Amtsgericht Hannover
Beschl. v. 01.10.2007, Az.: 714 M 146139/06
Erfolgsaussichten des zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsbehelfs des Vollstreckungsschutzantrags zur Aufhebung eines Pfändungs- undÜberweisungsbeschlusses; Ausgestaltung der Anwendbarkeitsvoraussetzungen von § 765a Zivilprozessordnung (ZPO) bezüglich eines gepfändeten Kontos mit eingehenden Sozialleistungen
Bibliographie
- Gericht
- AG Hannover
- Datum
- 01.10.2007
- Aktenzeichen
- 714 M 146139/06
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2007, 55711
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:AGHANNO:2007:1001.714M146139.06.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- AG Hannover - 13.10.2006 - AZ: 714 M 146139/06
Rechtsgrundlagen
- § 765a ZPO
- § 850k ZPO
- § 55 SGB I
Tenor:
In der Zwangsvollstreckungssache ... wird der auf Aufhebung des Pfändungs- und Überweisungsbeschluss des Amtsgerichts Hannover - Vollstreckungsgericht - vom 13. Oktober 2006, Geschäftsnummer: 714 M 146139/06, gerichtete Vollstreckungsschutzantrag vom 07.11.2006 kostenpflichtig zurückgewiesen.
Streitwert: 743,- EUR
Der Antrag des Schuldners auf Bewilligung von-PKH wird mangels Erfolgsaussicht seines Antrags in der Hauptsache zurückgewiesen.
Gründe
Mit dem im Tenor näher bezeichneten Pfändungs- undÜberweisungsbeschluss wurde das Konto d. Schuldn. bei der Drittschuldnerin gepfändet.
Durch den Vollstreckungsschutzantrag vom 07.11.2006 begehrt d. Schuldn. die Aufhebung dieses Beschlusses.
Der gemäß § 765 a ZPO zulässige Antrag ist als unbegründet und zurückzuweisen, daran ändert auch das Schreiben der Schuldnervertreterin vom 14.11.2006 nichts.
Der rechtsirrigen Ansicht im Zöller (Zöller/Stöber ZPO 25. Aufl. § 765 a Rdnr. 9), die die Anwendung des § 765 a ZPO bejaht, kann nicht beigetreten werden. Die hier vertretene Ansicht wird auch in Rechtsprechung und Literatur geteilt (vgl. exemplarisch LG Dessau Beschluss vom 07.12.2005 -7 T 307/05- veröffentlicht bei [...]; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann ZPO 64. Aufl. § 765 a Rdnr. 18 "Konto" mit Nachweisen).
Der Schuldner kann sich vorliegend nicht mit Erfolg auf § 765 a ZPO berufen. Nach dieser Bestimmung kann das Gericht auf Antrag des Schuldners eine Maßnahme der Zwangsvollstreckung ganz oder teilweise aufheben, untersagen oder einstweilen einstellen, wenn die Maßnahme unter voller Würdigung des Schutzbedürfnisses des Gläubigers wegen ganz besonderer Umstände eine Härte bedeutet, die mit den guten Sitten nicht vereinbar ist. Diese Regelung enthält eine Generalklausel des Schuldnerschutzes, die - wie schon der Gesetzeswortlaut ergibt - nur in ganz besonderen Ausnahmefällen angewandt werden darf, wenn die Durchführung der Zwangsvollstreckung moralisch zu beanstanden wäre (LG Berlin Rechtspfleger 1977, 31, 32). Bei ihrer Anwendung ist davon auszugehen, dass der Gläubiger grundsätzlich ein schutzwürdiges Interesse an der alsbaldigen Befriedigung hat, mag auch die Vollstreckung - zwangsläufig - mit gewissen Härten für den Schuldner verbunden sein. Nur dann, wenn die Befriedigung des Gläubigers einer sittenwidrigen, also moralisch verwerflichen Geltendmachung seiner Rechte gleich käme, kann das Gericht nach Maßgabe der einzelnen Umstände des Falles helfend eingreifen und die Zwangsvollstreckung, soweit erforderlich, einschränken oder untersagen.
Die Kontenpfändung ist nach Überzeugung des Vollstreckungsgerichts aber nicht moralisch verwerflich, sondern eine vom Gesetzgeber für zulässig erachtete Zwangsvollstreckungsmaßnahme.
Gingen auf dem gepfändeten Konto Einkünfte der in den§§ 850 bis 850 b ZPO bezeichneten Art ein, so könnte das Vollstreckungsgericht gemäß § 850 k ZPO auf Antrag d. Schuldn. nicht von Amts wegen- pfandfreie Einkommensteile freigeben (vgl. BVerfG NJW 2003 Heft 4 Seite 279/280).
