Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 13.06.2002, Az.: 74 IN 125/01

Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe; Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung

Bibliographie

Gericht
AG Göttingen
Datum
13.06.2002
Aktenzeichen
74 IN 125/01
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2002, 28919
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGGOETT:2002:0613.74IN125.01.0A

Fundstellen

  • ZInsO 2002, 739-740 (Volltext mit amtl. LS)
  • ZVI (Beilage) 2004, 30 (amtl. Leitsatz)

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Die Vorschrift des § 850d ZPO ist im Insolvenzverfahren gem. § 89 Abs. 2 Satz 2 InsO anwendbar auch bei vor dem 1.12.2001 eröffneten Insolvenzverfahren (sogenannten Altverfahren).

  2. 2.

    Es bleibt dahingestellt, ob gegen Entscheidungen des Rechtspflegers dem Schuldner nur die befristete Erinnerung gem. § 11 Abs. 1 RPflG zusteht, oder ob gegen eine nachfolgende Entscheidung des Richters die sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO möglich ist.

  3. 3.

    Beruft sich der Schuldner seinerseits auf erhöhte Aufwendung (z.B. bei Auslandstätigkeit), so muss er diesen Sachverhalt dem Insolvenzgericht ausführlich und nachvollziehbar darlegen.

Gründe

1

Auf Eigenantrag des Schuldners hin ist über sein Vermögen am 30.5.2001 das Insolvenzverfahren eröffnet und ihm PKH einschließlich der Vergütung des Insolvenzverwalters bewilligt worden.

2

Aufgrund eines gerichtlichen Vergleiches v. 14.10.1999 können die Kinder des Schuldners vom ihm Unterhalt i.H.v. 600 DM, 488 DM und 463 DM monatlich beanspruchen. Aufgrund eines bereits vor Eröffnung gestellten Antrages hat der Rechtspfleger des Insolvenzgerichtes mit Beschl. v. 30.5.2001 Ansprüche dieser Unterhaltsgläubiger gegen den Schuldner aus selbstständiger Tätigkeit als Rohrleitungsbauer aus der dem Insolvenzverwalter zu überweisenden Insolvenzmasse einschließlich künftig fällig werdender Beträge gepfändet. Die Pfändung umfasst den Unterschiedsbetrag zwischen den §§ 850c und 850d ZPO. Der dem Schuldner verbleibende Anspruch auf Auszahlung ist vom Rechtspfleger auf 1.300 DM festgesetzt worden. Der darüber hinausgehende Betrag ist, soweit er nicht der Insolvenzmasse zusteht, an die Unterhaltsgläubiger auszuzahlen.

3

Gegen diesen Beschluss hat der anwaltlich vertretene Schuldner Rechtsbehelf eingelegt. Er hat darauf hingewiesen, dass er hauptsächlich im Ausland, schwerpunktmäßig in Schweden und der Tschechischen Republik, arbeite. Daher fielen Kosten der doppelten Haushaltsführung und hohe Reisekosten an. Aufgrund dessen sei ein Pauschalbetrag von 150 EUR zur Deckung dieser Unkosten zuzubilligen. Der Insolvenzverwalter hat in seiner Stellungnahme darauf hingewiesen, dass der Schuldner an seiner derzeitigen Arbeitsstelle Unterkunft ohne Verpflegung erhält, dass Mehrkosten für Heimreisen entstünden und dass die Lebenshaltungskosten an seinem derzeitigen Aufenthaltsort in Schweden höher als in Deutschland seien. Die anwaltlich ebenfalls vertretenen Unterhaltsgläubiger sind dem Antrag des Schuldners entgegengetreten.

4

Das LG Göttingen hat mit Beschl. v. 6.11.2001 - 10 T 76/01 die Vorlageverfügung des AG v. 17.10.2001 aufgehoben und die Sache zur Entscheidung in eigener Zuständigkeit zurückverwiesen: Zur Begründung hat es ausgeführt, gem. § 6 Abs. 1 InsO sei ein Rechtsmittel nicht gegeben, so dass nur die Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG statthaft sei, über die bei Nichtabhilfe der Richter des Insolvenzgerichtes abschließend entscheide. Der Rechtspfleger hat dem Rechtsbehelf mit Beschl. v. 17.4.2002 nicht abgeholfen und sie dem Richter zur Entscheidung vorgelegt.

5

Die zulässige Erinnerung ist unbegründet.

6

Die vom Rechtspfleger getroffene Entscheidung basiert auf der Vorschrift des § 850d ZPO. Über einen Rechtsbehelf gegen die Entscheidung des Rechtspflegers entscheidet gem. § 89 Abs. 3 InsO das Insolvenzgericht. In der Sache hat der Rechtsbehelf nur teilweise Erfolg.

7

1.

Bei den vor dem 1.12.2001 eröffneten Verfahren war die Anwendbarkeit der Vorschriften der §§ 850 ff. ZPO und die Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes zu Entscheidungen gem. §§ 850 ff. ZPO umstritten. Für die ab dem 1.12.2001 eröffneten Verfahren regelt nunmehr der ergänzte § 36 InsO diese Frage. Bei einer Pfändung gem. § 850d ZPO enthält der unverändert gebliebene § 89 Abs. 2 InsO eine Sonderregelung. Danach kann trotz des allgemeinen Vollstreckungsverbotes in § 89 Abs. 1 InsO wegen eines Unterhaltsanspruches in den für die übrigen Gläubiger unpfändbaren Teil künftiger Forderungen aus Bezügen aus einem Dienstverhältnis vollstreckt werden. Der Vollstreckung unterworfen ist für Ansprüche für den Zeitraum ab Verfahrenseröffnung der sich aus § 850d ZPO ergebende erhöhte Pfändungsbetrag zugunsten von Unterhaltsschuldnern (Kübler/Prütting/Lüke, § 89 Rn. 29; FK-InsO/App, § 89 Rn. 14; MünchKomm/Breuer, InsO, § 89 Rn. 36; Helwich, NZI 2000, 460, 461; Dörnhofer, NZI 2000, 292, 293 f.).

