Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 29.03.2004, Az.: 5 ME 33/04

Bewilligung von Altersteilzeit bei Lehrkräften; Erfordernisse der Unterrichtsversorgung ; Gesichtspunkt der Priorität bei der Auswahlentscheidung; Abhängigkeit des Ermessens der Behörde vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen; Verletzung der Fürsorgepflicht

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
29.03.2004
Aktenzeichen
5 ME 33/04
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2004, 14614
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2004:0329.5ME33.04.0A

Fundstellen

  • DÖD 2005, 168-170 (Volltext mit amtl. LS)
  • NdsVBl 2004, 241-243
  • NordÖR 2004, 301-303 (Pressemitteilung)

Amtlicher Leitsatz

Der Erlass einer einstweiligen Anordnung, durch die der Dienstherr zur Bewilligung von Altersteilzeit nach § 80 b NBG verpflichtet wird, setzt voraus, dass eine Reduzierung des durch § 80 b NBG eingeräumten Ermessens glaubhaft gemacht ist, auf Grund der nur die begehrte Bewilligung aber keine andere Entscheidung als ermessensfehlerfrei angesehen werden kann (hier verneint).

Gründe

1

I.

Lehrkräften, die - wie die Antragstellerin - vor dem 1. Februar 2004 das 56. Lebensjahr vollendeten, konnte nach § 80 b NBG in der bis zum 7. November 2003 geltenden Fassung in Verbindung mit § 8 a der Verordnungüber die Arbeitszeit der Lehrkräfte an öffentlichen Schulen in der ebenfalls bis zum 7. November 2003 geltenden Fassung Altersteilzeit zu den Anfangszeitpunkten 1. Februar 2004 und 1. August 2004 bewilligt werden. Nach einem für die niedersächsischen Behörden entwickelten Merkblatt (SVBl. 2000, 481) war der Antrag spätestens sechs Monate vor dem gewünschten Beginn bei der zuständigen Bezirksregierung einzureichen. Diese Frist wurde aber in der Praxis nicht als Ausschlussfrist behandelt.

2

Nach dem am 8. November 2003 in Kraft getretenen Gesetz vom 31. Oktober 2003 (Nds. GVBl S. 372) darf eine ab dem 1. August 2004 beginnende Altersteilzeit erst nach Vollendung des 59. Lebensjahres bewilligt werden.

3

Da sich diese Gesetzesänderung bereits im Sommer 2003 abzeichnete, beantragte eine große Anzahl von Lehrern, die vor dem 1. Februar 2004 das 56. oder 57. Lebensjahr vollendeten, die Bewilligung von Altersteilzeit zum Anfangszeitpunkt 1. Februar 2004. Landesweit gingen in der Zeit zwischen 1. August 2003 und 31. Oktober 2003 insgesamt 364 derartige Anträge ein.

4

Auch die im November 1947 geborene Antragstellerin stellte einen derartigen Antrag, der am 3. September 2004 bei der Antragsgegnerin einging. Vor dem 31. Juli 2003 hatte die Antragstellerin einen Antrag auf Bewilligung einer am 1. August 2004 beginnenden Altersteilzeit gestellt, den sie mithin umstellte. Der Antrag blieb im Hinblick auf die im Gesetzgebungsverfahren befindliche Novelle unbearbeitet.

5

Mit Erlass vom 5. Dezember 2003 wies das Niedersächsische Kultusministerium die Bezirksregierungen an, Anträge auf Bewilligung von Altersteilzeit zum 1. Februar 2004, die erst nach dem 31. Juli 2003 bei den Bezirksregierungen eingegangen waren, abzulehnen. Zur Begründung wurde auf die Sicherstellung der Unterrichtsversorgung angesichts der unerwartet großen Anzahl von Antragstellern hingewiesen.

6

Da die Personalvertretung ihre Zustimmung versagte, ist der von der Antragsgegnerin beabsichtigte ablehnende Bescheid bisher nicht ergangen.

7

Am 26. Januar 2004 hat die Antragstellerin um Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes nachgesucht und vorgetragen: Der Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 5. Dezember 2003 sei durch § 80 b Abs. 4 NBG n.F. nicht gedeckt. Diese Vorschrift stelle auf Beamtengruppen im konkret-funktionellen Sinne ab, nicht hingegen auf eine zufällig, nach dem Zeitpunkt des Antragseingangs zusammen kommende Gruppe. Die im Merkblatt vorgesehene Antragsfrist von sechs Monaten sei keine Ausschlussfrist. Aus der bisherigen Verwaltungspraxis ergebe sich für sie ein Anspruch auf Gewährung von Altersteilzeit zum 1. Februar 2004. Die Vorwegnahme der Hauptsache sei aus Gründen der Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten.

