Amtsgericht Göttingen
Beschl. v. 02.01.2002, Az.: 21 C 216/01 (A)
Anforderungen an die Durchführung eines Insolvenzverfahrens; Voraussetzungen für das Vorliegen von Insolvenzgründen; Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe; Anforderungen an die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Rechtsverfolgung
Bibliographie
- Gericht
- AG Göttingen
- Datum
- 02.01.2002
- Aktenzeichen
- 21 C 216/01 (A)
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2002, 28905
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGGOETT:2002:0102.21C216.01A.0A
Rechtsgrundlagen
- § 21 Abs. 2 InsO
- § 114 ZPO
- § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO
Fundstellen
- InVo 2002, 144-145
- NZI 2002, 20
- NZI 2002, 165-166
- ZInsO 2002, 386-387 (Volltext mit amtl. LS)
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Dem "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter kann Prozesskostenhilfe zum Zwecke der Masseanreicherung für die Eröffnung des Verfahrens bewilligt werden; nicht erforderlich ist es, dass es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme zur Sicherung der Masse handelt.
- 2.
Dem Finanzamt ist die Aufbringung der Kosten für die Prozessführung des (vorläufigen) Insolvenzverwalters gem. § 116 Nr. 1 ZPO nicht zuzumuten.
Gründe
A.
Über das Vermögen der Schuldnerin ist aufgrund eines Eigenantrages ein Insolvenzantragsverfahren anhängig. Der Antragsteller war zunächst mit Beschl. v. 28.04.2000 zum Sachverständigen und mit Beschl. v. 28.06.2000 zum sog. "schwachen" vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 21 Abs. 2 Nr. 2, 2. Alternative mit Anordnung eines allgemeinen Zustimmungsvorbehaltes bestellt worden. Mit Beschl. v. 05.10.2000 ist der Antragsteller zum "starken" vorläufigen Insolvenzverwalter gem. § 21 Abs. 2 Ziff. 2, 1. Alternative InsO unter Verhängung eines allgemeinen Verfügungsverbotes bestellt worden (AG Göttingen - 74 IN 75/00).
Im vorliegenden Zivilverfahren hat der Antragsteller einen Antrag auf Gewährung von PKH auf Klage gegen die Antragsgegner i.H.v. 5.750,00 DM eingereicht. Zur Begründung führt der Antragsteller aus, dass die vorläufige Insolvenzmasse von z.Zt. 8.164,20 DM zur Deckung der Masseschulden nicht genügt, vielmehr eine Unterdeckung i.H.v. 2.831,34 DM besteht. Die auf Aufforderung des Gerichts vorgelegte Gläubigerliste weist vier Gläubiger mit einer Gesamtforderung i.H.v. 125.850,66 DM aus. Hauptgläubiger ist das FA, deren Forderung sich auf ca. 117.000,00 DM beläuft.
B.
Dem Antragsteller war PKH zu bewilligen.
Die Kosten können aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden; es ist den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten auch nicht zuzumuten, die Kosten aufzubringen (§ 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO). Darüberhinaus bietet die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig (§ 114 ZPO).
I.
