Vergabekammer Lüneburg
Beschl. v. 13.05.2016, Az.: VgK-10/2016
Vergabesperre und Ausschluss aus einem Vergabeverfahren; Ausschreibung der Erstellung von Baugrundgutachten für ein Leitungsbauprojekt im Verhandlungsverfahren als Dienstleistungsauftrag gem. Sektorenverordnung (SektVO); Erstellung einer Stromleitung im Höchstspannungsnetz zur Ableitung von EEG Strom in Form von Offshore Windstrom; Oligopol der Übertragungsnetzbetreiber
Bibliographie
- Gericht
- VK Lüneburg
- Datum
- 13.05.2016
- Aktenzeichen
- VgK-10/2016
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2016, 25144
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- [keine Angabe]
Rechtsgrundlagen
- § 98 GWB
- § 101a GWB
- § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB
- § 124 GWB
- § 186 Abs. 2 GWB 2016
- § 1 Abs. 1 SektVO
- § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO
In dem Nachprüfungsverfahren
der xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragstellerin -
gegen
die xxxxxx,
Verfahrensbevollmächtigte: xxxxxx,
- Antragsgegnerin -
beigeladen:
xxxxxx,
- Beigeladene -
wegen
Vergabeverfahren Baugutachten für das 380-kV-Leitungsbauprojekt xxxxxx
hat die Vergabekammer durch den Vorsitzenden, RD Gaus, den hauptamtlichen Beisitzer BOR Peter und den ehrenamtlichen Beisitzer Dipl.- Biologe Sameluck auf die mündliche Verhandlung vom 29.04.2016 beschlossen:
Tenor:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Die Höhe der Gebühr wird auf xxxxxx €. festgesetzt. Auslagen sind nicht entstanden.
- 3.
Die Kosten (Gebühren und Auslagen der Vergabekammer) des Nachprüfungsverfahrens trägt die Antragstellerin.
Begründung
I.
Die Vergabestelle und Antragsgegnerin hat mit EU-Vergabebekanntmachung vom xxxxxx.2015 die Erstellung von Baugrundgutachten für das 380-kV-Leitungsbauprojekt xxxxxx europaweit im Verhandlungsverfahren als Dienstleistungsauftrag gem. Sektorenverordnung (SektVO) ausgeschrieben. Die Leistungen umfassten u. a. Baugrunderkundungen und bodenmechanische Laborversuche zur Erstellung von geotechnischen Gutachten für ca. 110 Standorte. Den Auftragswert schätzte die Antragsgegnerin gem. ihrem Vergabevermerk vom 03.08.2015 auf xxxxxx € (netto) ein. Unter Ziffer VI.4.2) der Bekanntmachung wurde als zuständige Stelle für Nachprüfungsverfahren die Vergabekammer Niedersachsen benannt.
Bis zum hierfür gem. Ziffer IV.3.4) der Bekanntmachung vorgesehenen Schlusstermin für den Eingang der Teilnahmeanträge am xxxxxx.2015 stellten 17 Bieter, darunter die Antragstellerin, fristgerecht einen Antrag zur Teilnahme am Verhandlungsverfahren.
Im Vorfeld zur streitgegenständlichen Ausschreibung wurde die Antragstellerin von der Antragsgegnerin am 06.03.2014 beauftragt, Ausschreibungsunterlagen und ein Leistungsverzeichnis für Baugrunduntersuchungen und von Gründungsgutachten für Freileitungsmasten zu erstellen. Das "Musterleistungsverzeichnis" wurde von der Antragsgegnerin für ihre nachfolgenden Ausschreibungen unter Mitwirkung der Antragstellerin jeweils projektbezogen angepasst.
Die Antragstellerin beteiligte sich an den nachfolgenden Ausschreibungen der Antragsgegnerin als Bieter und erhielt am xxxxxx.2014 die Aufträge für Baugrunduntersuchungen für die Planungsabschnitte xxxxxx und xxxxxx und im Weiteren am 02.04.2015 den Auftrag für Baugrunduntersuchungen für den Planungsabschnitt xxxxxx.
Im Zuge der Ausführung der Arbeiten für den Abschnitt xxxxxx kam es zu Verwerfungen zwischen den Vertragsparteien als die Antragsgegnerin im Rahmen interner Untersuchungen mögliche Unregelmäßigkeiten feststellte. Nach einer Befragung der Antragstellerin sprach die Antragsgegnerin am 08.10.2015 eine außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung gegenüber der Antragstellerin für den Abschnitt xxxxxx aus. Die Kündigung begründete sie im Wesentlichen damit, dass ihre internen Untersuchungen ergeben hätten, dass Mitarbeiter der Antragstellerin mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Antragsgegnerin unter systematischer Manipulation des Vergabeverfahrens kollusiv zusammengewirkt hätten, mit dem Ziel, dass die Antragstellerin den Auftrag erhalte.
Noch am Tage der Kündigung des Vertrages xxxxxx kündigte die Antragsgegnerin der Antragstellerin eine dreijährige (allgemeine) Vergabesperre wegen gravierender Zweifel an deren Zuverlässigkeit an und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme. Die Antragstellerin wies die gegen sie erhobenen Vorwürfe mit anwaltlichen Schreiben vom 30.10.2015 zurück.
In Bezug auf das streitgegenständliche Verfahren xxxxxx kündigte die Antragsgegnerin am 23.10.2015 den Ausschluss des Angebotes der Antragstellerin an, da gravierende Zweifel an deren Zuverlässigkeit gem. § 97 Abs. 4 S. 1 GWB bestehen würden und zudem eine mögliche Verletzung des Geheimwettbewerbs gem. § 97 Abs. 1 GWB vorliege und gab ihr Gelegenheit zur Stellungnahme bis zum 02.11.2015. Das Schreiben schloss mit der Formulierung:
"Sofern sie innerhalb der von uns gesetzten Frist keine Stellungnahme einreichen, wird ihr Unternehmen wie angekündigt von der Teilnahme an dem im Betreff genannten Vergabeverfahren ausgeschlossen."
Noch innerhalb der Frist zur Stellungnahme führte die Antragsgegnerin das Verfahren fort, indem sie am 28.10.2015 ohne die Beteiligung der Antragstellerin 13 Bieter zur Angebotsabgabe aufforderte und nach erfolgter Angebotswertung den Bietern, die sie zur Angebotsabgabe aufgefordert hatte, mit Bieterinformation gem. § 101 a GWB am 01.02.2016 mitteilte, den Zuschlag frühestens am 12.02.2016 auf das Angebot der Beigeladenen erteilen zu wollen.
Am 19.02.2016 erteilte die Antragsgegnerin der Beigeladenen den Zuschlag.
In Bezug auf den angekündigten Ausschluss vom streitgegenständlichen Vergabeverfahren für den Abschnitt xxxxxx ließ die Antragstellerin den ihr gesetzten Termin zur Stellungnahme verstreichen und wies die gegen sie erhobenen Vorwürfe mit anwaltlichem Schreiben der damaligen Bevollmächtigten vom 03.11.2015 zurück. Eine als solche bezeichnete Rüge erhob sie nicht.
Nach einem in der Vergabeakte befindlichen Vermerk vom 29.03.2016 zum Ausschluss der Antragstellerin sei die Vergabestelle zu diesem Zeitpunkt nach eigenem Bekunden davon ausgegangen, dass der Ausschluss der Antragstellerin durch das Verstreichenlassen des gesetzten Termins formal bewirkt gewesen sei, weshalb die Antragstellerin auch nicht mehr am weiteren Vergabeverfahren beteiligt worden sei. Erst im Zusammenhang mit der später verhängten Vergabesperre seien Zweifel daran aufgekommen, ob das Ausschlussschreiben vom 23.10.2015 für einen wirksamen Ausschluss als ausreichend angesehen werden konnte, weshalb man sich später entschlossen habe, den Ausschluss "zur Wahrung der Transparenz" und "um der xxxxxx einen wirksamen Rechtsschutz zu ermöglichen" nochmal förmlich zu erklären und die Antragstellerin im Sinne des § 101 a GWB zu informieren.
Nachdem die Antragsgegnerin den Geschäftsführer der Antragstellerin am 09.12.2015 zu den Vorwürfen persönlich befragte, mit anwaltlichem Schreiben vom 20.01.2016 erneut eine Vergabesperre androhte und die Antragstellerin die erhobenen Vorwürfe anwaltlich am 09.02.2016 wiederrum zurückwies, verhängte die Antragsgegnerin schließlich am 03.03.2016 eine dreijährige Vergabesperre gegen die Antragstellerin. Sie begründete die Vergabesperre mit einem 31-seitigen Schreiben.
Sie gliederte die vorgetragenen Vergaberechtsverstöße in drei Gruppen, nämlich in zweifelsfrei erwiesene, offensichtliche und sehr wahrscheinliche.
Als zweifelsfrei erwiesen sah die Antragsgegnerin den Umstand an, dass die Antragstellerin Anfang 2014 den Auftrag erhalten hatte, ein Leistungsverzeichnis für Baugrunduntersuchungen zu erstellen, das in der Folge auch für weitere Ausschreibungen verwandt wurde, an denen die Antragstellerin selbst als Bieter teilnahm. Damit habe sie einen erheblichen Wettbewerbsvorteil erlangt, weil sie das Leistungsverzeichnis an die eigenen Stärken anpassen konnte und sie dieses vor allen anderen Bietern kannte. Vergaberechtlich sei es zwar per se nicht unzulässig wenn ein Unternehmen im Vorfeld einer Ausschreibung beratend für den Auftraggeber tätig wird und sich später als Bieter an dem Verfahren beteiligt. Vergaberechtswidrig sei es aber, wenn das Unternehmen - wie in diesem Fall die Antragstellerin - seine Beratertätigkeit bewusst zu seinen Gunsten ausnutzt.
So seien im Verfahren für das Projekt xxxxxx Bieterfragen der Firma xxxxxx, die üblicherweise vom Auftraggeber beantwortet würden, von Mitarbeitern der Antragsgegnerin per E-Mail vom 16.01.2015 an die Antragstellerin mit der Bitte um Beantwortung weitergeleitet worden. Die Antragstellerin sei der Bitte ebenfalls via E-Mail auch nachgekommen. Durch die Übersendung des Fragenkatalogs sei einerseits die Identität eines Mitbewerbers bekannt geworden, was angesichts des vergaberechtlichen Grundsatzes des Geheimwettbewerbs für sich genommen rechtswidrig sei. Andererseits sei es auch für einen vergaberechtlich nicht versierten Wirtschaftsteilnehmer ohne weiteres erkennbar, dass er ihm Rahmen eines geheimen Vergabeverfahrens nicht als Berater des Auftraggebers zur Beantwortung von Fragen anderer Bieter - egal welchen Inhalts - herangezogen werden dürfe.
Ferner habe die Antragstellerin auch im weiteren Verfahrensverlauf eine aktive und rechtswidrige Rolle gespielt, in dem sie Fragen für die Verhandlungsgespräche mit ihren Mitbewerbern entworfen habe. Die diesbezügliche E-Mail vom 11.02.2015 hätte technische und rechtliche Ausführungen zum Baugrundrisiko und eine beigefügte Liste mit sechs Fragen enthalten, die mit "Weitere Fragen für die anbietenden Firmen" überschrieben gewesen sei. Die Fragen seien dann in den Verhandlungsgesprächen auch tatsächlich gestellt worden, was einen evidenten und schweren Verstoß gegen die vergaberechtlichen Grundätze des Wettbewerbs sowie der Gleichbehandlung und Transparenz darstelle, da die Antragstellerin die (eigenen) Fragen uneingeschränkt und überzeugend beantworten konnte, während die Mitbewerber die Antworten nicht von vornherein kannten.
Wegen der Vielzahl und des Umfangs der weiteren von der Antragsgegnerin vorgetragenen vermeintlichen Vergaberechtsverstöße wird auf den diesbezüglichen Schriftsatz vom 03.03.2016 verwiesen.
Nach Aussprache der Vergabesperre fragte die Antragstellerin am 15.03.2016 über ihre jetzige Bevollmächtigte bei der Antragsgegnerin an, ob die Vergabesperre auch die Ausschreibung für den streitgegenständlichen Abschnitt xxxxxx beträfe.
Noch am gleichen Tag bestätigte die Antragsgegnerin den Ausschluss und begründete diesen mit dem Verweis auf die Begründung der Vergabesperre vom 03.03.2016. Mit anwaltlichem Schriftsatz vom 16.03.2016 rügte die Antragstellerin ihren Ausschluss vom Verfahren für den Abschnitt xxxxxx.
Nachdem die Antragsgegnerin ebenfalls am 16.03.2016 mit Bieterinformation gem. § 101 a GWB mitteilte, dass "der Zuschlag für das Vergabeverfahren xxxxxx am 29.03.2016 auf die Beigeladene wirksam werde", beantragte die Antragstellerin am 17.03.2016 die Einleitung eines Nachprüfungsverfahrens.
Der Nachprüfungsantrag sei begründet, weil die Antragsgegnerin die Antragstellerin durch den vergaberechtswidrigen Ausschluss vom Vergabeverfahren in ihren Rechten verletze.
Die Antragstellerin habe nicht mit einem ehemaligen Mitarbeiter der Antragsgegnerin "kollusiv" oder gar wiederholt kollusiv zusammengewirkt. Die Antragstellerin habe auch nicht Vergabeverfahren "systematisch manipuliert" oder "hinter dem Rücken und zu Lasten" der Antragsgegnerin agiert. Richtig sei, dass die Antragstellerin aufgrund einer Bestellung der Antragsgegnerin vom 06.03.2014 auftragsgemäß Ausschreibungsunterlagen und ein Leistungsverzeichnis für Baugrunduntersuchungen und von Gründungsgutachten für Freileitungsmasten erstellt habe. Das Leistungsverzeichnis sei bei den nachfolgenden Ausschreibungen von der Antragsgegnerin unter Mitwirkung der Antragstellerin jeweils projektbezogen angepasst worden und hätte nach Prüfung von geotechnisch sachkundigen Mitarbeitern der Antragsgegnerin sodann Verwendung gefunden.
Der Antragsgegnerin sei bekannt gewesen, dass sich die Antragstellerin um die Aufträge bewerben würde. Grundsätzlich sei die Antragstellerin weder von sich aus aktiv gewesen noch sei sie von der Antragsgegnerin auf die Risiken hingewiesen worden, die sich aus der Erlangung eines Projektantenstatus i. S. d. § 4 Abs. 5 VOF im Vergabeverfahren ergeben konnten. Falls die Antragsgegnerin die Mitbewerber nicht über die Mitwirkung der Antragstellerin aufgeklärt habe, sei dies nicht der Antragstellerin anzulasten, denn es sei Aufgabe der Antragsgegnerin gewesen, sicherzustellen, dass der Wettbewerb durch die Teilnahme eines vorbefassten Bieters nicht verfälscht wird. Diese könne die Antragstellerin nicht für mögliche Verfehlungen ihrer eigenen Mitarbeiter verantwortlich machen, die einerseits Nachfrage bei der Antragstellerin gehalten und sie um Mitwirkung gebeten hätten, andererseits aber womöglich die anderen Bieter nicht in der erforderlichen Form darüber unterrichtet hätten. Es sei allein Sache des öffentlichen Auftraggebers, die Einhaltung der vergaberechtlichen Bestimmungen sicherzustellen.
