Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2012, Az.: 5 ME 258/12

Verwirkung des Rechts zur Erhebung von Einwendung gegen eine dienstliche Beurteilung bei Einleitung eines Verfahrens drei Jahre nach Erhalt der Beurteilung

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.12.2012
Aktenzeichen
5 ME 258/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 29628
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:1206.5ME258.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Hannover - 20.09.2012 - AZ: 13 B 5133/12

Fundstellen

  • DÖD 2013, 65-67
  • DÖV 2013, 200
  • FStBay 2013, 887-888
  • FStNds 2013, 389-390
  • ZBR 2013, 209

Amtlicher Leitsatz

  1. 1.

    Ein Beamter verwirkt das Recht, Einwendungen gegen eine dienstliche Beurteilung zu erheben, wenn er längere Zeit untätig bleibt und dadurch bei seinem Dienstherrn der Anschein erweckt, er lasse die Beurteilung gegen sich gelten.

  2. 2.

    Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

Gründe

1

I.

Die Antragstellerin wendet sich gegen die von dem Antragsgegner beabsichtigte Besetzung einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage mit der Beigeladenen.

2

Die Antragstellerin und die Beigeladene sind bei dem Antragsgegner als Regierungsamtsinspektorinnen (Besoldungsgruppe A 9) tätig. Im August 2012 bezog dieser beide von Amts wegen in ein Auswahlverfahren für die Besetzung einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage ein. Die Auswahl sollte maßgeblich aufgrund der letzten dienstlichen Beurteilung sowie - in Form eines weiteren Kriteriums - aufgrund der vorangegangenen Beurteilung erfolgen. In ihrer letzten dienstlichen Beurteilung hatten sowohl die Beigeladene als auch die Antragstellerin die Gesamtnote "B" (übertrifft erheblich die Anforderungen) erhalten, sodass der Antragsgegner sie als im Wesentlichen gleich leistungsstark ansah. Zuvor war die Beigeladene im Rahmen einer Regelbeurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2008 ebenfalls mit der Gesamtnote "B" beurteilt worden. Die Antragstellerin, die von Anfang 2001 bis Ende 2008 nicht im Dienst gewesen war, hatte bei einer zum Stichtag erfolgten Fortschreibung ihrer letzten Beurteilung aus dem Jahr 2000 die Gesamtnote "C" (entspricht voll den Anforderungen) erhalten. Der Antragsgegner nahm dies zum Anlass, die Antragstellerin aus dem Bewerberfeld auszuscheiden.

3

Das Verwaltungsgericht hat den gegen die Besetzung der Planstelle mit der Beigeladenen gerichteten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung abgelehnt. Der Antragsgegner habe seiner Auswahlentscheidung zu Recht die aktuelle sowie die vorangegangene dienstliche Beurteilung zugrunde gelegt. Eine inzidente Überprüfung der zum Stichtag erfolgten Fortschreibung der dienstlichen Beurteilung könne die Antragstellerin nicht verlangen, weil sie ihr Recht, dagegen Einwendungen zu erheben, verwirkt habe. Die Antragstellerin habe mehrere Jahre nichts gegen die Beurteilung unternommen und damit bei ihrem Dienstherrn den Anschein erweckt, dass sie die Beurteilung als rechtmäßig anerkenne.

4

II.

Die Beschwerde hat keinen Erfolg.

5

Die in der Beschwerdebegründung dargelegten Gründe, auf deren Prüfung der Senat gemäß § 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO beschränkt ist, rechtfertigen eine Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses nicht.

6

Der Senat teilt die Auffassung des Verwaltungsgerichts, dass die Antragstellerin ihr Recht, gegen die Fortschreibung ihrer dienstlichen Beurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2008 Einwendungen zu erheben, verwirkt hat. Eine Verwirkung sowohl des materiellen Rechtes auf Überprüfung und gegebenenfalls Änderung der dienstlichen Beurteilung als auch der prozessualen Rechte tritt dann ein, wenn der beurteilte Beamte während eines längeren Zeitraumes unter Verhältnissen untätig geblieben ist, unter denen vernünftigerweise etwas zur Rechtswahrung unternommen zu werden pflegt, so dass beim Dienstherrn der Anschein erweckt worden ist, er werde bezüglich der Beurteilung nichts mehr unternehmen. Die Bemessung des Zeitraums hängt von den Umständen des Einzelfalls ab (vgl. OVG SA, Beschluss vom 3.7.2012 - 1 M 67/12 -, [...] Rn. 8-9; OVG NRW, Beschluss vom 13.10.2010 - 6 B 1001/10 -, [...] Rn. 9; BayVGH, Beschluss vom 13.4.2010 - 3 ZB 08.1094 -, [...] Rn. 4; VGH BW, Beschluss vom 4.6.2009 - 4 S 213/09 -, [...] Rn. 17; BVerwG, Urteil vom 13.11.1975 - BVerwG II C 16.72 -, [...] Rn. 33).

