Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Urt. v. 27.04.2011, Az.: 1 KN 206/08

Dauer einer Veränderungssperre bis in das vierte Jahr nur unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 BauGB bei Darstellung der zweiten Veränderungssperre als Verlängerung einer ersten

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
27.04.2011
Aktenzeichen
1 KN 206/08
Entscheidungsform
Urteil
Referenz
WKRS 2011, 20684
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2011:0427.1KN206.08.0A

Verfahrensgang

nachfolgend
BVerwG - 31.01.2013 - AZ: BVerwG 4 CN 4.11

Fundstelle

  • NordÖR 2011, 467

Amtlicher Leitsatz

Stellt sich die zweite Veränderungssperre als Verlängerung einer ersten dar, darf sie in das vierte Jahr nur unter den Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 BauGB reichen. Liegen diese nicht vor, ist die zweite Veränderungssperre nur hinsichtlich "ihres zweiten", d.h. des insgesamt "vierten" Jahres (teil-)unwirksam.

Tatbestand

1

Die Antragstellerin begehrt die Feststellung der Rechtswidrigkeit einer Veränderungssperre, welche sie als Verlängerung einer bereits bestehenden und nur unter besonderen Umständen zulässigen Veränderungssperre ansieht. Demgegenüber geht die Antragsgegnerin von einer selbständigen neuen, an keine besonderen Umstände geknüpfte Veränderungssperre aus, weil sie ihre eigene frühere Veränderungssperre für unwirksam hält.

2

Die Antragstellerin ist Eigentümerin eines unbebauten Grundstücks, das im Geltungsbereich des Bebauungsplans E. Nr. .. "Westlich des F. " liegt, der in seiner am 01.12.1977 bekannt gemachten Ursprungsfassung für das gesamte Plangebiet ein Gewerbegebiet gemäߧ 8 BauNVO 1968 festsetzte. Nach Nr. 1 der textlichen Festsetzungen waren sämtliche Gewerbebetriebe mit nicht wesentlich störenden Schallemissionen zulässig.

3

Das Plangebiet liegt im westlich der Innenstadt der Beklagten gelegenen Stadtteil G.. Eine Zäsur innerhalb des Stadtteils G. bildet die in Ost-West-Richtung verlaufende H. Landsstraße (Bundesstraße .), die G. in einen Nord- und einen Südteil zerschneidet. Das etwa 4,5 ha große Plangebiet schließt sich westlich an das südliche I. Stadtteilgebiet an. Es wird im Westen durch die J., im Norden durch die H. Landstraße und im Osten durch den K. begrenzt. Die südliche Grenze ist eine gedachte Verlängerung der Harzstraße in westliche Richtung zwischen K. und J.. Wohnnutzung befindet sich ausschließlich östlich. Unmittelbar südlich schließen sich Freiflächen an das Plangebiet an. Westlich und nördlich liegen gewerblich genutzte Flächen, u.a. der nördlich der H. Landstraße gelegene Kaufpark, eine Einzelhandelsagglomeration an der L. -Straße in unmittelbarer Nähe zur Anschlussstelle der A7.

4

Eine geplante 1. Änderung des Bebauungsplanes kam nicht zustande.

5

Anlässlich einer für ein Nachbargrundstück eingereichten Bauvoranfrage für eine Umnutzung eines Möbelmarktes in einen Lebensmittelmarkt beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin am 02.02.2004, bekannt gemacht am 17.02.2004, die Aufstellung der 2. Änderung des Bebauungsplans. Als Ziel gab der Fachdienst Stadt- und Verkehrsplanung in seiner Beschlussvorlage vom 08.01.2004 (Vorlage-Nr. FD61/123/04) u.a. die planungsrechtliche Steuerung künftiger Einzelhandelsnutzungen unter besonderer Berücksichtigung der gesamtstädtischen Einzelhandelsversorgung und -struktur und sonstiger künftiger Nutzungen an. Um die künftige Entwicklung der Einzelhandelsversorgung und -struktur hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesamtstadt beurteilen und steuern zu können, sollten noch die Ergebnisse des bei dem Institut für Handels-, Stadt- und Regionalforschung GfK Prisma in Auftrag gegebenen Einzelhandelsgutachtens abgewartet werden.

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Im Dezember 2004 legte die GfK Prisma ein kommunales Einzelhandelsgutachten für die Antragsgegnerin vor. In diesem Konzept werden Empfehlungen zur Sicherung bzw. Erhöhung der Einzelhandelszentralität ausgesprochen.

7

Auf der Grundlage des Konzepts der GfK Prisma beschloss der Rat der Antragsgegnerin am 16.12.2005 das kommunale Einzelhandelskonzept. Es bestimmt für die Fachmarktagglomerationen und solitären Fachmarktstandorte, weitere Ansiedlungen von großflächigen und flächenintensiven Einzelhandelsvorhaben ausschließlich in den Entwicklungsschwerpunktgebieten "M. " und "H. Landstraße West" zu ermöglichen und die solitären Fachmarktstandorte im Wesentlichen auf ihre derzeitigen Verkaufsflächen zu begrenzen. In Gewerbe- und Industriegebieten solle Einzelhandel unzulässig sein. Lediglich Ausnahmen im Bestand seien möglich. Der nördliche Bereich des Plangebiets liegt ausweislich der Übersichtskarte, die dem Einzelhandelskonzept beigefügt ist, in der Fachmarktagglomeration "H. Landstraße West". Ein Teilgebiet im Norden des Grundstücks der Antragstellerin ist dieser Fachmarktagglomeration zugeordnet.