Im Weiteren habe es auch keine Unregelmäßigkeiten bei der Beantwortung von Bieterfragen gegeben. Selbstverständlich hätte sich die Antragsgegnerin um die Beantwortung von Bieterfragen selbst kümmern können und müssen. Wenn sie sich diesbezüglich aus Bequemlichkeit an die Antragstellerin gewandt habe, diese schon aus Gründen der Kollegialität und Höflichkeit auch geantwortet habe, sei dies keine rechtswidrige Abstimmung. Dass die Mitarbeiter der Antragsgegnerin die diesbezügliche Anfrage der Firma xxxxxx nicht anonymisiert hätten, könne der Antragstellerin ebenfalls nicht vorgehalten werden. Weder habe sie von der Antragsgegnerin Einblick in die Verhandlungsführung und Schwachstellen der Mitbewerber erhalten noch habe sie auf Angebote der Konkurrenz Einfluss genommen.
Es habe auch keine Beeinflussung im weiteren Verfahrensablauf durch die Antragstellerin gegeben. Die Antragstellerin sei durch Mitarbeiter der Antragsgegnerin aufgefordert worden, allgemeine Fragen zum Bauablauf zu erstellen, um die Baugrunduntersuchung sicher, verlässlich und im gebotenen Umfang durchführen zu können. Die Fragestellungen hätten auch das Leistungsverzeichnis betroffen. Es habe sich um keine von der Antragstellerin speziell für ein Bietergespräch vorformulierte Fragen gehandelt.
Und schließlich habe die Antragsgegnerin gegen ihre Verpflichtung aus § 101 a Abs. 1 S. 2 GWB verstoßen. In ihrem Vermerk über den Ausschluss der Antragstellerin vom 29.03.2016 habe sie dokumentiert, dass die Vergabestelle die Antragstellerin nicht an der Angebotsphase beteiligt und den Zuschlag an die Beigeladene erteilt habe, ohne die Antragstellerin gem. § 101a GWB vor dem Zuschlag zu informieren, was zur Folge habe, dass der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag gem. § 101 b Abs. 1 GWB unwirksam sei.
Die Antragstellerin beantragt,
- 1.
festzustellen, dass die Antragstellerin durch das verfahrensgegenständliche Vergabeverfahren in ihren Rechten verletzt ist,
- 2.
der Antragsgegnerin zu untersagen, in dem am xxxxxx.2015 bekannt gemachten Vergabeverfahren "Baugrundgutachten für das 380 kV-Leitungsprojekt xxxxxx, einen Zuschlag zu erteilen,
- 3.
der Antragsgegnerin aufzugeben, den Ausschluss der Antragstellerin vom Vergabeverfahren zu revidieren und die Antragstellerin zur Abgabe eines Angebots aufzufordern,
- 4.
hilfsweise: der Antragsgegnerin aufzugeben, das Vergabeverfahren in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe/Verhandlung zurückzuversetzen und die im Teilnahmewettbewerb ausgewählten Bewerber einschließlich der Antragstellerin zur Abgabe eines Angebots/zur Verhandlung aufzufordern,
- 5.
hilfsweise: alle geeigneten Maßnahmen zu treffen, um die Rechtsverletzung der Antragstellerin zu beseitigen und eine Schädigung ihrer Interessen zu verhindern,
- 6.
der Antragstellerin Akteneinsicht in die Vergabeakten der Antragsgegnerin zu gewähren,
- 7.
auszusprechen, dass für die Antragstellerin die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten im Verfahren der Vergabenachprüfung notwendig ist.
Nach erfolgter Akteneinsicht beantragt die Antragstellerin mit Schriftsatz vom 14.04.2016 im Weiteren,
festzustellen, dass der zwischen der Antragsgegnerin und der Beigeladenen geschlossene Vertrag unwirksam ist.
Die Antragsgegnerin beantragt:
- 1.
Der Nachprüfungsantrag wird zurückgewiesen.
- 2.
Es wird festgestellt, dass die Hinzuziehung der Verfahrensbevollmächtigten der Antragsgegnerin notwendig war.
- 3.
Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens und die zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung notwendigen Auslagen.
Hinsichtlich der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrages habe die Vergabekammer Lüneburg mit Beschluss vom 30.09.2015, Az. VgK-30/2015, festgestellt, dass es sich bei der Antragsgegnerin um einen öffentlichen Auftraggeber gem. § 98 Nr. 4 GWB handele. Dieser Rechtsauffassung trete die Antragsgegnerin nicht bei, sähe jedoch in dem gegenwärtigen Nachprüfungsverfahren davon ab, erneut in dieser Sache vorzutragen. Der Nachprüfungsantrag sei jedenfalls unbegründet.
Soweit die Antragstellerin in ihrem Vortrag wiederholt die Kündigung des Vertrages für den Abschnitt xxxxxx und die Verhängung der Vergabesperre thematisiere, sei zunächst darauf hinzuweisen, dass weder die Rechtmäßigkeit der Kündigung noch die Rechtmäßigkeit der Vergabesperre im Rahmen eines Nachprüfungsantrages überprüft werden könnten. Die Vergabesperre könne von daher nur insoweit Verfahrensgegenstand sein, als sie zur inhaltlichen Begründung des Ausschlusses der Antragstellerin herangezogen worden sei. Fragen über ihre Zulässigkeit als zivilrechtliche Willenserklärung und die Verhältnismäßigkeit ihrer Dauer seien jedoch vor den Zivilgerichten auszutragen. Das habe die Antragstellerin auch erkannt und daher einen Antrag auf einstweilige Verfügung vor dem Landgericht xxxxxx eingereicht, vor dem am 13.04.2016 darüber verhandelt werde.
In der Sache selbst sei die Antragstellerin wissentlich und willentlich an den Vergaberechtsverstößen beteiligt gewesen. Soweit die Antragstellerin in diesem Zusammenhang als Hauptargument vortrage, dass sich das Vergaberecht an öffentliche Auftraggeber richte, sodass die der Antragstellerin vorgeworfenen Verstöße gegen die entsprechenden Vorschriften ausschließlich der Antragsgegnerin zur Last fielen, sei auf das Urteil des BGH vom 03.07.2008, I ZR 145/05, hinzuweisen. Der BGH sei dabei zu dem klaren Ergebnis gekommen, dass sich auch private Wirtschaftsteilnehmer an Vergaberechtsverstößen von öffentlichen Auftraggebern beteiligen können. Die Argumentation der Antragstellerin würde dazu führen, dass jegliches Zusammenwirken mit einem Vertreter des Auftraggebers zulässig sei, sofern es nur durch seine Anfrage initiiert werde. Dies sei aber nicht der Fall.
Die Antragsgegnerin könne sich in diesem Zusammenhang auch nicht auf Unwissenheit berufen. So bedürfe es keiner vertieften Kenntnisse des Vergabe- oder Wettbewerbsrecht, um zu erkennen, dass eine Beteiligung am Vergabeverfahren auf Seiten des Auftraggebers und zugleich als Bieter nicht im Sinne eines fairen Wettbewerbs sein könne. Dies umso mehr, als dass es sich bei den verantwortlichen Personen der Antragstellerin durchweg um erfahrene, gestandene und selbstbewusste Geschäftsleute handele, die ohne jeden Zweifel jederzeit gewusst hätten, was sie taten und welche Vorteile das für sie bedeutete.
Die Verstöße der Antragstellerin seien auch nachgewiesen oder durch hinreichend konkrete Anhaltspunkte belegt. So stünden der Antragsgegnerin belastende E-Mail-Korrespondenz, Zeugenaussagen von involvierten ehemaligen Mitarbeitern und sogar Aussagen des Geschäftsführers zur Verfügung - mithin Indiztatsachen von erheblichen Gewicht. So sei zum einen erwiesen, dass die Antragstellerin nicht nur ein Muster eines Leistungsverzeichnisses erstellt habe. Sie habe vielmehr das von ihr selbst erstellte Muster regelmäßig an die jeweiligen Vergabeverfahren, an denen sie später selbst teilnahm, angepasst. Zum anderen habe sie erwiesenermaßen wiederholt erheblich auf Vergabeverfahren eingewirkt, indem sie Bieterfragen für Verhandlungen erstellt, Fragen anderer Bieter beantwortet oder abfällige Einschätzungen über Wettbewerber abgegeben habe.
Der Ausschluss der Antragstellerin sei damit rechtmäßig erfolgt. Er beruhe auf dem Ausschlussgrund des § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO. Danach könne ein Unternehmen von einem Vergabeverfahren ausgeschlossen werden, wenn nachweislich eine schwere Verfehlung vorliege, durch die die Zuverlässigkeit des Unternehmens in Frage gestellt werde. Im vorliegenden Fall hätten die von der Antragsgegnerin durchgeführten internen und externen Untersuchungen zahlreiche Verfehlungen der Antragstellerin ans Licht gebracht, die größtenteils bereits für sich genommen eine Verfehlung in Sinne des § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO darstellen würden. Erst recht sei davon auszugehen, dass die nachgewiesenen Verfehlungen in einer Gesamtschau den erforderlichen Schweregrad für einen Ausschluss erreichen.
Und schließlich habe die Antragstellerin keine wirksamen Selbstreinigungsmaßnahmen entsprechend dem am 18.04.2016 in Kraft tretenden § 125 GWB ergriffen. So habe die Antragstellerin nicht in dem ihr obliegenden Umfang bei der Sachverhaltsaufklärung mitgewirkt. Gegenüber der Antragsgegnerin habe die Antragstellerin mit Blick auf die ihr vorgeworfenen Verfehlungen keinerlei brauchbare Informationen bereitgestellt. Zudem zeige sie keine glaubwürdige Bereitschaft, den durch ihr Verhalten entstandenen Schaden zu ersetzen. Ferner habe die Antragstellerin kein wirksames Compliance-System implementiert. Insbesondere der Umstand, dass der Geschäftsführer der Antragstellerin und der ebenso tief in die Vorgänge verwickelte Prokurist sowie die in Compliance-Fragen unerfahrene Tochter des Geschäftsführers künftig für die Einrichtung und Überwachung eines Compliance-Systems zuständig sein sollen, überzeuge nicht. Und letztlich habe die Antragstellerin keinerlei personelle Konsequenzen gezogen. Alle in die Verfehlungen involvierten Personen seien weiterhin für die Antragstellerin tätig.
Zusammenfassend sei es der Antragsgegnerin unter diesen Umständen nicht zuzumuten, mit der Antragstellerin erneut in vertragliche Beziehungen einzutreten. Im Ergebnis sei die Zuverlässigkeit und Gesetzestreue der Antragstellerin zu verneinen, so dass von einer mangelnden Eignung gem. § 97 Abs. 4 Satz 1 ihrerseits auszugehen sei.
Mit nachgelassenem Schriftsatz beantragt die Antragsgegnerin ferner:
den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen zunächst nicht zu veröffentlichen und den Verfahrensbeteiligten eine Veröffentlichung zunächst zu untersagen.
Die Beigeladene stellt keine Anträge und hat sich nicht zum Verfahren geäußert.
Die Vergabekammer hat mit Verfügung des Vorsitzenden vom 19.04.2016 gemäß § 113 Abs. 1 Satz 2 GWB die Frist für die abschließende Entscheidung der Vergabekammer in diesem Nachprüfungsverfahren über die gesetzliche 5-Wochen-Frist (§ 113 Abs. 1 Satz 1 GWB) hinaus bis zum 23.05.2016 verlängert.
Wegen des übrigen Sachverhaltes wird auf die Schriftsätze der Beteiligten, die Vergabeakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung Bezug genommen.
II.
Der Nachprüfungsantrag ist zulässig aber unbegründet. Auch bei Anwendung des alten Rechts ist eine Rüge grundsätzlich innerhalb von 10 Tagen ab Kenntnis zu erheben. Das folgt aus der gebotenen Interpretation des Begriffs der Unverzüglichkeit in § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB (vgl. nachfolgend II 2). Die Antragsgegnerin ist nach Auffassung der Vergabekammer in dem zu demselben Bauvorhaben ergangenen Beschluss vom 30.09.2015 (VgK-30/2015) nicht generell, aber für dieses und alle gleichartige Projekte öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 GWB. Der öffentliche Auftraggeber, der gegen einen Anbieter eine Vergabesperre verhängt hat, ist nicht verpflichtet, diesen Anbieter in weiteren Vergaben formell erneut über seinen Ausschluss zu informieren und ihm dadurch jedes Mal neu die Möglichkeit zum Rechtsschutz zu eröffnen (vgl. nachfolgend II 2). Der öffentliche Auftraggeber hat auf erste Anforderung der Vergabekammer sofort seine gesamte Vergabeakte vorzulegen. Zur Vergabeakte gehört alles, worauf der öffentliche Auftraggeber seine Entscheidung stützt. Die Antragsgegnerin war gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO berechtigt, die Antragstellerin wegen eines einzelnen Verstoßes für drei Jahre von der Teilnahme an Vergabeverfahren auszuschließen (vgl. nachfolgend II 3). Hebt die Antragsgegnerin einen Vergabeverstoß aus eigener Veranlassung auf, besteht für die Vergabekammer keine Veranlassung, formal die Nichtigkeit eines unter Verstoß gegen § 101a GWB erfolgten Vertragsschlusses festzustellen (vgl. nachfolgend II 4). Ein Verfahrensbeteiligter kann der Vergabekammer nicht die Veröffentlichung ihrer Beschlüsse untersagen (vgl. nachfolgend II 5).
1. Obwohl das GWB 2016, die VgV 2016 und die zeitgleich geänderte Sektorenverordnung zum Zeitpunkt der Entscheidung der Vergabekammer bereits in Kraft getreten sind, hat die Vergabekammer aufgrund der Überleitungsvorschrift des § 186 Abs. 2 GWB 2016 das GWB einschließlich der darauf beruhenden nachrangigen Normen in der im xxxxxx 2015 geltenden Fassung anzuwenden. Gemäß § 186 Abs. 2 GWB 2016 werden Vergabeverfahren, die vor dem 18.04.2016 begonnen haben, einschließlich der sich an diese anschließenden Nachprüfungsverfahren nach dem Recht zu Ende geführt, dass zum Zeitpunkt der Einleitung des Verfahrens galt. Das Vergabeverfahren wurde im xxxxxx 2015 durch die europaweite Bekanntmachung eingeleitet, so dass das zu diesem Zeitpunkt geltende Recht anzuwenden ist.