8

Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 10. Februar 2004, auf den zur weiteren Sachdarstellung Bezug genommen wird, abgelehnt.

9

Gegen diesen Beschluss wendet sich die Antragstellerin mit ihrer Beschwerde.

10

Die Antragstellerin beantragt,

den angefochtenen Beschluss zu ändern und die Antragsgegnerin zu verpflichten, ihr Altersteilzeit zum 1. Februar 2004 zu bewilligen.

11

Die Antragsgegnerin beantragt,

die Beschwerde zurückzuweisen.

12

Wegen des Vorbringens der Beteiligten wird auf die in beiden Rechtszügen gewechselten Schriftsätze, wegen des Sachverhalts im Übrigen auf die Gerichtsakten und die dem Senat vorliegenden Verwaltungsvorgänge (Beiakten A und B) Bezug genommen.

13

II.

Die Beschwerde ist form- und fristgerecht eingelegt und begründet worden; sie ist aber nicht begründet.

14

Das Verwaltungsgericht hat zutreffend erkannt, dass es an der nach § 123 Abs. 1 und 3 VwGO i.V.m. §§ 920 Abs. 2, 294 ZPO für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderlichen Glaubhaftmachung eines Anordnungsanspruches fehlt.

15

Da die Bewilligung von Altersteilzeit gemäß § 80 b Abs. 1 NBG n.F. eine Ermessensentscheidung ist, müsste die Antragstellerin glaubhaft machen, dass dieses Ermessen im Sinne eines Anspruchs auf Bewilligung von Altersteilzeit zum 1. Februar 2004 reduziert ist. Daran fehlt es jedoch. Der beschließende Senat stimmt den Ausführungen des Verwaltungsgerichts insoweit zu und führt in Auseinandersetzung mit dem Beschwerdevorbringen - durch dieses wird der Gegenstand der beschwerdegerichtlichen Überprüfung begrenzt (§ 146 Abs. 4, Satz 6 VwGO) - ergänzend aus:

16

Die Antragstellerin irrt mit ihrer (auch mehr beiläufig geäußerten) Auffassung, ihrem vor dem 31. Juli 2003 gestellten Antrag auf Bewilligung einer am 1. August 2004 beginnenden Altersteilzeit sei ein Antrag auf Bewilligung einer bereits am 1. Februar 2004 beginnenden Altersteilzeit immanent, da es sich um ein Minus handele. Richtig ist demgegenüber, dass der weiter gehende Antrag unzweifelhaft der auf den früheren Beginn der Altersteilzeit gerichtete Antrag ist.

17

Die mit Erlass des Niedersächsischen Kultusministeriums vom 5. Dezember 2003 getroffene Anordnung, Anträgen auf Altersteilzeit zum 1. Februar 2004, die nach dem 31. Juli 2003 bei den Bezirksregierungen eingegangen sind, nicht zu entsprechen, stellt entgegen der Auffassung der Antragstellerin keine Umgehung der gesetzlichen Regelung dar. Denn § 80 b Abs. 1 NBG n.F. macht die Ausübung des Ermessens davon abhängig, dass dienstliche Belange nicht entgegenstehen (§ 80 b Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 NBG n.F.) und dass es sich nicht um den Antrag eines Angehörigen einer Beamtengruppe handelt, die die oberste Dienstbehörde gemäß § 80 b Abs. 4 NBG n.F. von der Altersteilzeit ausgenommen hat. Das durch das Gesetz eingeräumte Ermessen ist also von vornherein vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig. Hinzu kommt, dass der Erlass vom 5. Dezember 2003 auch deshalb keine Umgehung bzw. kein "Leerlaufen" der in § 80 b Abs. 1 NBG n.F. getroffenen Regelung bewirkt, weil er die Bewilligung von Altersteilzeit zum 1. Februar 2004 auf bis zum 31. Juli 2003 bei den Bezirksregierungen eingegangene Anträge durchaus zulässt.

18

Das übrige Beschwerdevorbringen, mit dem - auch wenn dies nicht expressis verbis geschehen ist - wohl ein Fehlgebrauch des Ermessens gerügt werden soll, ist ebenfalls nicht geeignet, der Beschwerde zum Erfolg zu verhelfen.