8

Die Antragsgegnerin stellte die Entscheidung über die Bauvoranfrage für das Nachbargrundstück zunächst zurück. Am 11.03.2005 beschloss der Rat der Antragsgegnerin für den von der 2. Änderung des Bebauungsplanes E. Nr. .. erfassten Geltungsbereich eine auf zwei Jahre befristete Veränderungssperre. In der Begründung der entsprechenden Beschlussvorlage des Fachbereichs Planung und Vermessung vom 01.02.2005 (Vorlage-Nr.: FB61/217/05) wird ausgeführt, dass das weitere Bebauungsplanverfahren wegen der Einarbeitung der Ergebnisse des Einzelhandelsgutachtens noch einige Zeit in Anspruch nehmen werde. Die mit dem Bebauungsplan verfolgte planungsrechtliche Sicherung bestehender Einzelhandelsnutzungen sowie die Steuerung künftiger Einzelhandelsnutzungen könne nur durch eine Sicherung der Planung mittels einer Veränderungssperre gewährleistet werden. Der Beschluss über die Veränderungssperre wurde am 17.03.2005 bekannt gemacht.

9

Nach Rücknahme der o.g. Bauvoranfrage im Verlauf des Jahres 2005 betrieb die Antragsgegnerin das Planänderungsverfahren zunächst nicht weiter.

10

Anlässlich einer weiteren Bauvoranfrage für ein Nachbargrundstück beschloss der Verwaltungsausschuss der Antragsgegnerin am 16.07.2007 erneut die Aufstellung einer 2. Änderung des Bebauungsplans E. Nr. .. "Westlich des F. ". Als Ziele der Planung wurden u.a. die Festsetzung eines sonstigen Sondergebiets mit der Zweckbestimmung Einzelhandel, die planungsrechtliche Umsetzung der Einschränkung von Einzelhandelsnutzungen auf Grundlage des Einzelhandelskonzepts der Antragsgegnerin zur Gewährleistung der städtebaulichen Verträglichkeit sowie die Stärkung der im Ortsteil G. vorhandenen Nahversorgungszentren zur Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung für alle Bevölkerungsteile genannt. Da das Verfahren unter Verzicht einer Umweltprüfung im beschleunigten Verfahren gemäß § 13a BauGB durchgeführt werden sollte, hielt die Antragsgegnerin einen erneuten Aufstellungsbeschluss für erforderlich. Der Aufstellungsbeschluss wurde am 31.07.2007 bekannt gemacht.

11

Die Antragstellerin stellte am 29.08.2007 jeweils eine planungsrechtliche Bauvoranfrage für die Errichtung eines Lebensmittel- und Getränkemarktes, für die Errichtung eines Bau- und Gartenmarktes, für die Errichtung eines Schuh- und Textilmarktes sowie für die Errichtung eines Textilmarktes. Die Entscheidung über diese Bauvoranfragen stellte die Antragsgegnerin mit Bescheiden vom 15.11.2007 unter Anordnung der sofortigen Vollziehung für zwölf Monate zurück.

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Am 05.09.2008 beschloss der Rat der Antragsgegnerin für den durch die geplante 2. Änderung des Bebauungsplans E. Nr. .. "Westlich des F. " erfassten Bereich erneut eine auf zwei Jahre befristete Veränderungssperre, die am 10.09.2008 bekannt gemacht wurde.

13

Daraufhin hat die Antragstellerin am 18.09.2008 ihren Normenkontrollantrag gestellt.

14

Am 05.12.2008 beschloss der Rat der Antragsgegnerin über die Anregungen und die 2. Änderung des Bebauungsplans E. Nr. .. "Westlich des F. ". Die Bebauungsplanänderung wurde am 05.02.2009 im Amtsblatt der Beklagten bekannt gemacht.

15

Nachdem sich die Antragstellerin zunächst gegen die Veränderungssperre vom 05.09.2008 gewandt hatte, begehrt sie nach Inkrafttreten der 2. Bebauungsplanänderung nunmehr die Feststellung der Unwirksamkeit dieser Veränderungssperre. Das hierfür erforderliche Feststellungsinteresse ergebe sich aus ihrer Absicht, den durch die Versagung der beantragten Bauvorbescheide entstandenen Schaden bei der Antragsgegnerin geltend zu machen. Die Veränderungssperre vom 05.09.2008 sei unwirksam, weil die Voraussetzungen für eine erneute Veränderungssperre nicht vorgelegen hätten. Eine erste Veränderungssperre sei bereits am 17.03.2005 erlassen worden. Der Erlass einer erneuten Veränderungssperre sei nur zulässig, wenn besondere Umstände dies rechtfertigten. Solche besonderen Umstände seien nicht gegeben. Die Antragsgegnerin habe es schlicht versäumt, die ursprüngliche Planung fortzuführen. Sie könne die Notwendigkeit zur Wiederholung eines Aufstellungsbeschlusses und damit einer erneuten Veränderungssperre nicht damit begründen, dass die Planung zum Zeitpunkt des ersten Aufstellungsbeschlusses am 02.02.2004 noch nicht den erforderlichen Grad an Konkretisierung erlangt habe. Erforderlich sei lediglich, dass die Planung im Zeitpunkt der Entscheidung über die Veränderungssperre konkret genug sei. Die Planung sei bereits im Februar 2004 hinreichend konkret gewesen. Es sei klar gewesen, dass das Plangebiet ein "Gewerbegebiet" verbleiben und es lediglich bestimmte Einschränkungen für den Einzelhandel geben sollte. Es liege auch kein Neuerlass einer Veränderungssperre vor. Es treffe zu, dass ein Neuerlass nicht den rechtlichen Voraussetzungen an den erneuten Erlass einer Veränderungssperre genügen müsse. Da es hier aber nicht um eine andere Planung gehe, liege ein Neuerlass nicht vor.