Die Vergabekammer sieht sich wegen der zum Zeitpunkt der Einleitung des Vergabeverfahrens bereits beschlossenen und inzwischen geltenden Sektorenrichtlinie 2014/25/EU gehalten, die anzuwendende EU-Richtlinie 2004/17/EG und das alte nationale Vergaberecht so anzuwenden, dass kein Widerspruch zur Richtlinie 2014/25/EU und dem neuen Vergaberecht entsteht. EuGH und BGH haben gelegentlich anderer Fälle entschieden, dass beschlossenes EU-Recht eine inhaltliche Vorwirkung auf die Entscheidungspraxis der Verwaltungen und der Justiz entfalte. Nach der Rechtsprechung des EuGH (C-129/96, Urteil vom 18.12.1997, Inter-Environnement Wallonie, Rz. 45) darf der Staat innerhalb der Umsetzungsfrist keine Vorschriften erlassen, die geeignet sind, das Ziel der Richtlinie ernsthaft in Frage zu stellen (vgl. BVerwGE 107, S. 1 ff., S. 22); Ebenso hat der BGH (BGHZ 138, S. 55) für die Rechtsanwendung entschieden: Der BGH sah sich an einer richtlinienkonformen Auslegung nicht dadurch gehindert, dass die Frist für die Umsetzung der Richtlinie zur vergleichenden Werbung noch nicht abgelaufen war. Lasse sich Richtlinienkonformität mittels einfacher Auslegung im nationalen Recht herstellen, so sei der Richter jedenfalls nach deutschem Rechtsverständnis befugt, sein bisheriges Auslegungsergebnis zu korrigieren und den geänderten rechtlichen und tatsächlichen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Die Vergabekammer ist daher verpflichtet, das aufgrund einer Überleitungsvorschrift anzuwendende Recht so anzuwenden, dass kein inhaltlicher Widerspruch zur nationalen Umsetzung der Richtlinie 2014/25/EU auftritt. Zur Erleichterung der Lesbarkeit setzt die Vergabekammer das ab 2016 geltende Recht gelegentlich in Klammern hinter die anzuwendende Vorschrift.
2. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
Die Vergabekammer ist entgegen der bisherigen Auffassung des OLG Celle, auf sich die Antragsgegnerin beruft, sachlich zuständig, weil die Antragsgegnerin öffentliche Auftraggeberin im Sinne des § 98 GWB ist.
a. Die Antragsgegnerin ist als GmbH im Eigentum des xxxxxx weder unmittelbar Gebietskörperschaft nach § 98 Nr. 1 GWB, noch deren Sondervermögen, da eine GmbH, auch wenn sie vollständig im Eigentum einer Gebietskörperschaft steht, nicht unter die meist landesrechtliche Definition des Sondervermögens (§ 130 NKomVG, Art. 88 GO Bayern) fällt. Sondervermögen einer Gebietskörperschaft sind rechtlich unselbstständige, aber organisatorisch selbstständig handelnde und meist auch mit einem eigenen (Unter)-Haushalt versehene Organisationseinheiten von Gebietskörperschaften. Sie unterscheiden sich von der selbstständigen GmbH unter anderem durch die fehlende eigene Insolvenzfähigkeit.
b. Die Antragsgegnerin ist keine öffentliche Auftraggeberin gemäß § 98 Nr. 2 GWB. Sie ist eine juristische Person des privaten Rechts mit Sitz in Deutschland, die von einer Gebietskörperschaft, nämlich dem xxxxxx durch deren 100-prozentige Beteiligung überwiegend finanziert wird. Jedoch ist die Antragsgegnerin wegen ihrer xxxxxx Inhaberschaft nicht mit dem Ziel gegründet worden, im spezifischen deutschen Allgemeininteresse liegende Aufgaben nicht gewerblicher Art zu erfüllen. Die Vergabekammer geht davon aus, dass es sich bei dem xxxxxx um eine Gebietskörperschaft handelt. Der Begriff der Gebietskörperschaft ist kein spezifisch deutscher Begriff. Der Begriff wird in Art. 2 Abs. 1 a) der Richtlinie 2004/17/EG erwähnt und in Art. 3 Nr. 2 der RL 2014/25/EU in umfassender Weise definiert. Gebietskörperschaften werden durch das Gebiet definiert und sind unabhängig vom Wechsel ihrer Mitglieder. Die Mitgliedschaft einer Person zu einer Gebietskörperschaft ergibt sich nicht durch freiwilligen Beitritt, sondern kraft Gesetz, hier dem xxxxxx Staatsangehörigkeitsrecht. Der Begriff der Gebietskörperschaft aus § 98 Nr. 2 GWB ist daher nicht auf deutsche Gebietskörperschaften zu beschränken. Bei der Anwendung einer europarechtlichen und daher europaweit gültigen Norm, die dazu dienen soll, einen grenzüberschreitenden Wettbewerb nach einheitlichen Kriterien zu ermöglichen, erscheint es nicht angemessen, einen darin verwendeten Begriff auf ein nationales Verständnis zu begrenzen (unsicher OLG Celle, Beschluss vom 08.08.2013, 13 Verg 7/13).
c. Problematisch ist die Frage, ob die Antragsgegnerin auch Auftraggeberin gemäß § 98 Nr. 4 Alt. 1 GWB ist. Danach müsste sie ihre Tätigkeit im Sektorenbereich auf der Grundlage von besonderen oder ausschließlichen Rechten ausüben, die staatlich gewährt worden sind.
§ 98 Nr. 4 Satz 1 Halbsatz 2 GWB definiert die besonderen oder ausschließlichen Rechte anhand ihrer Auswirkungen auf den Markt. Besondere oder ausschließliche Rechte führen dazu, dass die Ausübung dieser Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Somit begründet jedes Monopol oder Oligopol zunächst ein besonderes oder ausschließliches Recht. Es ist tatbestandlich nicht erforderlich, bei Oligopolen auch nicht möglich, dass der Inhaber des Rechts in den Markt drängende Konkurrenten im Klagewege auf Unterlassung in Anspruch nehmen kann.
Ein solches Oligopol des Rechtsvorgängers der Antragsgegnerin hat die Europäische Kommission in ihrer Entflechtungsentscheidung vom 26.11.2008 festgestellt, mit der die Vorgängerin der Antragsgegnerin verpflichtet wurde, ihr Netz zu veräußern (Rdnr. 57). Nach Rdnr. 48 der Entscheidung hatte xxxxxx als Übertragungsnetzbetreiberin ein Nachfragemonopol im Bereich der Sekundärregelenergie im Netz der xxxxxx. Daher sieht die Vergabekammer ein Oligopol der Betreiber von Übertragungsnetzen in Deutschland, an dem die Antragsgegnerin in Verbindung mit den anderen drei Übertragungsnetzbetreibern beteiligt ist.
Die Antragsgegnerin betreibt auf xxxxxx % der Grundfläche der Bundesrepublik Deutschland ein Übertragungsnetz für Strom in Form eines Höchstspannungsnetzes, mit dem sie Industrie und Endverbraucher in Deutschland mit Strom versorgt. In Deutschland gibt es insgesamt vier Übertragungsnetzbetreiber. Diese haben das von Ihnen zu versorgende Gebiet untereinander aufgeteilt. Es ist kein anderer Netzbetreiber erkennbar, der auf dieser Fläche bereit oder technisch in der Lage wäre, ein Übertragungsnetz zu errichten, zu betreiben und es an das vorhandene Stromnetz der vier aktuellen Übertragungsnetzbetreiber anzubinden. Die Frage, ob die Antragsgegnerin einen neuen Übertragungsnetzbetreiber in ihr Netz einbeziehen würde, hat die Antragsgegnerin im Vergabeverfahren VgK-30/2015 nicht wettbewerbsrechtlich zufriedenstellend beantwortet.
Durch die Größe der Betriebsnetze, bei der Antragsgegnerin ca. xxxxxx km2, ist eine verfestigte Marktposition entstanden, die so lange nicht verändert werden kann, solange die vier miteinander die Versorgung Deutschlands mit Übertragungsnetzen gewährleistenden Anbieter die vorgefundenen Gebietsgrenzen einhalten. Das erhebliche Investitionsvolumen in Verbindung mit dem langwierigen bis undurchführbaren Errichtungsverfahren verhindert den Marktzutritt neuer Wettbewerbsteilnehmer. Für einen Wettbewerb unter den derzeitigen Übertragungsnetzbetreibern um Netzstrecken gibt es keinen Anhaltspunkt. Die von der Antragsgegnerin angeführte Querverbindungsleitung zwischen dem Bereich "xxxxxx" nach "xxxxxx" stellt keine Ausnahme dar, da es sich wohl lediglich um ein Verbindungsnetz zwischen den beiden Netzgebieten zum Ausgleich von Stromüberschüssen handelt, welches nicht zur Aufgabe hat, die vollzogene Aufteilung der Netzgebiet infrage zu stellen oder einem Wettbewerb auszusetzen. Auch dass der zweite Bauabschnitt der hier streitgegenständlichen Leitung von xxxxxx ausgeführt wird, widerspricht nicht der Gebietsaufteilung. Zwar befindet sich auch der zweite Bauabschnitt mindestens weit überwiegend im Gebiet der Antragsgegnerin, jedoch soll die vorgesehene Gesamtleitung die Gebiete von xxxxxx und xxxxxx verbinden. Ein Bauen von zwei Seiten mit mehreren Planungsteams ist gerade dann, wenn bundesweit erheblicher Netzbaubedarf mit ungleicher regionaler Verteilung besteht, weder unüblich, noch ein Indiz, dass das kollegiale Miteinander der Netzbetreiber zu einer Konkurrenz geworden sei.
Die Feststellung eines faktischen Oligopols bzw. regionalen Monopols genügt noch nicht, um nach heutiger Rechtslage das Vorliegen eines besonderen oder ausschließlichen Rechtes festzustellen. Gemäß § 98 Nr. 4 GWB müssen die besonderen oder ausschließlichen Rechte zusätzlich von einer zuständigen Behörde gewährt worden sein. Daran fehlt es hier formal.
Wie das OLG Celle (08.08.2013, 13 Verg 7/13) zutreffend angemerkt hat, ist ergänzend zum Wortlaut des § 98 Nr. 4 GWB der Wortlaut der Vergaberichtlinie heranzuziehen, da § 98 GWB die nationale Umsetzung von Europarecht darstellt, somit nicht gegen Europarecht verstoßen darf. Gem. Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 2004/17/EG sind" "besondere oder ausschließliche Rechte" im Sinne dieser Richtlinie Rechte, die von einer zuständigen Behörde eines Mitgliedsstaats mittels Rechts- oder Verwaltungsvorschriften gewährt wurden und dazu führen, dass die Ausübung einer der in den Art. 3 - 7 genannten Tätigkeiten einem oder mehreren Unternehmen vorbehalten wird, und dass die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, erheblich beeinträchtigt wird. Somit weicht § 98 Nr. 4 GWB nicht vom Wortlaut der Richtlinie ab.
Das OLG Celle hat in jenem Beschluss unter Heranziehung der in der Literatur vertretenen Rechtsansichten entschieden, dass sich der Auftraggeber nicht auf ausschließliche Rechte berufen könne, daher kein öffentlicher Auftraggeber sei. Dabei stützt sich das OLG Celle nicht nur auf den eigentlichen Text der EU-Richtlinie, sondern ebenso auf Erwägungsgrund 25 zur Richtlinie 2004/17/EG. Dieser Erwägungsgrund ist als Nr. 20 in der Richtlinie 2014/25/EU inhaltlich neu gefasst worden. Der Bezug aus Erwägungsgrund 25 zu den Enteignungsverfahren, auf den das OLG Celle seinerzeit seine Entscheidung maßgeblich stützte, ist in Richtlinie 2014/25/EU entfallen.
Art. 4 Abs. 3 der RL 2014/25/EU legt fest: Im Sinne dieses Artikels sind "besondere oder ausschließliche Rechte" Rechte, die eine zuständige Behörde eines Mitgliedstaats im Wege einer Rechts- oder Verwaltungsvorschrift gewährt hat, um die Ausübung von in den Artikeln 8 bis 14 aufgeführten Tätigkeiten auf eine oder mehrere Stellen zu beschränken, wodurch die Möglichkeit anderer Stellen zur Ausübung dieser Tätigkeit wesentlich eingeschränkt wird. Die RL 2014/25/EU enthält somit eine den Vorgängerrichtlinien bis zu Art. 2 Abs. 3 der Richtlinie 90/531/EWG zurückreichende vergleichbare Regelung zu den Oligopolen und Monopolen aufgrund staatlicher Gewährung. Die Vergabekammer folgt daher nicht der von Schröder (NZBau 2012, 541) vertretenen These, es habe eine inhaltliche Änderung auf EU-Ebene gegeben. Tatsächlich wurden nur die erläuternden Beispielsfälle in den Regelwerken verändert.
Das vorgefundene Oligopol beruht nicht auf einer ausdrücklichen hoheitlichen Gewährung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift.
Eine Gewährung von Versorgungsgebieten für Übertragungsnetzbetreiber kennt das aktuelle EnWG nicht. Der Betreiber des Übertragungsnetzes hat zwar besondere Befugnisse wie die der Netzanpassung gemäß § 13 Abs. 2 EnWG. Diese besonderen Befugnisse beruhen auf einer staatlichen Gewährung, allerdings umfasst die Gewährung nicht die Position als Übertragungsnetzbetreiber, sondern setzt diese Eigenschaft bereits als gegeben voraus. Auch der Begriff des Übertragungsnetzbetreibers in § 3 Nr. 10 EnWG ist an eine bereits bestehende gebietsbezogene tatsächliche Sachherrschaft gebunden. Die dem Netzbetreiber auferlegten Pflichten im Zusammenhang mit dem Regelverbund haben gleichfalls keinen Bezug zu einer staatlichen Gewährung, knüpfen vielmehr an die bereits bestehende Stellung als Netzbetreiber an.
Bei dem Begriff des Übertragungsnetzbetreibers handelt es sich um eine Eigenschaft aufgrund faktischer Ausübung. Da der Titel nicht staatlich gewährt oder verliehen wird, wird er dem Übertragungsnetzbetreiber auch bei erheblichen Pflichtverstößen nicht aberkannt. Das Energiewirtschaftsgesetz kennt als schwerste Sanktion gegenüber dem Übertragungsnetzbetreiber lediglich die Vorteilsabschöpfung gemäß § 33 EnWG, nicht aber den Entzug des Übertragungsnetzes.
