Oberverwaltungsgericht Niedersachsen
Beschl. v. 06.12.2012, Az.: 4 LA 220/12

Maßgeblichkeit des jeweiligen Monatseinkommens für die Bemessung des zu zahlenden Kostenbeitrags des Beitragspflichtigen gem. § 94 Abs. 1 S. 1 SGB VIII

Bibliographie

Gericht
OVG Niedersachsen
Datum
06.12.2012
Aktenzeichen
4 LA 220/12
Entscheidungsform
Beschluss
Referenz
WKRS 2012, 32030
Entscheidungsname
[keine Angabe]
ECLI
ECLI:DE:OVGNI:2012:1206.4LA220.12.0A

Verfahrensgang

vorgehend
VG Stade - 19.07.2012 - AZ: 4 A 41/11

Fundstelle

  • DÖV 2013, 283

Amtlicher Leitsatz

Das im jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht erzielte Einkommen des Kostenbeitragspflichtigen ist für die Bemessung der Höhe des zu zahlenden Kostenbeitrags maßgebend.

Gründe

1

Der Berufungszulassungsantrag hat keinen Erfolg. Denn die Darlegungen des Klägers zur Begründung seines auf den Zulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützten Zulassungsantrags begründen keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils.

2

Das Verwaltungsgericht hat die Klage gegen den Bescheid vom 9. Dezember 2010, mit dem der Beklagte den vom Kläger ab dem 1. Juli 2010 zu zahlenden Kostenbeitrag für die ihm gewährte Hilfe zur Erziehung auf 85,- EUR monatlich festgesetzt hat, mit der Begründung abgewiesen, der Bescheid sei rechtmäßig und verletze den Kläger nicht in seinen Rechten. Der Beklagte habe den Kostenbeitrag nicht zu hoch festgesetzt. Der Kostenbeitrag sei auch im Sinne des § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII angemessen, weil dem Kläger ausgehend von dem von ihm erzielten monatlichen Nettoeinkommen, einer in Abzug zu bringenden Pauschale von 5 Prozent des Nettoeinkommens für berufsbedingte Aufwendungen und des zu zahlenden Kostenbeitrags der unterhaltsrechtliche Selbstbehalt belassen werde, der nach den Leitlinien des OLG Celle bei Erwerbstätigen gegenüber ihren minderjährigen Kindern im Jahr 2010 900,- EUR betragen habe.

3

Dem kann der Kläger nicht mit Erfolg entgegen halten, dass der Festsetzung des Kostenbeitrags - anders als vom Verwaltungsgericht und dem Beklagten angenommen - nicht das ab Juli 2010 erzielte Monatseinkommen, sondern "das aus dem tatsächlichen Jahreseinkommen 2010 ermittelte Monatsdurchschnittseinkommen" zugrunde zu legen sei, weil seine monatlichen Einkünfte ständig wechselten, in der ersten Hälfte der Jahre 2010 und 2011 jeweils geringer als in der zweiten Jahreshälfte gewesen seien und weil nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof auch im Unterhaltsrecht für zurückliegende Zeiträume das Jahresdurchschnittseinkommen maßgeblich sei. Denn dieser Einwand begründet keine ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils der Vorinstanz.

