Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 23.06.2021, Az.: 13 ME 95/21

Beschäftigungserlaubnis; Duldung; Identität, ungeklärte; Streitwert; vorläufiger Rechtsschutz; Zusatz

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
23.06.2021
Aktenzeichen
13 ME 95/21
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2021, 71198
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
[keine Angabe]

Verfahrensgang

vorgehend
VG - 23.02.2021 - AZ: 7 B 47/20

Gründe

I. Nachdem die Beteiligten mit Schriftsätzen vom 25. und 29. März 2021 (Bl. 94, 96 der GA) den Eilrechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist das gesamte Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und ist der die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes versagende Beschluss des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 23. Februar 2021 einschließlich der darin enthaltenen Kostenentscheidung gemäß § 173 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog für unwirksam zu erklären.

II. Ferner ist über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Im vorliegenden Fall entspricht es billigem Ermessen, die Kosten des Eilrechtsstreits in beiden Rechtszügen zwischen den Beteiligten hälftig zu teilen (Rechtsgedanke des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Denn im jeweiligem Zeitpunkt des die beiden damit verfolgten Eilrechtsschutzbegehren erledigenden Ereignisse hatte die Beschwerde nur zum Teil Aussicht auf Erfolg.

1. Keine Erfolgsaussichten bestanden hinsichtlich des mit der Beschwerde weiterverfolgten Antrags nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der vom Antragsteller am 5. November 2020 gegen den Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG zur Duldung wegen Passlosigkeit nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG vom 30. Oktober 2020 (Bl. 240 der Ausländerakte) erhobenen Klage 7 A 131/20, so dass den Antragsteller die Kostenlast für diesen Teil des Eilrechtsstreits trifft. Als maßgeblicher Zeitpunkt kommt hier nur derjenige des Vorliegens übereinstimmender Erledigungserklärungen beider Seiten - das heißt der 29. März 2021 - in Betracht. Zu diesem Zeitpunkt war der Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO bereits unzulässig, nämlich seitdem der Zusatz als unselbständige Nebenbestimmung schon mit dem Ende der Geltungsdauer dieser Duldung mit Ablauf des 30. Januar 2021 aus Gründen der Akzessorietät seine Wirksamkeit verloren hatte (vgl. hierzu Senatsbeschl. v. 9.6.2021 - 13 ME 587/20 -, juris Rn. 12) und damit als Substrat einer Suspendierung nicht mehr in Betracht kam. Folglich war auch die erst am 24. Februar 2021 eingelegte Beschwerde insoweit bereits anfänglich mangels eines Rechtsschutzbedürfnisses entsprechend § 242 BGB unzulässig (vgl. Senatsbeschl. v. 22.5.2020 - 13 ME 179/20 -, V.n.b., S. 2 des Beschlussabdrucks), jedenfalls aber unbegründet.

2. Das zum anderen mit der Beschwerde weiterverfolgte Begehren, die Antragsgegnerin im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO zu verpflichten, dem Antragsteller vorläufig erneut die Ausübung einer Beschäftigung als Hilfskraft Lager/Produktion bei der Fa. Avanti Wolf GmbH A-Stadt zu erlauben, ist der Sache nach mit der Erteilung einer neuen derartigen Beschäftigungserlaubnis am 23. März 2021 (vgl. S. 4 des Schriftsatzes der Antragsgegnerin v. 24.3.2021, Bl. 86 R der GA, und Bl. 89 der GA) erledigt worden.

a) Bezüglich dieses Begehrens ist die Beschwerde im Laufe des Beschwerdeverfahrens (wiederholt) in eine Erfolgsaussicht „hineingewachsen“ und hat diese letztlich auch im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses aufgewiesen.

Am Tage ihrer Einlegung (24.2.2021) hatte die Beschwerde insoweit wohl noch Erfolgsaussichten, weil nach Auslaufen der ersten Duldung mit Zusatz (am 30.1.2021, s.o. II.1.) zunächst kein Versagungsgrund mehr ersichtlich war. Durch die Erteilung der zweiten Duldung mit Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG am 25. Februar 2021, die an sich bis zum 25. Mai 2021 gültig sein sollte (vgl. Schriftsatz der Antragsgegnerin v. 24.3.2021, a.a.O.), wurde das Eilrechtsschutzbegehren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO jedoch voraussichtlich unbegründet, weil einem dahingehenden Anordnungsanspruch aus § 4a Abs. 4 AufenthG (vgl. Senatsbeschl. v. 9.6.2021, a.a.O., Rn. 66 ff.) nunmehr bereits der Versagungsgrund aus § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG auf neuer Grundlage entgegenstand. Weder vorgetragen noch ersichtlich ist, dass dieser neuerliche Zusatz, der im vorliegenden Eilrechtsstreit 7 B 47/20 // 13 ME 95/21 nicht streitgegenständlich war, vor dem 23. März 2021 in einem anderweitigen Verfahren aufgehoben oder nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO suspendiert worden wäre. Nach telefonischer Auskunft des Verwaltungsgerichts Osnabrück vom 22. Juni 2021 ist dort weder ein auf diesen neuerlichen Zusatz bezogenes neues Verfahren anhängig gemacht worden, noch ist der Zusatz im Wege der Klageerweiterung in das anhängige Klageverfahren 7 A 131/20 einbezogen worden (vgl. Vermerk des Berichterstatters auf Bl. 100 der GA). Am 23. März 2021 erteilte die Antragsgegnerin dem Antragsteller schließlich wieder eine zusatzfreie Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG (Bl. 89 der GA), womit der Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG zur zweiten Duldung und der daraus zwischenzeitlich gemäß § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG folgende Versagungsgrund für eine Beschäftigungserlaubnis beseitigt wurden und das Begehren nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO wieder an Erfolgsaussicht gewann.

b) Von einer Anwendung des Rechtsgedankens über die Folgen eines sofortigen Anerkenntnisses (§ 156 VwGO) zugunsten der Antragsgegnerin sieht das Gericht mit Blick auf die während des Beschwerdeverfahrens wechselnde Erfolgsaussicht der Beschwerde ab. Es kann jedenfalls nicht verlässlich festgestellt werden, dass die Antragsgegnerin dem Antragsteller im Sinne dieser Vorschrift „keinen Grund zur Klage gegeben hat“.