Eine formale staatliche Gewährung ergibt sich nicht aus der historischen Herleitung. Das Übertragungsnetz der Antragsgegnerin wurde ursprünglich vom preußischen Staat gegründet, um eine Aufgabe der öffentlichen Daseinsvorsorge zu erfüllen. Die Gründung erfolgte nicht in Form einer staatlich strukturierten Verwaltung, sondern als staatliche Beteiligung an einer privaten Aktiengesellschaft. Das Netz auf dem Gebiet des heutigen Niedersachsens wurde ab 1928 im Wesentlichen von der Preußischen Elektrizitäts AG mit Sitz in Berlin (Preußen Elektra) betrieben.
Zu preußischen Zeiten gab es keine förmliche hoheitliche Gewährung, sondern eine wirtschaftliche Förderung und wirtschaftlich organisierte Lenkung des regional begrenzten Monopols. Das Energiewirtschaftsgesetz vom 13.12.1935 (BGBl. Teil III 752) mit dem laut Präambel gesetzgeberischen Ziel, "volkswirtschaftlich schädliche Auswirkungen des Wettbewerbs zu verhindern", kannte zwar bereits in § 6 Versorgungsgebiete von Energieversorgungsunternehmen, traf dazu aber keine ausdrücklich gewährende Aussage. Gemäß § 4 EnWG 1935 mussten die Energieversorgungsunternehmen den Bau von Energieanlagen anzeigen. Die Regierung hatte die Möglichkeit der Beanstandung. Eine Genehmigungspflicht gab es nur für Unternehmen, die noch nicht Energieversorgungsunternehmen waren. Somit war der Marktzutritt erschwert.
Der Staat gewährte mit dieser ersten gesetzlichen Regelung der Energiewirtschaft die besonderen und ausschließlichen Rechte der Energieversorgungsunternehmen nicht, sondern fand sie vor und schützte sie entsprechend dem damaligen gesetzgeberischen Ziel. Die weiteren bedeutenderen Reformen des Energiewirtschaftsrechtes durch das Gesetz zur Änderung energierechtlicher Vorschriften vom 19. Dezember 1977 (BGBl. I, Seite 2750) und das Energiewirtschaftsgesetz vom 24.04.1998 (BGBl. I, S. 730) enthalten gleichfalls keine staatliche Gewährung besonderer oder ausschließlicher Rechte, greifen allerdings auch nicht in die bereits bestehenden Rechte ein. Sie haben auch nicht dazu geführt, dass der bis dahin geschlossene Markt geöffnet wurde. Das Bundeskartellamt führt in seiner Sektorenuntersuchung Stromerzeugung und -großhandel vom Januar 2011 auf Seite 37 aus: "Bis zu den ersten Liberalisierungsanstrengungen ab dem Jahre 1998 war der deutsche Strommarkt maßgeblich durch das vorrangige Ziel der Versorgungssicherheit sowie die Anerkennung des gesamten Strommarktes als natürliches Monopol gekennzeichnet".
Dieses "natürliche Monopol" bzw. Oligopol der Übertragungsnetzbetreiber bestand in seinen Auswirkungen auch nach Wegfall der gesetzlichen Privilegierung noch wirtschaftlich stabil fort. Der BGH ging noch im Jahr 2008 von einem bestehenden Oligopol unter Beteiligung der xxxxxx als noch nicht vertikal entkoppelter Rechtsvorgängerin der Antragsgegnerin aus (BGH, Beschluss vom 11. 11. 2008 - KVR 60/07, BGHZ 178, S. 285). Es ist der Vergabekammer nicht erkennbar, dass sich die Marktsituation im Übertragungsnetzbereich seitdem wesentlich geändert hätte.
Die Vergabekammer neigt zu der Auffassung, dass die dauerhaft lenkende und fördernde Duldung eines bestehenden Oligopols der staatlichen Gewährung durch Rechts- oder Verwaltungsvorschrift inhaltlich gleichsteht. Die Gewährung besonderer Rechte ist nicht ausschließlich auf hoheitliches Handeln beschränkt, sondern kann gleichermaßen durch vertragliches Handeln gemäß § 54 ff. VwVfG oder in anderer geeigneter Weise durch wirtschaftslenkende Maßnahmen erfolgen (Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberechtkommentar, 3. Auflage 2011, § 98, Rdnr. 113; Pünder in Pünder/Schellenberg, 1. Auflage, § 98, Rdnr. 82; Schröder, NZBau 2012, 541). Es ist nicht zu beanstanden, sondern volkswirtschaftlich sinnvoll, wenn der Staat wichtige und aufwändige Vorhaben der Infrastruktur nicht im Wettbewerb, also teilweise doppelt errichtet wissen will. Das OLG Düsseldorf (Beschluss vom 12.12.2012 - VI-3 Kart 137/12) hat in einer Entscheidung (nachfolgend BGH, NVwZ 2014, S. 1600) darauf hingewiesen, dass eine Zersplitterung des bestehenden Mittelspannungsnetzes aufgrund der notwendigen Entflechtung mit erheblichen Folgekosten einhergehe, was wiederum dem Ziel des EnWG, eine möglichst preisgünstige Versorgung der Allgemeinheit sicherzustellen, widerspreche. Das gilt entsprechend für das von der Antragsgegnerin betriebene Höchstspannungsnetz.
Es gibt nur ein hoheitlich verwaltetes Netz der Autobahnen und Bundesstraßen, es gibt nur ein in privater Rechtsform betriebenes Schienennetz für den Fernverkehr, und auch in der örtlichen leitungsgebundenen Versorgung (Wasser, Strom, Gas) gibt es jeweils nur einen regionalen Anbieter des Netzes. Im Fall der DB Netz AG ist anerkannt, dass sie trotz ihrer privaten Rechtsform ein öffentlicher Auftraggeber ist (Diehr in Reidt/Stickler/Glahs, Vergaberechtkommentar, 3. Auflage 2011, § 98, Rdnr. 87). Das gilt ebenso für die kommunalen oder regionalen Betreiber von Versorgungsnetzen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 21.05. 2008 - Verg 19/08, NZBau 2009, 67 [OLG Düsseldorf 21.05.2008 - VII-Verg 19/08]). Das kann die Vergabekammer für den diesen Versorgungsnetzbetreibern vorgelagerten Übertragungsnetzbetreiber nicht anders entscheiden.
Wettbewerb findet sinnvollerweise nicht zwischen parallel errichteten Netzen statt, sondern im Netz. Der Wettbewerb wird durch Durchleitungsrechte und Regelungen zur Höhe der Durchleitungsentgelte gesichert. Die Gegenleistung für die mit der Einräumung des begrenzten Monopols/Oligopols verbundenen besonderen Rechte besteht vergaberechtlich in der Verpflichtung, nach der Sektorenverordnung zu vergeben. Deren Vorschriften hat die Antragsgegnerin in ihrem Vergabeverfahren tatsächlich durch die Verwendung der einschlägigen Vordrucke und durch die Ausgestaltung des Vergabeverfahrens bereits angewandt.
§ 4 EnWG eröffnet seit der Reform von 1998 mit dem Anspruch auf die Netzbetriebsgenehmigung theoretisch jedem den Weg zum Netzbetrieb, der die personelle, technische und wirtschaftliche Leistungsfähigkeit und Zuverlässigkeit besitzt, um den Netzbetrieb entsprechend den Vorschriften dieses Gesetzes auf Dauer zu gewährleisten. Diese rechtliche Öffnung des Netzbetriebs hat aber angesichts der erheblichen Investitionserfordernisse, der durchaus anspruchsvollen, im Umfang sachlich gerechtfertigten Anforderungen an den von Anfang an vorzuhaltenden Kenntnisstand des künftigen Netzbetreibers, aber auch aufgrund der festgefügten Netzbetreiberstrukturen langfristig nicht zu einer Marktöffnung geführt. Die Möglichkeit der Errichtung von Teilnetzstrecken durch Dritte ist vielmehr eine theoretische Option geblieben. Die von Schröder (NZBau 2012, 542) geforderte Einzelfallprüfung unter Berücksichtigung der Markt- und Wettbewerbsverhältnisse, ob und wie viele Unternehmen an der Ausübung einer bestimmten Sektorentätigkeit Interesse zeigen können, ergibt, dass empirisch kein Interesse Dritter am Übertragungsnetzbetrieb feststellbar ist, der Markt daher trotz der rechtlichen Öffnung und der Entflechtungsentscheidung der Europäischen Kommission vom 26.11.2008 verschlossen geblieben ist. Die Möglichkeit anderer Unternehmen, diese Tätigkeit auszuüben, ist erheblich beeinträchtigt.
Die RL 2014/25/EU enthält in Art 4 Abs. 3 als wesentliche Neuerung gegenüber der älteren Textfassung einen zugunsten der Antragsgegnerin wirkenden Satz 2, wonach Monopole oder Oligopole ihre wettbewerbsbeschränkende Wirkung verlieren, wenn sie einmal dem Markt in einem öffentlichen und transparenten Verfahren zur Verfügung gestanden haben. Die Erwägung Nr. 20 der Richtlinie 2014/24/EU wiederholt dies.
Das faktische und historisch begründete Oligopol der Antragsgegnerin stellt somit selbst dann kein zur Anwendung des Sektorenrechts führendes Wettbewerbshindernis mehr dar, wenn es in einer staatlicher Gewährung gleichstehenden Weise eingeräumt worden ist, aber durch einen öffentlich bekannt gegebenen und inhaltlich transparenten Erwerbsvorgang "gereinigt" worden ist. Die Antragsgegnerin hat sich im Verfahren VgK-30/2015 auf die Genehmigung des Erwerbsgeschäfts durch die Europäische Kommission vom 04.02.2010 (2010, D1369) berufen. Die Entscheidung erging aufgrund der EG-Fusionskontrollverordnung (Verordnung Nr. 139/2004 des Rats). Darin erklärt die Europäische Kommission, dem ihr angezeigten Erwerbsvorgang nicht zu widersprechen und erklärt ihn für vereinbar mit den Grundsätzen des gemeinsamen Markts. Das ist kein unmittelbarer Beleg für eine öffentliche Bekanntmachung. Erwägungsgrund 42 der VO 139/2004 bezieht sich nicht auf den Erwerbsvorgang, sondern auf die Entscheidung der Kommission. Die Anhörung nach Art 18 Abs. 4 der VO erfüllt nicht die Voraussetzung der allgemeinen Publizität. Somit hat die Antragsgegnerin weder die Publizität, noch die Transparenz zu belegen vermocht. Das aufrecht erhaltene Oligopol ist folglich nicht durch den Erwerbsvorgang gereinigt.
d. Auf die verbindliche Entscheidung dieser Fragen kommt es hier aber nicht an. Denn die Antragsgegnerin ist Auftraggeberin gemäß § 98 Nr. 4 Alt. 2 GWB . Liegen die Voraussetzungen der 2. Alternative vor, bedarf es nicht zusätzlich der Feststellung besonderer oder ausschließlicher Rechte (Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 3. Auflage 2014, § 98 GWB, Rdnr. 292). Die Antragsgegnerin ist eine juristische Person des privaten Rechts, die mit dem konkret zu vergebenden Auftrag auf dem Gebiet der Energieversorgung im Sinne der Anlage zu § 98 GWB tätig ist. Der hier streitige Auftrag dient der Erstellung einer Stromleitung im Höchstspannungsnetz zur Ableitung von EEG Strom in Form von Offshore Windstrom.
Die weitere Tatbestandsvoraussetzung des § 98 Nr. 4 Alt. 2 GWB (§ 100 Abs. 1 Nr. 2 b GWB 2016), dass Auftraggeber, die unter Nr. 1 - 3 fallen, auf diese Person einzeln oder gemeinsam einen beherrschenden Einfluss ausüben können, ist ebenfalls erfüllt. Da das xxxxxx Alleineigentümerin der Antragsgegnerin ist, kann diese Gebietskörperschaft (vgl. oben Ziffer b.) auf die Antragsgegnerin einen beherrschenden Einfluss ausüben. Auf den konkreten allgemeinen oder gar einzelfallbezogenen Nachweis kommt es angesichts der abstrakten Fassung des Tatbestands "ausüben können" nicht an. Einen in der Literatur als schwierig aber immerhin möglich beschriebenen Versuch, die Beherrschungsvermutung zu widerlegen (vgl. Eschenbruch in Kulartz/Kus/Portz, GWB-Vergaberecht, 3. Auflage 2014, § 98 GWB, Rdnr. 296) hat die Antragsgegnerin im Verfahren VgK-30/2015 nicht unternommen.
e. Da die Anlage der Ableitung von EEG-Strom dienen soll, ist die Antragsgegnerin als Sektorenauftraggeberin für die Errichtung dieses Übertragungsnetzes nicht durch eine Bereichsausnahme von der Anwendung des Sektorenrechts befreit.
Nach Art. 30 der RL 2004/17/EG, künftig Art. 34f der RL 2014/25/EU fallen Aufträge, die die Ausübung einer Tätigkeit im Sinne der Artikel 3 bis 7 (Sektorentätigkeit) ermöglichen sollen, nicht unter diese Richtlinie, wenn die Tätigkeit in dem Mitgliedstaat, in dem sie ausgeübt wird, auf Märkten mit freiem Zugang unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist. Das wiederholt § 100b Abs. 4 Nr. 4 GWB.
Die Kommission hat mit Durchführungsbeschluss vom 24.04.2012 (C2012 2426) entschieden (Rdnr. 42 ff.), dass die Richtlinie 2004/17/EG weder gelten solle, wenn Auftraggeber Aufträge vergeben, die die Erzeugung und den Großhandel konventionellen Stroms in Deutschland ermöglichen sollen, noch wenn sie Wettbewerbe für die Ausübung einer solchen Tätigkeit in diesem geografischen Bereich durchführen. Allerdings sollte davon ausgegangen werden, dass die in Artikel 30 Absatz 1 der Richtlinie 2004/17/EG festgelegte Bedingung, dass eine Tätigkeit unmittelbar dem Wettbewerb ausgesetzt ist, hinsichtlich der Auftraggeber für die Erzeugung und den Erstabsatz EEG-Stroms in Deutschland nicht erfüllt ist. Aufträge, die mehrere Tätigkeiten betreffen, seien gemäß Artikel 9 der Richtlinie 2004/17/EG zu behandeln.
Bei der Erzeugung und beim Großhandel konventionellen Stroms besteht also freier Zugang zum Markt. Bei der Erzeugung und Erstabsetzung von EEG Strom ist die in Art. 30 Abs. 1 der Richtlinie 2004/17/EG festgelegte Bedingung, dass eine Tätigkeit dem Wettbewerb ausgesetzt ist, nicht erfüllt. Bei Anlagen, die beiden Zwecken dienen ist Richtlinie 2004/17/EU anzuwenden, wenn der Hauptzweck des Projektes dem EEG-Strom dient. Lässt sich der Hauptzweck nicht ermitteln, ist Richtlinie 2004/18/EG anzuwenden. Art. 34 und Art. 35 der RL 2014/25/EU lösen die Problematik mit einem stärker differenzierten Verfahren, im Ergebnis aber ebenso.