Da hier aber Sozialleistungen auf dem gepfändeten Konto eingehen und sich § 850 k ZPO auf Sozialleistungen nicht anwenden lässt, gilt der Schutz des § 55 SGB I als Spezialvorschrift (LG Braunschweig Nds.Rpfl. 1998 Seite 150/151; BGH Rpfleger 2004 Heft 12 Seite 713).
Sozialleistungen sind gemäß § 55 Abs. 1 bis 3 SGB I kraft Gesetzes, soweit sie dem Schuldner zustehen, binnen 7 Tagen nach Überweisung in voller Höhe nicht der Pfändung unterworfen, was die Bank auch ohne besondere gerichtliche Anordnung zu beachten hat. Entsprechende Leistungen sind daher von dort ohne gerichtlichen Beschluss freizugeben, so dass innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist von hier aus nichts zu veranlassen ist, da d. Schuldn. insoweit frei über das gepfändete Konto z. Bsp. durch Abhebungen und/oder Überweisungen verfügen kann (siehe auch Stöber Forderungspfändung 14. Aufl. Rdnr. 1430).
Dass der Schuldner und/oder seine Betreuerin zur Freigabe von Sozialleistungen (hier: Rente und Sozialhilfe), die auf ein gepfändetes Konto überwiesen werden, innerhalb der 7tägigen Unpfändbarkeit nach § 55 Abs. 1 SGB I selbst die Initiative ergreifen muss, stellt keine sittenwidrige Härte dar, die eine Einstellung der Kontopfändung nach § 765 a Abs. 1 ZPO ermöglichen würde.
Die Betreuerin ist im vorliegenden Fall auch aufgrund Ihres Aufgabenkreises verpflichtet, dem Schuldner insoweit helfend zur Seite zu stehen.
§ 55 SGB I verpflichtet die Kreditinstitute nämlich innerhalb der gesetzlichen Schutzfrist sämtliche Verfügungen des Schuldners über sein Konto zu dulden, also muss die Drittschuldnerin zwangsläufig auch Überweisungen ausführen, worauf sie ggf. von der Betreuerin, die gleichzeitig auch Rechtsanwältin ist, hinzuweisen wäre. Im Rahmen ihres Aufgabenkreises wäre die Betreuerin hierzu auch verpflichtet, so dass dem Schuldner insoweit auch keine Nachteile drohen können.
Kosten für Barüberweisungen des Schuldners wären im Übrigen für sich genommen auch keine gegen die guten Sitten verstoßende Härte, sondern Folge der Kontenpfändung.
Sofern die Bank als Drittschuldnerin dieses also nicht beachtet, spricht dies gegen ihr Geschäftsgebahren, kann aber nicht der Gläubigerin angelastet werden, da diese insoweit keinerlei Einflussmöglichkeiten hat. Das Verhalten Dritter, hier der Bank als Drittschuldnerin, kann der Gläubigerin nicht angelastet werden;insoweit muss ggf. prozessgerichtlich gegen die Drittschuldnerin vorgegangen werden.
Sollte die Bank die gesetzliche Schutzfrist nicht beachten, könnten ggf. insoweit Regressansprüche entstehen (Stöber Forderungspfändung 14. Aufl. Rdnr. 1433).
Der Schuldner ist also gehalten, diese Schutzfrist auszunutzen. Daran ändert auch die Tatsache, dass er unter Betreuung steht und erkrankt ist, nichts, da seiner Betreuerin durch Beschluss des Amtsgerichts Hannover - Vormundschaftsgericht - vom 09.10.2006 - 668 XVII S 6779 - unter anderem die Vermögenssorge und Rechts-/Behördenangelegenheitenübertragen worden. Sie kann und muss ggf. insoweit die Bankgeschäfte des Schuldners wahrnehmen.
Weiterhin sind die folgenden zwei Punkte besonders hervorzuheben:
- 1.
Dass der Schuldner zur Freigabe von Sozialleistungen (hier: Sozialhilfe und Rente), die auf ein gepfändetes Konto überwiesen werden, innerhalb der 7 tägigen Unpfändbarkeit nach§ 55 Abs. 1 SGB I selbst die Initiative ergreifen muss, stellt keine sittenwidrige Härte dar, die eine Einstellung der Kontopfändung nach § 765 a Abs. 1 S. ZPO ermöglichen würde.
- 2.
Da § 765 a ZPO als Ausnahmevorschrift eng auszulegen ist, bezweckt sie nicht den Schutz des bargeldlosen Zahlungsverkehrs. Die mögliche Kündigung des Girokontoverhältnisses ist daher kein Grund zur Gewährung von Vollstreckungsschutz.
Die Nebenentscheidungen folgen aus § 91 ZPO und § 3 ZPO.