Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 27.04.2011, Az.: 4 LA 291/10
Kein Förderungsanspruch für die Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG bei Abschluss des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses zum Ende der Mindestförderungszeit; Förderungsanspruch für die Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG bei Abschluss des ersten berufsqualifizierenden Abschlusses zum Ende der Mindestförderungszeit
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 27.04.2011
- Aktenzeichen
- 4 LA 291/10
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2011, 19289
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2011:0427.4LA291.10.0A
Rechtsgrundlage
- § 7 Abs. 1 BAföG
Fundstelle
- DVBl 2011, 1050
Amtlicher Leitsatz
Der Förderungsanspruch für die Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG ist nicht nur dann verbraucht, wenn der erste berufsqualifizierende Abschluss nach dem Ende der Mindestförderungszeit von drei Schul- oder Studienjahren erreicht worden ist, sondern auch dann, wenn dieser Abschluss zum Ende der Mindestförderungszeit erfolgt ist.
Gründe
Das Berufungszulassungsverfahren ist in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit es den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 30. September 2011 betrifft, weil die Beteiligten das Verfahren insoweit in der Hauptsache für erledigt erklärt haben.
Dem Zulassungsantrag muss im Übrigen der Erfolg versagt bleiben, weil der von der Klägerin sinngemäß geltend gemachte Zulassungsgrund ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht vorliegt, soweit das Verwaltungsgericht die Beklagte für den Zeitraum vom 1. November 2009 bis zum 30. September 2010 unter Abweisung der Klage im Übrigen lediglich zur Gewährung von Ausbildungsförderung als Bankdarlehen verpflichtet hat.
Das Verwaltungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Klage sei nicht mit dem Hauptantrag, sondern nur mit dem Hilfsantrag begründet. Denn die Klägerin habe keinen Anspruch auf eine Förderung einer ersten Ausbildung nach § 7 Abs. 1 Satz 1 und 2 BAföG, sondern könne nur Ausbildungsförderung für eine weitere Ausbildung ab dem Monat der Antragstellung bis zum Ende des Sommersemesters 2011 verlangen. Die Klägerin habe mit der Qualifikation zur Diplom-Verwaltungsorganisatorin nach dem Studium an der Corvinus-Universität Budapest im Jahr 2002 einen berufsqualifizierenden Abschluss erreicht, der den Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG erschöpft habe; auf das Diplom sei § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG anwendbar, demzufolge ein Ausbildungsabschnitt auch dann berufsqualifizierend sei, wenn er im Ausland erworben worden sei und dort zur Berufsausübung befähige. Da die Tatbestände des § 7 Abs. 2 Satz 1 BAföG nicht erfüllt seien, setze die Förderung einer Zweitausbildung der Klägerin nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG voraus, dass besondere Umstände des Einzelfalls die Gewährung der Ausbildungsförderung erforderten. Das sei hier der Fall. Die Klägerin könne nach § 15 Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 BAföG auch Ausbildungsförderung über die Förderungshöchstdauer von neun Semestern hinaus beanspruchen. Bis zur Förderungshöchstdauer habe die Förderung nach § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG aber durch Bankdarlehen zu erfolgen.
Entgegen der Annahme der Klägerin bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Klägerin einen Anspruch auf Ausbildungsförderung nicht aus § 7 Abs. 1 BAföG, sondern nur aus § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG herleiten kann.
Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG in der hier maßgeblichen Fassung des 6. BAföG-Änderungsgesetzes vom 16. Juli 1979 (BGBl. I S. 1037) wird Ausbildungsförderung für die weiterführende allgemeinbildende und zumindest für drei Schul- oder Studienjahre berufsbildende Ausbildung im Sinne der §§ 2 und 3 BAföG bis zu einem daran anschließenden berufsqualifizierenden Abschluss geleistet; berufsqualifizierend ist ein Ausbildungsabschluss nach § 7 Abs. 1 Satz 2 BAföG auch dann, wenn er im Ausland erworben wurde und dort zur Berufsausübung befähigt.
