Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 21.12.2012, Az.: 11 LA 309/12
Waffenrechtliche Unzuverlässigkeit i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG aufgrund zwei bereits mehr als 20 Jahre zurückliegender (erheblicher) Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz
Bibliographie
- Gericht
- OVG Niedersachsen
- Datum
- 21.12.2012
- Aktenzeichen
- 11 LA 309/12
- Entscheidungsform
- Beschluss
- Referenz
- WKRS 2012, 31935
- Entscheidungsname
- [keine Angabe]
- ECLI
- ECLI:DE:OVGNI:2012:1221.11LA309.12.0A
Verfahrensgang
- vorgehend
- VG Hannover - 15.10.2012 - AZ: 12 A 2506/11
Rechtsgrundlagen
- § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG
- § 14 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 WaffG
Fundstellen
- DÖV 2013, 241
- GewArch 2013, 125-126
- NordÖR 2013, 228
Amtlicher Leitsatz
- 1.
Die waffenrechtliche Unzuverlässigkeit i.S.d. § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG kann sich auch aus zwei bereits mehr als 20 Jahre zurückliegenden (erheblichen) Verurteilungen wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz - hier u.a. wegen illegalen Waffenhandels - ergeben, wenn diese Verurteilungen wegen der Begehung einer Vielzahl anderer Straftaten nach dem BZRG weiterhin verwertbar sind.
- 2.
Das Bedürfnis für den Waffenerwerb eines Sportschützens nach § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 WaffG muss in einer Bescheinigung des Schießsport(teil)verbandes glaubhaft gemacht werden; Angaben von Vereinsvertretern reichen nicht aus. Die Verbandsbescheinigung muss hinreichend genau und aktuell sein.
Gründe
Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg, insbesondere bestehen keine ernstlichen Zweifel i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO an der Richtigkeit der Entscheidung des Verwaltungsgerichts, die auf die Erteilung einer "gelben" (§ 14 Abs. 4 WaffG) und - für den Erwerb zweier Kurzwaffen - ergänzend auf die Erteilung einer "grünen" Waffenbesitzkarte (§ 10 Abs. 1 WaffG) jeweils als Sportschütze gerichtete Verpflichtungsklage abzuweisen. Denn weder verfügt der Kläger über die nach §§ 4 Abs. 1 Nr. 1, 5 WaffG erforderliche Zuverlässigkeit (1.) noch hat er nach Maßgabe des § 14 WaffG das erforderliche Bedürfnis (§§ 4 Abs. 1 Nr. 4, 8, 14 WaffG) nachgewiesen (2.).
1. Nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG besitzt in der Regel die erforderliche Zuverlässigkeit nicht, wer "wiederholt oder gröblich gegen die Vorschriften eines der in Nummer 1 c genannten Gesetze verstoßen" hat. Hierzu zählen insbesondere auch Verstöße gegen strafbewehrte Bestimmungen des Waffengesetzes. Dies gilt unabhängig davon, ob ein oder mehrere solcher Verstöße zu einer strafgerichtlichen Verurteilung geführt haben. § 5 Abs. 2 Nr. 1 b) und c) WaffG enthält insoweit nach Wortlaut, Systematik sowie Sinn und Zweck keine abschließende Regelung. Vielmehr ist in der Rechtsprechung zutreffend anerkannt, dass die in den fünf Nummern des § 5 Abs. 2 WaffG bezeichneten Fallgruppen nicht auf ein Ausschließlichkeitsverhältnis der einen zur anderen Gruppe angelegt sind (vgl. BVerwG, Urt. v. 30.9.2009 - 6 C 29/08 -, NVwZ-RR 2010, 225 ff., [...], Rn. 15; Nordr.-Westf. OVG, Beschl. v. 23.6.2010 - 20 B 45/10 -, [...], Rn. 6 ff.; Bayr. VGH, Beschl. v. 11.7.2012 - 21 ZB 12.866 -, [...], Rn. 10; OVG Berlin-Brandenburg, Beschl. v. 25.1.2012 - 11 S 78.11 -, [...], Rn. 4 ff.). Ebenso wenig kann die 5-Jahresfrist des § 5 Abs. 2 Nr. 1 WaffG auf § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG entsprechend angewandt werden. Dazu fehlt es regelmäßig schon an dem notwendigen Bezugspunkt, da ein i.S.d. Nr. 5 erheblicher Verstoß anders als ein solcher nach Nr. 1 gerade nicht zu einer Verurteilung geführt haben muss, ab der die 5-Jahresfrist nach Nr. 1 zu laufen beginnt. Dem nach der Systematik sowie dem Sinn und Zweck des § 5 WaffG dem Grunde nach berechtigten Anliegen, einem Betroffenen einschlägige Verstöße nicht "ewig" vorhalten zu dürfen, sondern ihm die Möglichkeit zur Bewährung durch den Nachweis einer Verhaltensänderung zu bieten, ist anderweitig, nämlich durch - soweit strafgerichtliche Verurteilungen vorliegen - unmittelbare (vgl. Bayr. VGH, a.a.O., Rn. 10) und im Übrigen - soweit es hieran mangelt - entsprechende (vgl. BVerwG, Urt. v. 26.3.1996 - 1 C 12/95 -, BVerwGE 101, 24 ff., [...], Rn. 20 f.) Anwendung der Bestimmungen über Tilgungsfristen, insbesondere der nach dem Bundeszentralregistergesetz, Rechnung zu tragen. Das bedeutet allerdings nicht, dass lediglich isoliert auf Tilgungsfristen für Verstöße gegen waffenrechtliche Bestimmungen abzustellen wäre.
