Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 25.07.2011, Az.: 4 ME 175/11
Interessenabwägung zwischen dem Betreiben einer Windkraftanlage und Zerstörung des Nestes der Wiesenweihen in der Nähe der Anlage zugunsten des Naturschutzes
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 25.07.2011
- Aktenzeichen
- 4 ME 175/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 20901
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0725.4ME175.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatschG
Fundstellen
- BauR 2011, 1858
- FStNds 2012, 667-669
- NuR 2011, 891-892
Redaktioneller Leitsatz
Bei der Interessenabwägung im Rahmen des vorläufigen Rechtsschutzes gegen eine naturschutzrechtliche Verfügung gegenüber einem Windenergieanlagenbetreiber kann sich dieser im Hinblick auf eine einzelne Windenergieanlage nicht maßgebend auf die Bedeutung der Windenergienutzung für eine umweltverträgliche Energieversorgung Deutschlands berufen.
Gründe
Nachdem die Antragstellerin und der Antragsgegner das Verfahren übereinstimmend für erledigt erklärt haben, ist der Beschluss des Verwaltungsgerichts gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO analog unwirksam, das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 VwGO einzustellen und über die Verfahrenskosten gemäß § 161 Abs. 2 Satz 1 VwGO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstandes nach billigem Ermessen zu entscheiden. Dabei kann berücksichtigt werden, wer bei Fortsetzung des Verfahrens wahrscheinlich unterlegen und daher kostenpflichtig gewesen wäre. Für die Kostenverteilung kann ferner maßgeblich sein, ob ein Verfahrensbeteiligter durch eigenen Willensentschluss die Erledigung des Rechtsstreits veranlasst hat. Letzteres ist hier nicht der Fall, da die Aufgabe / Zerstörung des Nestes der Wiesenweihen in der Nähe (50 m) der Windenergieanlage der Antragstellerin ein Ereignis ist, das weder in die Sphäre der Antragstellerin noch der des Antragsgegners fällt. Es ist hier daher maßgeblich auf die Erfolgsaussichten des Rechtsschutzbegehrens der Antragstellerin abzustellen.
Bei Fortsetzung des Verfahrens wäre die Beschwerde der Antragstellerin gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts jedoch voraussichtlich zurückgewiesen worden, da das Verwaltungsgericht den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den die Betriebszeiten ihrer Windenergieanlage zum Schutze einer lokalen Wiesenweihenpopulation einschränkenden Bescheid des Antragsgegners vom 20. Mai 2011 anzuordnen, im Ergebnis wahrscheinlich zu Recht abgelehnt hat.
Dabei wäre davon auszugehen gewesen, dass der Ausgang des gerichtlichen Verfahrens in der Hauptsache, das sich gegebenenfalls an das Widerspruchsverfahren angeschlossen hätte, nach summarischer Prüfung völlig offen gewesen wäre.
Zwar dürfte der allein auf die §§ 3 Abs. 2, 44 Abs. 1 BNatschG gestützten Verfügung des Antragsgegners die Bestandskraft der Genehmigung der Windenergieanlage nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz entgegen der Ansicht der Antragstellerin nicht von vornherein entgegengestanden haben, da die Konzentrationswirkung der Genehmigung einer Windenergieanlage nach § 13 BImSchG sich allein auf die Genehmigung bezieht. Nach Erteilung dieser Genehmigung (hier in den Jahren 2006 / 2007) fällt die Zuständigkeit zum Vollzug der öffentlich-rechtlichen Vorschriften außerhalb des Immissionsschutzrechts wieder an die zum Vollzug dieser Vorschriften zuständigen Behörden. Diese sind daher für spätere Anordnungen nach den entsprechenden Vorschriften zuständig. Eine Aufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung hat dagegen nach § 48 VwVfG oder nach § 21 BImSchG durch die immissionsschutzrechtliche Genehmigungsbehörde zu erfolgen (Jarass, BImSchG, 8. Auflage 2010, § 13 Rn. 20 m.w.N.). Der Antragsgegner, der sowohl zuständige Naturschutzbehörde als auch Genehmigungsbehörde nach dem Bundes-Immissionsschutzgesetz ist, war daher grundsätzlich befugt, zur Abwehr einer seiner Ansicht nach unmittelbar drohenden Gefahr für eine lokale Wiesenweihenpopulation eine naturschutzrechtliche Verfügung gegenüber der Antragstellerin zu erlassen. Etwas anderes könnte allerdings dann möglicherweise gelten, wenn die vom Antragsgegner getroffene Anordnung sich im Ergebnis wie eine Teilaufhebung der immissionsschutzrechtlichen Genehmigung ausgewirkt hätte. Dagegen spricht jedoch, dass die Verfügung des Antragsgegners den Tagbetrieb der Windenergieanlage der Antragstellerin in einem zwar recht langen, aber nur einmaligen Zeitraum vom 21. Mai bis zum 1. August 2011 betroffen hat und eine Wiederkehr der die Verfügung des Antragsgegners begründenden Situation im nächsten Jahr völlig ungewiss ist.