Die Vergabekammer hat im Verfahren VgK-30/2015 auf Anregung der Beteiligten von Amts wegen den Erläuterungsbericht der Antragsgegnerin zum Planfeststellungsverfahren vom xxxxxx.2010 in elektronischer Fassung beigezogen. Die Antragsgegnerin führt unter Ziffer 5.3 des Erläuterungsberichts aus:
"Durch das Gesetz für den Vorrang Erneuerbarer Energien (EEG) ist insbesondere im Norden und Osten Deutschlands eine Zunahme EEGprivilegierter Einspeiseleistungen zu verzeichnen. Besonders die Region Nordwestdeutschland ist geprägt durch eine starke Einspeisung aus dezentralen Erzeugungseinheiten, vorrangig Windenergieanlagen. Dadurch wird -- insbesondere bei Starkwind -- deutlich mehr Strom erzeugt als vor Ort verbraucht wird. Überschüssige Energiemengen ("Einspeiseüberschüsse'') werden über Mittel- und Hochspannungsnetze in das Höchstspannungsnetz zur großräumigen Verteilung eingespeist ....... Aufgrund des absehbaren massiven Zubaus an regenerativer und thermischer Einspeiseleistung ergibt sich eine zusätzliche Überschussleistung aus der Region in der Größenordnung von mehreren tausend Megawatt. Mit der Leitung xxxxxx besteht die Möglichkeit, die Abtransportkapazität des Übertragungsnetzes der betreffenden Region auf bis zu ca. 10.000 MW zu erhöhen. Nach heutigem Kenntnisstand stellt dieser Wert einerseits eine Untergrenze des zukünftig zu erwartenden Bedarfs, andererseits mittelfristig die Grenze des technisch Machbaren dar."
Folglich wird die Trasse laut Begründung der Antragsgegnerin weit überwiegend gebaut, um die Ableitung von EEG-Strom sicherzustellen. Die Bereichsausnahme greift nicht für dieses Projekt. Die Antragsgegnerin ist somit öffentliche Auftraggeberin gemäß § 98 Abs. 2 Nr. 4 GWB.
f. Der hier streitbefangene Auftrag übersteigt den für die Zuständigkeit der Vergabekammer maßgeblichen Schwellenwert gemäß § 100 Abs. 1 GWB (§ 106 GWB 2016). Danach gilt der 4. Teil des GWB nur für solche Aufträge, welche die Auftragswerte erreichen oder überschreiten, die durch Rechtsverordnung nach § 127 GWB festgelegt worden sind. Die sachliche Zuständigkeit der Vergabekammer wird nicht dadurch begründet, dass die Antragsgegnerin die Formblätter nach der Sektorenverordnung verwendet hat und auch nicht dadurch, dass die Antragsgegnerin in der von ihr vorgenommenen EU-weiten Bekanntmachung die Vergabekammer als zuständige Nachprüfungsstelle angegeben hat. Die Zuständigkeit bzw. gesetzlich begründete Sachentscheidungskompetenz der Vergabekammer kann nicht vereinbart werden. Vielmehr hat die Vergabekammer einzeln alle Zulässigkeitsvoraussetzungen zu prüfen und im Beschluss darzulegen. Es handelt sich um einen Auftrag im Zusammenhang mit der Energieversorgung gem. § 1 Abs. 1 SektVO. Daher ist hier die SektVO zu prüfen.
§ 1 Abs. 2 Satz 1 SektVO enthält eine Verweisung auf die europarechtlich festgelegten und angepassten Schwellenwerte, hier die Verordnung (EU) Nr. 1336/2013 vom 13.12.2013. Artikel 1 Absatz 1a und b in der zum Zeitpunkt des Versandes der europaweiten Bekanntmachung geltenden Fassung setzten für Bauaufträge einen Schwellenwert von 5.186.000 €, und für die weiteren Aufträge einen Schwellenwert von 414.000 € fest.
Die Antragsgegnerin plant zwar ein Bauvorhaben, befindet sich aber noch in der Phase der Bestimmung des Leistungsgegenstands. Die Baugrunduntersuchung soll definieren, wie die Gründung der Masten in der Leistungsbeschreibung des künftigen Bauauftrags darzustellen sein wird. Daher ist der allgemeine Schwellenwert maßgeblich. Die Antragsgegnerin hat den Wert der Maßnahme in ihrem Vergabevermerk auf xxxxxx € geschätzt. Somit ist der allgemeine Schwellenwert überschritten.
g. Die Vergabekammer wäre sachlich nicht gemäß § 104 Abs. 2 GWB (§ 156 Abs. 2 GWB 2016) zuständig, wenn sich der Nachprüfungsantrag nur gegen die Vergabesperre richtete. Die Vergabesperre erfolgte nicht in einem ursächlichen Zusammenhang mit dem konkreten Vergabeverfahren, sondern in der Vertragsabwicklung eines anderen Auftrags. Die Vergabesperre ist daher weder beschränkt auf den hier zu vergebenden Auftrag erlassen worden, noch aufgrund eines Verhaltens, welches in einem ursächlichen Zusammenhang mit dieser Vergabe steht. Vielmehr hat die Antragsgegnerin aufgrund der Vorfälle in einem ganz anderen Projekt eine generelle Auftragssperre für alle Aufträge für die Zeit von 3 Jahren verhängt. Somit fehlt es zunächst an einem vergaberechtlichen Verhalten des Auftraggebers, welches in einem Vergabenachprüfungsverfahren geltend zu machen wäre. Auf Blatt 10 der Antragsschrift erläutert die Antragstellerin, dass sie selbst bei Annahme eines Ausschließungsgrundes in einem Vergabeverfahren nicht der generellen Unzuverlässigkeit beschuldigt werden dürfe, eine Vergabesperre daher nicht zu rechtfertigen sei. Die Antragstellerin wendet sich somit inhaltlich nicht nur gegen die konkrete Vergabeentscheidung der Antragsgegnerin zur 380-kV-Leitung xxxxxx, sondern gegen die verfahrensübergreifende Vergabesperre.
Die ordentliche Gerichtsbarkeit bejaht ihre Zuständigkeit anstelle der Zuständigkeit der Vergabekammer, weil § 104 Abs. 2 GWB die ausschließliche Zuständigkeit der Vergabekammer nur begründe, soweit Ansprüche gegen öffentliche Auftraggeber auf die Vornahme oder das Unterlassen einer Handlung in einem Vergabeverfahren gerichtet seien. Aufgrund der anzuwendenden alten Rechtslage gibt es keine ausdrückliche vergaberechtliche Grundlage für eine über die Einzelfallentscheidung im Vergabeverfahren hinausgehende Vergabesperre. Die Rechtsprechung (KG Berlin, Urteil vom 17.01.2011, 2 U 4/06 Kart, NZBau 2012, 56) nimmt dennoch einhellig die Zulässigkeit einer Vergabesperre an. Sie geht davon aus, dass die Vergabesperre eine auf dem Grundsatz der Vertragsfreiheit beruhende privatrechtliche Willensbekundung sei, die keiner Rechtsgrundlage bedürfe (KG Berlin a.a.O.).
§ 126 GWB 2016 hat in Verbindung mit § 124 Abs. 1 Nr. 3 - 6 GWB 2016 nun für künftige Fälle eine vergaberechtliche Grundlage für die Vergabesperre geschaffen. Danach ist der öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit berechtigt, ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren auszuschließen, wenn das Unternehmen im Rahmen der beruflichen Tätigkeit nachweislich eine der in § 124 Abs. 1 Nr. 3 - 6 GWB 2016 bezeichneten schwere Verfehlung begangen hat. Ergreift das Unternehmen keine Selbstreinigungsmaßnahmen, darf es bei Vorliegen eines Ausschlussgrundes nach § 124 GWB für höchstens 3 Jahre ab dem betreffenden Ereignis von der Teilnahme an Vergabeverfahren ausgeschlossen werden. Es ist daher anzunehmen, dass künftig Rechtsschutz vor den Vergabekammern zu gewähren sein wird.
Die verhängte Vergabesperre geht über das hier gegenständliche Vergabeverfahren hinaus. Soweit die Antragstellerin nur unmittelbar die Rechtswidrigkeit der verhängten Vergabesperre rügt, wäre sie daher noch an die ordentliche Gerichtsbarkeit zu verweisen und zwar entweder in einer Feststellungs- und Unterlassungsklage (jetzt xxxxxx, Urteil vom 29.4.2016, xxxxxx, noch nicht bestandskräftig; KG Berlin, Urteil vom 17.01.2011, 2 U 4/06 Kart, NZBau 2012, 56), oder bei nur zeitlichem, nicht aber inhaltlichem Zusammenhang mit einem Vergabeverfahren in einer einstweiligen Verfügung (OLG Köln Beschluss vom 17.04.2013 - 11 W 20/2013, NZBau 2013, 600). Der Antragstellerin scheint dies bewusst gewesen zu sein, da sie bereits vor Erhebung des Nachprüfungsantrages eine einstweilige Verfügung vor dem Landgericht xxxxxx beantragt hat. Dies hat mit Urteil vom 29.04.2016 auch seine Zuständigkeit festgestellt.
Die Antragsgegnerin hat jedoch in dem Bestreben, eine Rügefrist verbindlich in Gang zu setzten und um insoweit Rechtssicherheit zu erlangen, einen sachlichen Zusammenhang mit einer Einzelfallentscheidung in einem anstehenden Vergabeverfahren hergestellt, indem sie zu der bereits am 03.03.2016 verhängten und ausführlich begründeten Vergabesperre am 15.03.2016 die Antragstellerin in dem laufenden Vergabeverfahren einzelfallbezogen von der anstehenden Vergabeeinstscheidung ausschloss. Das wäre nicht mehr erforderlich gewesen. Sie hätte vielmehr nicht nur inhaltlich, sondern auch formal auf die Vergabesperre verweisen können.
Die Antragsgegnerin handelt hier nicht hoheitlich, sondern zivilrechtlich. Gleichwohl hat sie hier im Verhältnis zu Antragstellerin Entscheidungen getroffen, die formal hoheitliche Entscheidungsstrukturen nachvollziehen. Es bietet sich daher an, das Verhältnis von Vergabesperre und Vergabeausschluss anhand der gleichgearteten Situation im Verwaltungsrecht darzustellen.
Sowohl die Vergabesperre, als auch der Ausschluss aus einem Vergabeverfahren sind Einzelfallentscheidungen. Sie betreffen ausschließlich das Verhältnis zwischen einem Auftraggeber und einem bestimmten Auftragnehmer. Während jedoch der Ausschluss aus dem konkreten Vergabeverfahren nur einen Sachverhalt bzw. Auftrag betrifft, gilt die Vergabesperre für eine unbestimmte Zahl von Sachverhalten, nämlich alle in dem Zeitraum der Vergabesperre künftig anstehenden Vergabeentscheidungen des Auftraggebers. Vergabesperre und Vergabeausschluss verhalten sich somit zueinander ebenso, wie ein Verwaltungsakt und eine Allgemeinverfügung. Während der Verwaltungsakt nur einen einzelnen räumlich und zeitlich bestimmten Sachverhalt regelt, bezieht sich die Allgemeinverfügung auf eine nicht bestimmbare Zahl von Sachverhalten, die aber ähnlich sein müssen. Die Allgemeinverfügung unterscheidet sich von der Satzung nur dadurch, dass sie anders als die Satzung nicht nur räumlich, sondern auch zeitlich beschränkt ist. Daher gilt sie anders als die Satzung nicht als untergesetzliche Rechtsnorm, sondern zählt noch zu den Verwaltungsakten.
Verwaltungsrechtlich muss eine Behörde, die bereits eine Allgemeinverfügung erlassen hat, nicht neben dieser Allgemeinverfügung einen wiederholenden Einzelbescheid erlassen. Vielmehr steht es der Behörde frei, die Bearbeitung eines Antrags unter Hinweis auf die in der Allgemeinverfügung erlassene Regelung abzulehnen, ohne eine zweite Sachentscheidung zu treffen. Eine zweite Sachentscheidung würde eine eigene Rechtsmittelfrist (hier Rügefrist) auslösen. Sie ist daher zu vermeiden.
Erlässt also beispielsweise eine Versammlungsbehörde im Wege der öffentlichen Bekanntmachung eine räumlich und zeitlich beschränkte Untersagung aller Versammlungen, so erhält der Anmelder einer gleichwohl für diesen Raum und diese Zeit geplanten Versammlung keine neue und eine neue Rechtsmittelfrist in Gang setzende Ablehnung dieser Versammlungsanmeldung, sondern er wird formlos darauf hingewiesen, dass eine Bestätigung der Versammlungsanmeldung aufgrund der bereits öffentlich bekannt gemachten Untersagung nicht möglich ist. Dieses schwierige und eher dem Verwaltungsrecht entlehnte Verhältnis von Vergabesperre und Ausschluss aus dem konkreten Vergabeverfahren war der Antragsgegnerin hier nicht bewusst.
Daher hat die Antragsgegnerin mit dem die Vergabesperre inhaltlich nur wiederholenden Ausschluss einen sachlichen Zusammenhang der Vergabesperre mit dem konkreten Vergabeverfahren entstehen lassen, und eine neue Rügefrist in Gang gesetzt. Dadurch entscheiden nun zeitgleich Vergabekammer Niedersachsen und Landgericht xxxxxx denselben Sachverhalt.
h. Die Vergabekammer sieht aufgrund der obigen Ausführungen keine Antragsbefugnis der Antragstellerin gemäß § 107 Abs. 2 GWB, sich in einem auf das Vorhaben xxxxxx bezogenen Vergabenachprüfungsverfahren unmittelbar gegen die Vergabesperre zu wenden. Allerdings beruft sich die Antragstellerin auch auf die Rechtsbeeinträchtigung durch den in der auf dieses Vergabeverfahren bezogenen Zweitverfügung bestätigten Vergabeausschluss. Insofern ist die Antragsbefugnis unproblematisch.
i. Trotz Überschreitung der im Vorgriff auf den kommenden § 160 GWB 2016 üblichen 10 Tagesfrist für Rügen geht die Vergabekammer davon aus, dass die Antragstellerin ihre Rüge rechtzeitig im Sinne des § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB erhoben hat.