Der den §§ 46, 47 Abs. 3 BZRG zu Grunde liegende Rechtsgedanke, dass sich die Tilgungsfrist bei mehreren Verurteilungen in Abhängigkeit von Vorverurteilungen verlängern kann und für alle Verurteilungen die Voraussetzungen der Tilgung vorliegen müssen, beansprucht vielmehr auch waffenrechtlich im Rahmen des § 5 WaffG Geltung. Denn der Gesichtspunkt der Bewährung greift nicht ein, wenn sich "ein die Bagatellschwelle überschreitendes Verhalten" des Betroffenen "über einen längeren Zeitraum bis in die Gegenwart hinzieht" (BVerwG, Urt. v. 26.3.1996 - 1 C 12/95 -, a.a.O.). Für die Berücksichtigung aller Vorstrafen sprechen ferner die allgemein hohen Anforderungen an die waffenrechtliche Zuverlässigkeit. Danach sind die Risiken, die mit jedem Waffenbesitz verbunden sind, nur bei solchen Personen hinzunehmen, die nach ihrem Verhalten Vertrauen darin verdienen, dass sie mit Waffen und Munition jederzeit und in jeder Hinsicht ordnungsgemäß umgehen (vgl. BVerwG, Beschl. v. 31.1.2008 - 6 B 4/08 -, [...], Rn. 5, m.w.N.). Eine solche Prognose zu Gunsten des Betroffenen ist bei der wiederholten, sich über mehrere Jahrzehnte erstreckenden Begehung auch überwiegend nicht spezifisch waffenrechtlicher Straftaten - wie hier - ausgeschlossen. Durch § 52 Abs. 1 Nr. 4 BZRG wird diese Annahme unterstrichen (vgl. Bayr. VGH, Beschl. v. 11.7.2012 - 21 ZB 12.866 -, a.a.O., Rn. 10 a. E.). Wenn danach für die hier streitige Entscheidung über die Erteilung von Waffenbesitzkarten im Einzelfall zur Abwehr einer erheblichen Gefährdung grundsätzlich sogar bereits getilgte Straftaten berücksichtigt werden können, und zwar unabhängig von der Deliktsart, so setzt die Bestimmung voraus, dass im Übrigen ohne weiteres alle nicht getilgten Verurteilungen bei der Beurteilung der waffenrechtlichen Zuverlässigkeit verwertbar sind und auch verwertet werden sollen. Da der Betroffene auch bei Verwirklichung einer der in § 5 Abs. 2 WaffG bezeichneten Voraussetzungen nur in der Regel unzuverlässig ist, bietet die Norm auch die Möglichkeit, atypischen Fallgestaltungen hinreichend Rechnung zu tragen.
