Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 04.06.2021, Az.: 1 LA 145/20

Außenbereich; Außenbereichsfinger; Baulücke; Bebauungszusammenhang; Gewässer; Grünfläche; Grünzug; Innenbereich; Werbeanlage

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
04.06.2021
Aktenzeichen
1 LA 145/20
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71183
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 29.08.2020 - AZ: 12 A 7501/17

Amtlicher Leitsatz

Leitsatz

Wird ein gewässerbegleitender, rund 50 bis 200 m breiter und in die freie Landschaft führender Grünzug beiderseits von kompakter Bebauung entlang von gewässerparallel verlaufenden Straßen gesäumt, kann es sich um einen Außenbereichsfinger handeln, der die straßenbegleitenden Bebauungszusammenhänge trennt und dessen Flächen auch an den schmalsten Stellen nicht als Baulücken anzusehen sind.

Tenor:

Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Hannover - 12. Kammer (Einzelrichter) - vom 29. August 2020 wird abgelehnt.

Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens. Die außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Verfahren in beiden Rechtszügen auf jeweils 7.500 EUR festgesetzt; die verwaltungsgerichtliche Streitwertfestsetzung wird dementsprechend geändert.

Gründe

I.

Die Klägerin begehrt die Erteilung eines Bauvorbescheids zur bauordnungs- und bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit der Errichtung einer doppelseitigen Werbeanlage; die Beteiligten streiten über die Lage der Vorhabenfläche im Innen- oder Außenbereich.

Die Klägerin ist ein Unternehmen der Außenwerbung. Sie beantragte bei dem Beklagten erfolglos die Erteilung einer Baugenehmigung für die Errichtung einer beleuchteten doppelseitigen Werbeanlage auf dem Grundstück C.. Die Hachmühler Straße (Bundesstraße 217), die südlich des Baugrundstücks verläuft, ist im Bereich der Ortslage Hachmühlen vierspurig ausgebaut. Ein Bebauungsplan besteht für das Gebiet, in dem sich das Baugrundstück befindet, nicht.

Der östliche Teil des Baugrundstücks ist mit einem in zweiter Reihe errichteten Wohnhaus bebaut. Zur Straße hin vorgesetzt befindet sich auf dem östlich angrenzenden Grundstück D. eine Gaststätte, an die sich in östlicher Richtung weitere Bebauung anschließt. Der westliche Teil des Baugrundstücks, den die Klägerin als Vorhabenstandort vorgesehen hat, ist Teil eines unbebauten Grünzugs, der in nördliche Richtung den Flusslauf der Hamel säumt und in gut 700 m Entfernung in die freie Landschaft übergeht. Dieser Grünzug wird östlich bzw. westlich von der Bebauung beiderseits der in Nord-Süd-Richtung verlaufenden Straßen „In der Sandkuhle“ und „Auf der Laake“ begrenzt. Seine Breite variiert von rund 45 bis 200 m; in Höhe des Vorhabenstandorts beträgt die Breite rund 65 m.

Die zunächst auf Verpflichtung zur Erteilung einer Baugenehmigung gerichtete Klage hat die Klägerin aufgrund des anfänglichen Fehlens einer - mittlerweile vorliegenden - wasserrechtlichen Genehmigung geändert und beantragt, den Beklagten zur Erteilung eines Bauvorbescheids zu verpflichten, der die bauplanungsrechtliche und bauordnungsrechtliche Zulässigkeit der Werbeanlage am Standort feststellt. Diese Klage hat das Verwaltungsgericht Hannover nach Ortsbesichtigung mit dem angegriffenen Urteil vom 29. August 2020 abgewiesen, weil das Vorhaben im Außenbereich errichtet werden solle. Dort sei es gemäß § 50 Abs. 3 Satz 1 NBauO unzulässig.

Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung, dem der Beklagte entgegentritt. Die Beigeladene hat sich am Verfahren nicht beteiligt.

II.

Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.

Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die die Klägerin mit ihrem Zulassungsantrag geltend macht, führen nicht zur Zulassung der Berufung. Solche Zweifel setzen voraus, dass es dem Rechtsmittelführer gelingt, wenigstens einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des erstinstanzlichen Urteils mit plausiblen Gegenargumenten derart in Frage zu stellen, dass sich dadurch etwas am Entscheidungsergebnis ändern könnte. Daran fehlt es hier.

Der unbebaute Vorhabenstandort ist - wie das Verwaltungsgericht zu Recht festgestellt hat - dem Außenbereich nach § 35 BauGB und nicht dem unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB zuzuordnen. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB setzt voraus, dass das Vorhaben in einem im Zusammenhang bebauten Ortsteil verwirklicht werden soll. Maßgeblich für das Bestehen des geforderten Bebauungszusammenhangs ist, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört (vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 30.8.2019 - 4 B 8.19 -, juris Rn. 8). Unter Anwendung dieses Maßstabs ist es nicht zu beanstanden, dass das Verwaltungsgericht den Vorhabenstandort dem sich nach Norden erstreckenden, den Fluss Hamel begleitenden Grünzug zugeordnet und einen Zusammenhang mit der Umgebungsbebauung verneint hat.