16

Die Antragstellerin beantragt

festzustellen, dass die vom Rat der Antragsgegnerin am 5. September 2008 als Satzung beschlossene Veränderungssperre für die 2. Änderung des Bebauungsplanes E. Nr. .. "Westlich des N. " unwirksam gewesen ist.

17

Die Antragsgegnerin beantragt,

den Antrag abzulehnen.

18

Sie erwidert: Es sei bereits zweifelhaft, ob ein Fortsetzungsfeststellungsinteresse bestehe. Jedenfalls sei der Antrag unbegründet. Die angegriffene Veränderungssperre sei wirksam. Es handele sich nicht um eine Erneuerung der früheren Veränderungssperre, sondern um eine neue Veränderungssperre zur Sicherung einer neuen Planung. Zum Zeitpunkt der ersten Veränderungssperre im Februar 2005 sei die Planung nicht hinreichend konkret gewesen. Ein Einzelhandelskonzept habe der Rat erst im Dezember 2005 beschlossen. Auf der Grundlage dieses Konzepts habe der Verwaltungsausschuss im Jahr 2007 die Aufstellung der beabsichtigten Planänderung erneut beschlossen. Gegenstand sei nunmehr eine hinreichend konkretisierte Planabsicht gewesen. Ein neuer Aufstellungsbeschluss sei zudem erforderlich gewesen, weil ein beschleunigtes Verfahren nach § 13a BauGB habe durchgeführt werden sollen.

19

Wegen der weiteren Einzelheiten des Vorbringens der Beteiligten und des Sachverhalts wird auf die gewechselten Schriftsätze und die beigezogenen Verwaltungsvorgänge der Antragsgegnerin verwiesen, welche in ihren wesentlichen Teilen Gegenstand der mündlichen Verhandlung gewesen sind. Das Plangebiet sowie die nähere Umgebung sind in der mündlichen Verhandlung per BING und Beamer aus der Vogelperspektive betrachtet worden.

Entscheidungsgründe

20

Der Normenkontrollantrag hat keinen Erfolg. Er ist zwar zulässig, aber nicht begründet.

21

Der Normenkontrollantrag ist zulässig, obwohl die Veränderungssperre zum Zeitpunkt der Entscheidung des Senats nicht mehr in Kraft ist. Die Veränderungssperre ist gemäß § 17 Abs. 5 BauGB mit der Bekanntmachung des Bebauungsplans am 05.02.2009 - unabhängig von dessen Wirksamkeit (BVerwG, Beschl. v. 28.02.1990 - 4 B 174/89 -, NVwZ 1990, 656) - und damit nach Rechtshängigkeit des am 18.09.2008 gestellten Normenkontrollantrags außer Kraft getreten. Ein bei seiner Einreichung zulässiger Normenkontrollantrag bleibt in entsprechender Anwendung von § 113 Abs. 1 Satz 4 VwGO trotz des Außerkrafttretens der Norm während des Normenkontrollverfahrens zulässig, wenn der Antragsteller noch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit hat (BVerwG, Beschl. v. 02.09.1983 - 4 N 1/83 -, ZfBR 1983, 288; Urt. d. Sen. v. 24.04.2007 - 1 KN 22/07 -, BauR 2007, 2024). Diese Voraussetzungen sind erfüllt.

22

Der Normenkontrollantrag war zum Zeitpunkt seines Eingangs bei Gericht am 18.09.2008 zulässig. Die Antragstellerin war gemäߧ 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO antragsbefugt, weil ihr Grundstück im Geltungsbereich der Veränderungssperre liegt und sie deren Wirksamkeit mit nicht von vornherein von der Hand zu weisenden Gründen in Frage gestellt hat.

23

Die Antragstellerin hat auch ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Unwirksamkeit der außer Kraft getretenen Veränderungssperre. Ein solches Interesse ist gegeben, wenn die Weiterführung des Verfahrens dazu dienen soll, einen Amtshaftungs- oder Entschädigungsprozess vor den Zivilgerichten vorzubereiten (vgl. BVerwG, Beschl. v. 02.09.1983 - 4 N 1/83 -, BVerwGE 68, 12; Urt. d. Sen. v. 05.12.2001 - 1 K 2682/98 -, BauR 2002, 594) und dieser Prozess nicht "offensichtlich aussichtslos" ist. Offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt vor, wenn bereits ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung erkennbar ist, dass der behauptete Schadens- oder Entschädigungsanspruch unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt bestehen kann (vgl. BVerwG, Beschl. v. 21.10.2004 - 4 B 76/04 -, BRS 67 Nr. 124; Urt. d. Sen. v. 24.04.2007 -, 1 KN 22/07 -, a.a.O.). Offensichtliche Aussichtslosigkeit liegt nicht vor. Hier kommt ein Anspruch aus enteignungsgleichem Eingriff in Betracht, weil sich eine rechtswidrige Versagung eines Bauvorbescheides als entschädigungsrelevanter Eingriff in das Eigentumsrecht darstellen kann (vgl. Urt. d. Sen. v. 05.12.2001 - 1 K 2682/98 -, a.a.O., unter Berufung auf ein Urt. d. BGH v. 12.07.2001 - III ZR 282/00 -, ZfBR 2001, 555). Die Antragstellerin hat mit nicht von vorneherein von der Hand zu weisenden Gründen dargelegt, dass sich ihr Bauvorhaben wegen der zunächst auf die Zurückstellungen und später auf die Veränderungssperre gestützten negativen Beurteilung ihrer Bauvoranfragen durch die Antragsgegnerin nicht habe verwirklichen lassen und dass ihr aus diesem Grund ein Entschädigungsanspruch zustehen könnte. Sie hat also ein Interesse daran festzustellen, dass die Veränderungssperre bis zum Zeitpunkt ihres Außerkrafttretens am 05.02.2009 unwirksam war.

