners nur bei Bewilligung der Stundung durchgeführt werden sollte.
II a. Ebenso ist der Antrag des Schuldners auf Stundung zurückzuweisen.
§ 4 a Abs. 1 InsO macht die Stundung der Verfahrenskosten nur davon abhängig, dass ein Antrag auf Restschuldbefreiung gestellt ist, keiner der Versagungsgründe des § 290 Abs. 1 Nr. 1 und 3 InsO vorliegt und das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, um die Verfahrenskosten zu decken. Ob und in welchem Umfang die Frage der Zulässigkeit eines Antrages Einfluß auf eine Stundungsentscheidung gem. § 4 a Abs. 1 InsO haben kann, kann im vorliegenden Fall dahinstehen. Das Insolvenzgericht ist nämlich nicht davon überzeugt, dass das Vermögen des Schuldners voraussichtlich nicht ausreichen wird, die Verfahrenskosten zu decken.
Weiter hat das Insolvenzgericht die angeordnete Untersagung bzw. einstweilige Einstellung von Zwangsvollstreckungsmaßnahmen gem. § 21 Abs. 2 Nr. 3 InsO aufgehoben, derentwegen der Antrag möglicherweise nur gestellt wurde.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 4 InsO i.V.m. § 91 ZPO.
Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 37 Abs. 1 GKG. Da keine greifbaren Anhaltspunkte für den Wert bestehen, hat das Gericht die Mindestgebühr von 300,00 Euro festgesetzt (siehe zur vergleichbaren Situation im Rahmen des § 37 Abs. 2 GKGFK-InsO/Schmerbach § 13 Rz. 63).