Amtsgericht Hannover
Urt. v. 31.05.2007, Az.: 544 C 6448/07

Anspruch auf Teilnahme an dem Hannoverschen Schützenfest ; Auswahlermessen des Veranstalters

Bibliographie

Gericht
AG Hannover
Datum
31.05.2007
Aktenzeichen
544 C 6448/07
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2007, 54793
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:AGHANNO:2007:0531.544C6448.07.0A

In dem einstweiligen Verfügungsverfahren
...
hat das Amtsgericht Hannover Abt. 544
auf die mündliche Verhandlung vom 22.05.2007
durch
den Richter am Amtsgericht ...
für Recht erkannt:

Tenor:

Der Verfügungsbeklagte wird im Wege der einstweiligen Verfügung verpflichtet, die Verfügungsklägerin mit ihrem Autoskooter ... mit den Grundmaßen Länge (Frontseite zum Publikum) 34 m × 17,5 m (Tiefe) auf dem festgesetzten Festgelände zum Hannoverschen Schützenfest in der Zeit vom 29.06. bis 08.07.2007 zuzulassen.

Die Kosten des Verfahrens trägt der Verfügungsbeklagte.

Der Wert des Streitgegenstandes beträgt 5.000,- ?.

Tatbestand

1

Die Parteien streiten über die Zulassung der Verfügungsklägerin zum Hannoverschen Schützenfest vom 29.06. bis 08.07.2007 in Hannover.

2

Die Verfügungsklägerin betreibt ein Schaustellerunternehmen. Sie hatte sich fristgerecht mit ihrem "2-Säulen-Autoskooter ..." um einen Standplatz bei dem Antragsgegner beworben, der das Schützenfest privatrechtlich ausrichtet und organisiert. Unter dem 15.02.2007 teilte der Antragsgegner zunächst mit, dass der auf dem Festplatz zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, das Fahrgeschäft der Antragstellerin zu platzieren. In dem hierauf von der Antragstellerin eingeleiteten einstweiligen Verfügungsverfahren vor dem Amtsgericht Hannover (Geschäfts-Nummer 441 C 4346/07) verpflichtete sich der Verfügungsbeklagte durch Vergleich vom 05.04.2007 bis zum Ablauf des 30.04.2007 eine begründete Mitteilung an die Verfügungsklägerin, in welcher im Einzelnen eventuelle Ablehnungsgründe für das Schützenfest 2007 nachvollziehbar dargelegt werden, zu verfassen. Mit Schreiben vom 26.04.2007 begründete der Verfügungsbeklagte seine ablehnende Entscheidung erneut und führte im Wesentlichen aus, dass auch zum Schützenfest 2007 lediglich 3 Autoskooter zugelassen würden, weshalb unter den 8 vorliegenden Bewerbungen eine Auswahl vorzunehmen gewesen sei. Bei den eingereichten Bewerbungen konnten hinsichtlich des Ausweichkriteriums "Attraktivität des Geschäftes" - insbesondere äußere Gestaltung, Beleuchtung und Größe der Fahrbahnfläche - keine überragenden Vorteile des Geschäftes der Verfügungsklägerin gegenüber denen der Mitbewerber festgestellt werden. Eine der drei zur Verfügung stehenden Plätze für Autoskooter wäre einem langjährigen Bewerber zugesprochen worden, der sich bislang mehrfach erfolglos beworben hatte und bisher noch nicht berücksichtigt worden war. Die übrigen zwei Plätze wurden - um die gewünschte Kontinuität der Veranstaltung zu gewährleisten und den Erwartungshaltungen des Publikums zu genügen - ebenfalls langjährigen Bewerbern zugesprochen. Wegen des weiteren Inhalts wird Bezug genommen auf das zur Akte gereichte. Schreiben des Verfügungsbeklagten vom 26.04.2007 (Blatt 6, 7 d.A.).

3

Die Verfügungsklägerin meint, die getroffene Auswahl sei sachlich unrichtig zu ihren Lasten erfolgt. Insbesondere eine Auswahl nach Attraktivitätsgesichtspunkten sei nicht sachgerecht erfolgt. Im Gegensatz zu den zugelassenen Bewerbern handele es sich bei dem Autoskooter der Verfügungsklägerin um einen aus dem Jahre 2004 stammenden Neubau mit einer besonders, großen Fahrfläche und Fahrzeugen aus dem Jahr 2005.