Bebauungszusammenhänge bestehen - wie das Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt hat - im Westen entlang der Straße Auf der Laake und im Osten beginnend mit dem Gebäude D. weiter nach Osten und Norden, hier entlang der Straße In der Sandkuhle. Die zu den Straßen hin ausgerichtete Bebauung stellt sich dabei als vergleichsweise dicht dar, sodass nach den zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts von einer aufgelockerten, von Freiflächen geprägten Bebauung keine Rede sein kann. In der Gesamtschau besteht die nähere Umgebung daher aus zwei in Nord-Süd-Richtung verlaufenden kompakten Siedlungssträngen entlang der Straßen Auf der Laake und In der Sandkuhle, die von dem Grünzug entlang der Hamel als Außenbereichsfinger begrenzt und getrennt werden.

Vor diesem Hintergrund meint die Klägerin zu Unrecht, der Vorhabenstandort stelle eine dem Innenbereich zugehörige Baulücke dar. Seine Prägung erfährt der Standort aufgrund der straßenbegleitend in Nord-Süd-Richtung orientierten Bebauung in seiner Umgebung nicht durch die umliegenden Bauten, sondern durch seine Anbindung an den Grünzug der Hamel. Das Vorhaben stellt sich daher nicht als zwanglose Fortsetzung einer den Vorhabenstandort einrahmenden Bebauung, sondern vielmehr als Fremdkörper innerhalb des Grünzugs der Hamel dar.

Ohne Erfolg beruft sich die Klägerin auf den Abstand der Vorhabenfläche zur nächstgelegenen Bebauung, der im Osten etwa zehn Meter, im Nordosten (die Klägerin bezieht sich auf die leicht westwärts vorspringende Bebauung der Möbelfabrik E., F. 55 Meter und in nordwestlicher Richtung (zum Grundstück G.) ebenfalls etwa 55 Meter beträgt. Richtig ist zwar ihr Einwand, dass derartige Abstände die Annahme einer Baulücke nicht grundsätzlich hindern. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist jedoch nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (vgl. zuletzt BVerwG, Beschl. v. 30.8.2019 - 4 B 8.19 -, juris Rn. 8). Vor diesem Hintergrund fehlt es nach den obigen Ausführungen an der dem erforderlichen Eindruck der Geschlossenheit bzw. Zugehörigkeit des Vorhabenstandortes zu der westlich und östlich angrenzenden Bebauung. Für das Verwaltungsgericht bestand aufgrund dessen kein Anlass zu einer näheren Befassung mit den konkreten Abstandsmaßen.

Soweit die Klägerin die Zugehörigkeit der Vorhabenfläche zum Innenbereich daraus ableitet, dass dieser von den Flurstücken H. und I. eingerahmt werde, verkennt sie, dass Grundstücksflächen und -grenzen für die Zuordnung eines Standorts zum Innenbereich ohne Bedeutung sind (BVerwG, Beschl. v. 11.6.1992 - 4 B 88.92 -, juris Rn. 5).

Offensichtlich unrichtig ist schließlich der wohl auf einen Verfahrensfehler gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO abzielende Einwand der Klägerin, das Verwaltungsgericht habe seine Entscheidung „überraschenderweise“ darauf gestützt, dass das Vorhaben im Außenbereich liegt. Über die Frage ist ausweislich des Schriftsatzes des Beklagten vom 10. Juni 2020 mündlich verhandelt worden. Die Klägerin selbst hat mit Schriftsatz vom 1. Juli 2020 zu dieser Frage ausführlich Stellung bezogen. Vor diesem Hintergrund hätte es sie nicht überraschen dürfen, dass die Frage der Zuordnung des Vorhabenstandorts zum Innen- bzw. Außenbereich für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war.

Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO.

Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG. Der Senat berücksichtigt seiner ständigen Rechtsprechung folgend einen Zuschlag von 500,- EUR, da es sich um eine beleuchtete Werbeanlage handelt (so ausdrücklich nun auch Nr. 4 e) der Streitwertannahmen der mit Bau- und Immissionsschutzsachen befassten Senate des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts für ab dem 1.6.2021 eingegangene Verfahren, https://oberverwaltungsgericht.niedersachsen.de/download/167915). Demzufolge war die im Ausgangspunkt zutreffende Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts von Amts wegen um diesen Zuschlag zu erhöhen (§ 63 Abs. 3 Satz 1 GKG).

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO, § 68 Abs. 1 Satz 5, § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).