Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 19.02.2002, Az.: 74 IK 175/00

Aktenversendung im laufenden Insolvenzverfahren; Beschwerdemöglichkeit bei Ablehnung der Akteneinsicht; Aufnahme eines Studiums als Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
19.02.2002
Aktenzeichen
74 IK 175/00
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28691
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2002:0219.74IK175.00.0A

Fundstellen

  • NZI 2002, 5
  • NZI 2002, 37
  • ZInsO 2002, 385-386 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZVI 2002, 81-82

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Im laufenden Insolvenzverfahren kommt eine Aktenversendung auch an ein auswärtiges Insolvenzgericht grundsätzlich nicht in Betracht. Deis gilt auch dann, wenn ein Versagungsantrag eines Gläubigers gemäß § 290 InsO zu befinden ist.

  2. 2.

    Bei Ablehnung der Akteneinsicht steht dem Gläubiger dei Beschwerdemöglichkeit gemäß §§ 567 ff. ZPO zu.

  3. 3.

    Nimmt eine Schuldnerin nach Erlangung der allgemeinen Hochschulreife ein Studium auf, scheidet ein Verstoß gegen die Erwerbsobliegenheit des § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO jedenfalls solange aus, wie das Studium im zeitlich üblichen Rahmen durchgeführt wird.

Tenor:

Der Antrag der Gläubiger St. auf Verlängerung der Beschwerdefrist wird abgelehnt.

Der sofortigen Beschwerde vom 21.01.2002 gegen den Beschluss vom 10.01.2002 wird nicht abgeholfen.

Die Akten werden dem Landgericht Göttingen zur Entscheidung vorgelegt.

Gründe

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Über das Vermögen der Schuldnerin ist am 21.12.2000 das Verbraucherinsolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Beschluss vom 25.10.2001 hat der Rechtspfleger das schriftliche Verfahren u.a. zur Erörterung des Antrages auf Restschuldbefreiung angeordnet. Den Gläubigern ist aufgegeben worden, Einwendungen u.a. gegen die Ankündigung der Restschuldbefreiung bis zum 01.01.2002, eine Woche vor dem auf den 08.01.2002 anberaumten Schlusstermin, vorzubringen. Der Beschluss ist öffentlich bekannt gemacht worden. Mit Anwaltsschriftsatz vom 06.01.2002, per Fax eingegangen am 07.01.2002 um 9:40 Uhr beim Insolvenzgericht, haben die Gläubiger die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Zur Begründung haben sie ausgeführt, die im Jahre

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1977 geborene Schuldnerin handele unredlich, da sie zurzeit eine Ausbildung absolviere. Entweder müsse die Schuldnerin einer bezahlten Arbeit nachgehen oder sie dürfe die Wohlverhaltensperiode erst zu dem Zeitpunkt beginnen, zu dem sie auch über Einkommen verfüge.

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Der Rechtspfleger hat mit Verfügung vom 08.01.2002 die Akten dem Insolvenzrichter vorgelegt. Mit Beschluss vom 10.01.2002 ist der Antrag zurückgewiesen worden, da die Gläubiger keine Tatsachen dargelegt und glaubhaft gemacht haben, aus denen ein Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 InsO folgt. Mit Beschluss vom 11.01.2002 hat der Rechtspfleger daraufhin die Restschuldbefreiung angekündigt.

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Gegen den am 14.01.2002 zugestellten Beschluss hat der

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Verfahrensbevollmächtigte der Gläubiger mit Schriftsatz vom 21.01.2002, bei Gericht eingegangen am 22.01.2002, Rechtsmittel eingelegt und die Begründung in einem gesonderten Schriftsatz angekündigt. Weiter hat er Übersendung der Akten oder Einsicht in die Akten beim Insolvenzgericht Braunschweig beantragt. Mit Schreiben vom 24.01.2002, abgesandt am 28.01.2002, hat das Insolvenzgericht eine Frist zur Begründung des Rechtsbehelfes bis zum 18.02.2002 gesetzt. Ferner hat es darauf hingewiesen, dass eine Aktenversendung während des laufenden Verfahrens nicht in Betracht kommt und eine Einsichtmöglichkeit nur auf der Geschäftsstelle des Insolvenzgerichtes Göttingen besteht. Mit Schriftsatz vom 12.02.2002, bei Gericht eingegangen am 13.02.2002, hat der Verfahrensbevollmächtigte Akteneinsicht über das Insolvenzgericht Braunschweig beantragt. Er vertritt die Auffassung, es handele sich nicht um ein laufendes Verfahren, da bereits Schlusstermin stattgefunden habe. Weiter rügt er die Verletzung rechtlichen Gehöres. Er wirft die Frage auf, wie die Gläubiger Tatsachen vortragen könnten, wenn ihnen nicht die Akten zur Einsichtnahme zur Verfügung gestellt würden. Weiterhin hat der Gläubigervertreter Verlängerung der Begründungsfrist beantragt. Abschließend hat er ausgeführt, bei Nichtgewährung der Akteneinsicht bitte er die Eingabe als

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Dienstaufsichtsbeschwerde anzusehen und die Akten dem zuständigen Direktor des Amtsgerichts zur Entscheidung vorzulegen.