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Der Normenkontrollantrag ist aber unbegründet. Der Rat der Antragsgegnerin konnte eine wirksame Veränderungssperre für ein - weiteres - Jahr erlassen. Mit Beginn des - insgesamt - vierten Jahres der Sperre wäre die Veränderungssperre unwirksam geworden. Sie war zu diesem Zeitpunkt aber bereits durch Inkrafttreten der Bebauungsplanänderung außer Kraft getreten.

25

Nach § 14 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde zur Sicherung ihrer Planung für den künftigen Planbereich eine Veränderungssperre beschließen, wenn ein Beschluss über die Aufstellung eines Bebauungsplans gefasst ist. Der Rat der Antragsgegnerin hat am 16.07.2007, bekannt gemacht am 31.07.2007, die Aufstellung der 2. Änderung des Bebauungsplans E. Nr. .. "Westlich des F. " beschlossen. Der Aufstellungsbeschluss war damit vor Bekanntmachung des Satzungsbeschlusses über die Veränderungssperre am 10.09.2008 bekannt gemacht.

26

Die materiellen Voraussetzungen für den Erlass der Veränderungssperre liegen vor. Die Veränderungssperre wird materiell daraufhin untersucht, ob ihr ein Mindestmaß an konkretisierter Planungsabsicht zugrunde liegt und sie im Rechtssinne erforderlich ist (zu diesen Voraussetzungen einer Veränderungssperre vgl. BVerwG, Urt. v. 10.09.1976 - IV C 39.74 -, BRS Nr. 76). Diese Voraussetzungen - davon gehen auch die Beteiligten aus - lagen vor. Als Ziele der Planung werden im Aufstellungsbeschluss vom 16.07.2007 die Festsetzung eines Sondergebiets mit der Zweckbestimmung Einzelhandel, die planungsrechtliche Umsetzung der Einschränkung von Einzelhandelsnutzungen auf Grundlage des Einzelhandelskonzepts der Antragsgegnerin zur Gewährleistung der städtebaulichen Verträglichkeit, die Stärkung der im Ortsteil G. vorhandenen Nahversorgungszentren zur Sicherstellung einer wohnortnahen Versorgung sowie die Stärkung der städtebaulichen Bedeutung der H. Landstraße durch ergänzende Festsetzungen genannt. Mit der Veränderungssperre sollten diese ausreichend konkretisierten Planvorstellungen gesichert werden.

27

Bei der vom Rat der Antragsgegnerin am 05.09.2008 beschlossenen Veränderungssperre handelt es sich zwar um eine erneute Veränderungssperre, die an § 17 Abs. 3 BauGB zu messen ist, und nicht - wie die Antragsgegnerin meint - um eine selbständige neue Sperre. Dies führt gleichwohl nicht zu einem Erfolg des Normenkontrollverfahrens, weil der Erlass einer selbständigen neuen Veränderungssperre in eine Erneuerung der Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB umgedeutet werden kann.

28

Eine neue andere Veränderungssperre kann sich auf den räumlichen Geltungsbereich einer schon früher bestehenden Veränderungssperre beziehen, muss dann aber, um als neue Veränderungssperre anerkannt werden zu können, einen neuen Planaufstellungsbeschluss zur Grundlage haben, der sich auch inhaltlich von der früheren Planung unterscheidet (vgl. Urt. d. Sen. v. 26.08.2004 - 1 KN 236/03 -, ÖffBauR 2004, 31). Hier liegt zwar ein neuer Planaufstellungsbeschluss vor. Die Antragsgegnerin hat am 16.07.2007 erneut die Aufstellung der Planänderung beschlossen. Die Planung unterscheidet sich aber inhaltlich nicht von der früheren Planung. Denn der Aufstellungsbeschluss vom 16.07.2007 stellt sich lediglich als eine Maßnahme der Konkretisierung und Weiterentwicklung der ursprünglichen Gestaltungsabsichten dar, wie sie schon in dem früheren Aufstellungsbeschluss vom 02.02.2004 zum Ausdruck gekommen sind. Die in dem früheren Aufstellungsbeschluss formulierten Planungsziele geben bereits hinreichend konkret die Richtung vor, die in der späteren Planung lediglich aufgegriffen und im Hinblick auf das inzwischen vorliegende Einzelhandelskonzept näher umrissen wird. Als Ziele werden bereits im Aufstellungsbeschluss vom 02.02.2004 die planungsrechtliche Steuerung künftiger Einzelhandelsnutzungen unter besonderer Berücksichtigung der gesamtstädtischen Einzelhandelsversorgung und -struktur und sonstiger künftiger Nutzungen sowie die Stärkung der städtebaulichen Bedeutung der Kasseler Landstraße genannt. Die gleichen Ziele finden sich erweitert und konkretisiert im erneuten Aufstellungsbeschluss. In der Begründung des ersten Aufstellungsbeschlusses wird ausgeführt, dass zu prüfen sei, ob der Einzelhandel insgesamt oder nur in bestimmten Unterarten im Bebauungsplan ausgeschlossen werden müsse. Hierfür sollte noch das bereits in Auftrag gegebene Einzelhandelsgutachten abgewartet werden. Damit kommt zum Ausdruck, dass die Planung von Beginn an darauf gerichtet war, die bislang uneingeschränkt zulässige Einzelhandelsnutzung gegebenenfalls einzuschränken. Davon geht im Übrigen auch die Antragsgegnerin aus. In der Beschlussvorlage vom 11.06.2007 zum zweiten Aufstellungsbeschluss der Bebauungsplanänderung (Vorlage-Nr.: FB61/495/07) führt der Fachbereich Planung und Vermessung auf Seite 3 aus: "Das Bebauungsplanverfahren wird derzeit weitergeführt um die bereits im ersten Aufstellungsbeschluss formulierten Ziele, insbesondere den Ausschluss bestimmter Sortimente, planungsrechtlich umzusetzen."