4

Nach § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sind die Kostenbeitragspflichtigen aus ihrem Einkommen in angemessenem Umfang zu den Kosten heranzuziehen. Für die Bestimmung des Umfangs der Kostenbeitragspflicht sind nach § 94 Abs. 2 SGB VIII bei jedem Elternteil, Ehegatten oder Lebenspartner die Höhe des nach § 93 SGB VIII ermittelten Einkommens und die Anzahl der Personen, die mindestens im gleichen Range wie der untergebrachte junge Mensch oder Leistungsberechtigte nach § 19 SGB VIII unterhaltsberechtigt sind, angemessen zu berücksichtigen. § 93 SGB VIII regelt die Berechnung des Einkommens, enthält aber keine konkrete Bestimmung darüber, ob der Bemessung des Kostenbeitrags das im jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht erzielte Einkommen oder das über den Zeitraum eines Kalenderjahres oder über andere Zeiträume ermittelte monatliche Durchschnittseinkommen zugrunde zu legen ist. Gleichwohl ist davon auszugehen, dass das in dem jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht erzielte Einkommen des Kostenbeitragspflichtigen für die Bemessung der Höhe des zu zahlenden Kostenbeitrags maßgebend ist (ebenso OVG NRW, Urt. v. 1.4.2011 - 12 A 1292/09 -; Schindler in: Frankfurter Kommentar SGB VIII, 7. Aufl., § 93 Rn. 8). Denn dafür spricht nicht nur, dass Kostenbeiträge aus dem Einkommen monatlich erhoben werden und der Deckung der Aufwendungen des Jugendhilfeträgers für kostenbeitragspflichtige Leistungen, die ebenfalls regelmäßig monatlich erbracht werden, dienen, sondern auch, dass die Heranziehung zu Kostenbeiträgen eine Leistungsfähigkeit der Kostenbeitragspflichtigen in dem jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht voraussetzt. Ferner sind die Erwägungen des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen in seinem Urteil vom 1. April 2011 (12 A 1292/09) für die Maßgeblichkeit des Einkommens in dem jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht anzuführen. Das Oberverwaltungsgericht hat dazu u. a. Folgendes ausgeführt:

"Der Senat geht davon aus, dass es sich bei dem maßgeblichen, im Bedarfszeitraum erzielten Einkommen grundsätzlich entsprechend der im Sozialhilferecht entwickelten sog. modifizierten Zuflusstheorie um das tatsächliche monatliche Nettoeinkommen des Kostenbeitragspflichtigen handelt. Danach ist alles das, was jemand in der Bedarfszeit - d. h. hier jeweils in einem Monat, in dem die Jugendhilfeleistung erbracht wird - wertmäßig zusätzlich erhält, Einkommen, während - jugendhilferechtlich privilegiertes - Vermögen das ist, was er in der Bedarfszeit bereits hat. Für die Frage, wann etwas zufließt, ist grundsätzlich vom tatsächlichen Zufluss auszugehen, es sei denn rechtlich wird ein anderer Zufluss bestimmt. ...

Der Gesetzeswortlaut bietet keinen Anhaltspunkt, dass der Gesetzgeber abweichend von diesen im Sozialhilferecht anerkannten Grundsätzen im Kinder- und Jugendhilferecht die Anbindung des Kostenbeitrages an ein gemitteltes und auf die einzelnen Monate umgelegtes Durchschnittseinkommen beabsichtigt hätte. Der von der Beklagten angeführte Umstand, dass der Kostenbeitrag auch nach der Novellierung noch Bezüge zum zivilrechtlichen Unterhaltsrecht aufweist und der bürgerlich-rechtliche Unterhaltsanspruch wiederum anhand eines gemittelten (früheren) Einkommens errechnet wird, rechtfertigt keine andere Beurteilung. Der Gesetzgeber hat nämlich mit der Novellierung ausdrücklich auch eine Entflechtung des bislang überaus komplizierten Zusammenspiels unterhaltsrechtlicher und sozialrechtlicher Bestimmungen bezweckt und so die Leistungsgewährung als auch die Heranziehung zu den Kosten ausschließlich dem öffentlichen Recht zugeordnet. ...

