Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 13.11.2002, Az.: 74 IK 38/00
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an einen Schuldenbereinigungsplan
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 13.11.2002
- Aktenzeichen
- 74 IK 38/00
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28936
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2002:1113.74IK38.00.0A
Rechtsgrundlagen
- § 287 Abs. 2 S. 2 InsO
- § 289 Abs. 2 S. 1 InsO
- § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO
- § 309 InsO
Fundstellen
- DZWIR 2003, 41-42 (Volltext)
- Rpfleger 2003, 117-118 (Volltext mit red. LS)
- ZInsO 2002, 1150-1152 (Volltext mit amtl. LS)
- ZVI (Beilage) 2004, 36 (amtl. Leitsatz)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Übersieht der Rechtspfleger einen zulässigen Antrag auf Versagung der Restschuldbefreiung und erteilt er die Restschuldbefreiung, so ist es im Hinblick auf den Richtervorbehalt in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RpflG geboten, dass der Richter die Entscheidung über die sofortige Erinnerung (§ 11 Abs. 1 RpflG) gem. § 18 Abs. 2 RpflG an sich zieht.
- 2.
Die Nichtangabe eines Gläubigers erfüllt regelmäßig den objektiven Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO. Eine spätere Korrektur im weiteren Verlauf des Verfahrens ist grundsätzlich nicht möglich und führt zu einer Versagung der Restschuldbefreiung, wenn die subjektiven Voraussetzungen (Vorsatz oder grobe Fahrlässigkeit) erfüllt sind.
- 3.
Im Rahmen der Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO muss sich die Schuldnerin ein etwaiges Fehlverhalten ihres Verfahrensbevollmächtigten und deren Mitarbeitern (hier: Nichtangabe eines Gläubigers) zurechnen lassen.
- 4.
Es bleibt dahingestellt, ob die Nichtangabe einer Abtretung im Hinblick auf § 114 Abs. 1 InsO den Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO i.V.m. § 305 Abs. 1 Nr. 3, 4 InsO erfüllt.
Gründe
Die Schuldnerin hat am 10. 3.2000 Antrag auf Eröffnung des Insolvenzverfahrens über ihr Vermögen gestellt. Die Schuldnerin hat unter Hinweis auf die Versagungsmöglichkeit des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO die Richtigkeit und Vollständigkeit der in den beigefügten Anlagen enthaltenen Angaben und Erklärungen versichert. Dem Antrag beigefügt waren ein Gläubiger- und Forderungsverzeichnis sowie eine Erklärung über bereits bestehende Abtretungen und Verpfändungen gem. § 287 Abs. 2 Satz 2 InsO. Das Gläubiger- und Forderungsverzeichnis weist die laufenden Nummern 1-23 auf, wobei allerdings nur 17 Gläubiger vorhanden sind. In der Erklärung für bereits bestehende Abtretungen und Verpfändungen sind die Gläubiger Nr. 22 und 23 aufgeführt. In dem gleichzeitig vorgelegten Vermögensverzeichnis hat die Schuldnerin Grundbesitz aufgeführt. Im Verlauf des Verfahrens hat die Schuldnerin einen geänderten Schuldenbereinigungsplan vorgelegt, in dem sie an den Gläubiger Nr. 24 mit einer Forderung i.H.v. 216.562,18 DM aufgenommen hat. Ergänzend hat die Schuldnerin ausgeführt, dass sie zwischenzeitlich ihren Grundbesitz veräußert und das sich unter Verrechnung des Verkaufserlöses die bislang nicht mitgeteilte Forderung der Gläubigerin Nr. 24 auf den oben erwähnten Betrag reduziert habe.
Den Antrag der Schuldnerin auf Zustimmungsersetzung hat das AG Göttingen mit Beschl. v. 12.12.2000 zurückgewiesen. Das LG Göttingen hat diese Entscheidung mit Beschl. v. 8.1.2001 (10 T 162/00) bestätigt. Das LG hat ausgeführt, eine Ersetzung der Zustimmung gem. § 309 InsO komme nicht in Betracht, denn die widersprechende Gläubigerin Nr. 21 würde bei der Durchführung des Schuldenbereinigungsplanes voraussichtlich wirtschaftlich schlechter gestellt als bei Durchführung des Insolvenzverfahrens. Die Schuldnerin habe die Gläubigerin Nr. 24 erstmals in dem im Beschwerdeverfahren vorgelegten überarbeiteten Schuldenbereinigungsplan aufgenommen, obwohl diese Gläubigerin bereits bei Antragstellung am 10.3.2000 vorhanden gewesen sein müsse. Die Schuldnerin habe nicht vorgetragen, wie hoch die Forderung der Gläubigerin bei Antragstellung gewesen und wie hoch der Verkaufserlös aus der Veräußerung des Grundbesitzes gewesen sei. Weiter sei auch zu berücksichtigen, dass im Falle der Durchführung des Insolvenzverfahrens die Versagung der Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO in Betracht komme, denn die Schuldnerin habe in dem mit der Antragstellung vorgelegten Gläubigerverzeichnis zumindest grob fahrlässig unrichtige und unvollständige Angaben gemacht. Die Schuldnerin hätte die Gläubigerin Nr. 24, die die höchste Forderung gegen die Schuldnerin besaß, auf jeden Fall aufführen müssen, denn die Berücksichtigung dieser Gläubigerin führe zu einer Veränderung der Quote.