Gemäß § 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB ist der Nachprüfungsantrag unzulässig, soweit der Antragsteller den gerügten Verstoß gegen Vergabevorschriften im Vergabeverfahren erkannt und gegenüber dem Auftraggeber nicht unverzüglich gerügt hat. Als unverzüglich galt früher grundsätzlich nur ein Zeitraum von ein bis drei Tagen ab Erkennbarkeit (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 18.09.2003, Az.: 1 Verg 3/03; Bechtold, GWB, § 107, Rdnr. 2). Bei Einschaltung eines Anwaltes bzw. Prüfung schwieriger Rechtsfragen wurde die Frist regelmäßig auf eine Woche ausgedehnt (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 08.06.2011 - 21.VK3194-14/11; OLG Dresden, Beschluss vom 07.05.2010, WVerg 6/10; OLG München, Beschluss vom 15.03.2012, Verg 2/2; VK Bund, Beschluss vom 17.01.2008, VK1-152/07). Inzwischen nimmt das OLG München eine Rügefrist von sieben Werktagen an (OLG München, Beschluss vom 19.12.2013 - Verg 12/13), das OLG Düsseldorf von 11 Tagen (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 12.06.2013 - Verg 7/13). Die europäische Kommission ist bei ihrer Überprüfung der deutschen Vorschriften zum Ergebnis gelangt, dass die Unbestimmtheit der Vorschrift die Rechtsmittelrichtlinie und die Gebote der Transparenz, Rechtssicherheit und Nichtdiskriminierung verletze. Sie hat daraufhin im Juli 2013 ein informelles Vorverfahren eingeleitet. Die Bundesrepublik hat zugesagt, im Rahmen der Reform des GWB zur Umsetzung der neuen EU-Vergaberichtlinien auch die Vorschrift des § 107 GWB an die europarechtlichen Vorgaben anzupassen. Bis zur Anpassung der Rügefrist auf 10 bzw. 15 Kalendertage dürfte, obgleich die Umsetzungsfrist der neuen EU-Vergaberichtlinien bis zum 17.04.2016 läuft, die Vorschrift des § 107 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB wegen der verfassungsrechtlich verbürgten Rechtsschutzgarantie nicht mehr abweichend anzuwenden sein, ohne die Frage vorher dem EuGH oder dem BGH vorzulegen (s. dazu auch Werkstattbeitrag von Eydner, ibr-online, vpr 2014, 2673, eingestellt am 08.04.2014; VK Niedersachsen, Beschluss vom 17.04.2014, VgK-09/2014). Der europäischen Kommission folgend legt die Vergabekammer seit 2014 und beginnend mit der obigen Entscheidung unter Übernahme der Mindestüberlegungsfristen des Art. 2c Rechtsmittelrichtlinie 89/665/EWG und § 160 Abs. 3 Nr. 1 GWB 2016 üblicherweise eine Rügefrist von 10 Tagen ab Kenntnis des Antragstellers vom geltend gemachten Verstoß gegen Vergabevorschriften zugrunde.
Die Antragstellerin hat einerseits einen Tag nach der Information über einen auf das Vergabeverfahren xxxxxx bezogenen Ausschluss und der Antwort auf ihre Frage, ob denn die Vergabesperre sich auch auf das laufende Vergabeverfahren beziehe, eine Rüge erhoben. Stellt man für den Fristbeginn auf den Eingang des Ausschlussschreibens ab, so erfolgte die Rüge unverzüglich.
§ 107 Abs. 3 Nr. 1 GWB setzt jedoch die "unverzügliche" Frist "ab Erkennbarkeit" in Gang. Kenntnis oder ein der positiven Kenntnis gleichstehendes Kennen-Müssen liegt nach einem Beschluss des OLG Celle (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 24.09.2014, 13 Verg 9/14) vor, wenn sich der Vergabefehler des Auftraggebers der Antragstellerin aufdrängen muss. Die Antragstellerin wurde bereits am 03.03.2016 über die auf 3 Jahre befristete Vergabesperre für alle Aufträge informiert. Damit trat Erkennbarkeit bzw. Kenntnis ein, denn der Ausschluss vom 15.03.2016 verweist inhaltlich nur auf diese Vergabesperre. Vorausgegangen war ein 6-monatiges Anhörungsverfahren mit mündlicher Erörterung. Bis zum 15.03.2016, also mindestens 11 Tage reagierte die Antragstellerin in diesem Vergabeverfahren nicht.
Die Vergabekammer geht davon aus, dass die Antragstellerin bereits mit Erhalt der Vergabesperre, die sich ausdrücklich auf alle Vergabeverfahren bezog, wusste, dass sich diese Vergabesperre auch auf das laufende Verfahren bezog, denn die Antragstellerin hat die Vergabesperre als rügebedürftigen Akt angesehen und fristgerecht mit einer Rüge angegriffen. In dem nach der mündlichen Verhandlung vorgelegten aber noch berücksichtigungsfähigen Schriftsatz vom 08.03.2016 wendet sie sich eindeutig gegen den als rechtswidrig angesehenen Ausschluss und droht sogar einen Nachprüfungsantrag an. Das ist inhaltlich eine Rüge, die auch binnen der 10 Tagesfrist ab Kenntnis erhoben worden ist.
Allerdings hat die Antragstellerin die Verfahren vermengt, so dass die Sachentscheidungsbefugnis der Vergabekammer dennoch problematisch erscheint. Die Rüge vom 08.03.2016 bezog sich auf das Vergabeverfahren "xxxxxx". Der vorliegende Nachprüfungsantrag bezieht sich auf das Vergabeverfahren "xxxxxx". Man könnte also die Auffassung vertreten, es gäbe eine Rüge vom 08.03.2016 ohne Nachprüfungsantrag und einen Nachprüfungsantrag ohne fristgerechte Rüge.
Das erscheint der Vergabekammer aber als überzogene Förmelei. Die Antragstellerin befand sich in einer zumindest subjektiv existenzbedrohenden Situation. Es führt trotz anwaltlicher Beratung nicht zum Rügeverlust, wenn eine Antragstellerin innerhalb der wenigen Tage, die zur Rügeerhebung zur Verfügung stehen, die Verfahrensüberschriften durcheinanderbringt oder vermengt, solange eindeutig zu erkennen ist, dass sich die Antragstellerin gegen eine bestimmte Entscheidung (die Auswirkung der Vergabesperre auf die anstehende Vergabe) zu wenden beabsichtigt.
Mit einer Entscheidung, die am 16.03.2016 erhobene Rüge als verfristet anzusehen, würde die Vergabekammer überdies der Bereitschaft der Antragsgegnerin widersprechen, der Antragstellerin um der Rechtssicherheit willen eine weitere Rügefrist einzuräumen. Daher geht die Vergabekammer im Weiteren von einer fristgerecht erhobenen Rüge aus.
3. Der Nachprüfungsantrag ist unbegründet. Die Antragsgegnerin war gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO (§ 125 Abs. 1 Nr. 5ff GWB 2016) berechtigt, die Antragstellerin aus diesem konkreten Vergabeverfahren auszuschließen. Da sich die Antragsgegnerin inhaltlich nur auf ihre Vergabesperre bezogen hat, schließt dies inzident die Rechtmäßigkeit der Vergabesperre mit ein.
Nach § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO können Auftragnehmer ein Unternehmen ausschließen, wenn eine schwere Verfehlung nachweislich vorliegt, durch die die Zuverlässigkeit des Unternehmens oder einer Person, die nach Abs. 2 für das Unternehmen verantwortlich handelt, infrage gestellt wird. Im Unterschied zu § 21 Abs. 1 SektVO enthält § 21 Abs. 4 SektVO keine Beschränkung auf bestimmte Auftraggeber. Daher richtet sich § 21 Abs. 4 SektVO an alle Auftraggeber. Ebenso folgt aus der Unterscheidung gegenüber § 21 Abs. 1 Sekt VO, dass der Auftraggeber, der sich auf § 21 Abs. 4 SektVO beruft nicht darauf angewiesen ist, dass zusätzlich zu dem festgestellten Verstoß eine strafrechtliche rechtskräftige Verurteilung erforderlich wäre. Es genügt daher das Vorliegen einer vom Auftraggeber nachgewiesenen (vgl. VK Nordbayern, Beschluss vom 22.01.2007 - 21.VK-3194-44/06; VK Niedersachsen, Beschluss vom 18.10.2005 - VgK-47/2005) vorliegenden schweren Verfehlung. Bei § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO handelt es sich um eine Konkretisierung der bereits in § 97 Abs. 4 GWB (§ 122 GWB 2016) enthaltenen Regelung, dass Aufträge an gesetzestreue und zuverlässige Unternehmen vergeben werden. Es wäre daher allenfalls dann erforderlich, unmittelbar auf § 97 Abs. 4 GWB zurückzugreifen, wenn der Tatbestand des § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO nicht erfüllt wäre, gleichwohl aber ein tatbestandlich nicht erfasster jedoch gleich schwerer Verstoß vorläge, der auf einer planwidrigen Regelungslücke bei Abfassung der Sektorenverordnung beruhen würde, daher einen Rückgriff auf die höherrangigen Norm erfordere. Das ist nach Prüfung des Sachverhaltes hier nicht der Fall. Die Vergabekammer beschränkt sich daher auf die Prüfung des § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO.
Der Nachweis der schweren Verfehlung ist zwar unzweifelhaft immer dann geführt, wenn sich der Auftraggeber auf einen rechtskräftigen Bußgeldbescheid oder eine rechtskräftige Verurteilung berufen kann (vgl. OLG München, Beschluss vom 21.04.2006 - Verg 8/06, zitiert nach ibr-online). Gleichwohl ist dies nicht zwingend erforderlich. Der Auftraggeber ist vielmehr bereits bei Vorliegen konkreter Anhaltspunkte zu einem Ausschluss berechtigt (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03 = ZfBR 2004, S. 490; VK Düsseldorf, Beschluss vom 13.03.2006 - VK08/2006-L; für die Zulässigkeit einer über den konkreten Angebotsausschluss hinausgehenden Vergabesperre KG, Urteil vom 17.01.2010 - 2 U 4/06 Kart). Denn zwischen dem Tatzeitpunkt und einer rechtskräftigen Entscheidung kann ein langer Zeitraum liegen, in dem es dem Auftraggeber nicht zugemutet werden kann, vertragliche Beziehungen mit dem betreffenden Unternehmen aufzunehmen. Auch das Vorliegen einer Anklageschrift oder eines Eröffnungsbeschlusses muss daher nicht abgewartet werden (vgl. OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03; OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.06.2004 - 11 Verg 6/04; Müller-Wrede, a.a.O., § 6 EG, Rdnr. 67). Zu § 21 Sekt VO gibt es wenig Rechtsprechung. Die Rechtsprechung zu dem inhaltsgleichen § 6 EG Abs. 6 lit. c VOL/A ist umfangreicher, daher wird im Folgenden gelegentlich auch auf diese Vorschrift verwiesen. Bei der Prüfung der Voraussetzungen des § 6 EG Abs. 6 lit. c VOL/A darf der Auftraggeber nach der Rechtsprechung des BGH aber nur solche Umstände berücksichtigen, die sich im Rahmen gesicherter Erkenntnis bewegen. Informationen müssen sich aus seriösen Quellen ergeben, so dass der Verdacht eine gewisse Erhärtung erfährt (vgl. BGH, Urteil vom 26.10.1999 - X ZR 30/98; Saarländisches OLG, Beschluss vom 29.12.2003 - 1 Verg 4/03; Hausmann/von Hoff in: Kulartz/Marx/Portz/Prieß, VOL/A, 2. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 111). (VK Niedersachsen Beschluss vom 12.12.2011, VgK-53/2011).
Hier hat die Antragsgegnerin einen sehr umfangreichen Sachverhalt zum Gegenstand ihrer Vergabesperre und des darauf gegründeten Verfahrensausschlusses gemacht, der sich auf mehrere zum Teil abgeschlossene, zum Teil in Ausführung befindliche Verfahren bezieht. Die Antragsgegnerin hat jedoch nur die Vergabeakte zu dem anhängigen Vergabeverfahren xxxxxxx im Original vorgelegt. Aus den weiteren Vergabeverfahren hat sie als Vergabeakte nichts vorgelegt, im Weiteren nur einzelne Bestandteile als Anlage zu den im Rahmen des Vergabenachprüfungsverfahrens gewechselten Schriftsätzen beigefügt. Gemäß § 110 Abs. 2 Satz 3 und Satz 4 GWB hat der Auftraggeber die Vergabeakten der Kammer "sofort" zur Verfügung zu stellen. Die Vergabeakte ist eine wichtige Entscheidungsgrundlage für die Vergabekammer. Die sofortige Vorlage der Vergabeakte im Original ist wichtig, um einer abstrakt bestehenden Manipulationsgefahr des Auftraggebers vorzubeugen. Es handelt sich nicht um eine Holschuld der Vergabekammer. Die Vergabekammer hat daher nicht die Verpflichtung, in dem von ihr erforderlich gehaltenen Umfang sukzessive weitere Unterlagen anzufordern. Das wäre nicht vereinbar mit der Verpflichtung des öffentlichen Auftraggebers, die Grundlagen für seine Entscheidung sofort und vorbehaltlos der Vergabekammer zur Verfügung zu stellen.
Zur Vergabeakte gehört alles, worauf der öffentliche Auftraggeber seine Entscheidung stützt. Die Antragsgegnerin hat die Unterlagen sofort und gemäß ihrer Verpflichtung gemäß § 110 Abs. 2 GWB vorgelegt, die sich auf die konkrete Vergabeentscheidung im Verfahren xxxxxx beziehen. Da sie ihre Vergabesperre bzw. Ausschlussentscheidung jedoch auch auf weitere Vergabeverfahren stützt, wäre es in diesem besonderen Fall sinnvoll gewesen, diese weiteren Unterlagen ebenfalls vollständig vorzulegen, wenn die Antragsgegnerin eine Würdigung dieser Sachverhalte als nötig ansieht. Die Vergabekammer geht allerdings nicht davon aus, dass die Antragsgegnerin Unterlagen zurückgehalten hat, um die Sachentscheidung der Vergabekammer zu beeinflussen. Im vorliegenden Fall mag es neben der Unerfahrenheit der Antragsgegnerin sachliche Gründe dafür geben, dass die Antragsgegnerin Unterlagen, auf die sie ihre Entscheidung stützt nicht sofort und nicht im Original vorgelegt hat. Vermutlich befinden sich viele Originalvorgänge bei der Staatsanwaltschaft.
Die Vergabekammer hat davon abgesehen diese Vorgänge frühzeitig anzufordern. Das Material war erkennbar so umfassend, dass die Vergabekammer sich nicht imstande sähe, alle vorgelegten Behauptungen in der ihr vorgegebenen Entscheidungszeit von nur 5 Wochen gemäß § 113 GWB detailliert zu prüfen. Überdies würde die Vergabekammer damit Pflichten übernehmen, die den Strafgerichten obliegen.