Die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens sind aber jedenfalls deshalb als offen anzusehen gewesen, weil aufgrund des vorliegenden Sachverhalts nicht festgestellt werden kann, ob die Voraussetzungen des hier in erster Linie in Betracht kommenden Tötungsverbots des § 44 Abs. 1 Nr. 1 BNatSchG vorgelegen haben.
Dieser Verbotstatbestand ist individuenbezogen. Dass einzelne Exemplare besonders geschützter Arten durch Kollisionen mit Windenergieanlagen zu Schaden kommen können, kann allerdings bei lebensnaher Betrachtung nie völlig ausgeschlossen werden. Es ist daher, wenn das Tötungsverbot nicht zu einem unverhältnismäßigen Hindernis für die Realisierung von Windenergieanlagen bzw. für deren Betrieb werden soll, zur Erfüllung des Tatbestandes des artenschutzrechtlichen Tötungsverbots zu fordern, dass sich das Tötungsrisiko für die geschützten Tiere durch die Anlage in signifikanter Weise erhöht, d.h. eine deutliche Steigerung des Tötungsrisikos vorliegt (vgl. BVerwG, Urteile vom 12.3.2008 - 9 A 3.06 -, BVerwGE 130, 299, und 9.7.2009 - 4 C 12.07 -, BVerwGE 134, 166; Nds. OVG, Beschluss vom 18.4.2011 - 12 ME 274/10 -; Frenz / Müggenborg, BNatSchG, 2011, § 44 BNatSchG Rn. 9). Davon kann nur ausgegangen werden, wenn es um Tiere solcher Arten geht, die aufgrund ihrer Verhaltensweisen gerade im Bereich der Anlage ungewöhnlich stark von deren Risiken betroffen sind, und die Risiken sich nicht durch Vermeidungs- oder Minderungsmaßnahmen beherrschen lassen (vgl. BVerwG, Urteil 18.3.2009 - 9 A 39.07 -, BVerwGE 133, 239; Frenz / Müggenborg, a.a.O., § 44 BNatSchG Rn. 9).
Nach den vom Antragsgegner insofern berücksichtigten naturschutzfachlichen Stellungnahmen und sonstigen Erkenntnissen sowie nach der eigenen naturschutzfachlichen Einschätzung des Antragsgegners spricht hier Vieles für eine solche deutliche Steigerung des Tötungsrisikos. Allerdings kommt die von der Antragstellerin vorgelegte gutachterliche Stellungnahme zum gegenteiligen Ergebnis. Welche naturschutzfachliche Sichtweise zutreffend ist, ist als offen anzusehen und wäre daher im Hauptsacheverfahren zu klären gewesen.
Da demnach der Ausgang des Verfahrens in der Hauptsache offen gewesen ist, ist es im Aussetzungsverfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO auf eine reine Abwägung der hier widerstreitenden Interessen angekommen, die jedoch zu Ungunsten der Antragstellerin ausgegangen wäre.
Insofern kann die Antragstellerin sich nicht maßgebend auf die Bedeutung der Windenergienutzung für eine umweltverträgliche Energieversorgung Deutschlands berufen, da es sich hier nur um eine einzelne Windenergieanlage handelt und im Übrigen auch nicht ersichtlich ist, dass von der hier vorliegenden Problematik Windenergieanlagen in Deutschland in einem solchen Umfang betroffen sind, dass der Beitrag der Windenergienutzung zur Energieversorgung dadurch gefährdet sein könnte. Da die Antragstellerin auch nicht geltend gemacht hat, dass durch die Ertragsausfälle ihre wirtschaftliche Existenz gefährdet (gewesen) ist, ist es auf ihrer Seite "nur" um - wenn auch beträchtliche - wirtschaftliche Einbußen gegangen, die nach den allerdings nicht näher begründeten und daher nicht konkret nachvollziehbaren Angaben der Antragstellerin 1.000 EUR je Tag betragen haben sollen, aber im Hinblick darauf, dass die angefochtene Verfügung des Antragsgegners bis zum 1. August 2011 befristet gewesen ist, zum voraussichtlichen Zeitpunkt der Entscheidung des Senats "nur" noch einen Zeitraum von weniger als zwei Wochen betroffen hätten.
Diesen wirtschaftlichen Einbußen hätten irreversible Schäden nicht nur für das betreffende Tier der streng geschützten Art Wiesenweihe, sondern möglicherweise auch für dessen Brut, wenn das überlebende Elterntier zur Aufzucht der Brut allein nicht in der Lage gewesen wäre, gegenüber gestanden, wenn ein Elterntier durch die Rotoren der Windenergieanlage der Antragstellerin getötet worden wäre. Deshalb hätten die durch die angefochtene Verfügung des Antragsgegners geschützten Naturschutzbelange die wirtschaftlichen Interessen auf der Seite der Antragstellerin überwogen.
Das Verwaltungsgericht hat daher den Antrag der Antragstellerin, die aufschiebende Wirkung ihres Widerspruchs gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 20. Mai 2011 anzuordnen, im Ergebnis wahrscheinlich zu Recht abgelehnt. Aus diesem Grunde entspricht es der Billigkeit, der Antragstellerin die Kosten des Verfahrens aufzuerlegen.