Der Antragsteller ist Partei kraft Amtes i.S.d. § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Partei kraft Amtes ist nicht nur nach Eröffnung des Verfahrens der (endgültige) Insolvenzverwalter. Auch der vorläufige Insolvenzverwalter ist als Partei kraft Amtes anzusehen, wenn gem. § 22 Abs. 1 Satz 1 InsO die Verwaltungs- und Verfügungsbefugnis auf ihn übergegangen ist. Es gilt zwar nicht die Vorschrift des § 24 Abs. 2 InsO, da diese voraussetzt, dass bei Anordnung der Sicherungsmaßnahmen bereits ein Rechtsstreit anhängig war (FK-InsO/Schmerbach, 3. Aufl. 2002, § 24 Rn. 30). Der "starke" vorläufige Insolvenzverwalter ist aber als Partei kraft Amtes wie der endgültige Insolvenzverwalter anzusehen (FK-InsO/Schmerbach, § 22 Rn. 8a). Daher kann der "starke" vorläufige Insolvenzverwalter nach Anordnung der Sicherungsmaßnahmen auch im eigenen Namen klagen (FK-InsO/Schmerbach, § 24 Rn. 30). Nicht erforderlich ist, dass es sich um eine unaufschiebbare Maßnahme zur Sicherung der Masse handelt (AG Göttingen, NZI 1999, 506; HK-InsO/Kirchhof, § 22 Rn. 26; FK-InsO/Schmerbach, § 24 Rn. 30; a.A. Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 2). Im vorliegenden Fall ist trotz eingestelltem Geschäftsbetriebes ein "starker" vorläufiger Insolvenzverwalter bestellt worden, damit dieser Ansprüche für die Masse vor dem Prozessgericht im PKH-Wege geltend machen kann. Lassen sich die Ansprüche nicht durchsetzen, können so unnötige Eröffnungen vermieden werden und der Antrag wird mangels Masse abgewiesen (FK-InsO/Schmerbach, § 24 Rn. 30a).
II.
Auch die weiteren Voraussetzungen des § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO liegen vor.
1.
Kosten können aus der verwalteten Vermögensmasse nicht aufgebracht werden.
Das Guthaben auf der vom vorläufigen Insolvenzverwalter eingerichteten Hinterlegungsstelle beläuft sich zwar auf z.Zt. 8.164,20 DM. Vorhandene Mittel sind allerdings nicht uneingeschränkt einzusetzen.
Abzusetzen sind vielmehr die Kosten des Insolvenzverfahrens gem. § 54 InsO und die sonstige Masseverbindlichkeiten gem. § 55 InsO (Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 4; FK-InsO/Schmerbach, § 24 Rn. 34 i.V.m. § 26 Rn. 34). Im vorliegenden Fall hat der Antragsteller im Antrag v. 14.11.2001 nachvollziehbar dargelegt, dass der vorhandene Barbestand nicht ausreicht, um die voraussichtlichen Gerichtskosten für den vorliegenden Rechtsstreit sowie für eine weitere Forderung über 50.000,00 DM, die Kosten der Aktenlagerung und die Kosten des (vorläufigen) Verwalters abzudecken; vielmehr besteht eine Unterdeckung.
2.
Weiter ist den am Gegenstand des Rechtsstreits wirtschaftlich Beteiligten nicht zuzumuten, die Kosten aufzubringen.
a)
Der Insolvenzverwalter ist wegen der Aussicht auf Befriedigung seines Vergütungsanspruches nicht wirtschaftlich Beteiligter (BGH, ZIP 1998, 297 f. = NJW 1998, 1229 f. = EWiR 1998, 239; FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 36; a.A. Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 6).
b)
Ansonsten ist wirtschaftlich beteiligt grds. jeder Gläubiger, der bei der Verteilung der Masse ohne den zu erwartenden Erlös aus dem Rechtsstreit schlechter stehen würde als bei einem erfolgreichen Abschluss des Rechtsstreits. Wer vom Prozessergebnis mittelbar durch eine spätere Auszahlung aus der Insolvenzmasse profitiert, soll dafür auch die zur Rechtsverfolgung erforderlichen Kosten vorstrecken. Mehrere Gläubiger haben die Verfahrenskosten jeweils in Relation zu der zu erwartenden Quotenverbesserung aufzubringen (FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 35, 36).
Diese Grundsätze gelten allerdings nicht uneingeschränkt. Dabei kann dahinstehen, ob von dem vorläufigen Insolvenzverwalter Angaben dazu verlangt werden können, welche Gläubiger aus der beabsichtigten Rechtsverfolgung Vorteile genießen und ob diesen eine Aufbringung der Kosten zuzumuten ist (so FK-InsO/Schmerbach, § 24 Rn. 34). Im vorliegenden Fall hat der vorläufige Insolvenzverwalter nämlich entsprechende Angaben gemacht.
