Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 10.06.2002, Az.: 74 IK 29/01
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Anforderungen an die Erstellung eines Schuldenbereinigungsplans
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 10.06.2002
- Aktenzeichen
- 74 IK 29/01
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28914
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2002:0610.74IK29.01.0A
Rechtsgrundlagen
- § 302 Nr. 1 InsO
- § 309 Abs. 1 S. 1 InsO
Fundstelle
- ZInsO 2002, 642-643 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Befindet sich ein Schuldner in finanzieller Not und schließt er einen längerfristigen Behandlungsvertrag (hier: Psychotherapie) ab, so begeht er eine vorsätzliche unerlaubte Handlung, wenn er das ihm von der Versicherung ausbezahlte Honorar nicht an die Gläubigerin weiterleitet. Das die Weiterleitung aus vom Schuldner nicht zu vertretenden Umständen (z.B. Kontopfändung) unterblieb, muss der Schuldner darlegen und ggf. beweisen.
- 2.
Eine Zustimmungsersetzung kann bei dieser Sachlage wegen wirtschaftlicher Benachteiligung des Gläubigers gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO nicht erfolgen.
Gründe
Der Schuldner hat am 08.02.2001 die Eröffnung des Verbraucherinsolvenzverfahrens über sein Vermögen beantragt und u.a. den Antrag gestellt, Einwendungen einzelner Gläubiger gegen den Schuldenbereinigungsplan durch eine Zustimmung des Insolvenzgerichtes zu ersetzen. Der Schuldenstand beläuft sich auf ca. 180.000,00 DM, der Schuldner bietet bei einer Laufzeit von 60 Monaten einen sog. Nullplan an.
Die Gläubigerin Nr. 8) widerspricht dem Schuldenbereinigungsplan. Ihre in einem Versäumnisurteil v. 20.07.1993 titulierte Hauptforderung i.H.v. 3.445,00 DM rührt her aus psychotherapeutischen Behandlungen des Schuldners. Sie beruft sich darauf, dass der seinerzeit privat versicherte Schuldner sich das Honorar von seiner privaten Krankenkasse erstatten ließ, aber für sich einbehielt. Der Schuldner ist zu dem Versagungsantrag der Gläubigerin gehört worden.
Die formalen Voraussetzungen für eine Zustimmungsersetzung gem. § 309 Abs. 1 Satz 1 InsO (sog. Kopf- und Summenmehrheit) liegen zwar vor. Eine Zustimmungsersetzung scheidet jedoch gem. § 309 Abs. 1 Satz 2 Nr. 2 InsO aus. Die Gläubigerin Nr. 8) würde durch den Schuldenbereinigungsplan voraussichtlich wirtschaftlich schlechter gestellt als bei Durchführung des Verfahrens und Erteilung der Restschuldbefreiung. Der Schuldenbereinigungsplan sieht vor, dass die Forderung der Gläubigerin zu 8) nach fünf Jahren erlischt. Bei Verfahrenseröffnung und Durchführung der Restschuldbefreiung wäre die Forderung der Gläubigerin von der Erteilung der Restschuldbefreiung jedoch gem. § 302 Nr. 1 InsO ausgenommen, da es sich um eine vorsätzlich begangene unerlaubte Handlung handelt. In diesem Fall der sog. "Vorwirkung" scheidet eine Zustimmungsersetzung aus (FK-InsO/Ahrens, § 290 Rn. 9a).
Die Gläubigerin Nr. 8) hat schlüssig dargelegt und gem. § 309 Abs. 2 Satz 2 InsO auch glaubhaft gemacht, dass ihr Anspruch gegen den Schuldner aus vorsätzlich begangener unerlaubter Handlung herrührt.
Die Gläubigerin Nr. 8) beruft sich im Schreiben v. 20.02.2002 darauf, dass der Schuldner seine Rechnungen von der privaten Krankenkasse beglichen erhielt, das Honorar aber nicht weiterleitete. In seiner Stellungnahme v. 04.04.2002 führt der Schuldner aus, den Vorwurf bzgl. der Honorareinbehaltung könne er nicht mehr entkräften, da die Unterlagen bei der Krankenkasse teilweise vernichtet worden seien. Da seine Mitgliedschaft wegen nichtgezahlter Beiträge von der Krankenkasse im Jahre 1992 gekündigt wurde, sei es möglich, dass er das Honorar zur Weiterleitung nicht mehr erhalten habe.
Das von der Gläubigerin zu 8) mit Schreiben v. 06.05.2002 vorgelegte Schreiben der privaten Krankenversicherung des Schuldners v. 15.10.1992 weist jedoch aus, dass der Schuldner zu diesem Zeitpunkt noch versichert war. Nach den widersprochenen Angaben der Gläubigerin folgt daraus, dass er bis nach Ende der Behandlung bei ihr noch Versicherungsschutz genoss. Dem ist der Schuldner im Schreiben v. 27.05.2002 nicht entgegengetreten.
Bei einer Hauptforderung der Gläubigerin zu 8) von 3.445,00 DM ist unter Berücksichtigung der Honorarhöhe im Jahre 1992 davon auszugehen, dass der Schuldner mindestens 30 Sitzungen bei der Gläubigerin zu 8) absolvierte. Der Schuldner räumt im Schreiben v. 04.04.2002 ein, dass er sich bei den Therapiegesprächen im Jahre 1992 in finanzieller Not befand. Wenn er sich bei dieser Sachlage in Behandlung der Gläubigerin zu 8) begab, musste er sicher stellen, dass diese auch ihr Honorar erhielt. Dass eine Weiterleitung des Honorars an die Gläubigerin zu 8) aus vom Schuldner nicht zu vertretenen Umständen - etwa wegen einer Kontopfändung - nicht möglich war, ist von dem insoweit darlegungs- und beweispflichtigen Schuldner nicht vorgetragen worden.
Ob der Schuldner durch die unrichtige Angabe gegenüber seiner privaten Krankenversicherung, ein Beihilfeanspruch bestehe nicht, von dieser eine erhöhte Versicherungsleistung neben einer Zahlung der Beihilfestelle erhielt, kann bei dieser Sachlage dahinterstehen.