Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 14.07.2011, Az.: 8 ME 113/11
Zulässigkeit einer Beschwerde ohne einen entsprechenden Antrag
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 14.07.2011
- Aktenzeichen
- 8 ME 113/11
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 20832
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0714.8ME113.11.0A
Rechtsgrundlage
- § 146 Abs. 4 VwGO
Redaktioneller Leitsatz
Die für den Verzugseintritt unabdingbare Voraussetzung der Fälligkeit entfällt, wenn der Gläubiger den Anspruch stundet.
Gründe
Die Beschwerde des Antragsgegners gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts, mit dem dieses die aufschiebende Wirkung der Klage des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2011 über die Festsetzung von Verzugszinsen angeordnet hat, bleibt ohne Erfolg.
Die Beschwerde ist bereits unzulässig. Nach § 146 Abs. 4 VwGO ist die Beschwerde gegen Beschlüsse des Verwaltungsgerichts in Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe der Entscheidung zu begründen. Die Begründung muss einen bestimmten Antrag enthalten, die Gründe darlegen, aus denen die Entscheidung abzuändern oder aufzuheben ist, und sich mit der angefochtenen Entscheidung auseinander setzen. Mangelt es an einem dieser Erfordernisse, ist die Beschwerde als unzulässig zu verwerfen. Ein solcher Fall ist hier gegeben. Denn die Beschwerde enthält keinen Antrag. Ein solcher ist weder dem Schriftsatz vom 3. Juni 2011, mit dem der Antragsgegner die Beschwerde eingelegt und zugleich begründet hat, noch dem weiteren Schriftsatz des Antragsgegners vom 12. Juli 2011 zu entnehmen.
Geht man zugunsten des Antragsgegners davon aus, dass er seinen im erstinstanzlichen Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes gestellten Antrag mit der Beschwerde unverändert weiter verfolgt, ist die Beschwerde zudem unbegründet. Denn nach den vom Antragsteller im Beschwerdeverfahren angeführten und vom Senat nach § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO allein zu prüfenden Gründen besteht kein Anlass, die angefochtene erstinstanzliche Entscheidung zu ändern. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass der Bescheid des Antragsgegners vom 29. März 2011 über die Festsetzung von Verzugszinsen in Höhe von 206,81 EUR voraussichtlich rechtswidrig ist und daher das Interesse des Antragstellers an der Aussetzung der Vollziehung des angefochtenen Bescheides das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt.
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gibt es keinen allgemeinen Grundsatz des Verwaltungsrechts, der zur Zahlung von Verzugszinsen verpflichtet. Werden öffentlich-rechtliche Geldforderungen nicht erfüllt, können Zinsen nur aufgrund ausdrücklicher gesetzlicher Grundlage verlangt werden (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.7.2003 - 7 B 130.02 -, [...] Rn. 6; Urt. v. 3.11.1988 - 5 C 38.84 -, BVerwGE 80, 334, 335; Urt. v. 10.4.1975 - III C 78.73 -, BVerwGE 48, 133, 136 [BVerwG 10.04.1975 - 3 C 78/73]).
Eine solche Grundlage findet sich in § 28 Abs. 3 Satz 2 der aufgrund des Gesetzes über das Niedersächsische Versorgungswerk der Rechtsanwälte erlassenen Satzung des Niedersächsischen Versorgungswerks der Rechtsanwälte - Satzung RVN -. Gerät ein Mitglied des Antragsgegners mit der Zahlung von Versorgungsbeiträgen länger als drei Monate in Verzug, hat es nach dieser Bestimmung zehn Prozent Zinsen im Jahr auf die rückständigen Versorgungsbeiträge ab Verzugsbeginn zu zahlen. Aufgrund des Bescheides des Antragsgegners vom 21. Juli 2010 war der Antragsteller zwar zur Zahlung von Versorgungsbeiträgen verpflichtet. Der Antragsteller ist mit der Zahlung indes nicht länger als drei Monate in Verzug geraten.