29

Eine erneute Veränderungssperre gemäß § 17 Abs. 3 BauGB, die eine Sperrzeit von insgesamt drei Jahren überschreitet, ist nur zulässig, wenn "besondere Umstände" i.S.v. § 17 Abs. 2 BauGB vorliegen. Dies ergibt sich aus Folgendem: Nach § 17 Abs. 1 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde eine erstmalige Veränderungssperre von zwei Jahren festlegen. Diese Frist kann sie nach§ 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB ohne weitere Voraussetzungen um ein weiteres Jahr verlängern. Erst eine zweite Verlängerung verlangt "besondere Umstände". Damit die Gemeinde die gesetzlichen Voraussetzungen, unter denen eine Verlängerung der erlassenen Veränderungssperre zulässig ist, nicht durch Erlass einer erneuten Veränderungssperre umgeht, ist anerkannt, dass die erneute Veränderungssperre nur zulässig ist, wie sie es wäre, wenn die Verlängerung rechtzeitig vorgenommen wäre (BVerwG, Beschl. v. 30.10.1992 - 4 NB 44/92 -, NVwZ 1993, 474 [BVerwG 30.10.1992 - BVerwG 4 NB 44.92]). Zwar stellt der Wortlaut des § 17 Abs. 3 BauGB an die Zulässigkeit einer erneuten Veränderungssperre keine weitergehenden Anforderungen als sie beim Erlass einer erstmaligen Veränderungssperre erfüllt sein müssen. Im Hinblick auf Art. 14 Abs. 1 GG wird aber verlangt, dass auch die Erneuerung einer Veränderungssperre vom Ablauf des dritten (Sperr-) Jahres an nur unter "besonderen Umständen" zulässig ist (BVerwG, Urt. v. 10.09.1976 - IV C 39.74 -, a.a.O.).

30

Zum Zeitpunkt des Ratsbeschlusses über die ("zweite") Veränderungssperre am 05.09.2008 waren erst zwei (Sperr-) Jahre abgelaufen. Die erste Veränderungssperre war vom 17.03.2005 bis zum 16.03.2007 in Kraft. Dieser Zeitraum von zwei Jahren zählt als Sperrzeit, weil die Veränderungssperre wirksam war und deshalb Sperrwirkung entfalten konnte. Die Zeit zwischen der ersten und der zweiten Veränderungssperre hingegen wird bei der Berechnung der Sperrjahre nicht berücksichtigt. Auch individuelle Sperrwirkungen spielen im Normkontrollverfahren keine Rolle, so dass für den Zeitraum der Zurückstellung der Bauvoranfragen der Antragstellerin keine Sperrzeit angerechnet wird. Daraus ergibt sich, dass der Erlass der zweiten Veränderungssperre im September 2008 für ein (weiteres) Jahr ohne "besondere Umstände" zulässig war. Erst im vierten Jahr der Laufzeit, d.h. ab dem 10.09.2009, hätten Gründe vorliegen müssen, die eine Überschreitung der Dreijahresfrist rechtfertigten. Zu diesem Zeitpunkt war die Veränderungssperre aber aufgrund des Inkrafttretens der Bebauungsplanänderung am 05.02.2009 schon außer Kraft getreten. Zur Berechnung der Sperrzeit im Einzelnen:

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Der Zeitraum, in dem die erste Veränderungssperre in Kraft war, entfaltete Sperrwirkung. Diese Veränderungssperre war entgegen der Ansicht der Antragsgegnerin wirksam. Die formellen Voraussetzungen für ihren Erlass lagen unstreitig vor. Streitig ist zwischen den Beteiligten allein, ob der ersten Veränderungssperre bereits ein Mindestmaß an konkretisierter Planungsabsicht zugrunde lag. Dies ist zu bejahen. Was unter einem Mindestmaß an konkretisierten Planungsabsichten zu verstehen ist, hat das Bundesverwaltungsgericht zum Beispiel in seinem Beschluss vom 05.02.1990 (- 4 B 191.89 -, NVwZ 1990, 558 [BVerwG 05.02.1990 - BVerwG 4 B 191/89]) dargelegt: Die Vorstellungen der Gemeinde dürften sich nicht darin erschöpfen, dieses oder einige andere Vorhaben zu verhindern oder allein Zeit gewinnen zu wollen, in der Vorstellungen über die Gestaltung des in Rede stehenden Bereichs überhaupt erst entwickelt werden sollen. Denn die nachteiligen Wirkungen der Veränderungssperre wären vor dem Hintergrund des Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG nicht erträglich, wenn sie nur der Sicherung einer Planung dienen sollte, deren Inhalt sich noch in keiner Weise absehen lasse. Zudem ließen sich andernfalls "öffentliche Belange" i.S.v. § 14 Abs. 2 BauGB nicht beurteilen. Erforderlich seien damit positive Planungsvorstellungen vom künftigen Planinhalt. Diese Planungsvorstellungen müssten allerdings noch nicht so weit gediehen sein, dass sie den Inhalt des künftigen Bebauungsplans im Wesentlichen erkennen ließen. Das widerspräche dem Beteiligungsverfahren. Dieses solle gerade zu dem Zwecke, durch die Äußerung der Bürger und Behörden die Grundlage für eine sachgerechte Abwägung zu schaffen, in gewissem Umfang "ergebnisoffen" geführt werden. Da das Gesetz eine Begründung für die Veränderungssperre nicht vorschreibe, reiche es aus, wenn Sitzungs- oder sonstige Unterlagen die Planungsabsichten der Gemeinde so verlässlich dokumentierten, dass ausgeschlossen sei, die Gemeinde schiebe später Planungsziele nach.