Hieran gemessen ist der Kläger (bereits) nach § 5 Abs. 2 Nr. 5 WaffG unzuverlässig. Denn er ist 1980 wegen "Ankaufs, Vertriebs und Überlassens von Schusswaffen und Munition i.S.d. Waffengesetzes ohne die erforderliche Erlaubnis" zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr, die später in eine nachträglich gebildete Gesamtstrafe von fünf Jahren eingeflossen ist, und 1989 nochmals wegen Verstoßes gegen das Waffengesetz in Form des "verbotswidrigen Ausübens der tatsächlichen Gewalt über einen Gegenstand i.S.d. Waffengesetzes" strafgerichtlich verurteilt worden, hat also sowohl gröblich als auch wiederholt gegen Vorschriften des Waffengesetzes verstoßen. Wegen der Vielzahl weiterer strafgerichtlicher Verurteilungen, zuletzt im Februar 2006 wegen Verstoßes gegen § 266a StGB, liegt insoweit auch keine Tilgungsreife vor. Sie tritt vielmehr gemäß §§ 46 Abs. 1 Nr. 1 a, Nr. 2 a, 47 Abs. 2 BZRG frühestens im Jahr 2016 ein.
Dass Ausnahmegründe i.S.d. § 5 Abs. 2 WaffG vorlägen, ist nicht vorgetragen worden und nach Aktenlage auch nicht ersichtlich. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen auf Seite 3, Absatz 4, des angegriffenen Bescheides verwiesen. Außerdem ist erst 2011 ein weiteres Ermittlungsverfahren gegen den Kläger wegen gefährlichen Eingriffs in den Bahnverkehr eingeleitet und nur gegen Zahlung von 750 EUR nach § 153a StPO (zur Bedeutung einer solchen Einstellung für die waffenrechtliche Zuverlässigkeitsprüfung vgl. Bayr. VGH, Beschl. v. 4.4.2012 - 21 ZB 12.31 -, [...], Rn. 15) eingestellt worden. Inwieweit zusätzlich die vom Landeskriminalamt in dessen aktualisierter Stellungnahme vom 8. Juni 2012 ausführlich beschriebene fortbestehende Nähe des Klägers zum Hells Angels MC gegen seine Zuverlässigkeit spricht, braucht deshalb nicht geklärt zu werden.
2. Dem Verwaltungsgericht ist im Übrigen in der Annahme zu folgen, dass der Kläger den - nach § 14 Abs. 4 Satz 1 WaffG auch für die Erteilung der "gelben" Waffenbesitzkarte geltenden - Anforderungen des § 14 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 WaffG nicht entspricht. Danach ist durch eine Bescheinigung des Schießsportverbandes oder eines ihm angegliederten Teilverbandes glaubhaft zu machen, dass das Mitglied seit mindestens zwölf Monaten den Schießsport in einem Verein regelmäßig als Sportschütze betreibt; regelmäßig meint nach der Begründung des Gesetzesentwurfes, dass der Betroffene "im maßgeblichen Jahreszeitraum wenigstens achtzehnmal oder einmal pro Monat intensiv und mit einer gewissen Dauer Schießübungen mit einer Waffe der Art betrieben hat, für die er ein Bedürfnis geltend macht" (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 63). Der insoweit angeführte maßgebliche Jahreszeitraum bezieht sich zunächst auf die letzten 12 Monate vor der Antragstellung (vgl. Gade/Stoppa, WaffG, 2011, § 14, Rn. 12) und verschiebt sich, soweit nach Ablehnung im gerichtlichen Verfahren um die Erteilung gestritten wird, auf die 12 Monate vor dem dann für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ausschlaggebenden (vgl. OVG Hamburg, Urt. v. 12.10.2006 - 3 Bf 306/04 -, NordÖR 2007, 138 (LS), [...], Rn. 39) Zeitpunkt der Entscheidung des (Tatsachen-)Gerichts. Unschädlich ist es insoweit, wenn zwischen Ausstellung der im Antragszeitpunkt aktuellen Bescheinigung und Entscheidung eine übliche Bearbeitungsdauer liegt; beträgt dieser Abstand jedoch - wie hier - fast zwei Jahre, so bedarf es einer neuen aktuellen Bescheinigung. Wie sich schon aus dem Wortlaut der Norm sowie der Entstehungsgeschichte, wonach gerade dem Missbrauch durch Vereine entgegengetreten werden sollte (vgl. BT-Drs. 14/7758, S. 64), ergibt, reicht also eine Bescheinigung des Vereins nicht aus. Vielmehr wird der (Dach-)Verband in die Pflicht genommen, eine eigenständige Prüfung vorzunehmen (vgl. nur Heller/Soschinka, Waffenrecht, 3. Aufl., 2013, Rn. 1469, 1477 ff.). Angaben des Vereins oder von Vereinsvertretern können daher allenfalls ergänzend, wenn nämlich Zweifel an der Richtigkeit der Bescheinigung des Verbandes bestehen, von Bedeutung sein, fehlerhafte oder unzureichende Angaben in der Bescheinigung selbst jedoch nicht ersetzen.