Unzumutbarkeit der Kostenaufbringung wird u.a. bejaht für Gläubiger, die bei erfolgreicher Prozessführung allenfalls Aussicht auf eine geringfügige Quotenverbesserung haben (Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 7; FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 38). Ohne das es auf genaue Einzelheiten ankommt, gilt dies für drei der vier Gläubiger, die von der Gesamtforderung von ca. 126.000,00 DM nur einen geringen Bruchteil erhalten, nämlich Gläubiger Nr. 1 0,95 %, Gläubiger Nr. 2 0,13 % und Gläubiger Nr. 4 5,5 %.
c)
Darüberhinaus handelt es sich dabei um Gläubiger, die öffentliche Aufgaben wahrnehmen mit der Folge, dass auch deshalb von ihnen eine Aufbringung der Kosten nicht verlangt werden kann (vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 41 ff.). Der Gläubiger Nr. 1 ist ein Sozialversicherungsträger, von dem eine Kostenaufbringung nicht verlangt werden kann (Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 8; FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 43), der Gläubiger Nr. 2 eine IHK (vgl. FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 44). Gläubiger Nr. 4 ist das Stadtsteueramt der Stadt Göttingen. Dieses ist im Ergebnis gleichzustellen einem FA, von dem ebenfalls keine Kostenaufbringung verlangt werden kann.
d)
Gläubiger Nr. 3 ist das FA. Auch hinsichtlich der FÄ ist Unzumutbarkeit der Kostenaufbringung zu bejahen. Mit der Neufassung des § 116 Abs. 1 Nr. 1 ZPO im Jahre 1981 beabsichtigte der Gesetzgeber nämlich, die Bewilligung von PKH für den Insolvenzverwalter zur Regel und die Ablehnung zur Ausnahme zu machen (FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 41). Verlangt man eine Vorschusspflicht der FÄ, würde diese gesetzgeberische Absicht unmöglich gemacht. Hinzukommt, dass die Mittel für die Prozessführung ohnehin von der öffentlichen Hand aufgebracht werden, entweder aus Mitteln der Finanzverwaltung oder als PKH (OLG Hamburg, ZIP 1994, 221, 222 = EwiR 1994, 403; AG Göttingen, ZIP 1993, 1020 = Rpfleger 1994, 35). Eine Vorschusspflicht der FÄ (so Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 9 f.; Thomas/Putzo/Reichold, ZPO, § 116 Rn. 1) besteht nicht (FK-InsO/Schmerbach, § 26 Rn. 46, 46a auch m.w.N. zur Gegenauffassung; MünchKomm/Haarmeyer, InsO, § 24 Rn. 38).
III.
Gem. § 121 Abs. 2 ZPO war ein Rechtsanwalt beizuordnen. Es besteht zwar kein Anwaltszwang, jedoch müsste ein Nichtjurist im Rahmen eines Amtes als (vorläufiger) Insolvenzverwalter den vorliegenden Rechtsstreit nicht ohne Anwaltshilfe erledigen (vgl. Zöller/Philippi, ZPO, § 116 Rn. 20).
IV.
Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet auch hinreichende Aussicht auf Erfolg und ist nicht mutwillig (§ 114 ZPO).
Der Antragsteller beruft sich auf die Doppelzahlung einer Rechnung für eine Werbeanzeige in dem von dem Beklagten herausgegebenen City-Magazin. Soweit sich der Antragsgegner zu 1) darauf beruft, die Schuldnerin habe nicht nur im Oktober 1997 Anzeigen geschaltet, sondern auch in zahlreichen anderen Monaten, ist dieser Vortrag unsubstantiiert. Er enthält keine Angaben, in welchen Monaten weitere Anzeigen geschaltet worden sein sollen.