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Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze ergibt sich, dass die am 11.03.2005 beschlossene Veränderungssperre von einem Mindestmaß an konkretisierten Planungsabsichten getragen ist. Zwar fallen die Erläuterungen zu der Veränderungssperre in der Beschlussvorlage des Fachbereichs Planung und Vermessung vom 01.02.2005 (Vorlage-Nr: FB61/ 217/05) sehr knapp aus:

"Insbesondere die mit dem Bebauungsplan verfolgte planungsrechtliche Sicherung bestehender Einzelhandelsnutzungen sowie Steuerung künftiger Einzelhandelsnutzungen, unter besonderer Berücksichtigung der gesamtstädtischen Einzelhandelsstruktur, und sonstiger künftiger Nutzungen kann nur durch eine weitere Sicherung der Planung mittels einer Veränderungssperre gewährleistet werden. Künftig soll das Plangebiet durch die Festsetzung eines Sondergebiets die geordnete städtebauliche Entwicklung sichern."

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Die hier formulierten Vorstellungen der Antragsgegnerin gehen über allgemeine Ziele nicht hinaus. Die Beschlussvorlage nimmt aber Bezug auf die mit dem Bebauungsplan verfolgten Ziele, die in dem Aufstellungsbeschluss des Verwaltungsausschusses der Antragsgegnerin vom 02.02.2004 genannt werden. In der Beschlussvorlage des Fachbereichs vom 08.01.2004 zu diesem Aufstellungsbeschluss (Vorlage-Nr.: FD61/123/04) werden konkrete Ziele beschrieben. In der Beschlussvorlage heißt es u.a:

"Die weitere Erhöhung der Verkaufsflächen in den peripher städtebaulich nichtintegierten Lagen hat Verdrängungsmechanismen zur Folge. Dies führt zu Konzentrations- und Filialisierungsprozessen und schwächt die wohnungsnahe Versorgung. Letzteres betrifft insbesondere den Bereich des Lebensmittelsortiments.

Um die künftige Entwicklung der Einzelhandelsversorgung- und struktur hinsichtlich ihrer Auswirkungen auf die Gesamtheit beurteilen und auch bedarfsgerecht steuern zu können, müssen die Ergebnisse des Einzelhandelsgutachtens für die Stadt Göttingen auch zu diesem Standort abgewartet werden....

Es ist daher zu prüfen, ob der Einzelhandel gesamt oder nur in bestimmten Unterarten (z.B. Lebensmittel, innenstadtrelevante Sortimente) im Bebauungsplanbereich ausgeschlossen werden muss.

Ziel der künftigen differenzierten Festsetzungen bzgl. der Zulässigkeiten von Einzelhandelsbetrieben (Warensortimente bzw. Branchen) ist die Vermeidung negativer Auswirkungen auf die Einzelhandelsstruktur und der Gesamtstadt um somit die verbrauchernahe Versorgung der Bevölkerung und die Funktionstüchtigkeit des zentralörtlichen Versorgungskerns (Innenstadt) sicherzustellen."

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Danach stand schon zu Beginn der Planung fest, dass im Plangebiet die bislang uneingeschränkt zulässige Einzelhandelsnutzung begrenzt werden sollte. Die Ergebnisse des Einzelhandelsgutachtens sollten zwar noch abgewartet werden, um prüfen zu können, ob der Einzelhandel insgesamt oder nur in bestimmten Unterarten auszuschließen ist. Der Baugebietstyp "Gewerbegebiet" stand fest. Es war lediglich noch der mögliche Ausschluss einzelner gewerblicher Nutzungen im weiteren Planverfahren zu erörtern.

