Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 16.08.2002, Az.: 74 IN 200/01

Entschädigungsanspruch; Insolvenzantragsverfahren; Insolvenzeröffnungsverfahren; Insolvenzgutachter; insolvenzrechtlicher Sachverständiger; Insolvenzverfahren; laufender Geschäftsbetrieb; Qualifikation; Sachverständigenentschädigung; Stundensatz; Universitätsprofessor; Unternehmensfortführung; vorläufiger Insolvenzverwalter

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
16.08.2002
Aktenzeichen
74 IN 200/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 43719
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

1. Bei laufenden Geschäftsbetrieb kann der insolvenzrechtliche Sachverständige regelmäßig einen Stundensatz von 50,00 EUR beanspruchen.

2. Der gem. § 3 Abs. 3 Satz 1 b ZSEG zu bewilligende Aufschlag beläuft sich auf 50 %.

Tenor:

In dem Insolvenzantragsverfahren ... werden die dem Sachverständigen zu erstattenden Kosten festgesetzt auf 1.212,36 EUR.

Gründe

1

Wegen Abgabenrückständen in Höhe von ca. 60.000,00 DM hat das Finanzamt C. am 7. September 2001 gegen die Antragsgegnerin einen Insolvenzantrag gestellt. Im Hinblick auf das Verhalten der Antragsgegnerin in früheren Verfahren hat das Gericht mit Beschluss vom 12. September 2001 einen vorläufigen Insolvenzverwalter bestellt, einen allgemeinen Zustimmungsvorbehalt angeordnet, eine Postsperre verhängt und den vorläufigen Insolvenzverwalter als Sachverständigen beauftragt, zu prüfen, ob ein Eröffnungsgrund vorliegt sowie welche Aussichten für eine Fortführung des Unternehmens bestehen. Zu einem auf Anregung des Sachverständigen anberaumten Anhörungstermin ist nicht der Geschäftsführer der Antragsgegnerin, sondern dessen Vater erschienen. In einem Zwischenbericht vom 16. Januar 2002 hat der Sachverständige mitgeteilt, das noch weitere Recherchen notwendig sind. Zu einem weiteren auf seinen Antrag hin anberaumten Anhörungstermin ist der Geschäftsführer der Antragsgegnerin nicht erschienen. Am 22. Februar 2002 ist Haftbefehl ergangen sowie ein Durchsuchungsbeschluss hinsichtlich der Räumlichkeiten der Antragsgegnerin. In dem 13seitigen Abschlussgutachten vom 7. Juni 2002 hat der Sachverständige empfohlen, den Insolvenzantrag abzuweisen. Hinsichtlich vorhandener Vermögensgegenstände hat er sich u.a. mit dem Vorhandensein von Aussonderungsrechten und der Werthaltigkeit bzw. Durchsetzbarkeit von Ansprüchen auseinandergesetzt. Mit Beschluss vom 13. Juni 2002 ist der Antrag mangels Masse abgewiesen worden.

2

Im Antrag vom 7. Juni 2002 hat der Sachverständige für die Erstellung des Gutachtens u.a. 12 Stunden á 50 EUR zzgl. eines Zuschlages von 50 % gem. § 3 Abs. 3 b ZSEG in Rechnung gestellt. In einer ergänzenden Stellungnahme hat der Sachverständige darauf hingewiesen, dass der vorliegende Fall von überdurchschnittlichen Schwierigkeiten geprägt war, u.a. Zwangsmaßnahmen wie die Durchsuchung der Büroräumlichkeiten. Darüber hinaus seien durch die Antragsgegnerin, die ein Fuhrunternehmen betreibt, die Fahrzeuge noch vor Einleitung des Insolvenzantragsverfahrens in das Ausland verbracht worden. Zu der vorliegenden Auslandsrechtsbeziehung sei hinzugetreten, dass wegen eines Fahrzeuges beim internationalen Schiedsgericht der Wirtschaftskammer Österreich in Wien eine Schiedsklage anhängig war, in deren Zusammenhang die Rechte am Fahrzeug zu prüfen waren.

3

Die Akten sind dem Bezirksrevisor beim Landgericht mit einer Ablichtung der Entscheidung des AG Kassel vom 14. Juni 2002 (ZinsO 2002, 624) vorgelegt worden, in der einem Sachverständigen ein Stundensatz von 52,00 EUR zugesprochen wurde. Der Bezirksrevisor weist in seiner Stellungnahme darauf hin, dass der beantragte Stundensatz nur 2,00 EUR unter dem Höchstsatz liegt. Stundensätze in diesem Bereich sollten außerordentlich schwierigen Gutachten von Universitätsprofessoren und ähnlich qualifizierten Sachverständigen vorbehalten bleiben. Der Bezirksrevisor hält einen Stundensatz von 45,00 EUR für angemessen und weist darauf hin, das Rechtsanwälte als Betreuer beispielsweise nur 30,00 EUR pro Stunde erhalten. Hinsichtlich des Erhöhungsantrages gem. § 3 Abs. 3 b ZSEG bittet der Bezirksrevisor bei der vom Gericht vorzunehmenden Bewertung zu prüfen, ob auch eine 25 %ige Erhöhung angemessen ist.