7

Legt man diesen Maßstab zugrunde, hat die Antragstellerin das Recht, gegen die Fortschreibung ihrer Beurteilung mit der Gesamtnote "C" vorzugehen, verwirkt. Sie hat die in Form eines Schreibens des Antragsgegners vom 17. Juli 2009 gefertigte Beurteilung bereits am 3. August 2009 erhalten, rechtliche Schritte jedoch erst nach mehr als drei Jahren mit diesem Verfahren eingeleitet. Bereits diese lange währende Untätigkeit rechtfertigt - wie das Verwaltungsgericht zu Recht betont hat - die Annahme der Verwirkung. Zu Lasten der Antragstellerin treten weitere Umstände hinzu. In einem im August 2009 durchgeführten Auswahlverfahren zur Vergabe einer Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage, in dem sie aufgrund der nunmehr angegriffenen Beurteilung ebenfalls nicht ausgewählt worden ist, hat sie diese gegen sich gelten lassen. Erst in der Folgezeit - wohl im Herbst 2010 - hat sie unter Einschaltung des Personalrates bei dem Antragsgegner angefragt, ob die Beurteilung geändert werden könne, die Angelegenheit nach einer abschlägigen Antwort aber auf sich beruhen lassen. Am 16. Juli 2012 wurde der Antragstellerin überdies die Regelbeurteilung für den am 30. September 2011 endenden nachfolgenden Beurteilungszeitraum eröffnet, ohne dass sie bis dahin gegen die vorangegangene Beurteilung vorgegangen war. Auch aus diesen Gründen durfte der Antragsgegner darauf vertrauen, dass die Beurteilung Bestand haben würde.

8

Soweit die Antragstellerin dagegen einwendet, sie habe zuvor keinen Anlass gehabt, die Beurteilung anzugreifen, überzeugt das nicht.

9

Ohne Bedeutung ist es zunächst, von wem und unter welchen Umständen ihr die Beurteilung eröffnet worden ist und ob es ein Gespräch über den Inhalt gegeben hat. Das Schreiben vom 17. Juli 2009 bietet zu Missverständnissen keinen Anlass. Darin kommt unmissverständlich zum Ausdruck, dass es sich um eine Fortschreibung der letzten dienstlichen Beurteilung unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung vergleichbarer Beschäftigter handelt und eine Bewertung mit der Gesamtnote "C" erfolgt. Wenn die Antragstellerin - wie sie vorträgt - dies so verstanden haben sollte, dass die durchschnittliche Beurteilung der vergleichbaren Beamten ebenfalls "C" gewesen sei, ist dieser Irrtum nicht dem Antragsgegner zuzurechnen. Eine entsprechende Aussage enthält das Schreiben nicht.

10

Zu.U.nrecht rügt die Antragstellerin weiter, dem Schreiben vom 17. Juli 2009 habe die Klarstellung gefehlt, dass die Antragstellerin schlechter als die vergleichbaren Beamten bewertet worden sei. Ungeachtet der Frage, wie die Bewertung der Antragstellerin im Verhältnis zu den vergleichbaren Beamten einzustufen ist, bedurfte es einer solchen Klarstellung nicht. Das Schreiben trifft - wie bei Beurteilungen üblich - keine Aussagen über den konkreten Leistungsstand der vergleichbaren Beamten, sondern verweist lediglich auf die Berücksichtigung ihrer Beurteilungen. Vor diesem Hintergrund hätte die Antragstellerin jederzeit schriftlich um Erläuterung bitten können. Das hat sie nicht getan, obwohl ihr aus verschiedenen vorangegangenen Verfahren bekannt war, welche Rechtsschutzmöglichkeiten gegen Beurteilungen bestehen. Den weiteren Vortrag, der Antragsgegner habe es ihr aktiv verwehrt, sich gegen die Beurteilung zu wenden, kann der Senat nicht nachvollziehen.