Die Erreichung dieses Gesetzeszwecks setzt eine gewisse Loslösung des Kostenbeitragsrechts von dem Unterhaltsrecht denknotwendig voraus. Vor diesem Hintergrund hat das Bundesverwaltungsgericht in dem o. a. Urteil dem Gesetz- und Verordnungsgeber auch einen grundsätzlich weiten Gestaltungsspielraum und damit Raum für Abweichung von unterhaltsrechtlichen Regelungen bei der ihm in § 94 Abs. 5 SGB VIII eingeräumten Ausgestaltungs- und Pauschalierungsbefugnis zugebilligt. Der gesetzgeberische Gestaltungsspielraum findet danach seine Grenze (nur) bei einem vom Gesetzgeber nicht gewollten, gravierenden materiellen Wertungswiderspruch zum Unterhaltsrecht, der dann gegeben ist, wenn die Festsetzung des Kostenbeitrags im Ergebnis Grundprinzipien des Unterhaltsrechts - wie etwa die unterhaltsrechtliche Opfergrenze des sog. notwendigen Selbstbehalts oder Eigenbedarfs - nicht beachtet (vgl. BVerwG, Urteil vom 19. August 2010 - 5 C 10/09 -, NJW 2011, 97, [...]). Es ist nicht zu erkennen, dass die vom zivilrechtlichen Unterhaltsrecht abweichende Anknüpfung der Höhe des Kostenbeitrags an das tatsächlich im jeweiligen Leistungsmonat erzielte Einkommen statt an das gemittelte Einkommen im gesamten Leistungszeitraum im Ergebnis gegen elementare Grundprinzipien des Unterhaltsrechts verstoßen würde. Etwas anderes ergibt sich schließlich auch nicht mit Blick auf den weiteren gesetzgeberischen Zweck, durch die Vereinfachung der Vorschriften über die Heranziehung junger Menschen und ihrer Eltern zu den Kosten der Leistungen zur Verwaltungsvereinfachung und Regulierung beizutragen und so den bislang in diesem Zusammenhang hohen Verwaltungsaufwand zu senken. ... Die Bildung eines Durchschnittseinkommens ist nämlich jedenfalls in den Fällen, in denen - wie hier - allein Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt und angerechnet werden, nicht mit einem geringeren Verwaltungsaufwand verbunden als die auf die einzelnen Monate des Leistungszeitraumes bezogene Einkommensermittlung. Die Ermittlung des Einkommens kann nämlich - ungeachtet des weiteren Umstandes, dass sich dem Gesetz nicht entnehmen lässt, anhand welcher Kriterien insbesondere bei einem längeren Leistungsbezug der jeweils für die endgültige Berechnung des Kostenbeitrags maßgebliche Leistungszeitraum bemessen werden soll - ohnehin erst in einem zweiten Schritt auf der Grundlage der tatsächlichen Einkommensverhältnisse in den jeweiligen Monaten erfolgen. Diese müssen daher in jedem Fall zuvor von dem Kostenbeitragspflichtigen dargelegt und einzeln von der Behörde ausgewertet werden."

5

Nach alledem ist der Einwand des Klägers, dass nicht das im jeweiligen Monat der Kostenbeitragspflicht erzielte Einkommen, sondern das aus dem Jahreseinkommen ermittelte Monatsdurchschnittseinkommen der Bemessung der Höhe der Kostenbeiträge zugrunde zu legen sei, nicht geeignet, ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils zu begründen.

6

Derartige Zweifel an der Richtigkeit der Entscheidung der Vorinstanz hat der Kläger auch nicht mit dem Hinweis darauf dargelegt, dass das Verwaltungsgericht übersehen habe, dass der notwendige Selbstbehalt eines Erwerbstätigen nach den Leitlinien des OLG Celle seit Januar 2011 monatlich 950,- EUR betrage. Denn der Kläger hat nicht konkret dargetan, in welchen Monaten des Jahres 2011 der notwendige Selbstbehalt nicht sichergestellt und der festgesetzte Kostenbeitrag daher nicht angemessen im Sinne des § 94 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII gewesen sein soll. Der Vortrag des Klägers, dass ihm im Jahre 2011 im Monatsdurchschnitt nach Abzug der berufsbedingten Aufwendungen ein bereinigtes Nettoeinkommen von nur 1006,63 EUR zur Verfügung gestanden habe und dass unter Berücksichtigung eines Selbstbehalts von 950,- EUR ein Kostenbeitrag von nur monatlich 56,63 EUR angemessen sei, ist insoweit ersichtlich unzureichend, da für die Bemessung des Kostenbeitrags nicht das monatliche Durchschnittsnettoeinkommen, sondern das im jeweiligen Monat erzielte Nettoeinkommen maßgeblich ist.