Hieran gemessen hat der Kläger sein Bedürfnis zum Waffenbesitz als Mitglied eines Schießsportvereins schon deshalb nicht hinreichend nachgewiesen, weil die dazu von ihm vorgelegten (Teil-)Verbandsbescheinigungen bereits am 18. November 2010 bzw. am 6. Januar 2011 ausgestellt worden und damit zeitlich überholt sind; aktuellere Bescheinigungen hat er trotz Aufforderung nicht vorgelegt. Wenn - wie der Kläger geltend gemacht hat - der jeweilige Verband dazu nicht bereit sei, muss er dies verbandsintern klären bzw. den Verband wechseln, kann aber nicht verlangen, dass die gesetzlichen Anforderungen dem Verbandsverhalten angepasst werden. Im Übrigen verweist er selbst darauf, dass aktualisierte Bescheinigungen auch vom Verband ausgestellt würden, wenn vorhergehende Bescheinigungen von der Waffenbehörde für "unwirksam" erklärt würden. Nichts anderes stellt aber die - zutreffende - Berufung der Beklagten als Waffenbehörde dar, die bisherigen Bescheinigungen seien nicht mehr hinreichend aktuell. Nach den vorherigen Ausführungen können die unzureichenden Angaben in den vorgelegten Verbandsbescheinigungen zu den aktuellen Aktivitäten des Klägers als Sportschütze also nicht durch Angaben seines Vereins oder von Vereinsvertretern ersetzt werden. Zu Recht hat es Herr B. als Vereinsvorsitzender deshalb abgelehnt, dem Kläger eine entsprechende Bescheinigung auszustellen, und ihn stattdessen an den Landesverband verwiesen.
Zusätzlich dürften die vorgelegten Bescheinigungen auch insoweit unzureichend sein, als sie bereits anfänglich nicht hinreichend genau bestimmten, in welchem zeitlichen Umfang der Kläger tatsächlich geschossen hat. Dazu reicht die in dem Formular des Kreisschützenverbandes (Teilverband des NSSV) vom 6. Januar 2011 enthaltene Angabe, der Kläger habe im Jahr 2010 "je nach Jahreszeit monatlich/alle 2 Wochen" geschossen", nicht aus, weil damit nicht sichergestellt ist, dass überhaupt das nach dem Vorstehenden erforderliche Mindestmaß von 18 Teilnahmen oder 12 intensiven Teilnahmen erfüllt ist. In dem Formular des Landesverbandes des BDS findet sich zwar eine präzisere Angabe - 18mal innerhalb der vorhergehenden 12 Monate -, diese wird aber - wie vom Verwaltungsgericht zutreffend festgestellt worden ist - gerade nicht von dem Vertreter des Landesverbandes, sondern nur von dem Vereinsvertreter bestätigt; das reicht nicht aus.
Ob die deshalb insoweit schon formell unzureichenden Verbandsangaben inhaltlich zutreffend sind und ob damit im Übrigen gerade der Erwerb der streitigen Waffen hinreichend legitimiert ist, kann deshalb offen bleiben.
Sollte sich der Kläger mit seinem abschließenden Verweis auf eine vom Verwaltungsgericht zu Unrecht unterbliebene Beweiserhebung auf den Zulassungsgrund des Verfahrensmangels i.S.d. § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO berufen wollen, so wird dies schon nicht hinreichend deutlich. Weiterhin mangelt es an der dann erforderlichen Darlegung, warum eine solche Beweiserhebung nach der materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts notwendig gewesen sei. Schließlich kommt auch auf der Grundlage der vorstehenden Rechtsansicht des Senats eine solche Beweiserhebung nicht in Betracht, da die weiterhin umstrittene Richtigkeit der Schießbücher und der Eintragungen in den Verbandsbescheinigungen unerheblich ist, vielmehr die vorgelegten Bescheinigungen schon für sich unzureichend sind und der Kläger ohnehin waffenrechtlich nicht zuverlässig ist.