35

Die Zeit zwischen dem Außerkrafttreten der ersten und dem Erlass der erneuten Veränderungssperre (17.03.2007 bis 09.09.2008) wird nicht auf die Dauer der zweiten Veränderungssperre einberechnet (vgl. BVerwG, Beschl. v. 30.10.1992 - 4 NB 44.92 -, NVwZ 1993, 474 [BVerwG 30.10.1992 - BVerwG 4 NB 44.92]). Die Notwendigkeit, diese Zeit anzurechnen, ergibt sich nicht aus § 17 Abs. 3 BauGB, der überhaupt keine Befristung enthält. Es besteht auch im Hinblick auf die Gefahr des Missbrauchs keine Notwendigkeit, die Zeit zwischen Außerkrafttreten der ersten und Inkrafttreten der zweiten Veränderungssperre zu berücksichtigen. Die Gemeinde muss im Fall einer erneuten Veränderungssperre, die einen Zeitraum von insgesamt drei Jahren übersteigt - wie oben ausgeführt - "besondere Umstände" darlegen. Soweit sich ein Eigentümer zwischen dem Außerkrafttreten der ersten Veränderungssperre und Inkrafttreten der zweiten Veränderungssperre um ein Bauvorhaben bemüht und dieses zögerlich bearbeitet oder zurückgestellt wird, wird dies bei der Berechnung der Dauer der Veränderungssperre ihm gegenüber individuell berücksichtigt. Allein der Umstand, dass ein Zeitraum entstehen kann, der als individuelle Sperre wirken kann, rechtfertigt es aber nicht, allgemein und nicht nur individuell bei Eigentümern, die sich zwischen Außerkrafttreten der ersten Veränderungssperre und dem Erlass der erneuten Veränderungssperre auch wirklich um ein Bauvorhaben bemüht haben, diese Zwischenzeit einzuberechnen. Das Berechnungsverfahren des § 17 Abs. 1 Satz 2 BauGB soll gerade den Einzelnen begünstigen und keinen Einfluss auf die normativ angeordnete Dauer der Veränderungssperre haben.

36

Die Zeit zwischen Erlass der gegenüber der Antragstellerin ergangenen Zurückstellungsbescheide bis zum Inkrafttreten der Veränderungssperre (15.11.2007 bis 09.09.2008) ist im Normenkontrollverfahren ebenfalls nicht zum Bindungszeitraum der Veränderungssperre vom 05.09.2008 zu addieren. Zwar bewirkt der Zeitraum, in welchem das Bauvorhaben der Antragstellerin gemäߧ 15 BauGB zurückgestellt war, eine individuelle Sperrwirkung. Individuelle Sperrwirkungen spielen im Normenkontrollverfahren aber keine Rolle. Die Anrechnung individuell berücksichtigungsfähiger Zeiten betrifft nur die Berechnung der zulässigen Dauer einer Veränderungssperre im Einzelfall, aber nicht die Rechtsgültigkeit einer satzungsrechtlich angeordneten Veränderungssperre (BVerwG, Beschl. v. 29.03.2007 - 4 BN 11.07 -, BauR 2007, 1383; Beschl. v. 30.10.1992 - 4 NB 44.92 -, NVwZ 1993, 474).

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Da bei Erlass der zweiten Veränderungssperre im September 2008 erst zwei Sperrjahre abgelaufen waren, war der Erlass einer erneuten Veränderungssperre für ein weiteres Jahr ohne "besondere Umstände" zulässig. Erst im vierten Jahr der Laufzeit, d.h. ab dem 10.09.2009 und damit nach Außerkrafttreten der Veränderungssperre, hätten Gründe vorliegen müssen, die eine Überschreitung der Dreijahresfrist rechtfertigten. Die Beteiligten gehen übereinstimmend zutreffend davon aus, dass "besondere Umstände" nicht gegeben sind.

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Das führt jedoch nach den Grundsätzen, welche das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 03.04.2008 (- 4 CN 3.07 -, ZfBR 2008, 478 = DVBl. 2008, 981 = BauR 2008, 1273 = NVwZ 2008, 902) wiedergegeben hat, nur zur Teilunwirksamkeit der Veränderungssperre. Danach hat die Ungültigkeit einer Satzungsbestimmung nicht die Unwirksamkeit der Satzung insgesamt zur Folge, wenn der Rest auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibt (Grundsatz der Teilbarkeit) und mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (Grundsatz des mutmaßlichen Willens des Normgebers). Zu fragen ist mithin, ob die Ratsmitglieder die Veränderungssperre für ein Jahr beschlossen haben würden, hätten sie gewusst, dass der Erlass einer Veränderungssperre für zwei Jahre unwirksam ist. Diese Frage ist zu bejahen. Das ergibt sich aus den Erläuterungen für den Erlass der Satzung über die ("zweite") Veränderungssperre. In der Beschlussvorlage des Fachbereichs Planung und Vermessung vom 14.08.2008 (Vorlage-Nr.: FB61/607/08) wird ausgeführt, dass zur Sicherung der Planung vor Ablauf der Zurückstellungsfrist einer der gestellten Bauanträge der Erlass einer Veränderungssperre geboten sei, da ansonsten eine positive Entscheidung ergehen müsste. Auch aufgrund des zeitlichen Ablaufs ist davon auszugehen, dass die Ratsmitglieder eine Veränderungssperre für ein Jahr beschlossen hätten. In der Begründung heißt es nämlich weiter, dass der Entwurfsbeschluss zur öffentlichen Auslegung im Herbst 2008, der Satzungsbeschluss zum Jahresbeginn 2009 ergehen könnte. Daraus folgt, dass im Zeitpunkt des Satzungsbeschlusses über die Veränderungssperre am 05.09.2008 ein Abschluss des Planänderungsverfahrens bereits absehbar war und eine Veränderungssperre für ein Jahr auch aus damaliger Sicht ausgereicht hätte. Da eine über ein - weiteres - Jahr hinausgehende Sperre nicht erforderlich war, hätten die Ratsmitglieder eine Veränderungssperre für ein Jahr beschlossen, um auf diese Weise bis zum Inkrafttreten des Bebauungsplans Bauvorhaben im Plangebiet zu verhindern.