4

Daneben verfüge das Fahrgeschäft über eine besonders aufwendige "Airbrush-Dekoration", ein behindertengerechtes Fahrzeug sowie einem SMS-Service für Musikwünsche der Fahrgäste.

5

Der Verfügungsklägerin beantragt,

den Verfügungsbeklagten im Wege der einstweiligen Verfügung zu verpflichten, die Verfügungsklägerin mit ihrem Autoskooter ... mit den Grundmaßen Länge (Frontseite zum Publikum) 34 m × 17,5 m (Tiefe) auf dem festgesetzten Festgelände zum Hannoverschen Schützenfest 2007 zuzulassen,

6

hilfsweise,

den Verfügungsbeklagten zu verpflichten, die Bewerbung der Verfügungsklägerin auf Teilnahme am Hannoverschen Schützenfest 2007 bis zu einem vom Gericht festzusetzenden Zeitpunkt erneut, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichtes, zu bescheiden.

7

Der Verfügungsbeklagte beantragt,

den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen.

8

Er trägt vor, dass das Auswahlkriterium "Attraktivität des Geschäftes" eines von mehreren sei, welches ohne besondere Gewichtung neben dem weiteren Kriterium der Anzahl der kontinuierlich erfolgten Bewerbungen der einzelnen Beschicker der Vergangenheit Berücksichtigung gefunden hätte. Hierbei sei die Auswahl der Platzkommission auf den Beschicker " ..." gefallen, der sich seit 1998 fortwährend um eine Zulassung beworben habe, die ihm nunmehr für das Schützenfest 2007 erstmalig erteilt worden sei. Der Verfügungsbeklagte hält an seiner Ablehnungsmitteilung vom 26.04.2007 fest.

9

Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, Lichtbilder und Prospekte Bezug genommen. Die Verfahrensakten 441 C 4346/07 des Amtsgerichtes Hannover waren beigezogen und Gegenstand der mündlichen Verhandlung.

Entscheidungsgründe

10

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist nach den §§ 935, 940 ff. ZPO zulässig.

11

Der Zivilrechtsweg ist eröffnet, weil das Schützenfest Hannover von dem Verfügungsbeklagten als privatrechtlichem Verein privatrechtlich ausgestaltet und organisiert wird (Urteil des Verwaltungsgerichtes Hannover vom 18.07.2006, Geschäftsnummer 11 A 1391/04; Blatt 34 ff. der Beiakte). Hinreichende Anhaltspunkte für eine "Flucht in das Zivilrecht" der Landeshauptstadt Hannover als tatsächlichem Veranstalter hinter dem Verfügungsbeklagten oder in beherrschender Stellung des Verfügungsbeklagten sind danach jedenfalls nicht feststellbar.

12

Im Regelfall kann eine einstweilige Verfügung nur zur Sicherung des Hauptanspruchs oder zur vorläufigen Regelung eines Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis erlassen werden. Dabei darf grundsätzlich eine Entscheidung in der Hauptsache nicht vorweg genommen werden. Von diesem Grundsatz kann nur dann ausnahmsweise abgewichen werden, wenn ein Zuwarten auf eine Entscheidung in einem Hauptsacheverfahren den Anspruch vereiteln würde, was vorliegend der Fall ist. Das Hannoversche Schützenfest beginnt bereits am 29.06.2007. Eine Hauptsacheentscheidung wäre für die Verfügungsklägerin vorher nicht mehr zu erlangen.

13

Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung ist auch in der Sache begründet. Der Verfügungsklägerin steht ein Anspruch auf Teilnahme an dem Hannoverschen Schützenfest 2007 nach § 70 Abs. 1 Gerwerbeordnung gegen den Verfügungsbeklagten zu. Zwar ist dem Zivilrecht ein Kontrahierungszwang zwischen Privatpersonen grundsätzlich fremd, Ausnahmen gelten jedoch dann, wenn Private den ausschließlichen Zugang zu bestimmten Leistungen kontrollieren bzw. regeln (wie z.B. auch bei Versorgungsleistungen Strom, Gas und Wasser etc.). Schausteller und Marktbeschicker sind zur Ausübung ihres Gewerbes auf die Teilnahme auch an privatrechtlich organisierten Volksfesten und Märkten angewiesen. Insbesondere im Hinblick auf die Auswahlentscheidung zur Zulassung zu einem größeren Volksfest wie dem Hannoverschen Schützenfest und deren grundrechtlicher Bedeutung für den Schausteller für seine Berufsausübung (Artikel 12 Abs. 1 GG) und die Drittwirkung der Grundrechte im zivilrechtlichen Verhältnis hat sich auch der private Veranstalter entsprechend an die Bestimmungen nach § 70 Gewerbeordnung zu halten (vgl. LG Braunschweig, Urteil vom 29.11.2006, Geschäftsnummer 2 S 297/06; Blatt 43 ff. der Beiakte; Frühler/Kormann, Kommentar zur Gewerbeordnung, 1978, § 70, Rdnr. 4; zur grundrechtlichen Relevanz der Auswahlentscheidung Verwaltungsgericht Oldenburg, Beschluss vom 03.09.2003, 12 B 1761/03).