19

Was die Rüge der Ungleichbehandlung angeht, so trifft es zwar zu, dass eine Behörde grundsätzlich auch im Ermessensbereich an den Gleichbehandlungsgrundsatz gebunden ist. Das bedeutet aber ohnehin nur, dass nicht willkürlich Gleiches ungleich behandelt werden darf, nicht dagegen, dass Differenzierungen aus sachlichen Gründen unzulässig wären. Hinzu kommt, dass die Behörde im Ermessensbereich durch den Gleichheitssatz nicht gehindert ist, eine Verwaltungspraxis für die Zukunft zuändern (vgl. Knack/Henneke, Verwaltungsverfahrensgesetz, Kommentar, 8. Aufl. 2004, RdNr. 56 zu § 40). Wenn Anträgen auf Bewilligung von Altersteilzeit bis Mitte 2003 durchweg entsprochen worden ist, so folgt daraus also noch kein Anspruch auf eine Fortsetzung dieser Verwaltungspraxis. Abgesehen davon, dass die Ermessensausübung (wie auch bisher schon) davon abhängig ist, dass dringende dienstliche Belange nicht entgegenstehen (§ 80 b Abs. 1 Nr. 4 NBG n.F.), dürften Erfordernisse der Unterrichtsversorgung ein sachlicher Grund für die Änderung einer großzügigen Verwaltungspraxis sein (und zwar wahrscheinlich auch dann, wenn es die Regelung des § 80 b Abs. 4 NBG n.F. und den Erlass des Kultusministeriums vom 5. Dezember 2003 nicht gäbe). Wäre den Erfordernissen der Unterrichtsversorgung bei einer Stattgabe aller zu einem bestimmten Anfangszeitpunkt gestellten Anträge auf Altersteilzeit nicht genügt, so ermöglicht es die Ermessensvorschrift, nur einem Teil der Anträge zu entsprechen. Sicher sind mehrere sachliche Gründe denkbar, nach denen die Behörde die Auswahl der stattzugebenden Anträge treffen könnte. Ein naheliegender Gesichtspunkt ist der vom Niedersächsischen Kultusministerium gewählte Gesichtspunkt der Priorität: Den zuerst gestellten Anträgen wird entsprochen, später gestellte Anträge werden abgelehnt. Insoweit an den Stichtag 31. Juli 2003 anzuknüpfen, lag auch deshalb nahe, weil nach dem den Beamten bekannt gegebenen Merkblatt (SVBl. 2000, 481) der Antrag spätestens sechs Monate vor dem gewünschten Beginn der Altersteilzeit bei der zuständigen Bezirksregierung zu stellen war. Wenngleich es gewiss Auswahlprinzipien gibt, die der Einzelfallgerechtigkeit besser entsprechen und dem Antragsteller eher einleuchten (z.B. das von der Antragstellerin vorgeschlagene Abstellen auf den Grad der Unterrichtsversorgung an der Schule, bei der sie beschäftigt ist), so erweist sich das Prioritätsprinzip doch nicht als sachwidrig oder willkürlich.

20

Nicht unberücksichtigt bleiben kann auch der Gesichtspunkt der Verwaltungspraktikabilität. Der Zeitpunkt des Eingangs des Antrages bei der Bewilligungsbehörde steht eindeutig fest. Jedes andere Differenzierungskriterium würde zu einem deutlich höheren Verwaltungsaufwand führen und könnte Quelle von mancherlei Streitigkeiten sein.

21

Ferner ist nicht zu beanstanden, dass der Erlass vom 5. Dezember 2003, der - falls er nicht durch § 80 Abs. 4 NBG n.F. gerechtfertigt ist - auch als ermessensbindende Regelung für den Landesbereich Wirkung haben könnte, auch diejenigen Anträge einbezieht, die nach dem 31. Juli 2003 auf das Anfangsdatum 1. Februar 2004 umgestellt wurden. Denn diese Anträge unterscheiden sich nicht grundlegend von den Anträgen, die erstmals nach dem Stichtag gestellt wurden (alle Antragsteller wollten der gesetzlichen Regelung, wonach eine Bewilligung von Altersteilzeit ab 01.08.2004 nur noch nach Vollendung des 59. Lebensjahres möglich war, entgehen). Dass es nach dem Erlass vom 5. Dezember 2003 nicht auf die Motive dafür ankommt, weshalb bis zum 31. Juli 2003 ein Antrag auf Altersteilzeit beginnend mit dem 1. Februar 2004 nicht gestellt wurde, ist ebenfalls nicht sachwidrig. Denn in aller Regel sind die Motive nicht in nachprüfbarer Weise schriftlich niedergelegt. Die nachträgliche Erforschung der wahren Motive ist kaum zuverlässig möglich und wäre jedenfalls mit einem großen Verwaltungsaufwand verbunden.