8

Unerheblich ist es, ob das Insolvenzgericht (so wohl Hess, Kommentar zum InsO-Änderungsgesetz, 2001, § 36 Rn. 17) oder das Vollstreckungsgericht (so FK-InsO/Schumacher, § 36 Rn. 43 unter irriger Erwähnung des § 850b ZPO) zuständig ist. Die Zuständigkeit für eine Entscheidung über einen Rechtsbehelf gegen eine derartige Pfändungsmaßnahme ist gem. § 89 Abs. 3 InsO dem Insolvenzgericht zugewiesen. Lediglich ergänzend ist zu bemerken, dass das Insolvenzgericht über die zur Entscheidung erforderlichen Unterlagen und Informationen verfügt. Bei einer Zuständigkeit des Insolvenzgerichtes werden aufgrund der Regelung in § 2 Abs. 1 InsO mögliche, für die Beteiligten verwirrende Zuständigkeiten verschiedener Gerichte und Verfahrensverzögerungen vermieden.

9

2.

§ 89 Abs. 3 Satz 1 InsO bestimmt, dass über Einwendungen gegen die Zulässigkeit der Zwangsvollstreckung das Insolvenzgericht entscheidet. Als zulässiger Rechtsbehelf gegen eine Entscheidung des Rechtspflegers wird die Erinnerung gem. § 766 ZPO angesehen, gegen die Entscheidung des Insolvenzrichters soll die sofortige Beschwerde gem. § 793 ZPO gegeben sein (FK-InsO/App, § 89 Rn. 16,18; MünchKomm/Breuer, InsO, § 89 Rn. 40; Kübler/Prütting/Lüke, § 89 Rn. 35). Ob diese Auffassung zutreffend ist, kann dahinstehen. Bei Entscheidungen des Insolvenzgerichtes gem. §§ 850 ff. ZPO im Rahmen des § 36 InsO ist anerkannt, dass gegen Entscheidungen des Rechtspflegers besteht nur die Möglichkeit der sofortigen Erinnerung gem. § 11 Abs. 2 RPflG besteht (Kübler/Prütting/Holzer, § 36 Rn. 38; FK-InsO/Schmerbach, § 6 Rn. 44). Ob eine einschränkende Auslegung der Vorschrift des § 89 Abs. 3 InsO geboten ist, kann für die Entscheidung des Insolvenzgerichtes dahinstehen. Der Beschluss wird den Beteiligten wegen der Möglichkeit eines weiteren Rechtsbehelfes förmlich zugestellt.

10

3.

Der Rechtsbehelf ist in der Sache jedoch nur teilweise begründet.

11

a)

Das Insolvenzgericht übernimmt die vom Vollstreckungsgericht aufgestellten Beträge für Pfändungen von Unterhaltsgläubigern gem. § 850d ZPO. Diese beliefen sich bis zum 31.12.2001 auf 1.300 DM. Nachdem der Selbstbehalt in der Düsseldorfer Tabelle auf 1.650 DM erhöht worden ist, beläuft sich der Betrag seit dem 1.1.2002 auf 1.500 DM bzw. 767 EUR. In diesem Umfang hat das Insolvenzgericht der sofortigen Erinnerung abgeholfen.

12

b)

I.Ü. ist die sofortige Erinnerung unbegründet und zurückzuweisen.

13

Auszugehen ist davon, dass ein Unterhaltsschuldner gem. § 1603 BGB verpflichtet ist, alle verfügbaren Mittel zum Unterhalt der Kinder gleichmäßig zu verwenden.

14

Davon im vorliegenden Fall abzuweichen und dem Schuldner eine pauschale Erhöhung von 150 EUR zuzubilligen, besteht kein Anlass. Ob und in welchem Umfang Mehrkosten für Heimreisen entstehen, ist im Einzelnen nicht ersichtlich. Insbesondere ist unklar, wie oft der Schuldner nach Deutschland reist.

15

Auszugehen ist davon, dass die Lebenshaltungskosten in Schweden höher sind als in Deutschland. Zu berücksichtigen ist jedoch, dass der Schuldner erst seit dem 2.1.2002 in Schweden arbeitet und dort freie Unterkunft erhält. Davor arbeitete er in Bratislava in der Tschechischen Republik. Dort sind die Lebenshaltungskosten gerichtsbekannter Maßen wesentlich geringer als in Deutschland. Während dieses Zeitraumes war es dem Schuldner möglich und zumutbar, Beträge anzusparen, um erhöhte Lebenshaltungskosten in Schweden auszugleichen. Nach einer fünfmonatigen Tätigkeit in Schweden sieht das Insolvenzgericht noch keine Veranlassung, dem Schuldner einen erhöhten Freibetrag zu bewilligen. Bei einer länger andauernden Tätigkeit in Schweden stellt sich auch die Frage, ob und inwieweit der Schuldner von seinem tschechischen Arbeitgeber entsprechende Ausgleichszahlungen erhält.

16

4.

Folglich ist die zulässige Erinnerung nur teilweise begründet.