Zum Regelungsgehalt des § 7 Abs. 1 BAföG hat das Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 23. Februar 1994 (- 11 C 55/92 -, BVerwGE 95, 138) Folgendes ausgeführt:
"Der Inhalt dieser Vorschrift ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts weitgehend geklärt. Mit ihr wurde der Grundumfang des Förderungsanspruchs, der sich in der ursprünglichen Fassung des Gesetzes auf eine erste förderungsfähige Ausbildung bis zu deren berufsqualifizierendem Abschluß beschränkte, derart erweitert, daß er auch dann noch fortbesteht, wenn eine erste förderungsfähige Ausbildung in kürzerer Zeit als drei Jahren berufsqualifizierend abgeschlossen worden ist (vgl. Bericht des Ausschusses für Bildung und Wissenschaft zum Entwurf eines 6. BAföG-Änderungsgesetzes, BT-Drucks. 8/2868, S. 16 f.). Demzufolge ist nach § 7 Abs. 1 BAföG ein Förderungsanspruch nicht nur für e i n e Ausbildung - die Erstausbildung im engeren Sinne -, sondern darüber hinaus auch für eine zusätzliche Ausbildung dann gegeben, wenn durch die erste Ausbildung der zeitliche Mindestumfang für die berufsbildende Ausbildung von drei Schul- oder Studienjahren noch nicht ausgeschöpft worden ist (BVerwGE 61, 342 [BVerwG 12.02.1981 - BVerwG 5 C 57.79]<348>; BVerwG, Urteil vom 8. Juli 1982 - BVerwG 5 C 90.80 - Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 28 S. 42, 44). Ob eine zusätzliche Ausbildung noch als Teil der Erstausbildung nach § 7 Abs. 1 BAföG oder schon als weitere Ausbildung nach § 7 Abs. 2 BAföG anzusehen ist, hängt somit davon ab, nach welcher Dauer die vorangegangene Ausbildung durch den Erwerb der beruflichen Qualifikation oder - unabhängig von der subjektiven Entscheidung des Auszubildenden - durch das endgültige Nichtbestehen einer Prüfung beendet worden ist (vgl. BVerwGE 67, 104 [BVerwG 14.04.1983 - BVerwG 5 C 104.80]<109>). Für die Beurteilung, w a n n der Auszubildende einen solchen Abschluß erreicht hat, ist das jeweilige Ausbildungs- und Prüfungsrecht maßgebend (BVerwG, Urteil vom 10. Oktober 1985 - BVerwG 5 C 9.83 - <Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 49 S. 123>). Andererseits werden auf die Mindestförderungszeit im Sinne des § 7 Abs. 1 BAföG alle Zeiten einer förderungsfähigen berufsbildenden Ausbildung angerechnet, unabhängig davon, ob sie zu einem berufsqualifizierenden Abschluß geführt haben oder nicht (vgl. BVerwG 67, 104 <109>; BVerwG, Urteile vom 6. Dezember 1984 - BVerwG 5 C 125.81 - <Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 47 S. 114> und vom 3. Juni 1988 - BVerwG 5 C 74.84 - <Buchholz 436.36 § 7 BAföG Nr. 76 S. 42>).
Aus diesem Regelungsgehalt des § 7 Abs. 1 BAföG ergibt sich, daß dafür, w i e l a n g e der Auszubildende bereits in förderungsfähiger berufsbildender Ausbildung verbracht hat, nicht maßgebend sein kann, auf welche Dauer die jeweilige Ausbildung nach den dafür geltenden Bestimmungen in der Regel angelegt ist. Vielmehr muß es darauf ankommen, wieviel Zeit - gemessen in Schul- oder Studienjahren - diese bisherige Ausbildung tatsächlich in Anspruch genommen hat. Dafür sprechen auch der Wortlaut des § 7 Abs. 1 BAföG und sein Regelungszusammenhang mit § 7 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BAföG."
Ausgehend von dieser Rechtsprechung spricht Überwiegendes dafür, dass die Klägerin Ausbildungsförderung nach § 7 Abs. 1 BAföG nicht beanspruchen kann, weil es sich bei ihrer berufsbildenden Ausbildung an der Staatlichen Verwaltungshochschule der Corvinus-Universität Budapest um eine Erstausbildung im Sinne des § 2 Abs. 1 Satz 1 Nr. 6 BAföG gehandelt hat, mit der der Grundanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG verbraucht worden ist. Die Klägerin hat in der Begründung ihres Zulassungsantrags zwar darauf hingewiesen, dass das Studium in Budapest nur von September 1999 bis zur Erteilung des Hochschuldiploms am 27. Juni 2002 gedauert habe. Diese Ausbildung dürfte aber gleichwohl drei Studienjahre im Sinne des § 7 Abs. 1 Satz 1 BAföG in Anspruch genommen haben, weil der berufsqualifizierende Abschluss erst zum Ende des dritten Studienjahres erreicht worden ist. Dem eingangs zitierten Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 1994 (- 11 C 55/92 -, BVerwGE 95, 138) ist zu entnehmen, dass es dafür, wie lange der Auszubildende bereits in förderungsfähiger berufsbildender Ausbildung verbracht hat, nicht maßgebend ist, auf welche Dauer die Ausbildung nach den dafür geltenden Bestimmungen in der Regel angelegt ist. Vielmehr kommt es darauf an, wieviel Zeit - gemessen in Schul- oder Studienjahren - die bisherige Ausbildung tatsächlich in Anspruch genommen hat. Ob diese Rechtsprechung dahingehend zu verstehen ist, dass der Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG schon dann verbraucht ist, wenn die Ausbildung im Laufe des dritten Studienjahres beendet worden ist, kann hier dahinstehen. Der zeitliche Mindestumfang der berufsbildenden Ausbildung von drei Studienjahren dürfte jedenfalls dann ausgeschöpft sein, wenn der erste berufsqualifizierende Abschluss erst zum Ende des dritten Studienjahres erreicht worden ist. Denn das Bundesverwaltungsgericht hat schon in seinem Urteil vom 8. Dezember 1993 (- 11 C 27.92 -, Buchholz 336.36 § 7 BAföG Nr. 109) ausgeführt, dass der Förderungsgrundanspruch nicht nur dann erschöpft ist, wenn der erste berufsqualifizierende Abschluss nach dem Ende der Mindestförderungszeit des § 7 Abs. 1 BAföG erreicht worden ist, sondern auch dann, wenn dieser Abschluss zum Ende der drei Schul- oder Studienjahre erzielt worden ist. Dem entspricht es, dass ein Ausbildungsjahr auch dann als volles Schul- oder Studienjahr zählt, wenn der Unterricht - wie allgemein üblich - vor dem verwaltungsmäßigen Ende des Schul- oder Studienjahres abschließt (Rothe/Blanke, Bundesausbildungsförderungsgesetz, Kommentar, 5. Aufl., § 7 Rn. 7.1).
Danach hat die Klägerin den zeitlichen Mindestumfang der berufsbildenden Ausbildung von drei Studienjahren ausgeschöpft, weil ihr das Hochschuldiplom am 27. Juni 2002 und damit erst zum Ende des dritten Studienjahres verliehen worden ist. Für einen Verbrauch des Förderungsanspruchs nach § 7 Abs. 1 BAföG durch die Ausbildung an der Universität in Budapest spricht des Weiteren, dass das der Klägerin ausgestellte Hochschuldiplom ausdrücklich besagt, dass die Klägerin als ordentliche Studierende "ihren Studienverpflichtungen in den Studienjahren 1999/2000 bis 2001/2002 Genüge getan" hat.
Ist demnach davon auszugehen, dass der Förderungsanspruch nach § 7 Abs. 1 BAföG im vorliegenden Fall verbraucht ist und die Klägerin daher Ausbildungsförderung nur nach § 7 Abs. 2 Satz 2 BAföG beanspruchen kann, bestehen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die Beklagte bis zum Ende der Förderungshöchstdauer lediglich zur Gewährung von Ausbildungsförderung als Bankdarlehen zu verpflichten. Dass die Klägerin für diesen Zeitraum nur ein Bankdarlehen und keinen Vollzuschuss beanspruchen kann, ergibt sich aus § 17 Abs. 1 i.V.m. § 17 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BAföG. Die Ausnahmeregelung des § 17 Abs. 3 Satz 3 BAföG steht dem nicht entgegen, weil sie nur für die über die Förderungshöchstdauer hinaus zu leistende Ausbildungsförderung gilt.
Der Klägerin kann die beantragte Prozesskostenhilfe für das Berufungszulassungsverfahren nicht bewilligt werden, weil ihrer Rechtsverfolgung bereits in dem insoweit maßgeblichen Zeitpunkt der Entscheidungsreife ihres Prozesskostenhilfeantrags die nach § 166 VwGO i.V.m. § 114 Satz 1 ZPO erforderliche hinreichende Aussicht auf Erfolg gefehlt hat. Das gilt auch, soweit das Zulassungsverfahren von den Beteiligten später in der Hauptsache für erledigt erklärt worden ist, da der Zulassungsantrag auch in Bezug auf den Zeitraum vom 1. Oktober 2010 bis zum 20. September 2011 keine hinreichende Erfolgsaussicht geboten hat. Dass die Beklagte vom Verwaltungsgericht auch für den über die Förderungshöchstdauer hinausgehenden Zeitraum nur zu Gewährung von Ausbildungsförderung als Bankdarlehen verpflichtet worden ist, ändert daran nichts, weil das Verwaltungsgericht in den Entscheidungsgründen seines Urteils ausdrücklich darauf hingewiesen hat, dass der Umstand, dass der Tenor des Urteils die Ausnahmeregelung in § 17 Abs. 3 Satz 3 BAföG nicht berücksichtigt, allein darauf beruht, dass diese Regelung zwischen den Beteiligten nicht streitig gewesen sei.