22

Der von der Antragstellerin erhobene Vorwurf der "Pönalisierung" (die Antragstellerin spricht sogar von einer doppelten Bestrafung) ist demnach nicht gerechtfertigt.

23

Der Vertrauensschutzgedanke hindert die Antragsgegnerin ebenfalls nicht an einer Ablehnung des am 3. September 2003 gestellten Antrages. Die verfassungsgerichtliche Rechtsprechung zur Unzulässigkeit belastender gesetzlicher Vorschriften mit echter Rückwirkung ist auf die hier vorliegende Konstellation nicht übertragbar. Das maßgebliche Gesetz (§ 80 b NBG) stellte die Bewilligung von Altersteilzeit auch in der bisherigen Fassung schon in das Ermessen der Behörde und machte dieses vom Vorliegen bestimmter Voraussetzungen abhängig. Die Antragstellerin musste also sowohl damit rechnen, dass sich an den Voraussetzungen (Nicht-Entgegenstehen dringender dienstlicher Belange; Erfordernisse der Unterrichtsversorgung) etwas ändern würde, als auch damit, dass in der Ermessensbetätigung aus sachlichen Gründen (wozu z.B. auch fiskalische Erwägungen gehören können) eine andere Praxis Platz greifen würde. Unter diesen Umständen kann keine Rede davon sein, dass die Antragstellerin eine rechtliche Position erlangt hätte, auf deren Bestand sie hätte vertrauen können. Sie konnte nur die unsichere Hoffnung auf eine Fortsetzung der bisherigen großzügigen Bewilligungspraxis hegen. Dieses Interesse darf die Antragsgegnerin indessen hinter dem öffentlichen Interesse an einer möglichst ausgeglichenen Unterrichtsversorgung und an der Konsolidierung des Landeshaushalts zurücktreten lassen.

24

Entgegen der Auffassung der Antragstellerin lässt sich ihr Anspruch auch aus dem Gesichtspunkt der Fürsorgepflicht nicht herleiten. Die Fürsorgepflicht unterliegt der Ausge-staltung durch den Gesetzgeber. Nur wenn die gesetzliche Regelung zu einer Verletzung der Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern führt, wäre an einen Rückgriff auf die Fürsorgepflicht als allgemeine Anspruchsgrundlage zu denken. Eine Verletzung der Fürsorgepflicht in ihrem Wesenskern ist hier aber von der Antragstellerin nicht glaubhaft gemacht worden.

25

Schließlich macht die Antragstellerin zu Unrecht geltend, sie habe nicht zu vertreten, dass sie den Antrag erst nach dem 31. Juli 2003 gestellt habe; vielmehr beruhe dies auf dem Fehlen einer rechtzeitigen Information seitens der Behörden und damit auf einem behördlichen Verschulden. Dieses Vorbringen ist schon deshalb nicht überzeugend, weil in dem erwähnten Merkblatt ausdrücklich auf eine sechsmonatige Frist zur Einreichung der Anträge hingewiesen worden ist. Die Antragstellerin handelte also auf eigenes Risiko, wenn sie diese Frist nicht beachtete. Auch wenn die Frist in der bisherigen Verwaltungspraxis nicht als Ausschlussfrist behandelt wurde, war das Kultusministerium nicht gehalten, vorher anzukündigen, dass wegen der - vielleicht auch gar nicht vorhersehbaren - ungewöhnlich hohen Anzahl nicht fristgerecht eingereichter Anträge diese sämtlich abgelehnt würden. Die Antragsgegnerin hat im Übrigen nachvollziehbar dargelegt, dass die Ablehnung der nach dem 31. Juli 2003 gestellten Anträge nicht allein wegen der Fristversäumnis, sondern wegen der Erfordernisse der Unterrichtsversorgung erfolgte. Die Fristversäumnis wurde nur als Auswahlmerkmal bei der Entscheidung herangezogen, welchen auf Bewilligung einer Altersteilzeit zum 1. Februar 2004 gestellten Anträgen zu entsprechen war und welchen nicht.

26

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

27

Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 20 Abs. 3, 13 Abs. 1 Satz 2 GKG.

28

Ein Rechtsmittel gegen diesen Beschluss ist nicht gegeben (§§ 152 Abs. 1 VwGO, 25 Abs. 3 Satz 2 GKG).