14

Nach § 70 Abs. 3 Gewerbeordnung kann der Veranstalter nur aus sachlich gerechtfertigten Gründen, insbesondere wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, einzelne Aussteller, Anbieter oder Besucher von der Teilnahme ausschließen. Hierbei hat der Veranstalter ein Auswahlermessen auszuüben und eine abschlägige Entscheidung gegenüber einem nicht berücksichtigten Bewerber nachvollziehbar zu begründen.

15

Dies ist nicht geschehen. Die abschlägige Entscheidung des Verfügungsbeklagten vom 26.04.2007 ist ermessensfehlerhaft. Sie lässt eine sachgerechte Auswahlentscheidung nicht erkennen, weshalb die Platzvergabe objektiv willkürlich erscheint. Es ist nicht hinreichend ersichtlich, nach welchen Kriterien im Verhältnis zu den anderen Bewerbern konkret und in welcher Gewichtung dieser Kriterien zueinander der Verfügungsbeklagte seine Auswahlentscheidung zum Nachteil der Verfügungsklägerin getroffen hat. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass dem Veranstalter grundsätzlich bei der Vergabeentscheidung gemäß § 70 Abs. 3 Gewerbeordnung ein weiter Ermessensspielraum zusteht (Verwaltungsgericht Baden-Württemberg, Urteil vom 27.02.2006, 6 S 1508/04). Im Hinblick auf die grundrechtliche Bedeutung der Auswahlentscheidung zur Zulassung zu einem größeren Volksfest ist jedoch eine Festlegung der maßgeblichen Auswahlkriterien und deren Verhältnis zueinander erforderlich (VG Oldenburg, a.a.O.). Selbst wenn diese nicht vorab in einer Vergaberichtlinie festgelegt und den Schausteller vorab bekannt gemacht wurden, sind diese jedenfalls in der ablehnenden Entscheidung nachvollziehbar darzulegen und zu gewichten. Nur so ergibt sich eine transparente Entscheidung, die rechtlich überprüfbar ist.

16

Der Verfügungsbeklagte selbst stellt in seinem Ablehnungsschreiben vom 26.04.2007 das Auswahlkriterium "Attraktivität des Geschäftes", dem bei der Auswahlentscheidung innerhalb einer Bewerbergruppe die höchste Sachnähe zukommt (vgl. VG Bayreuth, Beschluss vom 08.07.2002 - B 2 E 02.542; OVG Münster vom 27.05.1993 - 4 A 2800.92), seiner Begründung voran. In der Sache jedoch ohne nähere Begründung anhand konkreter Merkmale wird lediglich ausgeführt, dass keine überragenden Vorteile des Geschäftes der Verfügungsklägerin gegenüber denen der Mitbewerber festgestellt wurden. Auch, wenn es keines "Auszählens" sämtlicher Einzelmerkmale bedarf und der Verfügungsbeklagte, wie er selbst im Verfahren einwendet, eine überschlägige Betrachtung bei der Beurteilung der einzelnen Fahrgeschäfte vornehmen darf, genügt die nur "phrasenartige" Begründung ohne erkennbaren Bezug zu den berücksichtigten Fahrgeschäften nicht, um zu ersehen, dass der Verfügungsbeklagte seinen Ermessensspielraum in sachgerechter Weise ausgeübt hat. Die Verfügungsklägerin hat im Einzelnen nachvollziehbar und anhand der Lichtbilder und der tabellarischen Aufstellung auch für den Laien ohne Weiteres erkennbar dargelegt, dass ihr modernes Fahrgeschäft aus dem Jahr 2004 im Hinblick auf die optische und technische Attraktivität den zugelassenen Schaustellern gegenüber Vorzüge aufweist. Dabei ist es nicht Sache des Gerichtes, eine Bewertung im Einzelnen vorzunehmen. Dies ist Gegenstand des Auswahlermessens des Verfügungsbeklagten, das dieser auszuüben hat. Das Bestreiten im Termin zur mündlichen Verhandlung der von der Verfügungsklägerin aufgeführten Unterschiede der Schaustellerbetriebe ist jedenfalls ungenügend.