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Die damit teilweise wirksame Veränderungssperre ist schließlich nicht deshalb unwirksam, weil der Rat der Antragsgegnerin davon ausging, eine selbständige neue Sperre zu beschließen, aber nur eine erneute Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB beschließen konnte. Der Erlass einer selbständigen neuen Veränderungssperre kann in eine Erneuerung der Veränderungssperre nach § 17 Abs. 3 BauGB umgedeutet werden.

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Zwar wird teilweise vertreten, dass eine Umdeutung von Satzungen nicht in Betracht komme, weil sich die Möglichkeit der Umdeutung auf Verwaltungsakte und auf öffentlich-rechtliche Verträge und Willenserklärungen beschränke und bei Satzungen, die in einem besonders geregelten mehraktigen Verfahren aufgrund der Beschlussfassung eines Kollektivorgans zustande kommen, ausgeschlossen sei (vgl. OVG Berlin-Brandenburg, Urt. v. 15.02.2007 - OVG 2 A 15.05 -, DVBl 2007, 849).

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Der Senat hat allerdings in seiner Entscheidung vom 14.08.2009 (- 1 KN 219/07 -, BauR 2010, 67 = NVwZ-RR 2010, 91) hierzu eine abweichende Auffassung vertreten und in seiner Begründung angemerkt, eine Umdeutung scheitere nicht daran, dass § 47 VwVfG nur Verwaltungsakte betreffe. Vielmehr sei diese Vorschrift Ausdruck eines weitergehenden Rechtsgrundsatzes. So sei anerkannt, dass prozessuale Erklärungen grundsätzlich einer Umdeutung zugänglich seien. Das Bundesverfassungsgericht (3. Kammer des 1. Senats) habe in seinem Beschluss vom 13.11.1987 (- 1 BvR 739/87 -, [...]) zum Ausdruck gebracht, dass auch die Umdeutung von Rechtsnormen nicht generell ausgeschlossen sei.

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Daran hält der Senat fest. Grundsätzliche Bedenken gegen die Möglichkeit einer Umdeutung von Normen bestehen nach wie vor nicht. Von der Möglichkeit einer Umdeutung von Rechtsnormen gehen im Übrigen auch Bielenberg/Stock in Ernst/Zinkahn/Bielenberg (BauGB, § 17 Rdnr. 54) und Rieger in Schrödter (BauBG, 7. Aufl. 2006, § 17 Rdnr. 7) aus (beide zur Möglichkeit der Umdeutung einer Verlängerung der Veränderungssperre nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB in eine Erneuerung nach § 17 Abs. 3 BauGB).

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In dem Verfahren, welches der Entscheidung des Senats vom 14.08.2009 (- KN 219/07 -, a.a.O.) zugrunde lag, war eine Veränderungssperre aus formellen Gründen unerkannt unwirksam. Der Senat hat die etwa ein halbes Jahr später beschlossene Änderung des Geltungsbereichs dieser Veränderungssperre in eine wirksame Veränderungssperre umgedeutet und hinsichtlich der Möglichkeit der Umstellung ausgeführt, dass eine Umdeutung unbedenklich sei, wenn die Gemeinde bei der umgedeuteten Entscheidung inhaltlich keine anderen Erwägungen hinsichtlich der Einschränkung der Eigentümerbefugnisse anzustellen hatte als bei der Entscheidung, die formell richtiger zu dem gleichen Ergebnis führe.

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Dies zugrunde gelegt ist eine Umdeutung auch im vorliegenden Fall möglich. Die Zulässigkeit einer erneuten Veränderungssperre nach§ 17 Abs. 3 BauGB ist im Grundsatz an keine weitergehenden Anforderungen gebunden als die Zulässigkeit einer erstmaligen Veränderungssperre. Um jedoch die Voraussetzungen für eine Verlängerung nach § 17 Abs. 1 Satz 3 BauGB nicht zu unterlaufen, setzt die Zulässigkeit einer erneuten Veränderungssperre - wie oben dargelegt - vom Ablauf des dritten Jahres an das Vorliegen besonderer Umstände voraus. Das bedeutet, dass eine erneute Veränderungssperre bis zum Beginn des insgesamt vierten Sperrjahres an keine weitergehenden Anforderungen als die erstmalige Veränderungssperre geknüpft ist. Da hier zum Zeitpunkt über den Ratsbeschluss am 05.09.2008 erst zwei Sperrjahre abgelaufen waren, unterschieden sich die inhaltlichen Anforderungen an eine erstmalige Veränderungssperre zunächst nicht von denen an eine Erneuerung. Der zeitliche Rahmen des § 17 Abs. 2 BauBG, der für eine weitere Verlängerung "besondere Umstände" voraussetzt, war - für ein weiteres Jahr - noch nicht berührt. Der Rat hätte für eine auf ein Jahr befristete Veränderungssperre keine anderen Überlegungen anstellen müssen als er dies tatsächlich getan hat.

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Unerheblich ist, dass der Rat der Antragsgegnerin die Veränderungssperre für zwei Jahre beschlossen hat und somit ab dem vierten Jahr der Laufzeit Gründe hätten vorliegen müssen, die eine Überschreitung der Dreijahresfrist rechtfertigten. Denn wie dargelegt führt dies zur Unwirksamkeit der Veränderungssperre, soweit sie für eine Geltungsdauer von mehr als einem Jahr beschlossen worden ist. Nur für den verbleibenden wirksamen Teil der Veränderungssperre stellt sich die Frage der Zulässigkeit der Umdeutung. Nur insoweit ist zu untersuchen, ob der Rat der Antragsgegnerin inhaltlich andere Erwägungen anzustellen hatte als bei einer erneuten Veränderungssperre. Dies ist wie oben ausgeführt zu verneinen.