11

Unzutreffend ist auch die Auffassung der Antragstellerin, die Beurteilung zum Stichtag 1. Oktober 2008 wirke sich im Rahmen dieses Verfahrens erstmals aus. Richtig ist vielmehr, dass sie bereits im August 2009 aufgrund dieser Beurteilung aus dem Feld der Bewerber um eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 9 mit Zulage ausgeschieden ist. Diesen Sachverhalt hat ihr der Antragsgegner mit Schreiben vom 7. August 2009 mitgeteilt. Soweit die Antragstellerin dagegen einwendet, entscheidend für die damalige Auswahl seien nicht die Beurteilungen zum 1. Oktober 2008, sondern die jeweiligen Vorbeurteilungen gewesen, trifft das zwar insofern zu, als der in den Vorbeurteilungen zum Ausdruck kommende Leistungsstand - nicht anders, als in diesem Verfahren - als weiteres Kriterium herangezogen worden ist. Die Antragstellerin ist indes nicht erst aufgrund dieses Kriteriums, sondern bereits aufgrund ihrer Beurteilung mit der Gesamtnote "C" aus dem Verfahren ausgeschieden.

12

Selbst wenn die Antragstellerin das Recht, gegen die Beurteilung Einwände zu erheben, nicht verwirkt hätte, bliebe die Beschwerde ohne Erfolg. Das Vorbringen der Antragstellerin lässt nicht erkennen, dass die Beurteilung vom 17. Juli 2009 rechtsfehlerhaft sein könnte.

13

Der Antragsgegner hat die letzte Beurteilung vom 21. August 2000 gemäß der Regelung in Nr. 3 Abs. 3 der Allgemeinen Richtlinien für die dienstliche Beurteilung der Beschäftigten im unmittelbaren Landesdienst (Beschluss der Landesregierung vom 12.12.2006 - MI - 15.31 - 03002/2.3.2 - VORIS 20400) unter Berücksichtigung der beruflichen Entwicklung vergleichbarer Beschäftigter zum Stichtag der Regelbeurteilung fortgeschrieben. Er hat dabei ausweislich eines Vermerks vom 25. Juni 2009 zugrunde gelegt, dass die Antragstellerin zuvor im Rahmen eines abweichenden Beurteilungssystems mit "gut" beurteilt worden war. Diejenigen Beamten, deren letzte Beurteilung nach diesem Beurteilungssystem ebenfalls mit "gut" erfolgt war, hatten zum Stichtag am 1. Oktober 2008 mit einer Ausnahme - ebenso wie die Antragstellerin - die Gesamtnote "C" erhalten. Hinsichtlich des Ausnahmefalls hat der Antragsgegner unwidersprochen ausgeführt, dieser Beamte habe seine Leistungen gesteigert. Vor diesem Hintergrund entspricht die fortgeschriebene Beurteilung der Antragstellerin der Beurteilung vergleichbarer Beamter zum maßgeblichen Stichtag. Ob die in den Vergleich einbezogenen Beamten zuvor bessere Anlassbeurteilungen erhalten hatten, ist in Bezug auf den zum Stichtag erfolgten Vergleich nicht entscheidend.

14

Soweit die Antragstellerin im Beschwerdeverfahren darüber hinaus erstmals rügt, der Antragsgegner habe eine weitere, im Ergebnis nicht ausgewählte Mitbewerberin (zunächst) übergangen, lässt der Senat offen, ob dieses neue Vorbringen überhaupt zu berücksichtigen ist. Selbst wenn das der Fall sein sollte, beeinträchtigt eine fehlerhafte Nichtberücksichtigung einer weiteren Bewerberin Rechtspositionen der Antragstellerin offensichtlich nicht.

15

Nicht nachvollziehbar ist schließlich, in welcher Beziehung der Einwand der Antragstellerin, sie habe nach Abschluss der Elternzeit dem gehobenen Dienst zugeordnet und mit der Besoldungsstufe A 10 besoldet werden müssen, zu dem Streitgegenstand dieses Verfahrens steht.