Versorgungsbeiträge im Sinne dieser Bestimmung sind Pflichtbeiträge nach § 24 Satzung RVN, zusätzliche Versorgungsbeiträge nach § 25 Satzung RVN und besondere Versorgungsbeiträge nach § 26 Satzung RVN. Die hier der Verzugszinsfestsetzung zugrunde liegende Forderung in Höhe von 5.135,12 EUR betrifft ausweislich des Beitragsbescheides des Antragsgegners vom 21. Juli 2010 (Bl. 17 Beiakte A) Pflichtbeiträge im Sinne des § 24 Satzung RVN für das Beitragsjahr 2009.
Diese festgesetzte Beitragsforderung ist mangels entgegen stehender Bestimmungen mit Bekanntgabe des Beitragsbescheides an den Antragsteller am 24. Juli 2010 (vgl. § 1 Abs. 1 NVwVfG i.V.m. § 41 Abs. 2 Satz 1 VwVfG) zunächst zur Zahlung fällig geworden. Die abweichende Bestimmung in § 28 Abs. 1 Halbsatz 1 Satzung RVN, wonach die Versorgungsbeiträge monatlich, und zwar bis zum 15. eines jeden Monats, zur Zahlung fällig sind, findet hier keine Anwendung. Sie ist nach dem Wortlaut und ihrem Sinn und Zweck nicht auf den vorliegenden Fall der nachträglichen Änderung oder Festsetzung von Pflichtbeiträgen bezogen. Auch der Antragsgegner selbst geht offenbar nicht von einer Anwendung des § 28 Abs. 1 Halbsatz 1 Satzung RVN aus, wenn er eine Fälligkeit zum 24. Juli 2010 annimmt (vgl. Verzugszinsberechnung, Bl. 69 Beiakte A, und darauf bezogene Erläuterung im Schreiben vom 16. Februar 2011, Bl. 67 f. Beiakte A), diese unter Anwendung des § 28 Abs. 1 Halbsatz 1 Satzung RVN aber erst zum 15. August 2010 eingetreten wäre. Der weitere Einwand des Antragsgegners, der Antragsteller habe im laufenden Beitragsjahr 2009 aufgrund der falschen Angaben seines Steuerberaters zu den Einkünften zu niedrige Beiträge gezahlt, hat auf die Fälligkeit der erstmals im Bescheid vom 21. Juli 2010 festgesetzten Beiträge keinen Einfluss.
Mit der Erfüllung dieser fälligen Beitragsforderung ist der Antragsteller entgegen der Auffassung des Antragsgegners aber nicht länger als drei Monate in Verzug geraten.
Dabei kann der Senat im Verfahren vorläufigen Rechtsschutzes dahinstehen lassen, ob seitens des Antragsgegners überhaupt eine verzugsbegründende Handlung vorgenommen worden ist und welche Anforderungen an diese zu stellen sind. Denn für den Zeitraum zwischen Fälligkeit der Beitragsforderung am 24. Juli 2010 und ihrer vollständigen Erfüllung am 9. Januar 2011 haben der Antragsteller und der Antragsgegner mehrere den Verzugseintritt ausschließende Stundungsvereinbarungen getroffen. Auf die Ersuchen des Antragstellers vom 4. August 2010 (Bl. 20 Beiakte A), 12. Oktober 2010 (Bl. 28 Beiakte A) und 30. November 2010 (Bl. 35 Beiakte A) hat der Antragsgegner mit Schreiben vom 5. August 2010 (Bl. 23 Beiakte A), 27. Oktober 2010 (Bl. 31 Beiakte A) und 1. Dezember 2010 (Bl. 36 Beiakte A) reagiert und einer Stundung zunächst bis zum 30. September 2010 und sodann bis zum 30. November 2010 und abschließend einer Teilzahlungsvereinbarung mit Fälligkeiten bis zum 15. Februar 2011 zugestimmt. Das Verwaltungsgericht hat zutreffend festgestellt, dass durch diese Vereinbarungen die ursprünglich eingetretene Fälligkeit der Forderung hinausgeschoben wurde und daher ein Verzug nicht eintreten konnte. Denn die für den Verzugseintritt unabdingbare Voraussetzung der Fälligkeit entfällt, wenn der Gläubiger den Anspruch stundet (vgl. BGH, Urt. v. 24.10.1990 - VIII ZR 305/89 -, NJW-RR 1991, 822; [...]PK, BGB, 5. Aufl., § 286 Rn. 61).