Mit Beschl. v. 19.2.2001 ist daraufhin das Insolvenzverfahren eröffnet worden. Mit Beschl. v. 7.1.2002 hat der Rechtspfleger Schlusstermin im schriftlichen Verfahren anberaumt und u.a. eine Frist gesetzt zur Erörterung des Antrages der Schuldnerin auf Restschuldbefreiung. Mit Schreiben v. 17.1.2002 hat die Gläubigerin Nr. 23 unter Hinweis auf die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Ziff. 6 InsO die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt. Mit Beschl. v. 14.8.2002 wird Restschuldbefreiung angekündigt worden. Dagegen hat die Gläubigerin Nr. 23 sofortige Beschwerde eingelegt unter Hinblick auf den im Schreiben v. 17.1.2002 gestellten Versagungsantrag. Die Gläubigerin Nr. 23 beruft sich darauf, dass die Gläubigerin Nr. 24 im ursprünglich eingereichten Gläubiger- und Forderungsverzeichnis nicht enthalten sei. Weiter sei die dem Arbeitgeber der Schuldnerin offengelegte Abtretung der Gläubiger Nr. 24 bei Antragstellung verschwiegen worden.
Die Schuldnerin beruft sich darauf, aufgrund eines Büroversehens ihres Verfahrensbevollmächtigten sei ein Schuldenbereinigungsplan ohne Aufnahme der Gläubigerin Nr. 24 dem Gericht übersandt worden. Von einer groben Fahrlässigkeit könne jedenfalls nicht ausgegangen werden. Zudem erscheine es fraglich, ob die Gläubigerin Nr. 23 den Versagungsantrag stellen könne. Das Einkommens- und Vermögensverzeichnis sei korrekt gewesen, das unvollständige Gläubiger- und Forderungsverzeichnis habe dazu geführt, dass die übrigen Gläubiger sogar begünstigt worden wären, da sich eine höhere Zahlungsquote ergeben hätte. Eine Benachteiligung scheide auch aus, da der Fehler spätestens im Juli 2000 korrigiert worden sei.
Hinsichtlich der offengelegten Abtretung an die Gläubigerin Nr. 24 sei sie aufgrund der Gehaltsmitteilung davon ausgegangen, dass der Betrag nicht abgetreten, sondern gepfändet sei. Die in diesem Zusammenhang vorgelegte Gehaltsmitteilung für Januar 2000 weist u.a. folgende Zeile auf: "Pfändung_Abtr. 2.240,98".
Der zulässige Rechtsbehelf ist begründet.
Gegen den Beschluss, in dem die Restschuldbefreiung angekündigt wird, steht jedem Insolvenzgläubiger, der die Versagung der Restschuldbefreiung beantragt hat, die sofortige Beschwerde zu (§ 289 Abs. 2 Satz 1 InsO). Ist die Entscheidung vom Rechtspfleger getroffen worden, ist gem. § 11 Abs. 1 RPflG die sofortige Erinnerung gegeben. In diesem Zusammenhang muss der Rechtspfleger auch über eine Abhilfe des angefochtenen Beschlusses entscheiden. Im vorliegenden Fall kann der Rechtspfleger in der Sache wegen des Richtervorbehaltes in § 18 Abs. 1 Nr. 2 RPflG jedoch nicht entscheidend. Deshalb hat der Richter gem. § 18 Abs. 2 RPflG das Verfahren an sich gezogen. Gegen eine im Rahmen der Abhilfe erfolgende Abänderung der Entscheidung durch den Richter steht der Schuldnerin ihrerseits das Rechtsmittel der sofortigen Beschwerde zu (vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 6 Rn. 18; MünchKomm/Ganter, InsO, § 6 Rn. 49).
In der Sache ist auf die zulässige, insbesondere fristgerecht eingelegte sofortige Erinnerung der Gläubigerin Nr. 23 der Beschluss der Rechtspflegerin aufzuheben und die beantragte Restschuldbefreiung gem. § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO zu versagen.