Die Vergabekammer beschränkt sich daher zur Prüfung des Sachverhaltes auf den Vortrag, den die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift in den weiteren Schriftsätzen nicht bestritten bzw. zugestanden hat. Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin verstößt die Vergabekammer damit nicht gegen Amtsermittlungspflicht aus § 110 Abs. 1 GWB (§ 163 Abs. 1 GWB 2016). Gemäß § 110 Abs. 1 Satz 3, Satz 4 GWB ist die Vergabekammer zu einer umfassenden Rechtmäßigkeitskontrolle nicht verpflichtet. Sie achtet bei ihrer gesamten Tätigkeit darauf, dass der Ablauf des Vergabeverfahrens nicht unangemessen beeinträchtigt wird.
Die Vergabekammer hat daher nur zu prüfen, ob die Antragsgegnerin zu der von ihr getroffenen Maßnahme berechtigt war. Stellt sie dies schon aufgrund eines kleinen Abschnitts des vorgetragenen Sachverhaltes fest, so wäre eine weitere Erforschung des Sachverhaltes wettbewerbsrechtlich irrelevant, würde daher lediglich den Ablauf des Vergabeverfahrens unnötig und daher unangemessen im Sinne des § 110 GWB verzögern. Ist es der Vergabekammer also möglich, den Streitgegenstand auf das vergaberechtlich Relevante zu reduzieren, so ist sie dazu rechtlich verpflichtet. Je schwächer die Begründung der Antragsgegnerin ist, desto ausführlicher muss die Ermittlung der Vergabekammer ausfallen. Lässt sich die Maßnahme der Antragsgegnerin gar nicht mit dem vorgetragenen Sachverhalt oder dem amtsbekannten und daher im Wege der Amtsermittlung ergänzten Sachverhalt rechtfertigen, gewinnt die Antragstellerin.
Es ist für die Rechtmäßigkeit einer Maßnahme gemäß § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO ausreichend, dass eine einzige schwere Verfehlung vorliegt. Das ist auch angemessen, weil bereits die erste schwere Verfehlung das zur Vertragsausführung unabdingbare Vertrauensverhältnis nachhaltig zerstört. Ob nicht nur der Ausschluss aus einem einzelnen Vergabeverfahren, sondern auch die Vergabesperre über 3 Jahre rechtmäßig ist, hängt nicht von einer über den Tatbestand hinausgehenden besonderen Schwere der einzelnen Verfehlung ab, sondern davon, in welchem Umfang die Antragstellerin den Selbstreinigungsprozess glaubhaft, vollständig und vorbehaltlos umgesetzt hat. "Strafzumessungsgründe", die aufgrund des Verstoßes Maßnahmen verschiedener Eingriffstiefe rechtfertigen und daher eine vollständige Sachverhaltsaufarbeitung erfordern, kennt das Vergabenachprüfungsverfahren nicht.
Die Vergabekammer kann ihre Entscheidung nicht auf die Anlage 3 zum Schriftsatz vom 04.05.2016 stützen. Die Antragsgegnerin hat als Anlage 3 ein Angebot der Antragstellerin vom 11.07.2014 in einem abgeschlossenen Auftrag vorgelegt und dabei grafisch dargestellt, welche Preise mit dem Angebot einer namentlich benannten Konkurrentin identisch seien, und welche Positionen im Mengengerüst nicht vorhanden gewesen seien. Wenn die Vergabekammer zwei Angebote daraufhin vergleichen soll, ob die Einzelpreise identisch sind, muss die Antragsgegnerin beide Angebote vorlegen. Die Vergabekammer muss in der Lage sein, sich selbst ein Bild davon zu machen, ob die Einzelpreise der Angebote identisch sind. Wenn die Vergabekammer einmal annimmt, dass diese Unterlagen im Original bereits bei der Staatsanwaltschaft sind, bedarf es dann mindestens der Kopien beider Unterlagen, um gegenüber der Vergabekammer nachzuweisen, dass die Antragsgegnerin ihre Maßnahme auf diesen Sachverhalt stützen konnte. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass die Vergabekammer ohne den erbrachten Nachweis des Fehlverhaltens einer einseitigen und unzutreffenden Sachverhaltsdarstellung folgt.
Keine schwere Verfehlung ist darin zu sehen, dass die Antragstellerin in ihrer Antragsschrift zugestanden bzw. den Vortrag der Antragsgegnerin in der Vergabesperre vom 03.03.2016 unwidersprochen gelassen hat, dass sie beim Bauvorhaben xxxxx mit einem Bestellvolumen von xxxxxx € das Leistungsverzeichnis gemäß der vorgegebenen Skelettbauweise erstellt und an den konkreten Auftrag angepasst hat. Das umfasste auch die Abstimmung des Mengengerüsts. Die Tätigkeit eines Planungsbüros in der der eigentlichen Vergabe vorgelagerten Phase der Erstellung des Leistungsverzeichnisses stellt keinen Verstoß gegen das Vergaberecht dar. Der die gleiche Interessensituation etwas ausführlicher als die Sektorenverordnung aber inhaltlich nicht abweichend regelnde § 16 VgV fordert ein Mitwirkungsverbot nur dann, wenn der Beauftragter oder Mitarbeiter des Beauftragten eines Auftraggebers bei der Entscheidung in einem Vergabeverfahren mitwirkt und zugleich Bieter ist (vgl. aktuell VK Niedersachsen, Beschluss vom 02.03.2016, VgK-01/2016; OLG Celle, Beschluss vom 14.04.2016, 13 Verg 11/15).
Jedoch hat sich die Antragstellerin daraufhin selbst mit einem Angebot um diesen Auftrag beworben und dennoch im laufenden Vergabeverfahren für die Antragsgegnerin auch die von den Bietern gestellten Fragen beantwortet (Anlage 2 zum Schriftsatz der Antragsgegnerin vom 04.05.2016). Damit war die Antragstellerin innerhalb der laufenden Vergabe einerseits Anbieterin, und zum anderen trat sie verdeckt als Auftraggeber auf. Außerdem erstellte sie in der Vergabe einen Katalog von Fragen, welche die Auftraggeberin in den Verhandlungsgesprächen den Anbietern stellen sollte, um deren Qualifikation zu überprüfen.
Formal nicht zu Lasten der Antragstellerin zu würdigen ist zunächst, dass die Antragstellerin bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses Nebenangebote zuließ und dass in das Leistungsverzeichnis die Positionen 8 und 10 aufgenommen wurden, die Leistungen im Zusammenhang mit Erdfallgebieten abforderten. In der Vergabe gab sie aber selbst ein Hauptangebot und mehrere Nebenangebote ab. Im Nebenangebot 1.5 verzichtete sie auf die Positionen 8 und 10 des Leistungsverzeichnisses und ersetzte diese durch einfache Bohrlochmessungen (Blatt 15 der Antragsschrift). Das Angebot war deutlich günstiger und hätte den Zuschlag erhalten.
Die Antragsgegnerin hat mit nachgelassenem Schriftsatz darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin als verdeckt auftretender Auftraggeber Konkurrenten davon habe abhalten wollen, Nebenangebote zu erstellen. Das trifft aufgrund der Auswertung der FAQ 28 und 29 erkennbar zu.
Gleichwohl kann die Vergabekammer dies nicht zu Lasten der Antragstellerin verwenden, da die FAQ 28 und 29 sich aufgrund der Aktenlage nicht eindeutig den Positionen 8 und 10 des Leistungsverzeichnisses zuordnen lassen. Die Vergabekammer kann daher nicht beurteilen, ob die gegebenen Antworten möglicherweise sachlich gerechtfertigt sind, weil für die Leistungen, die Gegenstand der FAQ 28 und 29 waren, ein Nebenangebot aufgrund besonderer Vorgaben des Leistungsverzeichnisses unzulässig war, oder weil dieses Nebenangebot technisch nicht gleichwertig wäre. Die von der Antragsgegnerin vorgetragene These, dass sich die Antragstellerin mit diesen Antworten auf die Fragen 28 und 29 als einzige die Möglichkeit eröffnen wollte, hier ein kostengünstiges Nebenangebot abzugeben, ist nicht die einzige logische Schlussfolgerung. Es hätte also weiteren Sachvortrags oder weiterer Unterlagen bedurft, um diesen Sachverhalt fair würdigen zu können.
Aufgrund des vom Vertreter der Beigeladenen plausibel widerlegten Vortrags des Geschäftsführers der Antragstellerin in der mündlichen Verhandlung geht die Vergabekammer allerdings davon aus, dass die Antragstellerin die Positionen 8 und 10 bewusst als Preistreiber für die Konkurrenten eingesetzt hat. Bei der Behauptung des Geschäftsführers der Antragstellerin, der Gedanke mit der Bohrlochmessung sei ihm erst später bei der Kalkulation des Angebots gekommen, handelt es sich um eine Darstellung, auf die am ehesten der im Strafrecht gängige Begriff der "Schutzbehauptung entlang der Beweislage" zutrifft.
Weder handelt es sich bei der Bohrlochmessung um eine entlegene unübliche Vorgehensweise, die einem fachlich erfahrenen Anbieter nicht bereits sofort bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses hätte in den Sinn kommen müssen, noch ist die Behauptung, erst aufgrund eingeholter Nachunternehmerangebote habe sich ihm erschlossen, dass die vorgesehene Vorgehensweise zu teuer werde, plausibel.
Überdies hat die Antragsgegnerin in der Antragserwiderung fachlich überzeugend dargestellt, dass die Erdfallproblematik räumlich punktuell auftritt, es somit weder sachlich erforderlich ist, Bohrlochmessungen auf 500 m Breite durchzuführen noch erforderlich ist, flächendeckende Sondierungen durchzuführen. Vielmehr ist es möglich, die Maststandorte geringfügig innerhalb der vorgesehenen Trasse zu verschieben, wie dies auch bei Querung von Verkehrswegen üblich ist.
Die Antragstellerin ist eine seit 20 Jahren im Bereich der Baugrunduntersuchung präsente Firma mit erheblichen Erfahrungen auch im öffentlichen Auftragswesen. Sie arbeitet zumindest in den letzten zwei Jahren zu 90 % für öffentliche Auftraggeber. Ihr muss die Rechtswidrigkeit des ihr möglicherweise abverlangten, nach Darstellung der Antragsgegnerin von ihr veranlassten Verhaltens bewusst gewesen sein.
Die Vergabekammer hat im Weiteren zu würdigen, ob die nach bisheriger Aktenlage nachweisbare und zugestandene Verfehlung, nämlich als Bieter für den Auftraggeber Bieteranfragen zu beantworten und ein Leistungsverzeichnis so zu erstellen, dass die für Dritte nicht ohne weiteres erkennbare Option für ein besonders günstiges Nebenangebot besteht, als "schwere Verfehlung" im Sinne des § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO anzusehen ist.
Bei dem Begriff "schwere Verfehlung" handelt es sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dessen Auslegung der Vergabestelle ein Beurteilungsspielraum zukommt. Unter "schwerer Verfehlung" werden erhebliche Rechtsverstöße verstanden, die geeignet sind, die Zuverlässigkeit eines Unternehmens grundlegend in Frage zu stellen. Hierzu zählen u.a. Verstöße gegen das GWB, z.B. unzulässige Preisabsprachen (vgl. Kulartz/Marx/Portz/Prieß, Kommentar zur VOL/A, 3. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 103 f.), oder Verstöße gegen das StGB, wie z.B. Submissionsbetrug, Bestechung, Bestechlichkeit, Vorteilsgewährung, Vorteilsnahme, Unterschlagung, Untreue, Hehlerei, Betrug, Urkundenfälschung etc. (vgl. Müller-Wrede, VOL/A, 4. Auflage, § 6 EG, Rdnr. 58). Grundsätzlich fallen unter den Begriff der schweren Verfehlung vor allem auf den Geschäftsverkehr bezogene Ordnungswidrigkeiten und Verstöße gegen strafrechtliche Bestimmungen oder schwerwiegende Verstöße gegen Normen, die grundlegende Prinzipien des Vergaberechts wie Wettbewerb und Gleichbehandlung stützen (vgl. Prieß in: Beck'scher VOB-Kommentar, § 8, Rdnr. 101). Grundsätzlich gilt ein Bewerber als zuverlässig, wenn er seinen gesetzlichen Verpflichtungen nachgekommen ist und eine einwandfreie Ausführung des Auftrags erwarten lässt (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 15.12.2004 - Verg 48/04 = VergabeR 2005, S. 207 ff., 210).
Das obige Verhalten der Antragstellerin ist grob vergaberechtswidrig. Diese grobe Vergaberechtswidrigkeit lässt sich nicht dadurch in ihrer Bedeutung mildern oder gar entkräften, dass die Antragstellerin vorträgt, ein Mitarbeiter der Antragsgegnerin habe sie dazu aufgefordert.
Weiterhin erfordert § 21 Abs. 4 Nr. 5 SektVO, dass eine Person, die nach Abs. 2 für das Unternehmen verantwortlich handelt, die schwere Verfehlung begangen haben muss. Nach § 21 Abs. 2 SektVO ist ein Verhalten einem Unternehmen zuzurechnen, wenn eine Person, die für die Führung der Geschäfte dieses Unternehmens verantwortlich handelt, selbst gehandelt hat (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 28.07.2005 - Verg 42/05; OLG Saarbrücken, Beschluss vom 29.12.2008 - 1 Verg 4/03; Müller-Wrede, a.a.O., § 6 EG, Rdnr. 61). Hier handelte maßgeblich der Geschäftsführer, Herr xxxxxx, der nach § 35 GmbH-Gesetz als Geschäftsführer für die Führung der Geschäfte der Antragstellerin verantwortlich ist. Die von der Antragstellerin nachträglich eingereichten eidesstattlichen Versicherungen nachrangiger Mitarbeiter, in denen diese ein Fehlverhalten einräumen, sind für diese Entscheidung nicht maßgeblich, da nach § 21 Abs. 2 SektVO das Verhalten auch dann dem Unternehmen zuzurechnen ist, wenn die verantwortliche Person ein Aufsichts- oder Organisationsverschulden begangen hat. Davon geht Vergabekammer angesichts der Selbstbezichtigungen der Mitarbeiter aus. Der Ausschluss aus dem konkret anstehenden Vergabeverfahren xxxxxx ist daher rechtmäßig.
Ob die Antragsgegnerin darüber hinaus berechtigt war, die Antragstellerin für 3 Jahre von allen Vergabeverfahren auszuschließen hängt davon ab, inwieweit die Antragstellerin der infrage gestellten Zuverlässigkeit entgegenwirkt. Ein solches "Entgegenwirken" ist ausschließlich in Maßnahmen zur Selbstreinigung zu erblicken. Die Antragstellerin hat Maßnahmen zur Selbstreinigung aufgrund des ihr seit Oktober 2015 bekannten Vorgangs nur in Form einer nicht präzise dargestellten Compliance-Regelung ergriffen. Das ist ungenügend.