Zwar mag sich die Antragsgegnerin durch die Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis am 23. März 2021 aus ihrer Sicht nicht in die Rolle der Unterlegenen begeben haben, weil sie die aktuelle zusatzfreie Duldung nach § 60a Abs. 2 Satz 1 AufenthG am selben Tage in Anwendung des Mechanismus des § 60b Abs. 4 AufenthG nur erteilte, weil sie mit Vorlage des sudanesischen Passersatzpapiers („Emergency Travelling Document“) vom 19. März 2021 (Bl. 88 der GA) im Falle des Antragstellers nunmehr von einer Identitätsklärung sowie von der Erfüllung der besonderen Passbeschaffungspflicht aus § 60b Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 AufenthG ausging. Mit Blick auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom heutigen Tage im Verfahren 13 PA 96/21, die den Beteiligten bekannt sind und denen zufolge schon die vorläufige Aussetzung aufenthaltsbeendender Maßnahmen bis zur Entscheidung der Nds. Härtefallkommission über die zur Beratung angenommene Härtefalleingabe Nr. 2020/0212 des Antragstellers vom 14. April 2020 nach § 5 Abs. 4 Satz 2 NHärteKVO durch das Nds. Ministerium für Inneres und Sport am 24. August 2020 (Bl. 182 f. der Ausländerakte) wohl dazu geführt hat, dass der Zusatz nach § 60b Abs. 1 AufenthG am 30. Oktober 2020 (erste Duldung mit Zusatz) mangels Kausalität zwischen identitäts- und pass(ersatzpapier)bezogenen Handlungen oder Unterlassungen des Antragstellers einerseits und dem Misserfolg behördlicher Rückführungsbemühungen andererseits bis zur Entscheidung über die Härtefalleingabe nicht verfügt werden durfte, dürfte Gleiches auch für die am 25. Februar 2021 erteilte zweite Duldung mit Zusatz gegolten haben, die am 23. März 2021 nach jeder Betrachtungsweise noch anfechtbar und damit noch nicht bestandskräftig war.

c) Nach alledem entspricht es billigem Ermessen, die Kostenlast für diesen Teil des Eilrechtsstreits der Antragsgegnerin aufzuerlegen.

3. Unter Gewichtung der beiden Begehren gelangt das Gericht zu einer hälftigen Kostenteilung zwischen den Beteiligten im Sinne des § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.

III. Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren beruht auf §§ 47 Abs. 1 Satz 1, 53 Abs. 2 Nrn. 1 und 2, 52 Abs. 1 und 2, 39 Abs. 1 GKG und Nr. 8.3 sowie Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013 (NordÖR 2014, 11).

Für das zweite Begehren - die Geltendmachung eines Anspruchs auf Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis im Wege einer einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO - erschiene es angemessen, im Hauptsacheverfahren einen Streitwert in Höhe des Auffangwertes nach § 52 Abs. 2 GKG und somit von 5.000 EUR anzusetzen. Dieser Wert ist für das Eilbeschwerdeverfahren wegen der darin begehrten Vorwegnahme der Hauptsache gemäß Nr. 1.5 Satz 2 des Streitwertkatalogs nicht zu halbieren. Unter Berücksichtigung des Umstandes, dass die Bekämpfung des Zusatzes nach § 60b Abs. 1 AufenthG zur Duldung mittels Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage 7 A 131/20 nach § 80 Abs. 5 Satz 1, 1. Alt. VwGO (erstes Begehren) im vorliegenden Fall lediglich den Versagungsgrund aus § 60b Abs. 5 Satz 2 AufenthG im Wege der Suspendierung des Zusatzes hat vorläufig beseitigen und damit das Hindernis für die mit dem zweiten Begehren erstrebte Erteilung einer Beschäftigungserlaubnis hat ausräumen sollen, wirkt sich das erste Begehren nicht streitwerterhöhend aus (vgl. zu diesem Ergebnis bereits Senatsbeschl. v. 9.6.2021, a.a.O., juris Rn. 81). Insgesamt ergibt sich somit für das Beschwerdeverfahren ein Streitwert in Höhe von 5.000 EUR.

IV. Die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für das Beschwerdeverfahren unter Beiordnung des Prozessbevollmächtigten des Antragstellers folgt aus § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit §§ 114 Abs. 1 Satz 1, 121 Abs. 1 ZPO, die zugehörige Kostenentscheidung aus §§ 1 Abs. 2, 3 Abs. 2 GKG und § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO in Verbindung mit § 118 Abs. 1 Satz 4 ZPO.

Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§§ 92 Abs. 3 Satz 1, 152 Abs. 1, 158 Abs. 2 VwGO, §§ 68 Abs. 1 Satz 5, 66 Abs. 3 Satz 3 GKG).