Die Schuldnerin hat in den nach § 305 Abs. 1 Nr. 3 InsO vorzulegenden Verzeichnissen zumindest grob fahrlässig unrichtige bzw. unvollständige Angaben gemacht. Das bei Antragstellung eingereichte Gläubigerverzeichnis wies nicht die Gläubigerin Nr. 24 auf, die mehr als die Hälfte der Gesamtforderung hielt. Damit liegt - wie auch die Schuldnerin einräumt - der objektive Tatbestand des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO vor. Darüber hinaus ist das Verhalten auch als zumindestens grob fahrlässig zu bewerten. Unter Hinweis auf die Gefahr der Versagung der Restschuldbefreiung hat die Schuldnerin am 10.3.2000 die Richtigkeit und Vollständigkeit der in den beigefügten Anlagen enthaltenen Anlagen und Erklärungen versichert. Der Schriftsatz ihres Verfahrensbevollmächtigten trägt ebenfalls das Datum des 10.3.2000. Es ist daher davon auszugehen, dass es der Schuldnerin durchaus möglich war, dass Gläubiger- und Forderungsverzeichnis einzusehen und zu überprüfen. Das Fehlen einer Forderung von ca. 240.000 DM hätte ihr sofort gleichsam ins Auge springen müssen. Sofern die Schuldnerin eine Kontrolle nicht vornahm, kann dahinstehen, ob dieses Verhalten als grob fahrlässig zu bewerten ist. Jedenfalls ist das Verhalten ihres Verfahrensbevollmächtigten als grob fahrlässig zu bewerten. Dessen Aufgaben war es jedenfalls, sich Absendung des Antrages von der Richtigkeit und Vollständigkeit der eingereichten Unterlagen zu überzeugen. Unerheblich ist es daher, ob es sich um einen Fehler beim Ausdruck aus dem Computer handelt, wie im Schriftsatz v. 29.6.2000 anklingt.
Die Schuldnerin muss sich das Verhalten ihres Verfahrensbevollmächtigten auch zurechnen lassen. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Schuldnerin eigenhändig eine Versicherung unterschrieben hat, wonach die von ihr gemachten Angaben richtig und vollständig sind (AG Göttingen, ZInsO 2002, 544, 545)[AG Göttingen 21.05.2002 - 74 IK 154/00]. Dies gilt auch, sofern es sich um etwaige Fehler von Mitarbeitern des Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin handelt.
Rechtlich unerheblich ist es, ob die Angaben über die Gläubigerin Nr. 24 im Verlaufe des Verfahrens nachgeliefert wurden. Die Vorschrift des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO erfordert nicht, dass es zu einer konkreten Vermögenseinbuße bei Gläubigern gekommen ist etwa nach Annahme eines Schuldenbereinigungsplanes gem. § 308 oder § 309 InsO. Auch die im Rahmen des § 290 Abs. 1 Nr. 6 InsO verschiedentlich für anwendbar gehaltene Wesentlichkeitsgrenze (vgl. FK-InsO/Ahrens, § 290 Rn. 54) steht dem nicht entgegen. Eine Beeinträchtigung der Befriedigungsaussichten der Gläubiger mag nicht eintreten, wenn der Schuldner einen Teil seines Einkommens verheimlicht, aber gleichwohl unpfändbar bleibt. Im vorliegenden Fall war das Verhalten der Schuldnerin aber geeignet, die Befriedigungsaussichten der Gläubiger zu beeinträchtigen. Die Gläubiger hatten in Wirklichkeit Anspruch auf eine wesentlich geringere Quote an dem z.Zt. der Antragstellung pfändbaren Vermögensanteil von 2.935,71 DM (laut Schuldenbereinigungsplan). Daher verfängt auch nicht die Argumentation des Verfahrensbevollmächtigten der Schuldnerin, eine Benachteiligung sei deshalb nicht eingetreten, weil eine zu geringe Forderung der Gläubiger angegeben worden sei. Durch Nichtangabe der Forderung eines anderen Gläubigers verschlechtern sich die Befriedigungsmöglichkeiten der im Schuldenbereinigungsplan aufgeführten Gläubiger schon dadurch, dass dieser Gläubiger bei einer etwaigen Annahme des Schuldenbereinigungsplanes in das pfändbare Vermögen der Schuldnerin vollstrecken kann (soweit nicht die Vorschrift des § 114 Abs. 1 InsO dem - zeitweilig - entgegensteht). Aus diesem Gesichtspunkt hat i.Ü. bereits das LG Göttingen in seiner Beschwerdeentscheidung (10 T 162/00) v. 8.1.2001 auf S. 4 hingewiesen.
Da der Versagungsantrag bereits aus den oben aufgeführten Gründen begründet ist, kann die rechtliche Relevanz der Nichtangabe der Abtretung an die Gläubigerin Nr. 24 im Antrag dahinstehen. Insoweit wäre allerdings von der Schuldnerin bzw. ihren Verfahrensbevollmächtigten vor Antragstellung zu erwarten gewesen, dass sie sich bei einer unklaren Angabe in einer Gehaltsmitteilung (nämlich Pfändung oder Abtretung eines Betrages) vergewissern, ob es sich nicht um eine Abtretung handelt. Dadurch wäre nämlich im Hinblick auf die Regelung in § 114 Abs. 1 InsO die Befriedigungschancen der übrigen Gläubiger geringer gewesen als bei Vorliegen einer bloßen Pfändung (vgl. § 114 Abs. 3 InsO).