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Das Insolvenzgericht hat die Fristverlängerung abgelehnt, der sofortigen Beschwerde nicht abgeholfen und die Akten dem Landgericht Göttingen zur Entscheidung vorgelegt.

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Die zulässige sofortige Beschwerde ist unbegründet.

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Es kann dahingestellt bleiben, ob ein zulässiger Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung vorliegt, da der Antrag erst nach Ablauf der zum 01.01.2002 gesetzten Frist am 07.01.2002 beim Insolvenzgericht einging. Der Antrag ist jedenfalls unbegründet. Die im Schriftsatz vom 06.01.2002 vorgetragenen Tatsachen begründen keinen Versagungsgrund gemäß § 290 Abs. 1 InsO. Sie könnten allenfalls einen Versagungsgrund gemäß § 295 Abs. 1 Nr. 1 InsO begründen. Dieser Versagungsgrund kann jedoch erst während der Laufzeit der Restschuldbefreiung geltend gemacht werden. Vorsorglich weist das Insolvenzgericht daraufhin, dass erhebliche Zweifel bestehen, ob dieser Versagungsgrund vorliegt. Die am 01.04.1977 geborene Schuldnerin schloss am 24.06.1998 ihre Schulausbildung mit allgemeinen Hochschulreife ab und studiert seit dem Wintersemester 1998/1999 an der Universität Göttingen Rechtswissenschaften. Sie erhält BaFöG in Höhe von 665,00 DM. Der Forderungsbestand in Höhe von circa 22.000,00 DM erklärt sich aus einer Mithaft der Schuldnerinfür den Gewerbebetrieb ihres Vaters. Bei dieser Sachlage dürfte voneiner Erwerbsobliegenheit der Schuldnerin solange nicht auszugehen sein, wiesie ihrem Studium jedenfalls im zeitlich angemessenen Rahmen nachgeht. Zubedenken ist auch, dass die Schuldnerin bei erfolgreichem Abschluss des Studiumsmittelfristig ein höheres Einkommen erzielen kann als bei Aufnahme einer Erwerbstätigkeit als ungelernte Kraft.

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Der Antrag auf Fristverlängerung war abzulehnen gemäß § 4 InsO i.V.m. § 224 Abs. 2 ZPO. Das Insolvenzgerichthat den Gläubigern mit Verfügung vom 24.01.2002, abgesandt am 28.01.2002, eine Frist zur Begründung des Rechtsbehelfes bis zum 18.02.2002 gesetzt. DasInsolvenzgericht ist befugt, dem Beschwerdeführer eine Frist zur Begründung der Beschwerde zu setzen (FK-lnsO/Schmerbach, § 6 Rz.14). Die den Gläubigern eingeräumte Frist von mehr als zwei Wochen ist als angemessen anzusehen.

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Dem Gläubigervertretersteht ein Anspruch auf Akteneinsicht in seinem Büro oder im Wege der Rechtshilfebeim Insolvenzgericht Braunschweig nicht zu. Es ist anerkannt, dass im laufenden Verfahrendie Akten nicht versandt werden, eine Einsichtnahme vielmehr nur auf derGeschäftssteile erfolgt; etwas anderes gilt nur im abgeschlossen Verfahren (FK-lnsO/Schmerbach § 4 Rz. 74). Entgegen der Auffassung des Verfahrensbevollmächtigtender Gläubiger handelt es sich um ein laufendes Verfahren. DieTatsache, dass ein Schlusstermin stattgefunden hat, steht dem nicht entgegen. Das Verfahrenist noch nicht beendet. Der Rechtspfleger hat inzwischen die Restschuldbefreiung angekündigt, weiter ist über den Rechtsbehelf des Gläubigervertreters gegendie Ablehnung der Versagung der Restschuldbefreiung zu befinden. Im Übrigen sindkeine Gründe ersichtlich und vorgetragen, die ausnahmsweise eine andere Verfahrenshandhabung rechtfertigen würden. Der Gläubigervertreter hat nicht erklärt, unter welchem konkreten Gesichtspunkt er Akteneinsicht beantragt. Insoweit hätten ihm ohne weiteres Ablichtungen übersandt werden können.

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Zu dem Antrag auf Vorlage der Akten wegen Dienstaufsichtsbeschwerde an den Direktor des Amtsgerichtes merkt das Insolvenzgericht Folgendes an; Bei dem Verfahren um Versagung der Restschuldbefreiung gemäß § 290 InsO handelt es sich um ein quasi streitiges Parteiverfahren. Gläubiger und Schuldner stehen sich gegenüber wie Parteien in einem Zivilverfahren. Anträge auf Akteneinsicht sind zu behandeln gemäß § 4 InsO i.V.m. § 299 Abs. 1 InsO. Als Rechtsbehelf steht den Parteien die Beschwerdemöglichkeit zur Verfügung (Zöller/Greger, ZPO, § 299 Rz. 5 a; FK-lnsO/Schmerbach § 4 Rz. 76).

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Sofern die Gläubiger die Dienstaufsichtsbeschwerde weiterverfolgen, werden die Akten nach Abschluss des Beschwerdeverfahrens dem - unzuständigen - Direktor des Amtsgerichtes vorgelegt werden.

Schmerbach, Richter am Amtsgericht