4

Gem. § 16 Abs. 1 Satz 1 ZSEG war die dem Sachverständigen zu gewährende Entschädigung durch gerichtlichen Beschluss festzusetzen. Im vorliegenden Fall hält das Insolvenzgericht einen Stundensatz von 50,00 EUR zzgl. eines 50 %igen Zuschlages gem. § 3 ZSEG für angemessen.

5

Gem. § 3 Abs. 2 ZSEG beträgt die Entschädigung eines Sachverständigen für jede Stunden zwischen 25,00 und 52,00 EUR. Für die Bemessung sind u.a. der Grad der erforderlichen Fachkenntnisse, die Schwierigkeit der Leistung und die besonderen Umstände maßgebend, unter denen das Gutachten zur erarbeiten war. Im vorliegenden Fall hält das Insolvenzgericht einen Stundensatz von 50,00 EUR für angemessen aufgrund der nachfolgenden Erwägungen.

6

Bei der Erstellung eines Gutachtens in einem Insolvenzverfahren sind besondere Fachkenntnisse erforderlich auf den Gebieten des Insolvenzrechtes, Handels- und Gesellschaftsrechtes, Arbeitsrechtes und weiterer Gebiete. Daneben muss der Sachverständige über Kenntnisse von wirtschaftlichen Zusammenhängen verfügen und in der Lage sein, die sich für die Erstellung des Gutachtens erforderlichen Tatsachen über einen längeren Zeitraum hinaus oder zur Zuhilfenahme von Zwangsmitteln aus mehreren Quellen zu besorgen. Hinzu kommt, dass der Sachverständige bei laufendem Geschäftsbetrieb unter besonderem Zeitdruck steht. Ferner muss der Sachverständige häufig bereits während des Eröffnungsverfahrens Überprüfungen und ggf. erforderlich Weichenstellungen vornehmen für die Fortführung des Geschäftsbetriebes auch nach Eröffnung.

7

Die rechtfertigt es, dem Sachverständigen jedenfalls bei laufenden Geschäftsbetrieb regelmäßig einen Stundensatz von 50,00 EUR zuzuerkennen. Nicht erforderlich dafür ist, das sämtliche der oben aufgezählten Faktoren vorliegen. Es genügt vielmehr, dass nur einige dieser Faktoren vorliegen. So wird sie z.B. im vorliegenden Fall der fehlende arbeitsrechtliche Aspekt aufgewogen durch die Befassung mit Fragen des internationalen Rechtes.

8

Entgegen der Auffassung des Bezirksrevisors ist daher ein Stundensatz von 50,00 EUR nicht "außerordentlich schwierigen Gutachten von Universitätsprofessoren und ähnlich qualifizierten Sachverständigen" vorzubehalten. Hinsichtlich der Qualifikation eines versierten Insolvenzgutachters und eines Universitätsprofessors vermag das Gericht keinen Unterschied zu erkennen. Vielmehr ist ein versierter Insolvenzgutachter ohne weiteres als einem Universitätsprofessor ähnlich qualifizierter Sachverständiger anzusehen. In diesem Zusammenhang ist auch zu bedenken, das Universitätsprofessoren Gutachten unter Zuhilfenahme eines Mitarbeiterstammes erstatten. Ein Insolvenzgutachter ist auf ähnlicher Weise auf einen qualifizierten Mitarbeiterstamm angewiesen, den er zu bezahlen hat.

9

Weiter ist dem Sachverständigen gem. § 3 Abs. 3 Satz 1 b nach billigem Ermessen ein Zuschlag von 50 % zu gewähren.

10

Gerichtsbekanntermaßen erzielt der Sachverständige seine Berufseinkünfte zumindest 70 % durch seine Tätigkeit in Insolvenzsachen. Zutreffend weist das LG Potsdam (ZinsO 2002, 322, 323) darauf hin, dass eine Überschreitung der Entschädigungssätze um volle 50 % bereits dann gerechtfertigt ist, wenn gleiche Leistungen durch private Auftraggeber üblicherweise erheblich höher als mit dem um 50 % erhöhtem Stundensatz nach § 3 Abs. 2 ZSEG vergütet werden. Das ist bei einer beratenden Tätigkeit eines in Insolvenzsachen erfahrenen Sachverständigen der Fall. Zudem ist davon auszugehen, dass ein Stundensatz von ca. 400,00 - 600,00 DM den wirtschaftlichen Verhältnissen entsprechen dürfte (LG Potsdam a.A. O.).

11

Folglich wird dem Sachverständigen für seine Tätigkeit nach Maßgabe des § 11 Abs. 2 InsVV eine gesonderte Sachverständigenvergütung in der oben zuerkannten Höhe zu.