17

Soweit der Verfügungsbeklagte sich nunmehr schriftsätzlich darauf beruft, dass das Auswahlkriterium "Attraktivität des Geschäftes" ohne besondere Gewichtung neben dem Kriterium der Anzahl der kontinuierlich erfolgten Bewerbungen stünde, ist dies mit dem Wortlaut des Ablehnungsschreibens vom 26.04.2007 nicht ohne Weiteres in Einklang zu bringen. Der Verfügungsbeklagte selbst geht davon aus, dass überragende Vorteile in diesem Bereich eine andere Auswahlentscheidung hätten herbeiführen müssen. Auch in der weiteren Begründung findet der Punkt "Attraktivität" oder auch "Innovation" keine konkrete Berücksichtigung. Bei der Auswahlentscheidung des Verfügungsbeklagten kommt ausschließlich das Zeitmoment der Bewerbungen zum Tragen. Hinsichtlich zwei vergebener Plätze nach dem überkommenen und wenig brauchbaren Kriterium "bekannt und bewährt" für Bewerber, die bereits seit Jahren unter Ausschluss anderer Bewerber am Schützenfest teilnehmen und hinsichtlich des dritten zu vergebenden Platzes nach der Anzahl der erfolglosen kontinuierlichen Bewerbungen in den Vorjahren, was dem eigenen Anforderungsprofil des Verfügungsbeklagten nach Kontinuität einerseits als auch Innovation andererseits nicht gerecht wird. Dabei lässt der Verfügungsbeklagte außer Acht, dass die Verfügungsklägerin sich erstmals im Jahre 2005 mit ihrem Fahrgeschäft bewerben konnte, weil dieses erst im Jahre 2004 gebaut wurde. Mit den Auswahlkriterien des Verfügungsbeklagten sind Neubauten, die technischen Neuerungen und den im Verlaufe der Jahre wechselnden Kundengeschmack Rechnung tragen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von einem Standplatz ausgeschlossen.

18

Eine transparente Begründung warum in der Gewichtung 2 von 3 der zu vergebenden Stellplätze nach dem Prinzip "bekannt und bewährt" vergeben wurden, ohne dass diese Neubewerbern überhaupt zugänglich waren, fehlt gänzlich. Auch unter Berücksichtigung einer gewissen Nostalgie im klassischen Autoscootergeschäft und einem berechtigten Interesse des Beklagten an einer gewissen Kontinuität im Schaustellerbereich trägt die Auswahlentscheidung des Verfügungsbeklagten und die hierzu gegebene Begründung insbesondere nicht dem Auswahlkriterium "Attraktivität" Rechnung, da ausschließlich Kontinuität, entweder in der Zahl der Teilnahmen oder in der Zahl der Bewerbungen zum Tragen kommt. Das jüngste der ausgewählten Fahrgeschäfte im Bereich Autoskooter ist danach bereits 38 Jahre alt.

19

Auch wenn die Verfügungsklägerin der Sache nach im Hinblick auf § 70 Abs. 3 Gewerbeordnung lediglich einen Anspruch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung hat, war nicht allein auf den Hilfsantrag zur Neuentscheidung zu erkennen. Dies war bereits Gegenstand des einstweiligen Verfügungsverfahrens vor dem Amtsgericht Hannover zur Geschäftsnummer 441 C 4346/07, in dem der Verfügungsbeklagte diesen Anspruch durch Vergleich vom 05.04.2007 der Sache nach unter Kostenlast anerkannt hat. Dennoch war der Verfügungsbeklagte nicht in der Lage, die Ablehnung des Verfügungsklägers ermessensfehlerfrei zu begründen oder dieses noch im Verfahren nachzuholen. Mangels im Voraus aufgestellter Kriterien und ihrer Gewichtungen kann der Verfügungsbeklagte dies auch nicht mehr nachholen. Die Verpflichtung zur neuerlichen Neubescheidung liefe faktisch auf die Vereitelung des Anspruches auf Teilnahme nach § 70 Abs. 1 Gewerbeordnung am bevorstehenden hannoverschen Schützenfest hinaus.

20

Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 ZPO.

21

Eines Ausspruchs über die Vollziehbarkeit der dem Antrag stattgebenden Verfügung bedarf es nicht. Sie ist sofort vollziehbar.