Der hiergegen vom Antragsgegner erhobene Einwand, er habe sich in den Stundungsvereinbarungen die Geltendmachung von Verzugszinsen vorbehalten, so dass diese auch ohne Verzugseintritt entstanden seien, greift nicht durch. Zutreffend ist zwar, dass sich in den die Stundung gewährenden Schreiben des Antragsgegners vom 5. August 2010 (Bl. 23 Beiakte A), 27. Oktober 2010 (Bl. 31 Beiakte A) und 1. Dezember 2010 (Bl. 36 Beiakte A) stets der Hinweis findet: "Die nach Ausgleich des Beitragsrückstands noch zu ermittelnden Verzugszinsen und Säumniszuschläge gem. § 28 Abs. 3 der Satzung werden wir Ihnen dann zu gegebener Zeit mitteilen ...". Dieser Hinweis lässt aber bereits nicht mit der gebotenen Klarheit erkennen, dass der Antragsgegner Verzugszinsen erheben will, ohne dass es auf einen Verzugseintritt ankommen soll. Es wird vielmehr nur auf die Geltung der satzungsmäßigen Regelung zum Säumniszuschlag und Verzugszins hingewiesen. Deren tatbestandliche Voraussetzungen sind hier indes, wie ausgeführt, nicht erfüllt. Im Übrigen würde der vom Antragsgegner trotz fehlender Verzugsvoraussetzungen geforderte Verzugszins einem Stundungszins (vgl. § 234 AO) gleichkommen, für dessen Festsetzung es in der Satzung des Antragsgegners offensichtlich keine Grundlage gibt.
Über § 28 Abs. 3 Satz 2 Satzung RVN hinaus sind die zivilrechtlichen Bestimmungen der §§ 286, 288 BGB nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts im öffentlichen Recht nicht generell entsprechend anwendbar (vgl. BVerwG, Beschl. v. 4.7.2003, a.a.O.; Urt. v. 10.4.1975, a.a.O., m.w.N.). Ein im Verwaltungsrechtsweg durchsetzbarer Anspruch auf Verzugszinsen kann in analoger Anwendung des § 288 Abs. 1 BGB lediglich dann bestehen, wenn der Schuldner mit einer Geldleistung in Verzug ist, die in einem Austauschverhältnis zur Gegenleistung des anderen Partners eines öffentlich-rechtlichen Vertrages steht (vgl. BVerwG, Urt. v. 15.3.1989 - 7 C 42.87 -, BVerwGE 81, 312, 317 f.), oder wenn sich der Anspruch auf die Geldleistung aus einem gesetzlichen Schuldverhältnis herleitet, auf das die Vorschriften über gegenseitige Verträge entsprechend anwendbar sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 21.2.1995 - 1 C 11.93 -, BVerwGE 98, 18, 30). Diese Voraussetzungen sind hier offensichtlich nicht erfüllt, da Antragsteller und Antragsgegner sich nicht in einem (vertraglichen oder gesetzlichen) Gleichordnungsverhältnis gegenüberstehen, sondern in einem Über-Unterordnungsverhältnis. Im Übrigen setzt auch § 288 BGB voraus, dass sich der Schuldner mit der Leistung in Verzug befindet, woran es hier, wie dargestellt, fehlt.