Selbstreinigungsmaßnahmen umfassen nach ständiger Rechtsprechung nicht nur der Vergabekammer Niedersachsen mindestens die Bereitschaft zum Schadensersatz. In ihrem Beschluss vom 24.03.2011 (Az. VgK-04/2011) hat die Vergabekammer ausdrücklich verlangt, dass Pläne zur Schadenswiedergutmachung vorzulegen sind (ebenso VK Niedersachsen, Beschluss vom 14.02.2012, VgK-4/2012). So sieht es künftig auch § 125 Abs. 1 Nr. 1 GWB 2016 vor.
Darüber hinaus bedarf es zur Selbstreinigung als Voraussetzung für die Wiederherstellung der infrage stehenden Zuverlässigkeit unabdingbar technischer, organisatorischer personeller Maßnahmen. Damit sind nicht einzelne Laboranten gemeint. Die Antragstellerin wäre selbst ohne eigenes Organisationsverschulden bei der Aufsicht über diese Mitarbeiter verpflichtet gewesen, nach Offenlegung der Vorwürfe sofort die erforderlichen Selbstreinigungsmaßnahmen vorzunehmen. Das ist deutlich mehr als die schriftliche Darlegung von - dem Nachprüfungsantrag nicht beigefügter - Compliance-Regelungen. Ob es erforderlich ist, zur Selbstreinigung leitende Mitarbeiter zu entlassen, muss die Vergabekammer nicht entscheiden, da die Antragstellerin auch mindere Selbstreinigungsmaßnahmen unterlassen hat, stattdessen immer noch bemüht ist, die Schuld für das eigene Fehlverhalten auf die Schultern der Antragsgegnerin zu laden.
4. Die Vergabekammer kann zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung nicht mehr feststellen, dass der mit der Beigeladenen geschlossene Vertrag von Anfang an unwirksam ist, weil der Auftraggeber gegen die Regelung des § 101a GWB verstoßen hat.
Nach § 101a GWB hat der Auftraggeber die betroffenen Bieter, deren Angebote nicht berücksichtigt werden sollen, über den Namen des Unternehmens, dessen Angebot angenommen werden soll, über die Gründe der vorgesehenen Nichtberücksichtigung ihres Angebotes und über den frühsten Zeitpunkt des Vertragsschlusses unverzüglich in Textform zu informieren. Ein Vertrag darf erst 15, bei Versendung der Information per Fax oder auf elektronischem Wege 10 Kalendertage nach Absendung der Information geschlossen werden. Die Antragsgegnerin hat gegen diese Verpflichtung des § 101a GWB verstoßen. Sie hat den Vertrag mit der Beigeladenen bereits am 19.02.2016 geschlossen, die Antragstellerin jedoch erst deutlich später, nämlich am 15.03.2016 im Sinne des § 101a GWB informiert.
Ein Feststellungsantrag ist an formale Voraussetzungen gebunden. Die Antragstellerin hat die erforderliche Frist gemäß § 101b Abs. 2 GWB eingehalten, da sie den Nachprüfungsantrag innerhalb von 30 Kalendertagen ab Kenntnis des Verstoßes und nicht später als 6 Monate nach Vertragsschluss auf diesen Verstoß gegründet hat. Eine Veröffentlichung des Vertragsschlusses wie in § 101b Abs. 2 Satz 2 GWB erwähnt, hat es hier erkennbar nicht gegeben.
Materiell war der Feststellungsantrag in der Zeit vom 19.02.2016 bis zum 15.03.2016 begründet, weil die Antragsgegnerin gegen die Wartepflicht verstoßen hat. An einer entsprechenden Entscheidung zugunsten der Antragstellerin sieht sich die Vergabekammer jedoch gehindert da dies dem teleologischen Zweck des § 101b GWB und des § 114 GWB zuwiderliefe. § 101b GWB schützt den redlichen Anbieter davor, dass der wettbewerbswidrig handelnde Auftraggeber die Schutzwirkung des Vierten Teils des GWB durch einen schnellen vergabewidrigen Vertragsschluss umgeht und sich auf § 114 Abs. 2 Satz 1 beruft, wonach ein Zuschlag nicht aufgehoben werden kann. Die Einschränkung in § 114 GWB (wirksam erteilter Zuschlag) wurde zeitgleich mit der Schaffung des § 101b GWB eingefügt, um Widersprüche im Gesetz zu vermeiden. Dieser Vorwurf eines Handelns in wettbewerbswidriger Absicht trifft auf die Antragsgegnerin nicht zu.
Die Antragsgegnerin hat die Antragstellerin im Schreiben vom 23.10.2015 mit den gegen sie erhobenen Vorwürfen konfrontiert, darin auch mitgeteilt, dass sie diese Vorwürfe zum Anlass nehmen will, die Antragstellerin vom Vergabeverfahren auszuschließen. In der Folgezeit unterließ die Antragsgegnerin fehlerhaft die notwendige Kommunikation zwischen denjenigen Mitarbeitern, die die Vorwürfe gegenüber der Antragstellerin weiter ermittelten, und denjenigen Mitarbeitern, die Vergabe des anstehenden Auftrags weiter vorbereiteten. Dadurch kam es dazu, dass die Antragstellerin nicht wie alle anderen Anbieter am 01.02.2016 darüber informiert wurde, auf welches Angebot der Zuschlag erteilt werden sollte. Somit entstand ein rechtswidriger Zustand im Sinne des § 101b GWB.
Dieser rechtswidrige Zustand ist jedoch materiell durch die Vergabesperre vom 03.03.2016, formal durch die nachgeholte Bieterinformation vom 15.03.2016 geheilt worden, ohne dass ein Eingreifen der Vergabekammer erforderlich gewesen wäre. Die Antragsgegnerin hat den von ihr begangenen Rechtsfehler eingeräumt und der Antragstellerin die Möglichkeit zum Rechtsschutz gegeben. Sie wäre sogar bereit gewesen, sich von dem Vertrag mit der Beigeladenen wieder zu lösen, wenn das erforderlich gewesen wäre. Eine weitere Entscheidung der Vergabekammer aufgrund des § 101b GWB ist daher nicht mehr geboten. Die Heilung der Mängel stellt die Antragstellerin klaglos (Fett in: Willenbruch/Wieddekind, Vergaberecht Kompaktkommentar, 3. Auflage, 8. Los, § 101b GWB, Rdnr. 4; OLG Naumburg, Beschluss vom 27.05.2010, 1 Verg 1/10; VK Bund, Beschluss vom 14.07.2015, VK 2 - 57/15).
Es wäre unbillig der Antragstellerin, die einen nahezu offensichtlich unbegründeten Nachprüfungsantrag erhoben hat, aufgrund der Regelung des § 101b GWB und ungeachtet der vor Erhebung des Nachprüfungsantrags erfolgten Nachbesserung der Antragsgegnerin größeren Rechtsschutz einzuräumen, als sie mit einem Nachprüfungsantrag hätte erlangen können.
Die Antragsgegnerin handelte hier erkennbar nicht in wettbewerbswidriger Absicht. Vielmehr bemühte sie sich zumindest seit Oktober 2015 in beachtlichem und begrüßenswertem Umfang, auf ihr Verfahren zur Vorbereitung von Vertragsschlüssen entweder das Vergaberecht für öffentliche Auftraggeber, oder aber zumindest ein diesem bis zur Auswahl der verwendeten Formblätter nachgebildetes faires wettbewerbliches Verfahren anzuwenden. Die dabei entstehenden Unsicherheiten und Fehler führten erkennbar nicht zu einer fortbestehenden Einschränkung der wettbewerblichen Rechte der Antragstellerin. Nur dies soll jedoch der 4. Teil des GWB gewährleisten. § 114 Abs. 1 GWB eröffnet der Vergabekammer die Möglichkeit, entstandene Rechtsverletzungen zu beseitigen. Das ist nicht erforderlich, wenn der Schädiger dies bereits vorab veranlasst hat. Es wäre daher verfehlt, das erkennbare Bemühen der Antragsgegnerin um ein faires Vergabeverfahren mit einer Maßnahme gemäß § 114 GWB zu sanktionieren. Der Nachprüfungsantrag darf die Chance der Antragstellerin auf den Zuschlag nicht über das objektiv gegebene Maß hinaus verbessern (OLG München, Beschluss vom 09.08.2010, Verg 13/10; Herlemann/Thiele, in: Dreher/Motzke Vergaberecht § 110 GWB Rdnr. 9).
5. Der Antrag der Antragsgegnerin im nachgelassenen Schriftsatz vom 04.05.2016, den Beschluss der Vergabekammer Niedersachsen zunächst nicht zu veröffentlichen und den Verfahrensbeteiligten eine Veröffentlichung zunächst zu untersagen, ist zurückzuweisen. Es fehlt eine Ermächtigungsgrundlage für das Handeln der Vergabekammer, erst recht eine Anspruchsgrundlage für einen Anspruch eines Verfahrensbeteiligten gegenüber der Vergabekammer.
Gemäß § 110 a Abs. 2 GWB sind die Mitglieder der Vergabekammern zur Geheimhaltung verpflichtet. Die Entscheidungsgründe dürfen Art und Inhalt der geheim gehaltenen Urkunden, Akten, elektronischen Dokumente und Auskünfte nicht erkennen lassen. Daher muss die Vergabekammer ihre Beschlüsse auch gegenüber den Verfahrensbeteiligten so abfassen, dass aus dem Beschluss keine vertraulichen Inhalte erkennbar werden. Das Nachprüfungsverfahren dient nicht der Ausforschung von Betriebsgeheimnissen, darf dazu auch nicht missbraucht werden. Zugleich legt der Wortlaut des Gesetzes die Erfahrung nahe, dass die Verfahrensbeteiligten die ihnen übermittelten Beschlüsse Dritten zur Verfügung stellen.
Im Sinne der Transparenz ist die Vergabekammer zugleich verpflichtet, die interessierte Öffentlichkeit über ihre Rechtsprechung zu informieren. Dies geschieht durch geeignete Publikation der anonymisierten Beschlüsse. Die Vergabekammer erfüllt ihre Verpflichtung aus § 110a Abs. 2 GWB, indem sie ihre Beschlüsse zuvor anonymisiert. Sie veröffentlicht die Beschlüsse auch grundsätzlich erst nach deren Bestandskraft. Eine vorzeitige Veröffentlichung erfolgt allenfalls, wenn die Entscheidung grundsätzliche Bedeutung hat. Eine grundsätzliche Bedeutung misst die Vergabekammer nicht diesem Beschluss, sondern dem vorausgehenden bestandskräftigen und auch bereits veröffentlichten Beschluss vom 30.09.2015 (VgK-30/2015) zu, der hier unter Ziffer II. 2 abschnittsweise wiederholt wird.
Die Vergabekammer verkennt nicht, dass öffentliche Auftraggeber nach der Sektorenverordnung weniger als andere Auftraggeber über die Auftragserteilung preisgeben müssen. Eine dem § 23 EG VOL/A vergleichbare Vorschrift fehlt in der Sektorenverordnung. Daraus ergeben sich aber keine unmittelbaren Pflichten für das Handeln der Vergabekammer.
Eine Ermächtigungsgrundlage oder gar eine rechtliche Verpflichtung der Vergabekammer, den Verfahrensbeteiligten die Veröffentlichung der Beschlüsse zu untersagen, hat die Vergabekammer nicht. Jeder Verfahrensbeteiligte kann etwaige Verstöße gegen sein Recht auf informationelle Selbstbestimmung zivilrechtlich verfolgen.
III. Kosten
Die Kostenentscheidung folgt aus § 128 GWB in der seit dem 26.06.2013 geltenden Fassung.
Die in Ziffer 2 des Tenors festgesetzte Gebühr ergibt sich aus einer Interpolation des Auftragswertes innerhalb des Gebührenrahmens nach § 128 Abs. 2 GWB. Die von der Vergabekammer festzusetzende regelmäßige Mindestgebühr beträgt 2.500 €, die Höchstgebühr 50.000 € und die Höchstgebühr in Ausnahmefällen 100.000 €.
Die Gebührenermittlung erfolgt anhand einer Gebührentabelle des Bundeskartellamtes in der zzt. gültigen Fassung vom Dezember 2009. Hiernach wird der Mindestgebühr von 2.500 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von bis zu 80.000 € zugeordnet und dem regelmäßigen Höchstwert von 50.000 € (§ 128 Abs. 2 GWB) eine Ausschreibungssumme von 70 Mio. € (höchste Summe der Nachprüfungsfälle 1996-1998) gegenübergestellt. Dazwischen wird interpoliert.
Die Angebotshöhe ist nicht bekannt. Der zu Grunde zu legende Auftragswert beträgt nach der Kostenschätzung der Antragsgegnerin xxxxxx € netto, mithin xxxxxx € brutto. Dieser Betrag entspricht dem Interesse der Antragstellerin am Auftrag.
Bei einer Ausschreibungssumme von xxxxxx € brutto ergibt sich eine Gebühr in Höhe von xxxxxx €. Diese Gebühr schließt einen durchschnittlichen sachlichen und personellen Aufwand ein.
Die in Ziffer 3 des Tenors verfügte Kostenlast folgt aus § 128 Abs. 3 Satz 1 GWB. Danach hat ein Beteiligter, soweit er im Nachprüfungsverfahren unterliegt, die Kosten zu tragen. Für die Ermittlung des Unterliegens ist nicht auf einen etwaigen Antrag abzustellen. Gemäß § 114 GWB ist die Vergabekammer an Anträge nicht gebunden und kann auch unabhängig davon auf die Rechtmäßigkeit des Vergabeverfahrens einwirken. Da die Antragstellerin im Nachprüfungsverfahren unterlegen ist, hat sie die Kosten zu tragen. Den Antrag der Antragsgegnerin, die Veröffentlichung des Beschlusses zu untersagen hat die Vergabekammer bei der Kostenentscheidung nicht berücksichtigt, da das wirtschaftliche Interesse zum einen schwer zu beziffern ist, der Antrag darüber hinaus nicht verfahrensprägend erscheint.
Die Beigeladene hat das Verfahren zwar durch Sachkunde in der mündlichen Verhandlung gefördert, sich nach einem Hinweis auf das mit der Antragstellung verbundene Kostenrisiko entschieden, keine Anträge zu stellen. Daher ist zur Beigeladenen keine Kostenentscheidung zu treffen.
Die Antragstellerin wird aufgefordert, innerhalb einer Frist von einem Monat nach Rechtskraft dieses Beschlusses den Betrag von xxxxxx € unter Angabe des Kassenzeichens
xxxxxx
auf folgendes Konto zu überweisen:
xxxxxx
IV. Rechtsbehelf
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